Predigt über Johannes 13, 1-15 am Gründonnerstag in Pullach
von Lothar Malkwitz
Gelobt sei Jesus Christus
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.
Liebe Gemeinde!
Finden Sie nicht auch: dieser schöne Kirchenraum und diese abendliche Stunde laden zu einer meditativen Begegnung geradezu ein. Lassen Sie uns also versuchen, in träumerischer Ge-Löstheit unserem heutigen Predigttext – es ist das vorhin gehörte Evangelium von der Fußwaschung durch Jesus – zu begegnen.
Ich werde ihn abschnittsweise in einer eigenen Übersetzung, die sich sehr eng am griechischen Text hält, vorlesen und Ihnen jeweils meine Gedanken dazu sagen. Vielleicht kommen wir auch in einen kleinen Dialog: scheuen Sie sich nicht, mich zu unterbrechen und eigene Gedanken beizusteuern.
„Vor dem Passahfest aber, als Jesus wusste, dass die Stunde gekommen war, wo er hinübergehen würde aus dieser Welt zu dem Vater – da er seine Eigenen, die in dieser Welt waren, liebte, liebte er sie bis zur Erfüllung.“
Sie merken sogleich: dieser Satz geht nicht auf. Etwas stößt sich. Auf der einen Seite ist Jesus und sein Wissen: es ist soweit. Auf der anderen Seite stehen die Jünger, die Freunde Jesu. Zwischen beiden – ein abweisender Gedankenstrich. Inhaltlich trennt Jesus und seine Freunde die unterschiedliche Stellung in der Welt, (dem „Kosmos“). Jesus ist dabei, diese Welt zu verlassen, die Jünger „sind“ und bleiben in dieser Welt. Zum Problem wird dies freilich erst dadurch, dass Jesus liebt. „Agape“: das ist die Liebe die von Gott ausgeht; Agape, das ist das Band zwischen Vater und Sohn und Agape, das ist die Liebe, mit der Jesus „seine Eigenen“, wie die Jünger hier genannt werden, liebt. Der Sohn Gottes, das Wort Gottes „geht hinüber“ in sein Eigenes, zu seinem Vater und lässt seine Eigenen zurück. Das ist der Konflikt. Wie soll das gehen – ohne dass die Liebe des Sohnes ihn selbst zerreißt? Entweder er lässt seine „Eigenen“ verlassen, alleine zurück, oder er verweigert sich seiner Bestimmung, zum Vater und das heißt, zu sich selbst hinüber zugehen. Der Konflikt entsteht am „Übergang“ – lateinisch „trans-itus“ – nur gibt es keinen Transrapid, der weiterhelfen würde. Der Konflikt verschärft sich, weil das Wort Gottes keine Abbrüche kennt. Es liebt die Seinen „bis zum Telos“: „telos“ das heißt: es ist genug, es ist vollbracht, es ist befriedet, es ist erfüllt! „Telos“ heißt: „das Zeitliche segnen.“ Wie also kann dieser Konflikt des Übergangs gelöst werden? Jesu Auflösung erzählt die nun folgende Geschichte von der Fußwaschung.
„Und bei einem Abendessen, als der Teufel schon dem Judas (Simons Sohn, dem Iskariot) ins Herz geschleudert hatte, dass er ihn überliefere, steht Jesus – wissend, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe – von dem Abendessen auf, legt die Oberkleider ab, nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich damit.“
Im Zusammenhang des bisher Betrachteten ist dieses Abendessen viel mehr als einfach ein gemütliches Abendessen. Es geht um Abschied, um Trennung und darum, wie diese Trennung gut gehen kann. Bewusst allerdings ist das von den Teilnehmern des Abendessens nur zweien: Jesus und – Judas! Der eine weiß es als Messias, der andere als der, der den Messias „überliefert“. Merkwürdig, dass Johannes das, was Judas getan hat, als paradidomi – wörtlich „übergeben“ – be- zeichnet – dasselbe Wort verwendet er für Jesu Sterben: „er übergab den Geist“ (Joh 19,30). Johannes verweist auf den unauflöslichen, paradoxen Zusammenhang zwischen Verräter und Messias – vor der katastrophalen Wende! Erst im warmen Schein des Auferstehungslichtes löst sich dieser Knoten. Erst in diesem Licht gibt es Barmherzigkeit für beide: für den Gekreuzigten wie für seinen Verräter! Vor der Katastrophe, vor der radikalen Wende, gibt es in allen vier Evangelien den Messias nicht ohne seinen Gegenspieler – der Satan taucht in den Versuchungsgeschichten auf und bleibt an Jesu Seite bis zu seiner Kreuzigung!
