Liebe Gemeinde,
als wir vorhin zusammen den Psalm 47 beteten, kamen mir Bilder von der Krönung von König Charles III. In den Sinn.
Beide Male geht es um eine Inthronisation. „Gott fährt auf unter jauchzen“ heißt es in Psalm 47. Er ist „König über die ganze Erde“.
Und natürlich gibt es auch bei uns, in der christlichen Religion die, die sagen:
„This is not my King!“
Wir brauchen keinen König. Und wir brauchen auch keinen Gott.
Unser amtierender Kanzler hat bei seinem Amtseid auf den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichtet. Das war in jedem Fall ehrlich. Und es ist ein leichtes, die Kirche als menschliche Institution zu kritisieren. Es ist ein Leichtes, auf die unselige Koalition von kirchlichem Establishment und Machtpolitik zu verweisen, aktuell vorgelebt vom Moskauer Patriarchen Kyrill I. So wie es ein Leichtes ist, auf die negativen Seiten der Kolonisierung hinzuweisen. Es ist ein Leichtes, dagegen zu sein.
In der Demokratie gibt es die Regierung und die Opposition.
Welch eine wertvolle Errungenschaft von uns Menschen, dass beides, das Dafür und das Dagegen, seinen Platz bekommt. Und die Geschichte lehrt, wie fragil diese Errungenschaft ist. Und wie groß die Verführungen und Verlockungen der Macht sind. Jener Macht, die sich selbst absolut setzen will.
Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die die Krönung von Charles III. bekommen hat, macht aber auch noch was anderes deutlich: Unser aller Sehnsucht nach einer guten, sinnstiftenden Ordnung die durch einen „guten Führer“ repräsentiert wird. Eine Sehnsucht, die sich auch bei grausamen Diktatoren findet. Putin hat einmal gesagt: „Ja, es stimmt. Ich bin ein Diktator – aber ich bin ein guter!“
Und die Gräuel, die im Namen dieses Gut-Seins, die auch im Namen unseres Herrn und Heilands Jesus Christus begangen worden sind – die sind vom subjektiven Erleben her keine Gräuel, sondern sie waren notwendig für den Sieg „des Guten“. Die Kreuzzüge waren notwendig, um die „Heilige Stadt Jerusalem“ von den „Ungläubigen“, den muslimischen Mitmenschen zu befreien. Und Kaiser Karl der Große hat seine Minister auf die Bergpredigt eingeschworen. Und die Sachsen enthaupten lassen, falls sie sich nicht taufen ließen.
Auch bei der Krönung von Charles III. war zu hören: Das Vorbild des irdischen Königs ist Jesus Christus. Dazu gehören auch Sätze wie: „Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden … ich bin gekommen zu dienen.
Im Lateinischen heißt „Diener, Gehilfe“ „Minister“. Seine Aufgabe ist es, unserem Staat zu dienen.
Und was bitte hat das alles mit Christi Himmelfahrt zu tun? könnten Sie jetzt, liebe Gemeinde, zurecht fragen.
Diese Gedanken sind mir beim Lesen von Psalm 47 gekommen. Wir haben ihn vorhin gebetet. Sie sind mir nicht gekommen beim Lesen unseres heutigen Predigttextes, den Sie vorhin als Evangelium gehört haben. Zu diesem ist mir zunächst einmal – gar nichts eingefallen.
Lukas berichtet (als einziger) der vier Evangelisten von der Himmelfahrt Christi. Am Beginn seiner „Apostelgeschichte“ erzählt er diese noch einmal und fügt hinzu: „Und als sie (sc. die Jünger) ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, da standen bei ihnen zwei Männer mit weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel?“
Etwas freier übersetzt könnte man sagen: Die beiden Männer in den weißen Gewändern sagen: „Was steht ihr da so dumm rum und glotzt blöd in den Himmel …“
Und die Einleitung ist mir eingefallen, um hier nicht so dumm rumzustehen.
