Predigt über Matthäus 5, 13 – 16 am 8. Sonntag nach Trinitatis 2023

Liebe Gemeinde,

„seien Sie diese Salz und das helle christliche Matthäus!“

Dies kam mir als erstes entgegen, als ich „Auslegung zu Matthäus 5,13-17“ in Google eingab. Es handelt sich um die Werbung für ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Be these Matthew 5,13“. Es wird als „atemberaubendes und trendiges Produkt“ beschrieben. Als ich das las, dachte ich mir: Wenn Jesus das mitbekommen hätte, er hätte sich im Grab umgedreht. Dieser Gedanke erheiterte mich, weil ich vergessen hatte, dass Jesus ja im Grab nicht zu finden ist.

„Ihr seid das Salz der Erde!“ Mit diesem bekannten Ausruf beginnt unser heutiger Predigttext, das vorhin gehörte Evangelium. Er findet sich am Beginn der Bergpredigt, in unmittelbarem Anschluss an die bekannten Seligpreisungen. Nimmt man diese Verbindung ernst, so hieße das:

Wer aus den Seligpreisungen heraus lebt, der wird zum Salz der Erde. Und der wird zum „Licht der Welt“, fügt Jesus hinzu.

Und so klingt das in unserem heutigen Predigttext:

13Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz fade wird, womit sollen wir salzen? Es ist völlig unbrauchbar geworden, wird weggeworfen und von den Leuten zertreten. 14Ihr seid das Licht der Welt. Die Stadt hoch auf dem Berg kann sich nicht verstecken. 15Niemand zündet ein Licht an und stellt es dann unter einen Krug. Es wird vielmehr auf den Leuchter gesetzt. Dann leuchtet es für alle, die im Haus sind. 16So soll auch euer Licht den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Gott im Himmel loben.“

Vorab zwei Erklärungen: Erstens: Damals war Salz ein sehr wertvoller Stoff. Es wurde z.B. aus dem Toten Meer gewonnen und enthielt viele „Fremdstoffe“, Man konnte es nicht so gut reinigen wie heute, so dass es, einmal feucht geworden, nicht mehr als Gewürz zu gebrauchen war, da es sich auflöste.

Zweitens: Der Scheffel ist ein Hohlmaß. Damit wurde zum Beispiel Getreide gemessen. Ein Scheffel war relativ groß und man kann ihn sich wie eine Art Bottich vorstellen. Wenn man nun darunter ein Licht gestellt hat, dann war die Funktion des Lichtes zu leuchten nicht mehr gegeben. Es war völlig sinnlos, so etwas zu machen.

So weit – so gut:

Aber – und das ist jetzt die entscheidende Frage -:

Was bedeuten diese Sätze für uns, die wir heute leben, für die Salz in jedem Supermarkt für wenig Geld zu erwerben ist, genauso wie Kerzen oder Glühbirnen.

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht: Aber ich reagiere empfindlich bis ablehnend darauf, wenn ich solche „Zuschreibungen“ bekomme. „Sei doch nicht so blöd!“ sagte meine Mutter zu mir, als sie erfuhr, dass ich meine Steuererklärung ehrlich und gewissenhaft machte. „Du Idiot!“ sagte mir ein sogenannter „Freund“, als er erfuhr, dass meine Frau und ich sich einen völlig unerzogenen, auch noch tauben älteren Hund aus einem Tierheim geholt haben.

Das sind zwei Beispiele für abwertende Zuschreibungen aus eigener Erfahrung. Es gibt natürlich auch aufwertende Zuschreibungen. Z.B. wenn ein Patient sagt: „Sie sind mein Retter!“ Oder ein Mann zu seiner Frau sagt: „Du bist mein Ein und Alles!“ Auch solche Sätze führen in die Unfreiheit, weil zu hohe Erwartung notgedrungen enttäuscht werden muss.

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, liebe Gemeinde, aber in mir wehrt sich alles gegen die Zuschreibung, Salz der Erde oder Licht der Welt zu sein. Um Gottes Willen, nein, das bin ich nicht! Das ist viel zu viel, zu hoch, zu extrem. Außerdem: Zuschreibungen sind Bemächtigungen. In Bemächtigung steckt „Macht“. Zuschreibungen üben Macht aus: Wieder in beide Richtungen. Sie erhöhen in Richtung Messias, Retter, Heiland. Sie erniedrigen in Richtung Teufel, Verführer, Versager. Es ist die Macht der Manipulation, die von Zuschreibungen ausgeht.

