Predigt an Pfingsten 2015 über Johannes 14, 23 – 27
(gehalten in der Jakobuskirche von Pfr. Dr. Lothar Malkwitz)
Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.
Liebe Gemeinde,
Pfingsten gilt als Geburtstag des Kirche. Kirche heißt: Christsein in der Welt. So ist Pfingsten für mich inhaltlich die Nagelprobe der Alltagstauglichkeit unseres christlichen Glaubens. Es geht um die Frage, ob und inwieweit unser Glaube alltäglich hilfreich ist. Das Zentrum unseres Glaubens – soweit ich das verstanden habe – ist der Sieg der Liebe über die Mächte des Hasses und der Destruktivität.
So beginnt unser heutiges Pfingstevangelium (der Predigttext) mit dem Satz:
„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten…“
Aber was heißt das: „wer mich liebt, der wird mein Wort halten“?
Und vor allem: was heißt das alltäglich?
Vielleicht sollte ich kurz verdeutlichen, was ich mit „für den Alltag tauglich“ meine: Eine Scheibe Brot und ein Glas frisches Wasser ist alltagstauglich. Eine Sahnetorte ist etwas für den Sonntag. Für den Festtag. Lecker – aber man sollte nicht zu viel davon nehmen. Oder ein Kleidungsstück: es gibt die empfindlicheren Sonntagskleider und die robusten Alltagskleider.
Ich benötige einen Glauben, der alltäglich robust ist. Wenn er sich dann für den Sonntag schön macht – keine Einwände. Ein Glaube hingegen, der einmal in der Woche für eine Stunde Frieden und Liebe singt und predigt und sich predigen lässt – und im Alltag im Schrank abhängt, – dieser Glaube ist – jedenfalls für mich – nicht glaub-würdig. Nicht wert, geglaubt zu werden.
Glaube, Liebe, Hoffnung: das klingt nach Pathos, nach Größe. Wenn es Bestand haben, sich alltäglich bewähren soll, muss es nüchtern sein und werden.
„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten…“ die „Worte“ Jesu, seine Botschaft, ist etwas sehr, sehr Nüchternes. Und gerade darin provozierend. Ein paar Zitate: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ „Den Splitter im Auge deines Nächsten siehst du, den Balken im eigenen nicht.“ „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele?“ „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren, wer sein Leben aufgibt, wird es erhalten.“
Das ist nur eine kleine Auswahl von Gedanken, die der- oder diejenige erhalten, die Jesus lieben. Das ist übrigens auch so etwas Nüchternes: Jesus sagt nicht: wer mich liebt, der soll mein Wort halten. Er sagt – als gäbe es nichts Selbstverständlicheres: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten.
Und was ist gemeint mit: „mein Wort halten“?
Ich verstehe darunter zweierlei. Zum einen: das Wort Jesu ist das Wort, die Predigt von der bedingungslosen Zuneigung, Hingabe zur Schöpfung, zum Leben. Und zum anderen: es geht nicht nur darum, dieses Wort von der Liebe zum Leben zu hören, sondern es auch zu halten, es einzuhalten, sich daran zu halten. Danach zu handeln. Und zwar alltäglich.
Und indem ich mich darauf einlasse geschieht etwas Ver-Rücktes: „… und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Je tiefer und selbstverständlicher ich nach dem Wort Jesu lebe, desto tiefer und selbstverständlicher komme ich bei mir selbst an, desto sicherer weiß ich, wer ich bin und was ich zu tun und zu lassen habe auf dieser weiten Welt. Und indem diese Sicherheit in mir wächst, komme ich dem Vater immer näher, kehre ich zu ihm zurück, werde sein Hausgenosse.
Nun könnte man f ragen: was hat der „Vater“ damit zu tun? Wozu brauche ich einen Vater – wenn es darum geht, mir selbst, meinem eigenen, wahrhaftigen Selbst immer näher zu kommen? Ist nicht im Gegenteil der Gedanke an einen Vater hinderlich, da er einen Sohn oder eine Tochter braucht? Und geht es im Leben nicht darum, selber erwachsen zu werden, den eigenen Weg zu gehen und eben nicht den, den (m)ein Vater mit vorschreibt?
