Predigt über Apostelgeschichte 16, 9 – 15

Predigt über Apostelgeschichte 16, 9 – 15 am Sonntag Sexagesimae in der Jakobuskirche in Pullach (23. 2. 2014)

gehalten von Pfarrer Dr. Lothar Malkwitz

Liebe Gemeinde,

„heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“

Das ist ein Satz, der uns darum bittet, etwas zu unterlassen.

Es geht um eine Hemmung, um ein Nicht-Tun: „verstockt eure Herzen nicht!“

Offensichtlich haben wir die Macht und die Möglichkeit, unser Herz zu „verstocken“. „Stocken“ ist das alte Wort, heißt soviel wie „fest, dickflüssig werden, gerinnen.“ (Im bayrischen gibt es die „g’steckelte Mili“, hochdeutsch „Dickmilch“: eine fest gewordene Milch.)

Ein verstocktes Herz ist Herzinfarkt gefährdet. (Im griechischen heißt verstocken übrigens: skleryno – der med. Fachausdruck Sklerose kommt von daher!) Einem verstockten Herzen geht „nichts mehr zu Herzen“, es hat sich „unberührbar“ gemacht.

Als ich den heute zu predigenden Text las, nützten mir diese schlauen Gedanken gar nichts. Ich konnte nicht anders: ich begegnete dem Text mit Abneigung. Am liebsten wäre ich ausgewichen auf einen anderen Text. Verstocken hat also mit Abneigung zu tun: „Damit will ich nichts zu tun haben!“

Damit sie mitfühlen – oder sich wundern – können, breche ich hier ab und lese Ihnen den Predigttext vor. Er handelt davon, wie eine gottesfürchtige Griechin, Lydia mit Namen, zum christlichen Glauben findet. Lydia von Philippi gilt als die erste europäische Christin! Es ist also zugleich die Geschichte von der ersten christlichen Missionstätigkeit in Europa.

Ich lese Apostelgeschichte c. 16, 9-15:

„Und es erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein mazedonischer Mann stand da und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!

Als er aber das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen.

Wir fuhren nun von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake und des folgenden Tages nach Neapolis und von da nach Philippi, das die erste Stadt jenes Teils von Mazedonien ist, eine (römische) Kolonie. In dieser Stadt aber verweilten wir einige Tage.

Und am Tag des Sabbats gingen wir hinaus vor das Tor an einen Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte; und wir setzten uns nieder und redeten mit den Frauen, die zusammengekommen waren.

Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; ihr Herz öffnete der Herr, dass sie acht gab auf das, was von Paulus geredet wurde. Als sie und ihr Haus getauft worden war, bat sie und sagte: Wenn ihr urteilt, dass ich an den Herrn gläubig sei, so kehrt in mein Haus ein und bleibt. Und sie nötigte uns.“

Vielleicht wundern Sie sich: aber der Text ist doch nicht schlimm, im Gegenteil, das ist doch eine schöne Geschichte, wie Lydia von Gott – vermittelt durch Paulus – zum christlichen Gauben berufen wird. Wie das Christentum zu uns, nach Europa kommt.

Ja, aber! muss ich antworten.

Ja, aber: weist auf Härte hin, auf: „so einfach geht das nicht!“ Damit bin ich nicht einverstanden.

Aber womit denn?

Alles hängt davon ab, wie die Geschichte verstanden wird. Was sie für einen bedeutet.

Nun war keiner von uns dabei. Uns wird diese Geschichte erzählt. Und jeder von uns, der diese Geschichte hört, erlebt sie mit seinen eigenen Bildern und seinem eigenen Vor-Verständnis. Und ich bin mir sehr sicher: wenn wir uns jetzt darüber im einzelnen austauschen würden: wir wären überrascht, wie vielfältig und unterschiedlich die Eindrücke wären, die diese Geschichte bei uns hinterlässt.

Obwohl wir alle dieselbe Geschichte meinen.

Und das ist noch nicht alles. Indem, wie wir die Geschichte verstehen, ist ja noch völlig offen, wie Lukas, der Autor dieser Geschichte, sie verstanden hat.

Was wollte Lukas mit dieser Geschichte abbilden? Wozu erzählt er diese Geschichte?

Es scheint so zu sein, dass er erzählt, „wie es gewesen ist“. Das und das haben wir erlebt!

Und genau da beginnt sich mein Herz zu verstocken.

Mein verstocktes Herz sagt:

Ja und jetzt? Was willst du mir damit sagen?

Heute, in meinen Alltag an diesem grauen Februar-Sonntag hinein?

Predigen heißt, etwas rüber bringen. Eine frohe Botschaft verkündigen. Aber auch eine wahrhaftige Botschaft. Etwas Nahrhaftes. Die Geschichte „stimuliert“ meine Kreativität nicht.

Es sei denn, ich versuche „zwischen den Zeilen“ zu lesen. Ich mache mich auf die Suche nach etwas „hinter“ den Zeilen, „hinter“ dem konkreten: „so war es!“

Die Geschichte beginnt damit, dass Paulus eine Art Vision oder auch einen Traum hat: ein ihm, unbekannter Mann bittet ihn um Hilfe. „Komm‘ herüber!“ Paulus soll etwas „überbrücken“, eine Verbindung herstellen. Er soll die Verbindung zu einem anderen Erdteil, zu Europa herstellen. „Hilf uns!“ sagt der Mann.

Für Paulus ist völlig klar, worin die Hilfe besteht: er soll die Predigt von der Liebe Gottes auch für Europa zugänglich machen. Nun ist bekannt, dass Paulus Visionen hatte: seine berühmteste ist die vor Damaskus, die Saulus den Christenverfolger in Paulus den Missionar verwandelte.

