„Komm, wer immer du bist,
Wanderer, Götzenanbeter, den Abschied Liebender.
Es spielt keine Rolle.
Dies ist keine Karawane der Verzweiflung.
Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast.
Komm, komm, noch einmal: KOMM!“
Dies ist die Grabinschrift des großen islamischen Mystikers Rumi.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will Euch erquicken!“
Dies ist der Wochenspruch für die vor uns liegende Woche, er findet sich im Matthäusevangelium.
Beide Male geht es um eine Einladung.
„Komm!“
Es ist eine Einladung ohne Vorbedingungen, ohne Drohung, ohne Ausschluss.
Rumi schließt niemand aus: „Wer auch immer du bist!“
Ebenso Jesus: „Kommt her zu mir, alle, …“
Diese Einladung umrahmt unseren heutigen Gottesdienst.
Und natürlich freue ich mich, dass Ihr alle gekommen seid.
Und natürlich gibt es jene, die nicht gekommen sind. Warum auch immer.
Davon handelt das heutige Evangelium, das „Gleichnis vom großen Gastmahl“: Nicht Gott schließt die Menschen aus. Es ist genau anders herum. Die Menschen schließen Gott aus. „Einer nach dem Anderen fing an sich zu entschuldigen…“ Und wie reagiert Gott als Gastgeber? Na ja: nicht gerade souverän. Er wird zornig und sagt beleidigt: Dann halt nicht! So kommen die Armen, körperlich Beeinträchtigten in den Genuss des Gastmahles. Das finde ich schwierig: Sie sind also bloß die zweite Wahl. Lückenbüßer!Ist das echte Integration?
Sie kennen das. Ich könnte mich jetzt darüber ausbreiten, wie wenig Menschen heutzutage noch in die Kirche, zum Gottesdienst kommen. Wie viele aus der Kirche ausgetreten sind. Und dass das der Grund ist, dass die Petruskirche sich nicht mehr rechnet…
Und was bringt das?
Es bringt eine gewisse Entlastung. Es ist die Entlastung, die ich bekomme, wenn ich mich empöre.
Es ist nicht die Leichtigkeit, die mir geschenkt wird, wenn ich mich auf das, was ist, einlasse.
Und was ist?
Dass wir jetzt hier gemeinsam Gottesdienst feiern dürfen.
Sich einlassen ist stets auch ein Loslassen. Loslassen von all dem, was mich auch noch beschäftigt.
Und jetzt lassen wir uns auf einen alten Text ein, den heutigen Predigttext.
Es ist ein Abschnitt aus dem Epheserbrief des Paulus, Kapitel 2, 17 – 22. Ich lese ihn erst einmal vor:
17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Ihr Lieben,
„und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.“
Mit anderen Worten: Es wird dir nicht vorgerechnet, was du getan hast, wo du gewesen bist, bevor du dich als Christ bekannt hast.
Deine Vergangenheit war so, wie sie war. Sie ist nicht mehr zu verändern. Aber – und: Du wirst darauf nicht fest geschrieben. Was zählt, ist nicht wer du warst. Was zählt ist, wer du bist. Hier und jetzt.
Komm, wer auch immer du bist, komm …!
Ein kleiner historischer Exkurs zum Verständnis des Textes:
Durch die Ausbreitung der Botschaft Jesu war das Problem entstanden, was eigentlich mit denjenigen Menschen ist, die Jesus als den Christus bekennen und nicht jüdischen Glaubens sind. Sind das „Gläubige zweiter Klasse“? Paulus ist an dieser Stelle ganz klar. Nein, sind sie nicht. Und es ist auch nicht nötig, dass sie sich beschneiden lassen. Die Taufe genügt.