Jesus sieht das anders. Im nächsten Vers heißt es: „Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.“
Jesus bezeichnet sich selbst „nur“ als das Sprachrohr des Vaters.
Aber das ist doch Abhängigkeit hoch zwei. Jesus hat also überhaupt keine eigene Sprache, keine eigene Botschaft? Er plappert nur seinem Vater nach?
Nein – er plappert nicht nach: „mein Wort ist das Wort des Vaters.“ Es geht nicht um nachahmen oder nachplappern: es geht um Einheit. Um Eins-Sein. Um eine unglaubliche Über-Ein-Stimmung.
Ich denke, Sie merken: das Alles ergibt überhaupt keinen Sinn, solange als man versucht, es konkret zu verstehen. Im Rahmen der uns bekannten, konkreten Vater-Sohn-Beziehungen. Aber ergibt es überhaupt Sinn?
Vielleicht erinnern Sie sich: ich habe Sie vorhin begrüßt mit dem Wort: die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Dies ist mein ganz eigener Kanzelgruß geworden – beeinflusst durch die Auseinandersetzung mit der jüdisch-christlichen Mystik. Für mich bedeutet „Vater“ die Unerkennbarkeit dessen, was ist. Dessen, was gerade geschieht. Was gerade hier, in diesem Raum geschieht. Die Atmosphäre, die hier entsteht. Die Schwingungen, die hier sind. Die sich mit jedem Atemzug verändern. Weil und indem dies unerkennbar ist, ist der Vater dunkel.
Nun ist es aber auch so, dass wir Menschen die Fähigkeit haben, etwas zu erkennen. Es ist nicht alles dunkel. Und wir Menschen haben – seit es uns gibt – viel erkannt. Allerdings gleicht unser Erkennen, mit dem wir so erfolgreich geworden sind, dem eines Scheinwerfers, der das Dunkle vertreibt. Etwas ganz Anderes ist der Versuch, Licht in das Dunkle zu bringen. Das kann ich nur, indem ich die Gesetze des Dunklen anerkenne und die Suchscheinwerfer meines Verstandes ausschalte. Das Licht im Dunkeln muss sich der Dunkelheit anpassen, es muss selbst dunkel werden. Es muss zu einem „dunklen Strahl werden“, wie der Heilige Joh. Vom Kreuz so schön sagt. Der Christus des Johannesevangeliums ist dieser dunkle Strahl. Und so lässt er diesen Jesus Christus sagen: das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das Wort von dem, der mich gesandt hat. Das Wort Jesu bildet die Dunkelheit des Vaters ab.
Man könnte sagen: aber es heißt doch: das Licht scheint in die Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. Die Finsternis, die hier gemeint ist, ist die Finsternis unseres Verstandes. Ihr ist es nicht möglich, dieses Licht des Sohnes, von dem im Johannesevangelium die Rede ist, zu ergreifen. Hierfür ist unser Verstand nicht geschaffen. Alles was unser Verstand kann, – und ich meine das nicht abwertend, sondern nur eingrenzend – ist, mit seinen blendenden Scheinwerfern, die Dunkelheit zu vertreiben. Was er nicht kann, ist, das Leben im Dunkeln zu sehen! Wir haben vorhin gesungen: „Zünd uns ein Licht an im Verstand…“ Dieses Licht ist der dunkle Schein des Vaters, ist die dunkle Ahnung davon, dass es noch eine ganz andere Welt gibt als die, die wir mit unseren Sinnesorganen begreifen können. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
Wer sich auf dieses Geschehen einlässt, der erleidet elende Gefühle. Johannes vom Kreuz hat sie als das Grauen der drei dunklen Nächte bezeichnet: die dunkle Nacht der Sinne, des Verstandes und der Seele. Die Worte Jesu halten bedeutet also, sich in diese dunklen Nächte zu begeben. Wer das nicht will oder kann, von dem heißt es:
„Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte auch nicht.“ Auch das ist eine nüchterne Feststellung – ohne drohend-erhobenen Zeigefinger.
