Gründonnerstag 2011

Predigt über Markus 14,17-26 am Gründonnerstag in der Apostelkirche Solln
Gott zur Ehre

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe  Gemeinde,

„scheiden tut weh“ – dies ist eine Kinderweisheit.
Wir sind heute zusammen gekommen, um miteinander Abschied zu nehmen. „Das letzte Abendmahl“ ist das Zentrum unseres Gründonnerstag-Gottesdienstes. Es war ein Abschiedsmahl bzw. ist im nachhinein zu einem Abschiedsmahl geworden.

Das deutsche Wort „scheiden“ bedeutet „trennen, spalten“. In Abschied ist es ebenso enthalten wie in Entscheidung oder Unterscheidung. Ich muss trennen können, um zu unterscheiden. Ich muss mich von den vielen Möglichkeiten trennen können, um eine Entscheidung zu treffen. Ich muss mich auch trennen können, um Abschied nehmen zu können.

Scheiden tut weh, Abschied nehmen tut weh.

Abbruch im Hass ist viel leichter, weil schmerzloser.
Andererseits ist es gerade der Hass, der wirkliche Trennung vereitelt.
Hass befreit nicht, Hass verklebt.
Abschied im Hass ist unmöglich: wirkliches Abschied nehmen kann nur in Liebe geschehen. Nur die Liebe schenkt mir die Kraft, die Schmerzen des Abschied-Nehmens auszuhalten.

Abschied ohne Schmerzen ist nämlich ebenso unmöglich.    

Die Kraft der Liebe strömt aus der Kraft des Gedächtnisses: „Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Gott.“ Dieses Psalmwort rahmt unseren Gottesdienst ein.  
 
Das letzte Abendmahl Jesu ist ein Abschiedsmahl. Indem wir es feiern wird es zum Gedächtnismahl: „Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ Kann ich im Abschied des Reichtums gedenken, den ich erleben durfte, mischt sich in den Abschiedsschmerz meine Dankbarkeit. Im Danken denke ich an das Erlebte: so entsteht Gedächtnis. Ist der Abschied überlagert von Vorwürfen und Enttäuschungen über das Gewesene, so siegt der Hass. Statt Abschied geschieht Abbruch –: ich will gar nicht mehr daran erinnert werden, was war. Es ist zu schmerzhaft. Was ich aber nicht mehr erinnere, das kann ich auch nicht vergessen. Und so quält es mich gedankenlos im Untergrund.
 
Wenn wir die Schilderung des letzten Abendmahles Jesu in der Fassung des Markusevangeliums lesen, schlägt uns viel Hass und Verzweiflung entgegen.

17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich’s? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
22 Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Nehmet, das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und sprach zu ihnen: Das ist das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an jenen Tag, an dem ich auf neue davon trinke im Reich Gottes.

Die Atmosphäre dieses Mahles beklemmt: „Wahrlich ich sage euch, einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“
„Sie wurden traurig“ heißt es. Milde ausgedrückt. Das angemessenere Gefühl wäre „zum Heulen und zum Verzweifeln“. Da wird ein Verdacht gesät – aber es wird nichts darüber gesagt, wer der Verräter ist. Stattdessen sagt Jesus: „Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.“ Der Verdacht betrifft also den innersten Kreis. Und dann stößt Jesus auch noch den Fluch aus: „Wehe aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten werden soll! Es wäre für diesen Menschen besser, er wäre nie geboren worden.“

Das ist alles andere als ein schöner Abschied. Es ist überhaupt kein Abschied. Verrat, Verdacht, Verfluchung, Verzweiflung: in diese destruktive Atmosphäre hinein stellt Markus das letzte Abendmahl Jesu.

Und in dieser düsteren Stimmung geschieht das Unverständliche, Unfassbare:

Der Messias bricht das Brot, trinkt den Wein mit allen, die da sind. Auch mit dem Verräter. Das letzte Abendmahl Jesu ist keine Gemeinschaft der Guten gegen die Bösen, der Reinen gegen die Unreinen, der Richtigen gegen die Falschen. Niemand wird ausgeschlossen. Der Messias schließt nicht aus, er erträgt, er erleidet – nicht um des Leidens willen, sondern um Gottes willen: „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht was ich will, sondern was du willst.“ Hierin gründet der Weg Jesu zum Kreuz – und nicht in einer Verherrlichung des Märtyrertums.

Jesus nimmt die Zerstörung an und auf sich: gerade so wird er zum Messias. Hätte er Judas aus der Abendmahlsgemeinschaft ausgeschlossen, wäre er als Sohn Gottes machtvoll vom Kreuz herab gestiegen, hätte er seine tiefe Liebes-Beziehung zu „abba“, zu seinem Vater verraten. In und mit Jesus ist Gott ein radikal anderer geworden: In und mit Jesus ist Gott wahrhaft Mensch geworden: Verrat, Ohnmacht, Schmerz, Leid, Tod: dies alles ist in Gott selbst hineingekommen, dies alles hat Gott in sich hineingelassen.

