Predigt am Gründonnerstag 2014 in der Jakobuskirche in Pullach über Hebräer 2, 10 – 18

Predigt am Gründonnerstag 2014 über Hebräer 2, 10-18

in der Jakobuskirche in Pullach

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und Jesus Christus unserem Herrn, AMEN.“

Liebe Gemeinde,

„Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führt, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollendete.“

So lautet der erste nicht ganz leicht zu verstehende Satz unseres ebenfalls nicht ganz leicht zu verstehenden Predigttextes für heute Abend. Der erste Satz aus dem zweiten Kapitel des Hebräerbriefes, Vers 10: „Es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führt, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollendete.“

Rettung und Leiden scheinen zusammen zu gehören. Es war angemessen, dass der Urheber der Rettung leiden muss – mehr noch: „durch Leiden vollendet wurde“.

Wir verbinden „Leiden“ mit Unangenehmen, mit Schmerzen. Wir wollen nicht leiden. Es gibt aber ein altes deutsches Wort, das drückt Leiden ganz anders aus: „ich kann dich gut leiden“. „Ich kann dich gut ertragen“ – „Ich mag dich gerne.“ Und die „Vollendung“ einer Beziehung hat mit dem Ertragen gerade auch von Leiden zu tun: dies erst macht eine Beziehung wirklich stark. Dahinter steckt die nüchterne Einsicht, dass der Andere nicht dazu da ist, mir meine Wünsche an ihn zu erfüllen. Oder mir meine Ängste zu nehmen.

Ein glaubwürdiger Retter ist selber seinen Leidensweg gegangen.

Ein glaubwürdiger Retter ist einer von uns Menschen – er hat sein Leben gelebt, er steht im Leben. Ein glaubwürdiger Retter ist kein unverwundbarer Held, der im Grunde über den Dingen schwebt. Der Retter und der zu Reteende – sie stehen auf einer Stufe.

So fährt der nächste Vers fort:

Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, sie stammen alle von einem ab; deshalb schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“

Schämen verweist auf Überheblichkeit und Demütigung, verweist auf ein zwischenmenschliches Gefälle.

Schämen geschieht in einer Herrschaftsbeziehung, in einem „von oben herab“.

Wahrscheinlich kennen die meisten von uns nicht nur Gefühle von Scham, sondern auch von Beschämt-worden-sein. Es geht so schnell – und ist oftmals gar nicht böse gemeint, sondern nur fehlende Einfühlung in den Anderen – zu beschämen. Am schnellsten geht es mit Kindern: sie in ihrer Schwäche oder in ihrer Fehlerhaftigkeit bloß zu stellen.

Sich Schämen und beschämt werden ist ein Geschehen, in welchem der gute Zwischen-Raum, der gute Beziehungsraum zwischen zwei Menschen zerstört wird. Das viel zu tiefe Eindringen des Einen in den Anderen führt zu Scham und Beschämung.

Der Weg heraus führt über den Dritten. (So wie Raum erst über die dritte Dimension entsteht.)

Die jetzt folgenden Zitate aus dem AT erden die Bedeutung des „Retters“ in zweierlei Hinsicht – durch eine Erinnerung an die Prophetie des AT und durch die Rückbeziehung des Retters auf Gott. Der Retter steht in der Gemeinschaft – er ist nicht der „große Einsame“, der für und an der Stelle der Gemeinschaft leidet. Das Psalmwort:

„Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde dir lobsingen“ (Ps 22,23) verweist auf eine geschwisterliche Gemeinschaft, deren Zentrum nicht die Retterbeziehung sondern die Gottesbeziehung ist. Der „Retter“ verkündigt und erneuert diese fröhliche Gottesbeziehung. Die beiden daran sich anschließenden Jesajazitate sind ebenfalls auf den Dritten bezogen:

„Ich will auf IHN mein Vertrauen setzen“ und „Seht, ich und die Kinder, die Gott mir geschenkt hat.“

Der Autor des Hebräerbriefes ist offenbar darum bemüht, die Energie des Retters in die Gemeinschaft hinein zu stellen, sie für die Gemeinschaft fruchtbar werden zu lassen.

Daraus ergeben sich Erkenntnisse dafür, was einen „guten“ Retter auszeichnet. Ein guter Retter hat seine eigenen Bedürfnisse nach Macht, Bewunderung, Geltungsstreben durchgearbeitet. Mit durcharbeiten meine ich, dass er den schmerzvollen Weg der Selbsterkenntnis gegangen ist. Er hat erkannt, dass es gute Beziehung, dass es Gemeinschaft zerstört, wenn er versucht, „sich selbst einen Namen zu machen“. Er stellt seine Fähigkeiten in den Dienst – und zwar in den Dienst der Gemeinschaft. Das „Glück“ des Retters ist nicht seine Verherrlichung, sondern das Wachstum der ihm anvertrauten Menschen, „der Gruppe“. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe“, sagt Jesus nach der Fußwaschung seiner Jünger im Johannesevangelium. Das ist für einen Retter ein recht bescheidener Satz. Und was ist dieses „Tun“? Das steht wenige Verse später: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Und genau in diesem Tun weiß sich Jesus eins mit seinem Vater. Aus diesem Tun heraus kann er sagen: „Ich und der Vater sind eins, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Will sagen: niemand kommt zum Vater ohne den Weg der Liebe zu gehen.