Indem ich die Kraft entwickle, Manipulationen zu durchschauen, verlieren sie ihre Macht. Dann kann ich mich von den Zuschreibungen distanzieren. Und dann kann ich auch die Enttäuschungen ertragen, die ich auslöse, indem ich sage: Was du in mir siehst oder das du von mir erhoffst: Das bin ich nicht!

Nein – ich bin nicht Salz der Erde, auch nicht Licht der Welt.

Ich weiß nicht genau, was oder wer ich bin. Was ich weiß, ist, dass ich versuche, da zu sein und zu leben: als Mensch, als Mann, als Vater, als Großvater, als Ehemann, als Pfarrer, als Therapeut. Und ich versuche aufmerksam zu sein. Ich versuche, das, was mir begegnet (sei es Belebtes, sei es Unbelebtes), auf mich wirken zu lassen – ohne es zu bewerten oder gar zu verurteilen. Ich sage sehr bewusst: „Ich versuche“. Weil ich alltäglich die Erfahrung mache, dass es mir nicht gelingt. Weil ich alltäglich Gedanken in mir habe, die sagen: Das gibt es doch nicht: Wie können Menschen so blöd, so grausam, so selbst verliebt sein. Dies gilt ganz besonders für Menschen in Institutionen, die mir nahe sind, zu denen ich selbst gehöre. Kirchliche Amtsträger z.B. oder Funktionäre in psychotherapeutischen Institutionen. Und wenn ich dann selbst beurteile und abwerte, dann merke ich: Dies fließt aus meiner eigenen Enttäuschung.

Augenblicklich können wir dieses Phänomen in der Politik erleben. Den Zulauf, den eine rechtsextreme Partei derzeit hat, sehe ich in direktem Zusammenhang mit der Enttäuschung über die etablierten Parteien. Damit verbunden ist die Enttäuschung über die Demokratie als Staatsform, die sich das Grundgesetz gegeben hat: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und Geflüchtete, black coulored people, Homosexuelle usw. – sind zunächst einmal Menschen. Mit-Menschen.

Die revolutionäre Idee unseres Grundgesetzes ist: Die Würde des Menschen steht für sich – losgelöst davon, ob er Salz der Erde oder Licht der Welt ist.-

Wozu dann diese „Ihr seid …“ – Sätze?

Sie stiften vermeintliche Identität. Und sind die andere Seite der „Ich-bin-Worte“ Jesu. „Ich bin das Brot des Lebens“, „ich bin das Licht der Welt“, „ich bin die Tür“, „ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ usw.

Man hat gesagt, diese Worte sind Ausdruck dessen, dass Jesus für sich beanspruchte, der Messias zu sein. Da wir historisch über ihn so wenig wissen, wissen wir auch nicht, wie Jesus sich selbst sah. Was aber in jedem Fall gilt: Sie sind Ausdruck der Messiassehnsucht, die der oder die Verfasser des Johannesevangeliums hatte bzw. hatten. Diese Sehnsucht ist allgemein menschlich, sehr verständlich – und entwicklungsfeindlich.

Sich entwickeln heißt, sich der Wirklichkeit, so wie sie nun einmal ist, zuzuwenden. Unsere Sehnsüchte lehnen diese Wirklichkeit ab. Sie wollen eine andere Welt, Das Aufgeben einer Sehnsucht aber ist unweigerlich mit Gefühlen der Enttäuschung verbunden. Und Enttäuschungen können sehr, sehr schmerzhaft sein. Sich der Wirklichkeit hingeben heißt anzuerkennen, welche Steuern ich zu bezahlen habe. Heißt anzuerkennen, dass wir uns alle täuschen können, auch als hochrangige Politiker oder Kleriker. Und heißt zu akzeptieren, dass ich ziemlich allein auf dieser Welt bin.

