Predigt zum 4. Advent 2022

Predigt über Philipper 4, 4-7 am 4. Advent 2022

Liebe Gemeinde,

„Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands!“ So beginnt das Magnificat, der berühmte „Lobgesang Mariens“.

„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!

Der Herr ist nahe!“

So beginnt unser heutiger Predigttext.

Und so würde ich gerne meine Predigt nicht nur beginnen lassen. Ich würde gerne eine ganze Predigt halten mit dem immer wiederkehrenden cantus firmus: Freuet Euch …

Eine mir wohlbekannte Stimme sagt: Also – dann mach’s halt!

Dies ruft meine inneren Bedenkenträger auf den Plan:

Und was ist mit der Klimakrise?

Was mit dem Artensterben?

Was mit dem Krieg in der Ukraine?

Was mit den Beschwerden deines älter werdenden Körpers?

Ich hab mal gehört, wir Deutschen seien Weltmeister im Jammern.

Die Kehrseite davon ist: Sich schwer damit zu tun, sich an dem, was ist, zu freuen.

Im Achtelfinale ausgeschieden. (So viel zum Thema Weltmeister!)

Der Mangel an Fachkräften.

Die Energiepreise.

Und dann noch dieses gräulich-graue Wetter.

Wo soll denn bitte die Freude herkommen?

Genau: Wie entsteht Freude? Wo kommt sie her?

Zu aller erst: Freude lässt sich nicht machen.

Schon gar nicht lässt sie sich kaufen.

Das kann übrigens schon mal viel Stress aus dem Schenken vor Weihnachten heraus nehmen.

Freude kommt und geht.

Freude ist unbestechlich.

Auch das ist eine gute Nachricht.

Freude ist nicht korrupt und nicht korrumpierbar.

Freude ist entweder authentisch – oder sie ist nicht.

Dasselbe gilt für andere bekannte Hauptworte, die in unserem Text stehen:

Güte – Danksagung – Friede – Herz:

Sie alle sind unserem Bedürfnis oder Drang, „etwas machen zu können“ entzogen.

Güte, Danksagung, Friede: Es geschieht – oder es geschieht eben nicht.

Dies gilt auch für den nächsten Satz: „Eure Güte lasst kund sein allen Menschen.“

„Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!“

Das ist unser Job als Christenmenschen: Unsere „Güte“ zu veröffentlichen.

Was ist das?

Die ursprüngliche Bedeutung von „gut“ ist: „brauchbar, tauglich“ – auch: „anständig, ehrlich“ oder eben auch „gütig“.

„Güte“ bezeichnet also die Möglichkeit oder die Fähigkeit, nützlich, brauchbar, anständig, ehrlich zu sein. Kurz: Güte ist die Fähigkeit, sich selbst und sein Leben von dem her zu verstehen und zu leben, was für die Gemeinschaft nützlich ist. Die autoritären Führer verdrehen diesen Gedanken: Sie betrachten die Gemeinschaft unter dem Aspekt, was für sie selbst nützlich ist. Indem ich lerne, meine Ich-Bedürfnisse zurück zu stellen, wird mein Leben deutlich leichter, wird es weniger (an)getrieben sein von den ganzen „du musst …“ – Sätzen. Aus der Güte heraus leben bedeutet auch: „Vieles ist gut, gerade so, wie es ist.“ Ich muss das Rad nicht neu erfinden!

Aus der Freude und der Güte fließen all‘ diese schönen Tugenden, die uns so gut tun: Wahrhaftigkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Respekt vor dem Fremden.

„Sorgt Euch um nichts …“ schreibt Paulus weiter in seinem Brief.

Wie meint er das?

Vorsorge kann lebensrettend sein.

Vorsorgeuntersuchungen schützen.

Darmkrebs oder Brustkrebs – im Frühstadium erkannt – ist heilbar.

Sich Sorgen machen um das sich wandelnde Klima – ja Gott sei Dank gibt es Menschen, die sich diese Sorgen machen.

Und nicht nur sich Sorgen machen, sondern handeln.

Sich um nichts sorgen darf nicht heißen: Werdet gleichgültig.

Paulus sagt: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden.“

Ich verstehe das als „innere Haltung“. Als Haltung meinem/dem Leben gegenüber. So in der Art: Lebt verantwortungsvoll, achtsam und aufmerksam. Und dann lasst es auch wieder gut sein! Es gibt ein gesundes: „Mehr ist mir (derzeit) nicht möglich!“

Ich erlebe dies in meinem Beruf als Therapeut Tag für Tag.