Die Beschneidung ist nichts, und das Unbeschnittensein ist nichts“, sagt Paulus im ersten Korintherbrief. „Sondern das Halten der Gebote.“ (1. Korinther 7, 19)
Im Halten der Gebote Gottes wird jener Friede verwirklicht, der höher ist als unsere Vernunft. Im Halten der Gebote Gottes „sitzt Gott im Regimente“, wie es in dem Lied „Befiehl du deine Wege“ (EKG 361, 7) von Paul Gerhardt heißt:
„Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht,
lass fahren was das Herz betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente, der alles führen soll,
Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“
In Klammer: Diese Strophe immer wieder zu meditieren könnte ein sehr wirksames Antidepressivum sein! Besonders der Vers: „Bist du doch nicht Regente … !“
Und zu diesem Gott, den Paulus den „Vater“ nennt, haben wir jetzt alle gleichermaßen Zugang, sagt Paulus.
„Komm, wer immer du bist,
Wanderer, Götzenanbeter, den Abschied Liebender.
Es spielt keine Rolle.“
Der Zugang zum Vater geschieht durch EINEN Geist, sagt Paulus.
Diese Gedanken durchweht ein Geist der Freiheit und der Gleichberechtigung.
Wir alle sind nicht länger „Fremde“. Wir sind „Gottes Hausgenossen“.
Das macht uns aus. Das ist unsere Identität.
Wir wohnen im Haus Gottes!
Das ist das einzige, was zählt. Nicht unsere sogenannte „Konfessionalität“. Auf dieser Ebene gibt es kein evangelisch oder katholisch. Auch kein islamisch oder buddhistisch. Oder jüdisch.
Auf dieser Ebene geht es um unser Mensch-Sein vor Gott.
Das in jedem Augenblick erlebbar ist.
Es genügt, auf den eigenen Atem zu lauschen.
Und es genügt, sich bewusst zu machen, auf welchem Boden ich stehe. Was ist die Grundlage meines Denkens?
„Ihr seid aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten … mit Jesus Christus als Eckstein.“
Es ist eben jener Christus Jesus, der getötet worden ist. Es ist eben jener Eckstein, den die „Bauleute verworfen haben“ (Lukas 20, 17b). Das Abgelehnt-Werden gehört zu dieser Art Grundstein wesentlich dazu. Das Nicht-Erwünscht-Sein. Nicht wenige Propheten und Mystiker, auch Wissenschaftler können ein Lied davon singen. Der Heilige Johannes vom Kreuz saß zwei Jahre im Gefängnis, Meister Eckhart entkam dem Kirchenbann nur dadurch, dass er vorher starb. Und Paulus selbst starb in Rom den Märtyrertod. Martin Luther King wurde ermordet, Nelson Mandela wurde eingesperrt, Galileo Galilei musste widerrufen, um der Todesstrafe zu entgehen. Diese Reihe lässt sich beliebig verlängern. Die Wahrheit bzw. Wirklichkeit ist nicht beliebt bei uns Menschen. In einer einer chassidischen Geschichte heißt es:
„Der Baalschem sprach: ‚Was bedeutet das, was die Leute sagen: Die Wahrheit geht über die ganze Welt? Es bedeutet, dass sie von Ort zu Ort verstoßen wird und weiterwandern muss.'“
Also – noch einmal: „Ihr seid aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten … mit Jesus Christus als Eckstein.“ Ihr seid aufgebaut – und Ihr bleibt aufgebaut – da können noch so viele Kirchen geschlossen werden. Ihr seid nicht aufgebaut auf dem evangelisch-lutherischen Landeskirchenamt, auch nicht auf dem römischen Papsttum. Ihr seid aufgebaut auf dem Eckstein Christus Jesus, in der Gemeinschaft der Heiligen. Und als solche seid Ihr „nicht mehr Fremdlinge“ sondern ihr seid „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen!“
Das erscheint mir als der wirksamste Trost!
Mein lieber Kollege, Herr Pfarrer Müller, hat das letzte Woche so schön gepredigt. Er hat von der Katastrophe und von der Zuversicht gesprochen. Und er war sich nicht sicher, ob unsere Zuversicht als Christen ein wirklicher Trost oder eher eine Vertröstung ist.
Ja, die Petruskirche wird entwidmet werden. Ich weiß nicht, wie es dann weiter geht. Wem oder was sie dann gewidmet wird. Fest steht: Sie ist dann nicht mehr dem Erleben Gottes in der ökumenischen Gemeinschaft gewidmet.
