Letzter Sonntag nach Epiphanias

Liebe Gemeinde,

zwei Geschichten stehen im Mittelpunkt des heutigen Gottesdienstes, zwei Geschichten, die veranschaulichen, was der Wochenspruch aus Jesaja bedeuten kann: „Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (60,2)

Wir sind ja ganz selbstverständlich daran gewöhnt, Gott irgendwo „oben“ zu suchen. So verwundert es uns nicht, dass der Herr „über dir“ aufgeht. Bei der Taufe Jesu kommt eine Stimme „von oben“ – aus dem Himmel. Die Verklärung Christi geschieht auf einem Berg. Das Reich Gottes heißt auch Reich der Himmel.

Wir vermuten, suchen, erhoffen Gott in der vertikalen Achse. Die vertikale Achse bestimmt aber nicht nur die Höhe, sondern auch die Tiefe. Lateinisch „altus“ heißt beides, hoch und tief. So sagen wir auch: diese Begegnung hat mich tief berührt, oder diese Erfahrung hat mich tief erschüttert. Auch der Teufel, die Hölle liegt auf der vertikalen Achse: irgendwo unten.

Die vertikale Achse scheint mit der Intensität der Erfahrung zu tun zu haben. Wenn wir sagen: das war oberflächlich, heißt das, man ist nicht tiefer in die Materie hinein-gedrungen. Die Bewegung auf der Oberfläche ist eine horizontale Bewegung, eine Bewegung entlang des Horizontes – keine vertikale.  

Die vertikale Achse ist die Achse des gefühlsmäßigen Berührt-Seins. Dies muss keinesfalls angenehm sein: die Jünger erschraken …

In gleichförmiger Routine gibt es kein Erschrecken. Vielleicht dient Routine genau dazu, nicht erschrecken zu müssen. Die Routine im Gottesdienst heißt Liturgie. Sie beruhigt – und steht in der Gefahr, nur mehr routiniert zu sein. Routine, die um sich selbst kreist, kann nicht Neues mehr entdecken. Zuviel Routine führt zur Erstarrung.

Wenn wir uns jetzt unserem Predigttext zuwenden, so wollen wir ihn nicht routiniert lesen und verstehen. Versuchen wir eine Haltung, die auf Unbekanntes ausgerichtet ist und Bekanntes vergisst.

Ex 3: „1 Mose war Hirt der Schafe Jethros, seines Schwiegervaters, Priesters von Midian. Als er die Schafe hinter die Wüste trieb, kam er an den Berg Gottes, zum Choreb.“

Moses, der Schafhirt. Schafe hüten heißt, sich um anvertrautes Leben sorgen. Es vor Zerstreuung zu bewahren. Und dafür sorgen, dass es zu essen gibt. Hinter die Wüste treibt Moses die Schafherde des Priesters, seines Schwiegervaters.  Moses bewegt sich in geographischer Hinsicht klar und eindeutig. Aber was bedeutet „hinter die Wüste“? Gibt es ein jenseits der Wüste? Hinter der Wüste ragt der Berg Gottes empor. Gott wird in und zugleich hinter der Wüste erfahren. So bei Moses. So bei Jesus. Wer die Leere innerer Wüste erträgt, gelangt über sie hinaus, ohne sie je zu verlassen.

„2a SEIN Bote ließ von ihm sich sehen in der lodernden Flamme eines Feuers mitten aus dem Dornbusch.“

Nicht Gott selbst – Gott ist auf für Moses unsichtbar – sondern sein Bote wird sichtbar und lässt sich von Moses erblicken. Aber Moses sieht nicht den Boten Gottes, sondern das merkwürdige Phänomen eines nicht verbrennenden Dornbusches.

„2b Er sah: da, der Dornbusch brennt im Feuer, doch der Dornbusch wird (vom Feuer) nicht verzehrt.“

Der Dornbusch und der Bote Gottes sind so sehr eins, dass sie getrennt bleiben. Würde das Feuer den Dornbusch verzehren, würde es mit dem Dornbusch verschmelzen, ihn sich einverleiben. Vom Dornbusch bliebe nur mehr Asche. Würde der Dornbusch das Feuer verlöschen, würde das Feuer erkalten: der Dornbusch hätte das Feuer zerstört. Dornbusch und Feuer sind ununterscheidbar vereint.