Mit anderen Worten: der „Retter“ wird an seinem Tun gemessen, er sollte vorleben (und nicht nur vorpredigen). Das heißt, der Retter weiß, wovon er spricht, er hat am eigenen Leibe die „Versuchungen“ durchlitten. Auch so gehört Retter-Sein und Leiden zusammen. So heißt es weiter in unserem Predigttext:

Weil nun die Kinder (Menschen) von Fleisch und Blut sind, hat auch er (der Retter) dies gleichermaßen angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, das ist der Teufel und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selbst gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.“

Die große Versuchung des Retters ist es, dass er nicht für die Gemeinschaft denkt und handelt, sondern für die eigene Sehnsucht, von der Gemeinschaft als der wie immer „Tolle“, zu Bewundernde wahrgenommen zu werden. Dass er die Gemeinschaft für seine Selbstverliebtheit missbraucht.

Und auch diese Versuchung lässt sich verstehen. Viel schlimmer als Todesangst ist das Gefühl, bedeutungslos zu sein. Sich bedeutungslos fühlen, keine Bedeutung zu haben, ist vernichtend. Babys und Kinder verbinden Bedeutung haben mit wahrgenommen werden. Sie, wir tun alles dafür, Bedeutung zu erlangen. Sei es die berufliche Karriere, sei es das Kinder-Kriegen, sei es soziales Engagement, sei es die olympische Goldmedaille, sei es eine Predigt halten – immer geht es darum, dass „ich für meine Mitmenschen etwas bedeute“. Eben dass ich wahrgenommen werde. Ich kann mich nicht nicht verhalten zur menschlichen Gemeinschaft. Das gilt auch für die Aussteiger, die Obdachlosen, die Armen. Auch sie haben ihre „Bedeutung“, ihren „Stolz“, und sei es das Gefühl: „ich mache da nicht mit!“

Wir sind Knechte unseres Strebens nach Bedeutsamkeit. Hier scheint mir übrigens der Grund zu liegen, warum alt werden für viele so schwer ist, warum der Schritt in die Rente so mühsam ist: wir verlieren immer mehr an Bedeutung für die Anderen. Wir werden immer weniger gebraucht. Wir werden immer überflüssiger. Nun ist zugleich nüchtern anzuerkennen, dass unser Leben, und was wir erleben, und wie wir leben genau genommen nur für ein einziges Lebewesen von wirklicher Bedeutung ist: und das sind wir – selbst.

Dieser Wahrheit ins Auge zu blicken löst schwer erträgliche Gefühle aus. Um diese Gefühle nicht spüren zu müssen, sind wir den ganzen Tag über mit „machen“ beschäftigt. In der sicheren Überzeugung, das, was wir machen, bedeutet etwas, es „macht Sinn“. Und wahrscheinlich können wir nicht anders, als eben Sinn zu machen, so wie die Ameise nicht anders kann, als den ganzen Tag ihr Ameisenleben zu führen.

Liebe Gemeinde,

ich gebe zu, das ist alles sehr nüchtern. Weit weg von Osterjubel.

Und doch ist in dieser ganzen Nüchternheit Ostern versteckt. Keine Ostereier – sondern Ostern!

Der Retter – der unserem Glauben seine Mitte gibt – ist einer, der erträgt. Er ist einer, der sein „Nicht-machen-können“ aushält. Der nicht aus Steinen Brot macht, der nicht über Andere Macht ausüben will, der nicht durch tollkühne Sprünge Gott verführt.

Unser Retter ist ein Nicht-Macher. Er ist ein Erleider. Und in diesem Erleiden steckt jene Gabe, von der Paulus sagt: „sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

Es ist die Macht der Liebe (die nichts mit romantischer Verschmelzungssehnsucht zu tun hat) mit der sich unser Retter so sehr verbündet hat, dass er zu dieser Liebe selbst geworden ist. Es ist die Liebe, die uns die Kraft schenkt, uns selbst und unsere Mitmenschen sein zu lassen. Und Sein-lassen heißt zunächst einmal: aushalten.

Daran wird jedermann erkennen dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Das ist die tiefer Bedeutung des Abendmahles als eineS Gedächtnismahles. Es ist das Gedächtnis der Liebe. Und in dem Gedenken ist es das Wirksamwerden der Liebe. Der Liebe zum Leben in und mit seiner individuellen Vergänglichkeit.

Indem wir jetzt gemeinsam das heilige Abendmahl feiern, wächst in uns diese Kraft der Liebe: das ist die Kraft des Ertragens und des Erleidens. Zunächst einmal von uns selbst. Und je besser wir uns selbst ertragen können, desto leichter wird es auch, unsere Mitmenschen zu ertragen, sie in ihrem So-sein zu belassen, wie auch wir unser So-geworden-Sein aushalten lernen.

Und in diesem Geschehen könnte ein wenig Leichtigkeit in unser Leben hinein fließen und ein wenig Heiterkeit. Und wenn wir auch den Tod nicht österlich auslachen – vielleicht spielt öfters ein Oster-Lächeln um unsere Lippen – das selbst unseren Alters- und Sorgen-Falten Schönheit und die Würde gelebten Lebens verleiht.

Gebe Gott, dass wir in seiner Liebe so tief versinken, dass wir nicht mehr anders können, als seine Jünger zu sein, AMEN.

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