Die kleine Gruppe ist also inmitten des Abendessens, als Jesus mit einem Mal aufsteht. Der nochmalige Einschub, dass Jesus wusste, „dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“ scheint mir wie einen kurzen Einblick in das Denken Jesu selbst zu gewähren: als hätte er noch eines kleinen inneren „Anstupsers“ gebraucht, dass es richtig ist, was er sich vorgenommen hatte zu tun. Als hätte eine für die anderen unhörbare Stimme zu ihm gesagt: „Traue dich, folge deiner Intuition und handle nach dem, was du für richtig hältst! Darin geschieht mein Wille.“ Und dann steht er also auf, legt seine Oberbekleidung ab, umgürtet sich mit einem Tuch aus grobem Leinen. Ich sehe geradezu die staunenden Blicke seiner Freunde. ‚Was hat er vor?’ ‚Er ist ja immer für eine Überraschung gut – aber was will er denn jetzt? Warum bleibt er nicht sitzen und isst mit uns weiter? Und warum zieht er sein Gewand aus und legt sich einen Schurz um – wie ein Dienstbote, wie ein Sklave?’
Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war.
Offenbar waren die Jünger sprachlos. Sie ließen an sich geschehen, was der Meister tat – ohne Worte. Einmal mehr ist es Simon Petrus, der in seiner naiv-liebenswürdigen, manchmal ein wenig polternden Art Worte findet:
Er kommt zu Simon Petrus, der spricht zu ihm: Herr, du wäschst mir die Füße?
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du noch nicht. Du wirst es aber danach verstehen. Sagt Petrus zu ihm: Nie und nimmer wirst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, erhältst du keinen Anteil an mir. Darauf Simon Petrus: Herr, nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und den Kopf. Sagt Jesus zu ihm: Wer gebadet ist muss sich nicht mehr waschen – außer die Füße -, sondern er ist ganz gereinigt. Ihr seid gereinigt, aber nicht alle. Er wusste nämlich den, der ihn üb erliefern würde, deshalb sagte er: Ihr seid nicht alle gereinigt.
Petrus ist fassungslos: Herr, du wäschst mir die Füße? Das stellt doch alles auf den Kopf! Nicht der Herr wäscht dem Diener die Füße, sondern der Diener seinem Herrn! Jesus antwortet freundlich: Was ich jetzt tue, das kannst du nicht verstehen. Aber – habe etwas Geduld, du wirst es noch verstehen. Petrus hat diese Geduld nicht. Warten, nachdenken, sich Zeit lassen ist nicht seine Sache. „Nie und nimmer wirst du mir die Füße waschen!“ poltert es aus ihm heraus. Doch Jesus steht nicht der Sinn zu streiten. Er ist zu sehr von einem anderen Licht umgeben, er ist zu weit auf dem Weg zu seinem Vater gegangen, als dass er sich noch in Streitereien verwickeln ließe. So antwortet er sehr nüchtern: „Wenn ich dich nicht wasche, erhältst du keinen Anteil an mir.“ Kein Hauch eines Vorwurfs, nicht der kleinste missionarische Impetus, kein Ziehen, kein Drängen. ‚Du musst selbst entscheiden, was du willst. Und dann die Konsequenzen tragen.’ Genau das wollte Petrus natürlich überhaupt nicht hören. Keinen Anteil an seinem Meister – um Gottes Willen – nein, das ist das Allerletzte: ‚wenn das so ist, dann wasche mich ganz, alles: Füße, Hände, Kopf!’ Ich mag diesen Petrus in seiner Menschlichkeit und Leidenschaftlichkeit, diesen ungestümen und doch so treuen Kämpfer. Er ist wirklich ein wohltuender Fels in der Brandung menschlicher Lauheiten und Vagheiten! Ich sehe wie Jesus seinen Freund Petrus anlächelt, wenn er ihm erwidert: ‚Verstehe bitte richtig, das was ich hier tue ist eine Handlung, die auf etwas anderes verweist – es geht in der Tiefe nicht um die Handlung als solche. Deshalb muss ich dich auch nicht ganz waschen. Ich wasche dir deine Füße, damit du spürst: ich reinige dich von deiner großen Zehe an – also von ganz unten, von da, wo du stehst und wo du hingehst. Alles aber hängt ab davon, ob ihr dazu bereit seid, euch von mir reinigen zu lassen. Dafür müsst ihr euren Stolz überwinden. Denn nur der kann reingewaschen werden, der anerkannt hat, dass er schmutzig ist. Und – der anerkannt hat, dass dies ein Schmutz ist, den er selbst nicht von sich abwaschen kann. Das ist am Schwierigsten, weil es uns mit unserem Ohnmächtig-Sein konfrontiert. Ich hoffe, ihr als meine Freunde und Schüler seid dazu bereit – und werdet diesen Weg weitergehen – außer einem! Leider ist einer unter euch, der schämt sich so sehr über mich. Der hält genau das nicht aus, was ihr, meine ‚Eigenen’, ertragt: dass ich kein Macher bin, dass ich nicht deswegen gekommen bin, um als Revolutionär und König ein neues Reich zu gründen. Er hat vergessen, dass das Zentrum meiner Botschaft machtlose Liebe und nicht unterwerfende Gewalt ist. In seiner ohnmächtigen Wut auf mich – die ich im übrigen gut verstehen kann -, wird er tun, was er tun muss.’