Ich kann Hinweise geben, ich kann sagen, was mir auffällt, ich kann meine Sorgen über bestimmte Lebensentscheidungen ausdrücken, ich kann mich in Leid einfühlen und dadurch vielleicht sogar ein wenig mittragen – und mehr kann ich nicht.

Wenn jemand keinen Weg sieht, eine qualvolle Beziehung zu verlassen, dann ist das so. Wenn jemand sich in seinem Beruf völlig verausgabt, dann ist das so.

Wenn jemand ungesund lebt, dann ist so.

Wenn jemand meint, Krieg führen zu müssen, dann ist das so.

Die Anerkennung im Sinne von: „dann ist das so“ meine ich sehr nüchtern und sachlich.

Gute Führer, sei es in Unternehmen, sei es in Kirchengemeinden, sei es in der Politik sind getragen von eben dieser nüchternen Sachlichkeit. Diese Nüchternheit zu leben ist leichter, wenn sie legiert ist mit Gottvertrauen.

Wiederum: Es ist keine gleichgültige Sachlichkeit, sondern eine Sachlichkeit, die durch Gefühle hindurch gegangen ist. In Bitten, in Gebet und Flehen mit Danksagung: dies ist der innere Prozess, den ein verantwortungsvoller Führer durchlebt und durchleidet.

Gott sei Dank gibt es solche Führerpersönlichkeiten. Und Gott sei Dank gibt es Menschen, die den unschätzbaren Wert demokratischen Denkens und Lebens erkannt haben und bereit sind, ihn zu verteidigen. Ausdruck davon sind z.B. die Proteste in China, ist der Ausgang der Kongress-Wahlen in Amerika, ist auch der Ausgang der Wahl in Brasilien.

Die Demokratie lebt und ist lebensfähig.

Und sie wird hart in Frage gestellt.

Aber das macht stark. Es tut ab und zu sehr gut, das eigene Leben nüchtern und radikal in Frage zu stellen.

Stimmt es für mich (noch) so zu leben, wie ich lebe?

Stimmen meine Beziehungen – zu meinem Partner, zu meinen Freunden zu meinem Beruf?

Stimmen heißt: Macht es mir Freude? Will ich so leben, wie ich lebe – oder habe ich das Gefühl, mir wird mein Leben aufgezwungen.

Wenn es nach mir ginge, dann würde ich ganz anders leben.

Anders ausgedrückt: Wie sehr fühle ich mich fremdbestimmt – und wie sehr lebe ich ein selbst bestimmtes Leben.

Selbstbestimmung aber nicht, ich lebe so, wie es mir gefällt. Wie es mir Spaß macht. Das ist ein verbreitetes Missverständnis. Ich glaube nicht, dass es irgend jemand Spaß macht, alt und gebrechlich zu werden. Dass es Spaß macht zu erleben, wie die eigenen Kräfte schwinden.

Selbstbestimmt leben ist die Fähigkeit, ja zu sagen zu dem wie es ist. Mich anzupassen an das, was ist und es nach eigenen Möglichkeiten zu gestalten.

Und dann wieder loszulassen und in einem tiefen Seufzer zu sagen:

„Dann ist das jetzt so.“

Diese Anerkennung der Wirklichkeit ist gleichsam der Nährboden, auf dem Freude gedeihen kann, Freude im Sinne von heiterer Gelassenheit. Für mich ist Freude eine Empfindung, die viel mit dem Erleben von Ganzheit zu tun hat. Sie ist wohltemperiert: Ihr fehlt die Hitze des Triumphs der Sieger und die Kälte des Hasses der Unterlegenen.

In diesem Erleben der Ganzheit oder der Wirklichkeit wächst die Kraft „danke zu sagen!“ In dieses Danke hinein münden die Bitten, mündet das Gebet und das Flehen. „Dein Wille geschehe …“ ist ein anderer Ausdruck für dieses „Danke“. Er führt heraus aus dem Gefängnis der Verbitterung, die davon lebt, immer wieder zu betonen: „Das hätte nicht passieren dürfen!“

Und damit endet auch unser heutiger Predigttext. Und damit endet meine Predigt. Es ist eine weitere Variation von „dein Wille geschehe!“

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.“

Der Friede Gottes wird unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren – wenn wir ihn in uns hinein lassen. Das wünsche ich Ihnen und mir: Die Kraft, diesen Frieden, der höher ist als unsere Vernunft, in uns hinein zu lassen, AMEN.

Nach oben scrollen