„3 Mose sprach: ich will doch hintreten und ansehen dieses große Gesicht – warum der Dornbusch nicht verbrennt.“

Das ist der Geist der Rationalität, der aus Mose spricht: wie, weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm. Aber das Warum-Fragen führt nicht zum Erleben des Lebendigen:

„4 Als ER aber sah, dass er hintrat, um anzusehn, rief Gott ihn mitten aus dem Dornbusch an, er sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Da bin ich!“

Unbemerkt ist aus dem Boten Gottes Gott selbst geworden. Gott nennt Mose zweimal bei seinem Namen. Und Moses antwortet lapidar: „Da bin ich!“ So einfach und ehrlich ist diese Begegnung. Warum das Feuer den Dornbusch nicht verbrennt, ist nicht mehr von Interesse.

„5 ER sprach: Nahe nicht herzu, streife deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist Boden der Heiligung.“

Gott beschränkt: nahe nicht herzu. Schranken können lebenswichtig, lebensrettend sein. Falsche Nähe kann Leben verwirren und zerstören: die falsche Nähe zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter, Lehrer und Schüler. Es gibt auch eine falsche Nähe zu Gott, ein falsches Du auf Du. Moses soll barfuss, auf dem Boden der Tatsachen stehend, Gott gegenübertreten! Der Boden der Tatsachen ist der Boden der Gesundung, der Heil-(ig)-ung. Nicht um Unterwürfigkeit oder Demütigung geht es, sondern um Demut und Respekt – bloßen Fußes stehend auf dem Boden der Wirklichkeit findet die Begegnung mit Gott statt.

„6a Und (Gott) sprach:
Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Jizchacks, der Gott Jaakobs.“

Jetzt gibt sich Gott zu erkennen als der Gott, der in der Tiefe der Geschichte der Väter so wirkt, dass diese Geschichte verständlich wird. Gott ist die Verbindung, (י: das Jod) zu der hin und von der aus die Geschichten der Väter zu lesen sind. Gott ist nie das eine, oder das andere – Gott ist immer „dazwischen.“ So ist Gott niemals ein Ding, eher schon ein Nicht-Ding (englisch: no thing ànothing).

Der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs: das konstante Verbindungsglied ist Gott.
 
Eine alte chassidische Geschichte erzählt: „Der Baalschem sprach: ‚Wir sagen: Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs, und  sagen nicht Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; denn Isaak und Jakob stützten sich nicht auf Forschung und Dienst Abrahams, sondern selber forschten sie nach der Einheit des Schöpfers und seinem Dienst.“ (M. Buber, S.128)

Selber-Foschen ist von Gott her nicht verboten – sondern im Gegenteil: es ist erwünscht, es ist von Gott erwünscht, jedenfalls von dem Gott, auf dessen Boden Mose steht, auf dessen Boden wir stehen. Die alles verbindende Einheit Gottes ist im Werden, sie wird/geschieht im Forschen nach ihm. So ist der eine Gott eine bewegliche Konstante. Der Gott Abrahams ist ein anderer Gott als der Gott Isaaks. Und der Gott Isaaks ist ein anderer Gott als der Gott Jakobs. Gott ist einer und wirkt doch verschieden in der Verschiedenheit jedes Menschen. Wer dies (an-)erkennt, kann Gott nicht mehr als Waffe fanatischer Gedanken missbrauchen. Wer es wagt, sich von Gott sehen zu lassen, der erkennt sich in seiner Freiheit und im selben anerkennt er die Freiheit des anderen, seines Mitmenschen, seines Mitgeschöpfes. Und so geschieht der EINE Gott in der Vielfalt – wie die verschiedensten Wellenberge und -Täler doch nichts anderes als Bewegungen ein und desselben Meeres sind. Und das Meer selbst ist nichts anderes als die unendliche Verbindung unendlich vieler Tropfen. Jeder auf Verbindung trachtende Gedanke wird zu einem Tropfen im Meer Gottes.

Wer es wagt, sich von Gott sehen zu lassen, der wagt es, den dunklen Weg des Nichts-Wissens zu beschreiten:

„6b Mose verhüllte sein Antlitz, denn er fürchtete sich, zu Gott hin zu blicken.“

Das, was Moses erlebt, kann nur sichtbar werden in einer Verdunkelung des Blickes. Hochglanzpolituren blenden: sie machen blind für Gott.

