Predigt über Epheser 5, 8-14 am 8. Sonntag nach Trinitatis 2024

Liebe Gemeinde,

“ 8 … einst wart ihr Finsternis, jetzt aber ⟨seid ihr⟩ Licht im Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts 9 – denn die Frucht des Lichts ⟨besteht⟩ in lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit –, 10 indem ihr prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist.
11 Und habt nichts gemein mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern stellt sie vielmehr bloß!
12 Denn was heimlich von ihnen geschieht, ist selbst zu sagen schändlich.
13 Alles aber, was bloßgestellt wird, das wird durchs Licht offenbar;
14 denn alles, was offenbar wird, ist Licht. Deshalb heißt es: »Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten!, und der Christus wird dir aufleuchten!“

Wie geht es Ihnen, wenn jemand so mit Ihnen spricht? Es sind die Gedanken unseres heutigen Predigttextes. Meine erste Reaktion darauf war:

Um Himmels willen. So lichtvoll fühle ich mich nicht!

Ja, bei genauerem Hinsehen/ Hinspüren merke ich: Mir machen diese Sätze eher Angst. Als Kind des Lichtes werde ich ja auf einmal sichtbar. Licht leuchtet.

Und wenn ich sichtbar bin, bin ich angreifbar, bin ich verletzbar.

Wenn ich sichtbar bin, stehe ich da. Einfach so.

Will ich das? Kann ich das?

Licht kann etwas Gnadenloses haben: jeder Flecken wird sichtbar, jede Falte, jedes graue Haar, jeder Pickel …

„Bei Licht besehen“, sagt man …

Was ist, wenn „bei Lichte besehen“ ich weit weniger gütig gelebt habe, als ich mir das einbildete?

Was ist, wenn „bei Licht besehen“ nicht nur meine Liebe leuchtet, sondern auch und gerade meine Enttäuschungen, mein Zorn, ja mein Hass?

Um Himmels willen, Paulus, was erwartest du da von mir, von uns?

Wo bleibt deine Barmherzigkeit, wo ist deine Milde, wo ist dein gütiges Lächeln angesichts von Fehlern, von Verfehlungen?

Wo bleibt deine Menschlichkeit?

Du lädst zu lichtvollem Leben ein, heißt es in fast jeder Predigt, die ich im Internet zu unserer Textstelle gefunden habe.

Ich tue mich schwer damit, in deinem Brief Einladendes zu finden. Ich erlebe ihn als fordernd – als mich in meinem Mensch-sein überfordernd!

Wenige Verse nach unserem Predigttext heißt es: „Und sauft euch nicht voll Wein, was zu Ausschweifung führt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.“

Ja, Paulus, du hast ja so recht!

Aber sonst hast du leider nichts, aber auch rein gar nichts.

Einem Alkoholiker zu sagen, er soll aufhören mit seiner Sauferei ist völlig sinnlos.

Einem notorischen Betrüger zu sagen, er soll aufhören zu betrügen, ist wirkungslos.

Der Punkt ist: Veränderung geschieht erst dann und erst in dem Moment, wo jemand

die Kraft hat, sich einzugestehen, wo er gerade steht. Was wirklich mit ihm los ist. Dies ist die größte Hürde.

Warum?

Warum fällt uns Menschen Veränderung bloß so schwer?

Ich weiß es auch nicht.

Ich vermute, es hat nicht mit Wissen zu tun, sondern mit Gefühlen.

Jeder Alkoholiker weiß, dass er sich mit maßlosem Alkoholkonsum nichts Gutes tut. Aber dieses Wissen allein hilft nicht. Es trägt nicht bei für eine wirkliche Veränderung.

Es bedarf einer anderen Kraft. Und diese Kraft muss von innen heraus, sie muss in dem Betroffenen selbst sein.

Er muss zu dem Punkt kommen zu sagen: „Ich habe die Schnauze so was von voll mit mit meiner Sauferei, oder Betrügerei, oder mit den Pornovideos und und und…“ „Ich will so nicht weiter leben!“

Es ist ein verbreiteter Irrtum zu meinen, irgend jemand „außerhalb“ des Betroffenen könne ihn dazu bewegen, sich zu ändern… Je mehr ich versuche, den Anderen zu verändern, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, mit ihm abhängig zu werden. Man nennt das dann „co-abhängig“.

Der Co-Abhängige „hängt“ an dem Abhängigen dran, versucht ihn dazu zu bewegen, sein Verhalten, seine Sucht aufzugeben.