Ich vermute, in das Staunen der Jünger über ihren Lehrer, Freund und Meister mischt sich jetzt die Angst. Was meint er genau? Und wen unter uns meint er? Aber Jesus schweigt – und keiner traut sich etwas zu sagen.
Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Oberkleider und setzte sich wieder hin. Und er sagte zu ihnen: Begreift ihr, was ich euch getan habe?
Ihr nennt mich Lehrer und Herr (kyrios) und ihr sagt es recht: ich bin es. Wenn also ich, euer Herr und Lehrer, euch die Füße gewaschen habe, so seid auch ihr es schuldig, euch gegenseitig die Füße zu waschen. Ein Beispiel habe ich euch nämlich gegeben, damit ihr einander so tut, wie ich euch getan habe. Amen, Amen ich sage euch: Der Diener ist nicht größer als sein Herr und der Gesandte ist nicht größer, als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt.
Obwohl Jesus zu Petrus gesagt hatte‚ er kann es erst später verstehen, was hier geschieht, so will er doch noch eine wenigstens vorläufige Deutung geben – wissend, dass alles wirklich klar werden wird erst an Ostern. ‚Begreift ihr, was ich euch getan habe? Verbindet doch das, was ich euch getan habe, mit eurem Glauben an mich. Ich bin euer Lehrer und Meister. Das stimmt. Und als dieser habe ich euch eure Füße gewaschen. Als dieser habe ich euch etwas getan, was normalerweise Sklavenarbeit ist. Deshalb musste sich Petrus vorhin so empören! Ihr müsst das beides zusammen denken: das, was ich euch getan habe, mit dem, wer ich für euch bin. Dann könnt ihr verstehen, worum es mir geht. Wenn ihr wirklich meine Jünger, meine Schüler seid, – und ihr seid meine Schüler so, wie ich euer Meister bin – dann tragt das, was ihr mit mir erlebt habt, ganz tief in eurem Herzen. Bewahrt es in eurem Herzen auf. Indem ihr dies tut, bleibe ich ganz lebendig bei euch. Wenn ihr euch aber übereinander stellt, wenn ihr von oben herab auf einander seht – dann geschieht das, was heute Nacht geschieht. Ich und meine Botschaft werden verraten. Weil ihr aber alle auch Menschen dieser Welt seid, fechten euch die Verführungen dieser Welt an: diese Welt denkt in Kategorien von Macht und Stärke, von reich und arm, von Haben und Besitzen. Als meine Schüler wisst ihr um diese Anfechtungen und habt gelernt, euch davon immer wieder zu reinigen. Aber so wie ich in dieser Nacht verraten werde, so werde ich immer wieder verraten werden: letztlich aus Enttäuschung darüber, dass ich und meine Botschaft scheinbar so wenig bewege in dieser Welt. Aber vergesst nie: mein Reich ist nicht von dieser Welt – deshalb wird diese Welt mit ihren Statussymbolen der Macht mich auch nie kennen lernen können.’
Liebe Gemeinde!
Wenn wir jetzt gemeinsam an diesem Gründonnerstag in Gedenken an unseren Lehrer und Meister das Abendmahl feiern werden, so lassen Sie es uns auch im Geiste unseres Lehrers tun. Lassen Sie uns das Abendmahl nicht als magisch gebrauten Zaubertrank verstehen, der uns übermenschliche Kräfte verleiht. Lassen Sie es uns als einen Keim erleben, der zu einem neuen Denken und zu neuen Handlungen und zu einer neuen Welt führt. Einer Welt, in der die äußeren Symbole von Reichtum und Anerkennung, in der unsere Titel und Leistungen, auf die unsere Welt so stolz ist, belanglos werden. Einer Welt, in der nur eines zählt: mein in Ehrlichkeit erhobenes Herz, das sich nicht mehr dem eigenen Stolz, sondern nur mehr der Wahrheit Gottes selbst unterwirft.
Das Abendmahl steht genau an jenem Schnittpunkt zwischen unserer uns so vertrauten Welt und jener Welt, die Jesus das „Reich Gottes“ nennt.
Und lassen Sie nicht nur unser Abendmahl, sondern unsere Gemeinschaft, ja unser ganzes Leben zu einem Ausdruck dieses „Reiches Gottes“ werden, in dem nur ein einziges Gebot gilt, und in diesem ist alles gesagt, und in diesem bleibt unser Lehrer und Meister hier gegenwärtig unter uns. Jesus sagt dieses Gebot ganz am Ende der Fußwaschungs-Szene, nachdem Judas schon nicht mehr im Kreise der Jünger ist:
„Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe, und so wie ich von meinem Vater geliebt werde. Indem ihr in dieser Liebe bleibt, bleibt mein Vater und ich bei euch – und an eben dieser Liebe wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid!“ (V.34-35)
So einfach ist das – und so schwierig zugleich. AMEN.
Und die Liebe Gottes, die unseren Verstand übersteigt, wird unser Fühlen und unser Denken bewahren in Christus Jesus, AMEN.