Denn ein Pfarrer, dem nichts zu seinem Predigttext einfällt, der steht dumm rum. Und weil das arg peinlich ist, versucht er es mit klugen Gedanken zu überspielen – und kluge Gedanken haben wir alle in unserem Theologiestudium zuhauf bekommen.
Liebe Gemeinde,
vielleicht kennen sie das ja noch aus der Schule: Man soll einen Aufsatz zu einem „saublöden“ Thema schreiben, und es will einem partout nichts einfallen. So mancher Bleistift wurde da vor lauter „mir fällt nichts ein“ zerkaut.
Die Gefühle des „mir fällt nichts ein“ verführen zu Ablenkung, Im Zeitalter von Google und You tube ist es ja mühelos, sich abzulenken. Der Nachtteil davon ist: Solange ich mich ablenke, kann mir gar nichts einfallen.
Ein anderer Umgang mit „mir fällt nichts ein“ ist: Was ist denn anderen eingefallen? Schauen wir doch mal, welche Predigten zu Himmelfahrt sich im Internet finden. …
Ich bin auf der Suche nach einer Idee für meine Himmelfahrtspredigt auf eine Predigt von Abt Aloysius Althaus (Abtei Königsmünsterin Meschede) in gestoßen. Unter anderem sagt er:
„So gesehen könnte man das Fest Christi Himmelfahrt auch als Fest unserer Erde bezeichnen, als Fest des Glaubens, der die Erde lieben darf, weil diese Erde nun in Christus eine Mitte, einen Sinn und ihr großes Geheimnis gefunden hat. Das Fest des Himmels wird zum Fest der Erde, des Jenseits zum Fest des Diesseits, denn nun ist dieses unser Diesseits Raum Gottes geworden, da der ferne Gott durch Jesus und durch seinen Geist, ‚der in uns ausgegossen ist‘, zum nahen Gott und zum Gott unseres Herzens geworden ist.“
Neidgefühle steigen in mir auf. Anstatt mich zu freuen und dankbar zu sein, solch gute Gedanken zu finden, sagt eine gehässige Stimme in mir: „Und warum ist dir das nicht eingefallen?“ Und die gehässige Stimme rät: „Aber du kannst das doch predigen – musst ja niemanden sagen, dass es nicht auf deinen Mist gewachsen ist … !“
So ist das mit den Verführungen! Und Neid ist ein sehr großer Verführer. „Ich will das auch haben!“ sagt er. Aber den schmerzhaften Prozess, der zu wahrer Kreativität unbedingt dazu gehört, den will ich nicht haben.
Neid plädiert für schnelle, schmerzfreie Lösungen.
Das passt übrigens sehr gut zu einem bestimmten Verständnis von Christi Himmelfahrt: Wer aus dieser Erde „aussteigt“ und direkt „in den Himmel fährt“, dem bleiben die Schmerzen und Leiden des Sterbens erspart. Als 12jähriger war mein persönlicher Held Dietrich von Bern gewesen. Warum? Weil er am Ende seines heldenhaften Lebens auf seinem schwarzen Hengst Falke direkt in den Himmel geritten ist.
Und Reinhard May hat in seinem Lied „Über den Wolken“ gedichtet:
Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein
Dazu passen die Träume vom Fliegen-Können. Sie sind stets mit einem euphorischen Glücksgefühl verbunden. Endlich kann ich abheben, die „Niederungen“ dieser Erde unter mir lassen. Peter Pan repräsentiert diese Form des Glücks. Und „Pan“ heißt im Griechischen „alles“ . All-mächtig und all-wissend sein – das wär’s doch! Nicht länger müsste man sich in den Niederungen dieses Erden-Daseins plagen und quälen.
Und da finde ich den vorhin zitierten Gedanken von Abt Althaus hilfreich: Christi Himmelfahrt als Fest der Verbindung zu verstehen und zu feiern: Als Fest der guten und sicheren Verbindung zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde, als Fest des Glaubens, der die Erde lieben darf.
