Taufpredigt über 1. Samuel 16, 7.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“
1. Samuel 16, 7
Liebe Eltern, liebe Taufpaten, liebe Gemeinde,
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an.“
Dieses Wort habt Ihr für Euren Sohn als Taufspruch ausgewählt.
Es findet sich im Alten Testament. Der Kontext ist eine Geschichte, die erzählt, wie David, der jüngste und unscheinbarste Sohn eines Hirten, zum König von Israel gesalbt wird, obwohl seine starken und schönen Brüder sich äußerlich viel besser als Könige gemacht hätten. Gottes Wahl beruht offenbar nicht auf Äußerlichkeiten. Gottes Wahl ist keine narzisstische.
Im Narzissmus, der derzeit groß in Mode ist (Frage: Ist er je aus der Mode gekommen?) , kreist alles um die Frage:
„Wie werde ich gesehen?“ Dem entspricht: „Wie will ich mich zeigen?“
Meine Oma, Jahrgang 1887, hatte oft gesagt:
„In den Magen kann man nicht schauen, wohl aber auf den Kragen!“
Was hieß: Ein weißer, vornehmer Hemdkragen ist wichtiger als das, was ich in mich hinein aufnehme, z.B. meine Ernährung. Wobei: Natürlich kann man auch seine Ernährung in den Dienst des Narzissmus, nicht aber in den Dienst der Gesundheit stellen.
Aber die grundlegende Frage ist doch: Wie wichtig ist mir etwas Äußeres, Sichtbares – und: Wie wichtig ist mir etwas Inneres, etwas in der äußeren Welt Unsichtbares?
Und dahinter steht die Frage: Was macht wirklich satt?
„Gott sieht das Herz an!“
Kann dieses Gesehen-Werden sättigen?
Ich glaube schon – auch wenn dieser Satz zunächst einmal beunruhigt.
Heißt er doch: Vor Gott kann ich mich nicht verstecken.
„Adam, wo bist du?“ fragt Gott, nachdem Adam und Eva miteinander geschlafen hatten.
Es sind Schuldgefühle und Schamgefühle, die uns Menschenkinder dazu bringen, uns zu verstecken.
Dabei sind Schuldgefühle leichter zu ertragen, da es die Möglichkeit einer Wiedergutmachung gibt. Und es gibt die Möglichkeit der Vergebung:
„Vergib uns unsere Schuld – wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“ beten wir im Vaterunser.
Nicht so bei Schamgefühlen.
Schamgefühle sind anders, fühlen sich anders an. Zu ihnen gehört der Satz: „Wie konnte ich mich nur in die und die Situation bringen?!“ Sie lösen den Reflex aus, verschwinden zu wollen, unsichtbar zu werden.
„Ich wünschte, die Erde hätte sich aufgetan und ich könnte im Boden verschwinden“, sagt der, der sich schämt.
Zu Schamgefühlen gehört die Heimlichkeit, das Sich-Verstecken.
Von daher ist der Taufspruch für Christoph: „Gott sieht das Herz an!“ zunächst einmal sehr beunruhigend.
Er ist solange beunruhigend, solange Gott mit einer kalten moralischen Instanz verbunden wird, die darauf aus ist, den Menschen seine Macht zu demonstrieren und sie zu beschämen. Sich über die Schwächen des Anderen lustig zu machen. Menschen bloß zu stellen.
Gott aber ist anders.
Gott hat sich in seinem Sohn Jesus Christus offenbart als bedingungslose Liebe, die radikale Ohnmacht aushält.
Er hat seinen Sohn nicht vom Kreuz herunter geholt. Aber: Er hat seinen Sohn auch nicht verspottet, im Sinne von: „Das hast du jetzt davon. Hast den Mund ein bisschen zu voll genommen, oder?“
Nein: Er hat mit seinem Sohn mitgelitten. Er war im Leiden seines Sohnes da – in und mit seiner ganzen Ohnmacht!
Von daher müsste unser Glaubensbekenntnis am Anfang eigentlich heißen:
„Ich glaube an Gott, den Ohne-Macht-Seienden“.
Sein Blick in mein Herz ist barmherzig. Er schaut mit liebevollen, warmherzigen Augen auf mich, auf mein gelebtes Leben.
Anstatt mich bloß zu stellen, deckt er die Verletzungen meiner Seele zu.
Er näht eigenhändig die Kleidung als Schutz für seine Kinder, für Adam und Eva.
Und er verstößt Adam und Eva auch nicht aus dem Paradies – sondern er entlässt sie in ihr erwachsenes Leben. Er entlässt sie in ihre Freiheit!
„Wenn das Junge zu fliegen beginnt, ist die Aufgabe der Adler-Eltern erledigt,“ habe ich gestern gelesen. So ist es: In gewisser Weise ist das „Erziehen“ der Kinder eine permanente Übung im vertrauensvollen Loslassen. Möge eben dieses liebevolle Loslassen – das nicht mit Fallen-Lassen zu verwechseln ist – die Matrix für das Aufwachsen Eures Sohnes sein.
Ich wünsche Euch, den Eltern, dass Ihr es wie Gott macht: Mit liebevollen Augen auf sein Herz schauen. Liebevoll heißt nicht, „alles durchgehen lassen…“ Echte Liebe schaut genau hin – ohne zu verurteilen und ohne zu beschämen. Und falls eine Verletzung passiert ist – und auch das ist unvermeidlich im Zusammenleben zwischen Menschen – wird die Liebe sagen, dass es ihr leid tut. Sagen zu können, dass mir etwas leid tut, was ich gesagt oder getan habe, ist kein Ausdruck von Schwäche – ganz im Gegenteil: Es ist ein Ausdruck von Stärke.
Es ist die Stärke, den Anderen, den Fremden in seinem So-Sein zu respektieren – auch und gerade, wenn ich ganz anderer Meinung bin. Es ist die Stärke, mich in den Anderen einzufühlen und immer wieder zu versuchen, die Welt aus seinen Augen zu sehen. (Stichwort: Perspektivenwechsel!)
Was aber genau nicht heißt, zu allem Ja und Amen zu sagen.
Sich Hemmen zu können und die eigenen Hass Impulse nicht auszuleben, ist keine Schwäche sondern eine Stärke! Eine Stärke, die allerdings noch nie sehr modern war.
Im Tragen und Ertragen seines Kreuzes hat Jesus Christus uns diese Stärke vorgelebt. Er konnte das, weil er in innigster Verbindung mit Gott, den er liebevoll abba nannte, stand. Die Alte Kirche hat diese Verbindung als „vinculum caritatis“ bezeichnet, das (unzerstörbare) Band der Liebe. Und sie hat diesem Band sogar einen eigenen Namen gegeben: Es ist die dritte Person in Gott, es ist der Heilige Geist. Im Johannes-Evangelium, aus dem wir vorhin einen Ausschnitt gehört haben, wird er der „Parakletos“, der „Herbeigerufene“ genannt. Und der „Tröster“. Weil er den Abschiedsschmerz, das Jesus zu einem Vater zurückkehrt, mildert. Im Heiligen Geist bleibt Jesus – verwandelt – gegenwärtig
Gebe Gott, dass auch wir immer tiefer aus dem Vertrauen heraus zu einem gütigen Gott unser Leben leben. Gebe Gott, dass wir alltäglich uns in Verbindung mit einem Gott erleben, der mit liebevollen Augen auf mein Leben und in mein Herz blickt.
Gebe Gott, dass ich mich aufgehoben fühle in dem unzerstörbaren Band der Liebe zwischen Vater und Sohn, AMEN.
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