Predigt über 1 Kor. 2,1-10 am 2. Sonntag n. Epiphanias (15.1.2012) in der Petruskriche
Von Lothar Malkwitz
Gott zur Ehre
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.
Liebe Gemeinde,
da gibt es heute diese poetische Evangeliumslesung, die berühmte Geschichte der Hochzeit zu Kanaan. Ein bisschen märchenhaft ist sie, wie da der junge Jesus fast widerwillig den Wunsch seiner Mutter erfüllt und Wasser zu Wein verwandelt. Und sie hat etwas Strahlendes, ein junger Held scheint geboren, begabt mit übernatürlichen Kräften. Man darf auf ihn gespannt sein!
Und da gibt es heute einen Predigttext, aus der Feder des Paulus stammend, dessen erster Teil nüchtern und spröde sich darstellt: nicht um Heldentum, nicht um Wunder, nicht um strahlendes Wissen geht es, sondern: „allein Jesus Christus, der Gekreuzigte“ ist das Zentrum.
Hören Sie selbst: „Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sonder in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“ (1. Kor, 2,1-5 – der erste Teil unseres Predigttextes)
„Jesus Christus allein, der Gekreuzigte“! Und schon wieder derselbe Widerspruch: Christus, griechisch Christos, der Gesalbte, hebräisch Messias – der ersehnte Erlöser, Retter der Welt. Und der Gekreuzigte, der als Verbrecher Hingerichtete, der Outlaw, der Gotteslästerer.
Wie soll man das zusammen bringen?
Nun – eine Art des Zusammenbringens bestand und besteht darin, das Kreuz zu vergolden – und es dann als Schmuckstück auszustellen oder gar sich umzuhängen. Doch Vorsicht: es ist das Gold des Galgens, das da glänzt!
Eine andere Art des Zusammenbringens war und ist es, das Leiden zu verherrlichen: sich opfern als Weg zur Erlösung, sich selbst geißeln und quälen. Und dies alles verbunden mit der Vorstellung eines grausamen Vater-Gottes, dem es eine „Genugtuung“ (satisfactio) ist, wenn sich sein eigener Sohn opfert.
Beide Arten des Zusammenbringens sind nicht integrativ: sie kippen auf eine Seite, entweder auf die Seite der triumphalen Erhöhung oder auf die Seite der niedergeschlagenen Bedrückung. Zur Zeit Martin Luthers hatte die ihm bekannte Kirche starke Schlagseite in Richtung „vergolden“. Mit seiner theologia crucis wollte er dies korrigieren, die Kirche reformieren. Leider hat es historisch zu einer weiteren Abspaltung und bis heute nicht zu einer guten ökumenischen Integration geführt.
Ich möchte mit Ihnen heute versuchen, ein paar Gedanken zu einer wirklichen Integration von Leiden und Erlösung, von Opfer und Befreiung, von Kreuz und Auferstehung zu entwickeln.
Ich beginne mit der persönlichen Stellungnahme des Paulus: „…ich war bei euch in Schwachheit und Furcht und mit großem Zittern.“ Was Paulus hier ausdrückt ist ein uns allen wohl bekanntes Gefühl: Angst! Es ist zugleich ein Gefühl, das sich einzugestehen schwer fällt, besonders uns Männern. Und am Schlimmsten ist, Angst zu haben und nicht zu wissen, wovor. Die namenlose, atmosphärische, nicht fassbare Angst. Und so haben wir Menschen viele schlaue Strategien entwickelt, Angst zu „binden“. Ein für mich immer wieder beeindruckendes Bild gebundener Angst sind die Dämonen im Eingangsbereich romanischer Kirchen. Indem sie hier einen Platz bekommen, können sie nicht mehr frei und nebelhaft durch den Raum schweben. Eine andere Art der Angstbindung ist die medizinische Diagnose: wenn ich nur weiß, was mir fehlt, dann scheint es schon nicht mehr ganz so schlimm zu sein. Leider ist das mit den Ängsten unserer Seele nicht so einfach; die „Dämonen im Inneren“ sind nicht so leicht in Stein zu hauen. Unsere nächtlichen Träume, falls wir es wagen sie ernst zu nehmen, sind ein Führer unserer Ängste und eine starke Möglichkeit ihrer Linderung. Denn alles, was ich träumen kann, ist schon einmal durch einen ersten Filter des Verstehens gelaufen, hat seine ungehemmte, unkontrollierte Gewalt verloren.