Wozu alle beide nicht fähig sind, das ist: loszulassen, sich zu trennen.

Deshalb wirken Abhängigkeitsbeziehungen oftmals wie zementiert.

Alles erscheint besser, als sich zu trennen.

„Ich liebe ihn oder sie doch!“ sagt die/der Co-Abhängige.

„Nein – tust du nicht!“

Lieben beginnt nämlich damit, den Anderen sein zu lassen. Und das heißt, meine Erwartungen und Wünsche an ihn los zu lassen.

Einander lieben und einander brauchen schließen sich aus.

„Ohne dich kann ich nicht leben!“ ist kein Liebesgeständnis.

Es ist ein Abhängigkeitsgeständnis.

In der Tiefe weigere ich mich, meine Illusionen loszulassen.

Was der/die Andere doch für ein toller Mensch wäre, wenn er/sie nur nicht das und das machen würde …

Das mag sein. Aber die nüchterne Wirklichkeit lautet:

Es gibt ihn/sie nicht anders.

Entweder ich ertrage dich, so wie du bist – oder eben nicht.

Das setzt voraus, dass ich nicht länger in das Bild, das ich mir vom Anderen gemacht habe, verliebt bin.

„Lebt als Kinder des Lichts!“

Als Kind des Lichts habe ich zu sehen gelernt, wie „es“ wirklich ist – und nicht, wie ich „es“ mir wünsche, dass „es“ wäre.

Als Kind des Lichts habe ich akzeptiert, dass Licht und Schatten sich gegenseitig bedingen. „Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten.“

Licht und Schatten gehören zusammen.

Gerade so wie Leben und Sterben zusammen gehören.

„On the sunny side of the street“ ist schön.

Der kühlende Schatten unter einem alten Baum ist auch schön.

Es kommt darauf an, wie es sich gerade anfühlt.

Es gibt keine Rezepte für ein gelingendes Leben.

Aber es gibt die Idee eines ganzheitlichen Lebens, in dem die scheinbaren Widersprüche, die zu diesem unseren Leben auf diesem Planeten nun mal dazu gehören, ausgehalten werden.

Indem ich dies erkenne, anerkenne und ertrage, werde ich keine „Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis“ haben. Es geht schlicht und einfach nicht mehr.

Hier ist es wesentlich zu unterscheiden: Die Finsternis ist nicht der Schatten des Lichts. Die Finsternis, von der Paulus hier spricht, ist vor aller Ordnung. Diese Finsternis kennt weder Licht noch Schatten. Es ist die „Urfinsternis“, die in Genesis 1 als „tohu wa bohu“ – als „drunter und drüber“ bezeichnet wird. Mit der Erschaffung des Lichtes ist auch der Schatten oder die Dunkelheit erschaffen: mit der Erschaffung des Tages auch die Nacht. Diese ist nur die andere Seite des Tages, so wie das Unbewusste die andere Seite des Bewussten ist.

Finsternis hingegen ist Chaos, das sich gegen jede Ordnung sträubt.

Finsternis ist Verwirrung, die verwirren möchte. Die sich gegen Ent-Wirrung sträubt.

Dunkelheit hingegen ist Noch-nicht-Wissen, das sich nach Helligkeit sehnt.

Zwischen Finsternis und Dunkelheit unterscheiden zu lernen bedeutet „aufwachen“. Der „Aufgewachte“ sieht und erlebt den direkten Zusammenhang zwischen Licht und Schatten, Leben und Tod, schlafen und wach sein, Yin und Yang. Dieses Aufwachen ist gleichbedeutend mit Erleuchtung. „Wach auf, du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ heißt es am Ende unseres Predigttextes. Paulus zitiert hier aus dem Alten Testament (Jesaja 60, 1) wo es heißt:

„Mach dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!“ Die Herrlichkeit des Herrn aber ist der „Glanz“ Gottes. Er findet sich in „allen“ Dingen. Glanz entsteht, wenn es gelingt einheitlich zu sehen. Einheitlich sehen bedeutet, mit beiden Augen das EINE Bild zu sehen. So entsteht Tiefe. Solange ich nur mit einem Auge sehe, kann ich keine Tiefe sehen. Es fehlt die dritte Dimension.

Die dritte Dimension ist das „Dazwischen“. Das Zwischen dem Guten und dem Bösen, Rechten und dem Linken, dem Richtigen und dem Falschen.

Im „Dazwischen“ erlebe ich Brücken.

Es sind Brücken „over troubled water“.