Adam und Eva – von denen wir alle abstammen – entwickeln diese Kraft, die Wirklichkeit anzuerkennen, indem sie das Paradies verlassen. Sie entwickeln die Kraft, anzuerkennen, dass sie das Paradies verloren haben. (Vgl. hierzu die geniale Dichtung von John Milton, „Paradise lost“.) Sie entwickeln diese Kraft, nicht weil sie an einen allmächtigen Gott glauben, sondern weil sie einen barmherzigen, fürsorglichen und einfühlsamen Gott erleben.

Dieser Gott näht ihnen Felle, damit sie nicht frieren. Dieser Gott sendet Ihnen seinen eigenen Sohn, der ihnen hilft, die Widrigkeiten und Enttäuschungen ihres Lebens zu überleben – ohne dafür in das alte Allmachtsdenken zurück zu fallen.

In Jesus Christus offenbart sich nicht an erster Stelle ein Macht-Gott. In Jesus Christus offenbart sich ein Gott, der zu Liebe, Rücksichtnahme, Empathie gerade auch für die „schwachen“ Mitglieder unserer Gesellschaft fähig ist.

Und es ist ein Teufelswerk, daraus einen Allmachtsglauben zu „zaubern“.

Genau dies aber ist in der Geschichte des Christentums geschehen durch die von Paulus stammende Engführung des Glaubens an Jesus Christus als den „Auferstandenen“. Nicht die Auferstehung ist das Zentrum der Geschichte Jesu, sondern seine Predigt der bedingungslosen Liebe Gottes, die allen Lebewesen, die allem, was da ist, gleichermaßen gilt. Jesus hat sein Leben dieser „Kunst des Liebens“ gewidmet. Sie ist es, die nicht tot zu kriegen ist. Sie ist es, die nicht im Grab zu finden ist.

Dorothee Sölle hat einmal über Jesus gedichtet:

Vergleiche ihn ruhig mit anderen grössen

sokrates

rosa luxemburg

gandhi

er hält das aus

besser ist allerdings

du vergleichst ihn

mit dir

Indem ich mich, mein Leben mit Jesus vergleiche, bekommen die beiden Bilder vom Salz der Erde und vom Licht der Welt eine ganz neue Bedeutung, die mich berührt.

Es geht nicht darum, dass ich irgend etwas Tolles mache.

Die Kraft des Salzes besteht darin, sich aufzulösen.

Die Kraft des Lichtes – des Kerzenlichtes – besteht darin, zu verbrennen.

Die Kraft dessen, was Jesus uns vorgelebt hat, ist die Kraft liebevoller Hingabe. Dies ist das Gegenteil von Machtausübung. Macht auszuüben verleiht mir die Illusion zu meinen, ich hätte alles im Griff, „unter Kontrolle“.

Hingabe ist die Kraft, Kontrolle aus der Hand zu geben, sich zu überlassen.

Sich der eigenen Intuition, sich der eigenen Wahrheit zu überlassen. Dann geht es nicht mehr um mich, sondern um die Wahrheit, die aus mir spricht. Und je inniger die Verbindung zwischen mir und der Wahrheit wird, desto mehr nähere ich mich dem an, was Jesus im Johannesevangelium sagt: „Ich bin die Wahrheit.“ Und je tiefer ich mich meiner Wahrheit überlasse, desto leicht lasse ich los von meinen Sehnsüchten, wie ich, wie mein Leben sein sollte und wie der Andere für mich sein soll.

Vielleicht denken Sie sich jetzt – Das kann ich nicht! Und das will ich auch nicht!

Ja, wo kämen wir denn da hin, wenn ich mich nicht mehr nach meinen Wünschen richten würde, wenn ich meinen Empörungen keinen Raum mehr geben würde. …

Wo kämen wir hin,

wenn jeder sagte,

wo kämen wir hin

und keiner ginge,

um zu sehen,

wohin wir kämen,

wenn wir gingen. (Hat Kurt Marti gedichtet. )

Vielleicht würden wir dann ein bisschen salziger werden und ein bisschen erleuchteter. Vielleicht auch nicht.

Rauskriegen tun wir das erst, wenn wir dahin gingen, wo wir von vorne herein sagen: „Ja, wo kämen wir denn da hin!“ AMEN.

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