Zurück zu Paulus: er macht eine unerwartete Verbindung zwischen seiner Angst und dem Sinn und Zweck seiner Botschaft: „… mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“ Die Angst verbunden mit Schwachheit und Zittern musste Paulus ertragen, indem er nicht versuchte zu überreden! Gottes Kraft bedarf keiner Überredungskünste! Gottes Kraft wirkt aus sich selbst heraus, wenn wir sie bloß wirken ließen. Denn es ist unsere Angst, die uns davon abhält, unseren Körper, unsere Seele, unseren Geist dem göttlichen Wirken „wirklich und wirksam“ zur Verfügung zu stellen. Es ist unsere Angst, die uns hindert, uns mit unseren nächtlichen Träumen wirklich und wirksam auseinander zu setzen. Dann müssen wir uns nämlich darauf einlassen, nicht zu wissen, was da alles so heraus kommt! Es ist unsere Angst, die uns dazu führt, die Dinge „in den Griff kriegen zu wollen“: „Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.“ (V. 22-23)
Der gekreuzigte Christus eignet sich nicht dafür, etwas „in den Griff zu kriegen“. Gleichviel ob man Kreuze vergoldet oder aber Asche auf sein Haupt streut: beides entspringt der Idee des „Machens“ – der gekreuzigte Christus aber entzieht sich allem menschlichen Machen. In diesem Entzug entspricht der gekreuzigte Christus der Predigt Jesu vom Reiche Gottes: auch dieses entzieht sich menschlicher Machbarkeit; es geschieht, es wächst, wie die Saat auf dem Acker, wie das Senfkorn, es entwickelt sich, wie guter Wein …
Und in diesem Entzug wird die Predigt vom Gekreuzigten Christus zur Torheit vor der Welt des Machen und der Machbarkeit, und zur Weisheit in der Welt des Reiches Gottes.
Davon handelt der zweite Teil unseres Predigttextes:
“Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die zunichte werden. Sondern wir reden Gottes Weisheit, die in einem Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat: denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3):
’Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.’
Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ (V. 6-10)
In diesem Übergang wandeln sich die Gedanken des Paulus, verwandeln, zwar nicht Wasser zu Wein, aber doch menschliche Weisheit zu göttlicher Weisheit, zur „Weisheit der Vollkommenen“. Die Vollkommenen (teleios), das sind (wörtlich) die am Ziel Angekommenen. Das klingt sehr hoch und ist missbrauchbar für Überheblichkeit. Aber die teleioi, das sind im Griechischen auch ganz einfach die Erwachsenen. Dann geht es um die „Weisheit“ derer, die es wagen, „erwachsen“ zu werden. Und dieses Erwachsen-Werden ist nichts anderes als sich zu öffnen für jenen Geist, der in der Welt des „die Dinge in den Griff Kriegens“ nicht zu finden ist. Das ist die Welt des Machens, der Macher und der Macht. In ihr findet sich nicht, was Gott bereit hält für die, die ihn lieben. Und das ist gut so!
Und der gekreuzigte Christus ist die „Verwandlungsstelle“, ist das Bild, in dem das Denken der Welt an sein Ende kommt („Das Gesetz ist erfüllt.“) und gerade so die Keimzelle eines neuen, von der Gnade herkommenden Denkens geboren wird. Das ist der tiefere Grund für das heutige Evangelium: es geht nicht um irgend etwas Magisches, es geht um eine Verwandlung unseres Denkens.
Es ist die wandelnde Kraft der Liebe, die zu wirklicher Integration befähigt. Aus ihrer Kraft heraus wird das Kreuz verwandelt: es ist nicht länger der Galgen des Verbrechers, es wird zur Weg-Kreuzung, an der sich die Geister scheiden. Mit Christus, dem Gekreuzigten, ist nichts zu „machen“, nichts „in den Griff zu kriegen“, nichts zu erreichen. Mit Christus dem Gekreuzigten kann man auch keinen Staat machen. Christus der Gekreuzigte macht nichts her! Das ist es. Und so schützt er davor, sich selber zu wichtig zu nehmen, sich auf sich selbst (oder auf die eigene Predigt) zu viel einzubilden. Indem wir Christus den Gekreuzigten in uns wohnen lassen, in uns hineinbilden, brauchen wir uns freilich auch nicht zu wundern, dass wir nicht der Magnet der Massen sind. Dass unsre Botschaft nicht so wahnsinnig attraktiv ist. Bei „Deutschland sucht den Superstar“ brauchen wir mit unserem gekreuzigten Christus jedenfalls nicht anzutreten. (Gott behüte, ich würde es freilich auch gar nicht wollen!)