Das finde ich sehr traurig. Und für manchen von uns – vermute ich – ist es auch sehr ärgerlich.
Beidem ist Raum zu geben.
Vertröstung ist, wenn ich versuche, mir und/oder Anderen einzureden: „Ist doch nicht so schlimm!“ „Wird schon wieder!“
Doch – es ist schlimm.
Und – es ist, was es ist.
Wir erleben exemplarisch an und mit der Petruskirche, dass etwas zu ende geht. Etwas, was gut war und gut ist. Ich bin so gerne bei Euch, weil hier ein lebendiger Geist weht.
Und nun wird sie geschlossen. Entwidmet. Das ist gleichsam die Gegenbewegung dazu, was Paulus am Ende unseres Textes schreibt: In Christus Jesus als Eckstein „wächst der ganze Bau zu einem heiligen Tempel im Herrn.“ Hier wächst kein „heiliger Tempel“ – er wird vielmehr „entwidmet“. „Die Petruskirche war mit 42 Jahre Heimat“, hat mir jemand geschrieben. In ihrer Entwidmung geht jetzt Heimat verloren. Da ist nichts schön zu reden.
Aber – der letzte Satz von Paulus hat noch einen zweiten Teil:
„Ihr werdet mit aufgebaut zu einer Behausung Gottes im Geist.“ Gemeint ist natürlich der Heilige Geist. Die „Behausung Gottes im Heiligen Geist“ ist überall auf dieser Welt möglich. Sie ist immer da. Sie kann gar nicht verschwinden. Wir müssen sie bloß sehen.
Der Historiker und Journalist Rutger Bregman hat unter dem Titel
„Im Grunde gut“ eine „neue Geschichte der Menschheit“ geschrieben. Er stellt die westeuropäische, durch Augustins Erbsündenlehre maßgeblich beeinflusste Denktradition, derzufolge der Mensch böse sei – und zwar von Mutterleibe an, in Frage. Er weist darauf hin, dass wirklich Bösartiges in der menschlichen Geschichte immer nur von sehr wenigen bösartigen Menschen ausging. Das Problem ist, dass sie Meister der Manipulation, der Verführung der „gutgläubigen“ Menschen gewesen sind. Es ist dieselbe Verführung, die die Israeliten in der Wüste dazu brachte, ihr ganzes Geschmeide herzugeben und davon ein „goldenes Kalb“ machen zu lassen.
Es ist die Verführung, den Gott des Lebens durch einen toten Gott, durch einen Götzen zu ersetzen.
Und was verführt uns Menschen immer wieder dazu, uns dem Unlebendigen zuzuwenden?
Ich denke, zunächst mal sind es Sehnsüchte nach einem starken Führer. Wenn ich mich ihm anschließe, dann verleiht mir das ein Gefühl der Sicherheit.
Und dann kommen noch zwei wesentliche Gefühle dazu:
Das eine ist Angst – das andere ist Hass.
Es ist die Angst vor dem Lebendigen und der Hass auf Lebendiges. Es ist die Angst vor dem unverfügbaren Gott, dessen Geist „weht, wo er will, und du hörst ein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ (Johannes 3, 8)
Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust. Leben lässt sich nicht kontrollieren. Jeder, der mit Kindern lebt oder gelebt hat, weiß das.
An einen lebendigen Gott zu glauben heißt, an einen unverfügbaren Gott zu glauben. Der sich meinen Denk-Traditionen und Denk-Schemata entzieht. Der sich nicht in Formen pressen lässt, der sich nicht an Regeln und Erwartungen hält.
Es ist ein freier Gott.
Und ein freier Gott ist ein undogmatischer Gott.
Sich ihm hinzugeben würde genügen.
Sich ihm hinzugeben hieße: „Es gut sein zu lassen!“
Hieße zu akzeptieren: Nicht ich bin der Regent meines Lebens (und des Lebens der Anderen. Sondern: Gott sitzt im Regimente.
Oder, mit Theresa von Avila: „Solo dios basta“. „Gott allein genügt.“
Oder auf bayrisch: „Mehr sog i ned!“ AMEN!