Predigt zum Gründonnerstag 2023 über Lukas 22, 39-46: „eingeschlafen…“

Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst.

Aber habe Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel. (E. Fried)

„… schlafend vor Kummer … „

39 Und er ging hinaus und begab sich auf den Ölberg, wie es seine Gewohnheit war, und die Jünger folgten ihm.
40 Als er dort angelangt war, sagte er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt!
41 Und er selbst entfernte sich etwa einen Steinwurf weit von ihnen, kniete nieder und betete:
43 Vater, wenn du willst, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe. Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44 Und er geriet in Todesangst und betete inständiger, und sein Schweiss tropfte wie Blut zur Erde.
45 Und er erhob sich vom Gebet, ging zu den Jüngern und sah, dass sie vor lauter Kummer eingeschlafen waren.
46 Und er sagte zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt!
(Züricher Bibel)

Ich vermute, das kennen Viele von uns: Manchmal will ich einfach nur meine Ruhe haben. Für mich sein. Das richtet sich gar nicht gegen die Anderen. Es ist ein inneres Bedürfnis von mir. Hinzu kommt: Je mehr ich mich in Beziehungen verausgabe, das Gefühl habe, die Anderen füttern zu müssen, desto leerer werde ich. Ich kann nicht mehr – fühle mich fertig, bin „ausgebrannt“. „Burn out“ ist das neudeutsche Wort dazu.

So ein Bedürfnis scheint Jesus gehabt zu haben, als er zu seinen Jüngern sagte:

„Betet, dass Ihr nicht in Versuchung kommt!“ Er selbst nämlich blieb nicht bei seinen Jüngern, sondern zog sich „ungefähr einen Steinwurf weit von ihnen zurück“.

Wir singen: „Bleibet hier und wachet mit mir…“ (drei Mal) (700)

Betet, dass Ihr nicht in Versuchung kommt!“

Jeder von uns hat seine ganz eigenen Versuchungen.

Versuchungen haben mit Suche tun. Und mit Lust.

Eine Versuchung entsteht auf der Suche danach, Lust zu erleben.

„Ich hätte jetzt so eine Lust auf eine Praline. Auf ein schönes Glas Rotwein. Auf ein Steak. Auf Sex.“

Ich kenne eine Postkarte, da stehen zwei Labrador-Hunde (sie sind bekannt dafür, außerordentlich verfressen zu sein) vor einem Tisch mit einer leckeren Schokoladentorte. Darunter steht der Satz: „Versuchungen sollte man nachgeben; wer weiß, wann sie wiederkommen!“

Ich würde gerne in dieser Heiterkeit leben. Den Gründonnerstag erleben.

Leider ist diese Heiterkeit nicht angemessen für das Geschehen des Gründonnerstages. Hier geht es um Leben und Tod. Jesus schwitzte „Blutstropfen“. Er erlitt Todesangst.

Ich spüre: In mir wehrt sich etwas gegen die Härte dieses Geschehens. Es ist dieselbe Abwehr, die ich gegenüber Karfreitag verspüre. Ich will nicht, dass jemand für mich stirbt. Ich will auch nicht, dass jemand wegen mir Todesangst erleidet. Ich will das alles nicht,

Und; Ich verstehe das alles nicht.

Heiterkeit, Witze dienen der Abwehr von schwer erträglichen Gefühlen.

Auch seine Jünger litten. Sie merkten diffus, irgendetwas stimmt doch nicht.

Diffuse Ängste sind am schwersten zu ertragen.

Sie sind unerträglich, wenn ihnen die Sprache fehlt.

Wenn sie namenlos bleiben.

Namenlose Angst ist wohl das unerträglichste Gefühl, das wir kennen.

Die Jünger konnten Jesus nicht in seiner namenlosen Angst begleiten. Sie konnten seinen Wunsch, „bleibet hier und wachet mit mir!“ nicht erfüllen. Sie schliefen ein.

Wir singen: Bleibet hier … (700)

Jesu Freunde schlafen.

Sie schlafen nicht den Schlaf der Gerechten. Sie schlafen den Schlaf der Verzweifelten. Es gibt eine bleierne Müdigkeit. Ich kenne diese Müdigkeit aus unerträglichen Therapiestunden. Ich verstehe dieses Müdigkeit als Versuch der Seele, sich selbst zu betäuben. Aus dem Leben tropft der Saft des Lebens heraus: „Es wurde aber sein Schweiß wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen.“ Was zurück bleibt, ist eine leere, unlebendige Hülle.

„Blut und Wasser schwitzen“ – hier, im Garten Gethsemane ist der Ursprung dieser Redewendung. Es ist ein Synonym für “ namenlose Vernichtungsangst erleben.“

Und weil Vernichtungsangst nicht aushaltbar ist, versuchen wir irgendwie, der Situation zu entkommen. Und wenn wir nicht fliehen können, so können wir uns wenigstens mental entziehen.

Unser Körper fährt sein vegetatives System herunter. Wir schlafen ein.

Bevor Jesus Blut und Wasser schwitzte, hatte er noch gebetet. „Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg- doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Dies ist das zweite Zitat aus Jesu berühmten Gebet, das wir alle als „Vater unser“ kennen. Das erste Zitat steckt in dem Satz: „Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt!“ „Und führe uns nicht in Versuchung“ heißt es da.

„Dein Wille geschehe“ … hätte Jesus das fühlen können, hätte er wohl nicht Blut und Wasser schwitzen müssen. Wir erleben hier einen Jesus der nicht in Beziehung mit seinem Gott, mit seinem Vater ist. Der Kontakt ist abgebrochen.

Nicht Gott ist tot – die Beziehung zwischen Sohn und Vater ist tot.

Diese Beziehungslosigkeit ist die Quelle der unerträglichen, der namenlosen Angst, die Jesus in Gethsemane erleidet.

Wir singen: Bleibet hier und wachet mit mir

„Und er stand auf vom Gebet, kam zu den Jüngern und fand sie eingeschlafen vor Traurigkeit. Und er sprach zu ihnen: Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt!“

Damit endet die Szene am Ölberg nach Lukas.

Wenn es im Hebräerbrief über Jesus heißt: „Der hat in den Tagen seines Fleisches sowohl Bitten als auch Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte…“ so ist das ein passender Kommentar genau zu unserem Text.

Die endgültige Rettung, die am Ende gültige Rettung aus dem Tod ist dem christlichen Glauben zufolge die Auferstehung Jesu. Die vorläufige Auferstehung ist Jesu Bitte: „Steht auf!“ Er hätte auch sagen können: „Wacht auf!“

„Macht die Augen auf!“

„Schaut Euch die Wirklichkeit an, in der Ihr seid!“

„Mag schon sein, dass sie nicht Euren Wünschen entspricht.

Mag schon sein, dass sie unangenehm, dass sie schmerzhaft ist.

Nur: Wenn ihr vor der Wirklichkeit flieht, lauft Ihr wie betäubt durch Euer Leben. Seid chronisch müde, tragt gefühlt Bleigewichte auf Eurem Körper, die Euch nach unten ziehen. Gott aber hat Euch den aufrechten Gang gegeben.

Gott hat Euch die Kraft gegeben, aufrichtig mit Euch und Eurem Leben umzugehen. Gott will keine Kriecher. Er will mutige Mitstreiter, die es wagen, auf sich gestellt aus Gottes Liebe heraus zu leben.

Die Losung von uns, seinen Jüngerinnen und Jüngern lautet:

„Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ AMEN

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