Mit Christus dem Gekreuzigten kommen völlig neue Gedanken auf die Welt: Gott selbst offenbart sich in seinem Sohn auch als ein verletzbarer und verletzlicher Mensch, fragil und zerstörbar, leidend und mitleidend. Gott verwandelt sich in Christus dem Gekreuzigten: er nimmt die Verachtung, die Einsamkeit, die Schmerzen seiner Kreaturen in sich selbst hinein. Und zwar so, dass er zunächst selbst die Ohnmacht erträgt, die zu ertragen ist, im Angesicht des Grauens, der Kriege, der Ungerechtigkeiten auf dieser unserer Erde. Auch die Ohnmacht, die zu ertragen ist, wenn ich mich nicht verstanden fühle oder nicht verständlich machen kann. Auch die Ohnmacht, wenn ich krank werde, Schmerzen erleiden muss und so fort…
Zunächst sage ich, ist die Ohnmacht zu ertragen: weil unser Denken und Erleben und dann auch unser Handeln nicht bei dem Gekreuzigten stehen bleiben darf. Christus ist der Gekreuzigte, der Messias ist der Gekreuzigte. Will sagen, zur Messias-Werdung gehört das (Er-)Tragen des eigenen Kreuzes: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Mk 8,34) Und in diesem Prozess geschieht die (Ver-)Wandlung, in diesem Prozess verwandelt sich das schwere Kreuz zu einem Früchte tragenden Lebensbaum. „Mein Joch ist sanft.“
Es gibt eine wunderschöne chassidische Geschichte, die in ihrer Weise Christus den Gekreuzigten predigt, vielleicht besser, als ich das mit vielen Sätzen kann. So höre ich jetzt auf, um ihnen die Geschichte zu erzählen, die ich ein wenig ausgeschmückt habe. Sie lautet:
Am Tag der Zerstörung
„Man fragte Rabbi Pinchas: ‚Warum soll, wie uns überliefert ist, der Messias am Jahrestag der Zerstörung des Tempels geboren werden?’
‚Das Korn’, sprach er, ‚das in die Erde gesät ist, muss zerfallen, damit die neue Ähre sprieße. Die Kraft, die in dem Korn ruht, kann nicht wachsen, kann sich nicht entwickeln, wenn sie nicht in die große Verborgenheit eingeht. Die feste Struktur des Kornes muss sich lösen, damit Neues entstehen kann. Diese Lösung geschieht in der Leere, im Durchschreiten der Dunkelheit des Nichts.
In der Schale des Vergessens wächst die Macht des Gedächtnisses.
Die Macht des Gedächtnisses ist das Gedenken daran, wer du wirklich bist, und was du wirklich zu tun hast auf dieser Welt. Dies ist die Macht deiner Erlösung. Die Macht deines Gedächtnisses führt dich zu deinem eigenen Selbst. Zu dem, der du wirklich vor Gott bist. So löst sie dich von deinen alten Illusionen darüber, wer du glaubtest zu sein, oder wer du meintest, für andere sein zu müssen. Oder was dir von anderen eingeredet wurde, wer du seiest. Wenn du dich traust, dich für Gott zerstören zu lassen, wird Gott in dir geboren.
Am Tag der Zerstörung, da liegt die Macht Gottes auf dem Grunde und beginnt zu wachsen. Darum sitzen wir an diesem Tag am Boden, darum gehen wir an diesem Tag auf die Gräber, darum wird an diesem Tag der Messias geboren. Wohl dem, der sich traut, sich von Gott zu Gott hin zerstören zu lassen.’“
Und jetzt wird auch verständlich, inwiefern die Predigt von Christus, dem Gekreuzigten, unbedingt zur Weihnachtsbotschaft dazugehört. Das Herz von
Weihnachten ist ja nichts anderes als die Geburt des Messias, „wo die Macht Gottes auf dem Grunde liegt …“ AMEN.
Und die Liebe Gottes, die höher ist als all unser menschliches Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus AMEN.