Und indem es in Gott hineingekommen ist, ist es in Gott verwandelt worden: der Tod wurde zum Leben, die Torheit des Kreuzes zur Weisheit bei Gott, der Hass des Abbruchs wurde zur Liebe des Abschieds, aus einem allmächtig-perfekten Gott wurde ein leidensfähiger, ein empathischer Gott. Und es gilt anders herum: in und mit Gott ist Jesus als Mensch ein radikal anderer geworden: in und mit Gott ist Jesus wahrhaft Gott geworden, hat sich sein Leben in Gott hinein verwandelt: Treue, Sicherheit, Geduld, Toleranz, das Ertragen von Ohnmacht: dies alles hat der Mensch Jesus in sich hineingelassen. So sind sie beide aneinander gewachsen: Gott an dem Messias, der Messias an Gott – und die Frucht dieses Wachstums ist der Dritte, der Heilige Geist, das Band der Liebe zwischen Vater und Sohn. „Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.“

Und so geschieht jedes Mal, wenn wir zusammen Abendmahl feiern, diese Verwandlung zeichenhaft in uns und zwischen uns. Vorausgesetzt wir bringen den Mut auf, die Gefühle der Katastrophe auf uns zu nehmen. Wenn wir schon im Vorfeld aus der Gemeinschaft ausschließen („exkommunizieren“) kastrieren wir die Kraft des Abendmahles. Der Messias ist für alle gestorben, gerade für die sogenannten „Sünder“. Und: „Wer kann sagen: ‚Ich habe mein Herz geläutert und bin rein von meiner Sünde’?“ (Sprüche 20,9) Wer andere exkommuniziert, der schließt in der Tiefe sich selbst aus.

In der Tiefe sind es nämlich die Balken in unseren Augen, die wir bei den anderen wahrnehmen und mit denen wir nichts zu tun haben wollen. Und alles, was wir vor Gott ausschließen, ist für die verwandelnde Kraft Gottes unzugänglich. Ich verstehe und sehe die Bedeutung des Abendmahles in dem Erleben einer Quelle, die uns den Mut und die Kraft gibt, die eigenen Schattenseiten in uns hineinzunehmen. Diese „Hinein-Nahme“ befreit unseren Blick auf unsere Mitgeschöpfe, auf unsere Welt. Unser Blick klärt sich, ist nicht mehr überschattet von unseren eigenen unerträglichen, katastrophalen Gefühlen, die wir verzweifelt in der Welt, in unseren Beziehungen zur Welt untergebracht haben.

Das Abendmahl ist die Versinnbildlichung einer Kraft, die „von außen“ (extra nos) kommt, die sich im Aufnehmen auch schon verflüchtigt, sich der sinnlichen Welt sogleich wieder entzieht. Das Abendmahl gewährt uns Anteil an eine Kraft, mit der man in der Welt der Sinne nichts „machen“ kann. Ehe man es zu sich genommen hat, ist es scheinbar schon wieder verschwunden.

Und dieses Verschwinden, dieses „Nicht-Halten und Nicht-Besitzen-Können“ ist die Quelle für all jene Gefühle, die unser Leben verdunkeln: Hab-Gier: diese Wort erinnert noch an das „Haben-Wollen“; Neid auf das, was andere „haben“ – und im letzten Hass auf das Leben selbst, das sich nicht „haben“, nicht besitzen lässt. Dies alles sind die Gefühle, die in Judas personifiziert sind: auch er ist Teilnehmer am letzten Abendmahl. Und es ist ein großer Irrtum zu meinen, es gäbe eine Zeit, da würde man all diese Gefühle für immer los. Nein – unsere Aufgabe als Menschen, und als Christen-Menschen im Besonderen ist es, Tag um Tag mit diesen Gefühle zu kämpfen, sie auszuhalten und wenn möglich sie zu verwandeln. Diese Aufgabe verfehlen wir, wenn wir uns verführen lassen, die Schuld und das Schlechte bei den anderen zu suchen. Und damit unser eigenes egoistisches Tun rechtfertigen. Diese Aufgabe verfehlen wir aber auch, wenn wir wie zerknirschte Büßer unsere Tage verbringen. Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag gehören zusammen. Es ist ein einziges Geschehen. Es ist ein Geschehen der Verwandlung in Gott und der Wandlung in uns.

Ausdruck dieser Wandlung in uns ist die Auferstehung jener Kräften, die diese Welt so dringend benötigt: Fürsorge, Bewahrung, Verantwortung für das Leben und das Ertragen von Schuldgefühlen. Diese Kräfte ermöglichen es, meine egoistischen Interessen zurückzustellen gegenüber meinem sozialen Engagement im Kleinen wie im Großen. (Wobei Egoismus ja an sich nichts Schlechtes ist: er drückt nur die Panik meines Ichs davor aus, dass dieses „Ich“ das Leben nicht besitzen kann, dass dieses Ich sei es früher oder später sich von der Welt wieder verabschieden wird.)
 
Wir wollen jetzt gemeinsam das Abendmahl erleben.
Erleben ist noch einmal etwas anderes als darüber reden.
Mögen wir unser Beisammen-Sein so erleben, dass es uns stärkt: zum Denken, zum Danken, zum Sich-Freuen.

„Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Gott.“ Möge sich in unserem Leben Gottes Gedächtnis einprägen, möge unser Leben zum Ausdruck von Gottes Gedächtnis werden, von seiner Gnade und Barmherzigkeit
AMEN.

Und der Friede Gottes, der unser menschliches Denken und Handeln übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

Die Predigt als pdf-Datei zum Download 

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