Brücken, die meine aufgewühlten Emotionen überbrücken, die mir ermöglichen, meine heftigen Gefühle zu erleben, ohne von ihnen mitgerissen zu werden.

Es sind Brücken, die mir ermöglichen, tolerant und akzeptierend zu meinem Nächsten zu sein, indem ich „seine andere Seite“ mitdenke, mit berücksichtige.

Es sind Brücken der Empathie und der Einfühlung in das mir Fremde.

Jemand der wirklich „aufgewacht“ ist, jemand, der eine Ahnung von der „Herrlichkeit des Herrn“ hat, jemand, der vom Glanz Gottes berührt wurde -: Er hat unsere vertraute Welt mit ihren vertrauten Bewertungen von gut und schlecht, annehmbar und unannehmbar, akzeptabel und inakzeptabel verlassen.

Dies ist die Welt der Mystik.

Der Mystiker weiß um die Unerkennbarkeit Gottes bzw. der Wahrheit, er weiß darum, dass Gott im Dunkeln wohnt. Und er weiß, dass Erkenntnis Gottes ein unverfügbares Geschenk ist, das sich weder machen noch festhalten lässt.

Und er weiß, dass jeder Mensch sein ganz eigenes Schicksal zu (er)tragen hat, seinen ganz eigenen Weg zu gehen hat.

Damit erübrigt sich die Idee des Missionierens.

Missionieren heißt in der Tiefe: Sei doch so wie ich; glaube so, wie ich glaube; lebe so, wie ich lebe.

Dahinter steht die Sehnsucht nach Verschmelzung mit dem Anderen.

Je näher mir jemand steht, desto schwerer fällt es mir logischerweise, ihn „sein zu lassen“. Ihn sein zu lassen heißt stets auch: ihn gehen zu lassen.

Ihn nicht länger mit meinen Wünschen und Erwartungen zu verfolgen.

„Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ fragt der Auferstandene den Paulus. Das ist der Beginn seines berühmten Damaskus-Erlebnisses – mit dem wir uns in der letzten Bibelstunde beschäftigt haben. Es ist die Bekehrung, die „Umkehr“ des Paulus, die damit endete, dass aus dem „Saulus“ der „Paulus“ wurde. Zu dieser Umkehr gehörte auch, dass Paulus mit Blindheit geschlagen war. Das ist ein Zeichen für wirkliche tiefgreifende Veränderung.

Echte Veränderung geht notwendig einher mit Gefühlen der Katastrophe.

Wirklich Neues ist unbekannt, unvertraut. Das macht Angst. Und was mir Angst macht, das mag ich nicht. Ich möchte in meiner vertrauten Komfortzone bleiben.

Wer es aber wagt, diese Gefühle des Neuen, des Katastrophalen zu durchleben, dem geht ein Licht auf, oder es fällt ihm etwas „wie Schuppen von den Augen.“ (So wird in der Apostelgeschichte die „Bekehrung“ des Paulus beschrieben.)

Und auch dies lässt sich nicht festhalten. Umkehr oder Bekehrung ist kein einmaliger Akt. Ganz einfach deshalb, weil wir Menschen keine Maschinen sind, die Schalter haben. Schalter, die man bloß umlegen müsste, und dann ist alles anders. Die Briefe des Paulus zeigen auch, wo Paulus „ganz der Alte“ geblieben ist: Der alte Verfolger, der sehr hart und empört sich über seine Mit-Menschen äußern kann. Insbesondere dann, wenn sie offenkundig nicht so leben, wie er sich das vorstellt.

Ich vermute, das kennen wir alle auch.

Und daneben steht:

„Lebt als Kinder des Lichts!“

Traut Euch!

Werdet deutlich!

Werdet spürbar in Eurem Streben nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit, nach Güte.

Nicht als Appell.

Wohl aber als Ermutigung zu einem Leben in Freiheit und Freude, in dem der Glanz Gottes seine Kinder des Lichtes umhüllt.

Und wenn Sie sich jetzt denken, ja, schon, klingt schon gut, aber so geht Leben doch nicht. Und überhaupt, wo kämen wir denn da hin? Wo kämen wir hin, wenn wir wirklich als Kinder des Lichts leben würden?

Ein Gedicht von Kurt Marti gibt Antwort:

„Wo kämen wir hin,

wenn jeder sagte,

wo kämen wir hin

und keiner ginge,

um zu sehen,

wohin wir kämen,

wenn wir gingen. AMEN.

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