„7 ER aber sprach: Gesehn habe ich, gesehn die Bedrückung meines Volks, das in Ägypten ist, ihren Schrei vor seinen Treibern habe ich gehört, ja, erkannt habe ich sein Leiden.“   

Gott ist ein Gott der sieht, der hört, der erkennt. Gott ist nicht blind, nicht taub, nicht dumm. Mehr noch: erkannt habe ich das Leiden (meines Volkes): das ist dasselbe Erkennen, mit dem Adam sein Weib Eva erkannte, das aus der Tiefe kommende ganzheitliche Wahrnehmen des Anderen, das nur im Mit-Leid in der Empathie möglich ist. Gott ist ein empathischer Gott.

„8 Nieder zog ich, es aus der Hand Ägyptens zu retten, es aus jenem Land hinaufzubringen, nach einem Land, gut und weit, nach einem Land, Milch und Honig träufend, nach dem Ort des Kanaaniters und des Chetiters, des Amoriters und des Prisiters, des Chiwwiters und des Jebusiters.“

Nieder zog … es hinaufzubringen: das ist die vertikale, die göttliche Achse, die  zur Errettung führt, die herausführt aus der inneren wie äußeren Sklaverei und der damit verbundenen Enge. Das verheißne Land ist gut und weit: Güte und Weite entsteht in der Verbindung von Vertikalem mit Horizontalem – es entsteht die Bewegung der sich öffnenden Spirale – Abbild seelischen Wachstums.

„9-10 Nun, da ist der Schrei der Söhne Israels zu mir gekommen, und gesehn habe ich auch die Pein, mit der die Ägypter sie peinigen:
nun geh, ich schicke dich zu Pharao, führe mein Volk, die Söhne Israels aus Ägypten!“

Nun ist offenbar, weshalb Gott sich dem Mose offenbarte: er beauftragt ihn zum Führer, zum Befreier von Gottes Volk. —

„Über dir geht auf der Herr und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“

Von diesem Wort sind ausgegangen, wir haben versucht, es unroutiniert zu verstehen. Zu Hilfe kam uns die Geschichte der Berufung des Mose zum Befreier aus dem Land der Knechtschaft und zum Führer in ein Land, wo Milch und Honig fließen.

Sie wissen, dass Mose Führerschaft alles andere als einfach war, er hatte es mit einem Volk zu tun, das murrte und meuterte, das um ein goldenes Kalb tanzte, das ihn so in Rage brachte, dass er die zehn Gebote – eben erst von Gott empfangen – zerschmetterte!

Mit anderen Worten: Man weiß nicht so recht, ob man es sich wünschen soll, einer von denen zu sein, über denen der Herr aufgeht, über denen die Herrlichkeit des Herrn erscheint. Beliebt haben sie sich nicht gemacht, die Diener Gottes, sei es ein Martin Luther, ein Meister Eckehart, ein Johannes vom Kreuz. Und auch ein Jesus aus Nazareth: als Messias verehrt und als Verbrecher hingerichtet. Beides scheint zusammen zu gehören: so als wäre es Fluch und Segen zugleich, von Gott beauftragt zu werden.

Nicht ganz: denn wer sich von Gott beauftragen lässt, der erlebt etwas, was ihn aus der engen Routine seines Alltags herausheben (vertikal) lässt: ich meine jene Zusage, die wenige Verse nach unserem Predigttext zu hören ist. Auf die Frage des Mose, was er denn dem Volk sagen soll, welcher Gott ihn beauftragt hat, erfährt er: „Ich werde dasein, als der ich da sein werde.“ (Ehje ascher Ehje). Dieser daseiende Gott ist der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Er ist auch der Gott Jesu Christi und er ist nicht zuletzt der Gott von Ihnen und der Gott von mir. Und auch wenn er in jedem von uns in einer anderen persönlichen Färbung sich zeigt, so will er doch nichts weiter, als sich mit uns vereinen und aus uns heraus strahlen einem nicht-verbrennenden Dornbuschfeuer gleich. Einem Wassertropfen gleich, der in den Farben des Regenbogens schimmert bis er von der Sonne erhoben wird und in das Unendliche hinein sich erlösen lässt.

„Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir“ – oder schlicht: „du bist nicht einsam, ich bin da…“ Möge dieses „Ich bin da“-Feuer des Dornbusches in uns allen brennen und aus uns heraus leuchten, mögen wir  zu einem Dornbusch werden, in dem SEIN ich-bin-da-Feuer leuchtet, AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstand, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,  AMEN.

Die Predigt als pdf-Datei zum Download

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