Als Fest, an dem ich mich über jeden konstruktiven Gedanken freuen kann – auch wenn er nicht von mir ist. Weil es nämlich nicht um mich, sondern um die Wahrheit geht!
„Lehre mich Herr, an anderen Menschen unerwartete Talente zu sehen, sie zu fördern und verleihe mir die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.“ betet Theresa in ihrem schönen Gebet vom Älter-werden.
Dies aber setzt die Fähigkeit voraus, in Liebe verbunden zu sein mit allem, was mich umgibt. Der springende Punkt ist: In Liebe verbunden zu sein. Die Alternative zur Verbindung in Liebe ist die Verbindung in Macht. Diktatoren und Diktatorinnen – und sie gibt es überall, auch in kirchlichen Räumen – geht es nicht um Liebe. Ihnen geht es um Macht. Und damit um Kontrolle. Denn das Ausüben von Macht ist unweigerlich verbunden mit Kontrolle.
Jesus aber sagt und lehrt: „Die Wahrheit macht Euch frei!“
Die Wahrheit ist nicht kontrollierbar. Sie entzieht sich jeglicher Kontrolle.
Deshalb wird von denen, die sich und ihre eigenen Gedanken absolut setzen, so gehasst.
Die Wahrheit lässt sich auch nicht „machen“. Die Wahrheit leuchtet. Sie leuchtet ein. Sie fällt ins Denken hinein – unkontrollierbar. Die Wahrheit lässt sich auch nicht zensieren. „Und sie dreht sich doch“, soll Galileo Galilei gesagt haben, als er von der katholischen Kirche gezwungen wurde, seine Entdeckungen zu widerrufen.
Um dies alles zu ertragen, bedarf es einer starken Liebe zur Wahrheit. Nur aus ihr heraus ist der Schmerz, den die Wahrheit zufügt, erträglich.
Dazu eine chassidische Geschichte: Der Baalschem – ein jüdischer Lehrer – sagte: „Was bedeutet das, was die Leute sagen: ‚Die Wahrheit geht über die ganze Welt?‘ es bedeutet, dass sie von Ort zu Ort verstoßen wird und weiterwandern muss.“ (S. 158)
Wer ein Jünger dieses Jesus aus Nazareth sein will, wer sich der Wahrheit (auch seines eigenen Lebens) verpflichtet fühlt, der glotzt nicht blöd in den Himmel. Dazu hat er keine Zeit. Er wandert weiter auf seinem ganz eigenen Lebensweg.
Er lebt, was Angelus Silesius gedichtet hat:
Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für.
Der Himmel ist in jedem von uns schon gegenwärtig. Ich muss mich ihm nur zuwenden. So wie jeder von uns seine eigene Wahrheit in sich trägt. Ich muss mich ihr nur hinwenden. Das bedeutet aber eine Wendung um 180 Grad. Statt vor meiner Wahrheit davon zu laufen – oder davon zu fliegen – bleibe ich stehen und drehe mich mich um. Und lasse es geschehen, überlasse mich meiner Lebens-Wahrheit. In diesem Stehen-Bleiben, in dieser Hinwendung wird die Himmelfahrt Jesu zu einem Bild, bei dem Diesseits und Jenseits, oben und unten, hier und dort, horizontal und vertikal ineinander verschränkt sind. Das geometrische Abbild dieses Geschehens ist das Kreuz. Das Kreuz das zugleich die Auferstehung ausdrückt. Und die Auferstehung, die zugleich das Kreuz bezeichnet.
Möge Gottes Liebe, die in und durch Jesus Christus auf diese Erde gekommen ist, für uns alltäglich erlebbar sein, möge sie in uns leuchten wie die Sonne, die unser benebeltes Denken befreit für ein Leben in und mit und aus Gott heraus,