Für die Menschen aber, die die Worte Jesu versuchen zu halten – und mehr als ein Versuch ist in diesem Leben nicht möglich – für die Menschen, die eine Ahnung von der Dunkelheit des Weges zu Gott haben – für sie gibt es einen Trost, mit dem das Entsetzen der Dunkelheit erträglich(er) wird: und das ist der Heilige Geist.
Im Johannesevangelium heißt er der Tröster.
„Das habe ich geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“
Der Trost des Trösters besteht darin, dass in ihm der Vater und der Sohn gegenwärtig sind. Jesus ist gar nicht verschwunden, er hat sich nur der Welt des Sichtbaren entzogen. Und hatte er nicht gesagt: „mein Reich ist nicht von dieser Welt“? Das Reich Jesu Christi, das Reich Gottes – es liegt im Dunklen. Das heißt aber nicht, dass es eine Illusion ist, dass es das gar nicht gibt. Es gibt es nur nicht so, wie wir uns das vorstellen. Wie unser Verstand es gerne hätte. Hierhin gründet, dass jeder Versuch, eine Gottesherrschaft in dieser Welt zu etablieren, Ausdruck der Abwendung von Gott ist. Mit Gottesherrschaft meine ich nicht nur die religiösen Fundamentalismen, ich meine auch all jene, die an der Stelle der Dunkelheit Gottes sich einen Ersatzgott/ -götzen gemacht haben: sei es ewige Jugend, sei es Geld, sei es Auto sei es Reisen, sei es Arbeiten, sei es Psychoanalyse, sei es Theologie und so weiter …
Der letzte Satz unseres Predigttextes veranschaulicht den Trost des Trösters, gibt ihm seinen Inhalt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“
Wer auf dem dunklen Weg zum Vater ist, wer ihn liebt und bei ihm wohnt, in dem zieht Frieden ein. Ein Friede, der dieser Welt nicht bekannt ist: ein Friede in der Tiefe, ein Friede im Inneren. Der Friede, den diese Welt schenken kann, ist der Friede einer Befriedigung: ein Ziel erreicht zu haben, wieder gesund worden zu sein, eine Prüfung bestanden zu haben, etwas Schönes, Neues bekommen zu haben.
Der Friede, den diese Welt nicht geben kann, der entsteht im Erleben des eigenen Ganz-Seins. Oder Heil-Seins. Es ist ein Friede, den ich nicht machen kann, dem ich mich nur zur Verfügung stellen kann: in dem ich mich ganz und gar dem, was ist, überlasse. In dem ich nicht mehr gegen die dunklen Seiten der Wirklichkeit ankämpfen muss. In diesem Frieden dürfen meine Mitmenschen so sein wie sie sind, darf mein Leben so von mir gelebt worden sein, wie es eben gelebt worden ist … Auf einmal entsteht Raum für mich und die Anderen und in diesem Raum entsteht Ruhe und Gelassenheit und Heiterkeit. Der Weg zu diesem Frieden geht freilich nicht ohne Erschrecken und ohne Ängste. Deshalb ist es gut, sich auf diesem Weg begleiten zu lassen. (Und oder den Heiligen Johannes vom Kreuz lesen!)
Mit diesem Frieden endet (nicht nur) diese Predigt. Sie kommt von der Dunkelheit des Vaters her, versucht ein wenig Licht in dieses Dunkle zu bringen (das Licht des Sohnes) und mündet in die Liebe und den Frieden des Heiligen Geistes. Und jetzt, am Ende, ist es nur recht und gut, auch diese Predigt-Gedanken der Dunkelheit anzuvertrauen mit der vertrauten Bitte: Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Denken und Sprechen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.