Dann könnte man die Geschichte so lesen, dass sie uns erzählen will, was geschieht, wenn man seine Träume oder Visionen so ernst nimmt, dass man sie in die Tat umsetzt. Vorausgesetzt, man findet eine Sicherheit in sich selbst, die einem sagt, was man zu tun hat. Paulus war sich seiner „Sache“ so sicher, dass er bereit war, dafür sein Leben zu opfern.

Diese Sicherheit fehlt mir. Vielleicht ist ein Teil meines verstockten Herzens der Geschichte gegenüber Neid? Beneide ich den Paulus ob seiner Sicherheit?

Ich glaube nicht. Ich möchte mein Leben nicht gegen das seinige tauschen. Mir ist diese missionarische Sicherheit unheimlich. Und doch kann ich etwas lernen:

es ist gut, seine Träume ernst zu nehmen. „Träume sind wie ungeöffnete Briefe“, sagt S. Freud. Ernst nehmen hieße, versuchen die eignen Träume zu verstehen. Diesen Zwischenschritt übergeht Paulus. Er setzt seinen Traum sofort in Handlung um (Agieren sagen dazu die Psychoanalytiker.) D.h. Es gibt keinen Spielraum, des Verstehens – keine mentale Welt, in der der Mann, von dem Paulus träumt zu einer „Figur“, einer „Gestalt“ aus seiner inneren Welt wird – zu einem Teil von Paulus selbst, der Hilfe braucht.

Jetzt wird die Geschichte für mich interessant. Ich glaube, es ist der Saulus, von dem sich Paulus mit derselben Gewalt abgeschnitten hat, mit der er vorher Christus verfolgt hatte, der ihn um Hilfe bittet – der sich wünscht, Paulus möge „zu ihm herüber“ kommen. Saulus und Paulus trennen verschiedene Kontinente. So weit haben sie sich voneinander entfernt.

Und genau damit hat ja das Grausame von Mission zu tun: dass sie das Gewachsene, „vor“ der Mission entstandene, wegwischt und so tut, als wäre das alles „falsch“ gewesen. Dann zerfällt das Leben in zwei Hälften: eine gute und eine schlechte Hälfte, eine falsche und eine richtige. Zwischen diesen beiden Kontinenten ist das Meer. Dies macht in der Tiefe nicht zufrieden. Wenn die Hälfte meines Lebens von mir selbst auf einen anderen Kontinent verbannt ist, gibt es kein Leben in Freude und Leichtigkeit.

Ein nicht-verstocktes Herz ist ein ganzheitliches Herz. Ganzheitlich bedeutet, die Teile in sich hineinzunehmen, die ich ausgelagert, verbannt habe. Mit denen ich nichts (mehr) zu tun haben will. Diese ausgelagerten Teile meiner selbst schlagen sich in meiner Seele als Gefühle von Aversion nieder. „Ich möchte damit nicht in Berührung kommen.“

Unsere Geschichte teilt uns mit, dass Paulus und seine Freunde das „Traumgesicht“ sofort in die Tat umsetzen. Wahrscheinlich war das auch so.

Ich möchte bei dem Traumgesicht bleiben. Ich möchte die ganze Geschichte als eine Art Traum, als eine Geschichte aus der „inneren, seelischen Welt“ lesen. Indem ich dies tue, ist meine Langeweile verflogen. Ganzu im Gegenteil: die Geschichte bekommt für mich einen eigentümlichen Glanz.

Auch daran möchte ich Ihnen gerne Anteil geben.

Dann handelt die Geschichte davon, wie das geht:

Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht!“

Also: der Mann aus Mazedonien, der Mann von dem anderen Kontinent steht für jenen Teil von Paulus selbst, mit dem er seit seiner Bekehrung zum Christentum nichts mehr zu tun haben wollte. In dem er sich auf dessen Hilferuf einlässt, macht er sich wirklich auf den mühsamen Weg der Integration dessen, was er abgelehnt hatte.

Auf seinem Weg der „Ganz-“ oder „Heil-Werdung“ (und das verstehe ich unter Integration) entdeckt er in der Stadt Philippi seine eigene Gottlosigkeit. Keine Synagoge, kein Ort der Spiritualität findet sich. Es gibt auch keinen „Mann aus Mazedonien“. Natürlich gibt es ihn nicht: Paulus hatte ja seine ganze Spiritualität dem Saulus entzogen. Mit dem Juden Saulus wollte der Christ Paulus nichts mehr zu tun haben.

Doch Paulus lässt sich davon nicht beirren. Er beschließt mit seinen Freunden, seiner „inneren Gruppe“, an einen Fluss zu gehen. Der „Fluss“ ist ein uraltes Bild für Reinigung. Und hier trifft er auf die Frauen, auf seine weiblichen Anteile, mit denen er ins Gespräch kommt. Ein weiterer Akt der Integration, der Verbindung findet statt: es tut gut, wenn im Unbewussten eigene männliche und weibliche Seiten in gelichweritgen Kontakt miteinander treten. Diese Begegnung findet „im Freien“ statt: nicht eingeschlossen in einem Raum. Auch das ist gut: es ist eine frei-willige Verbindung, ein freies Miteinander, das da am „Fluss des Lebens“ sich ereignet.

Und dann hebt sich eine Frau heraus, Lydia, die mit Purpur handelt. Nun steckt in dem Namen „Lydia“ das greichische Verb „lüo“, und das heißt lösen, frei werden. Dies könnte ein weiterer Hinweis auf die befreiende, lösende Kraft sein, die damit zu tun hat, dass sich Paulus seiner weiblichen Seite zu wendet. Zugleich handelt sie mit Purpur: Purpur entsteht durch die Verbindung von rot und blau – also aus der guten Verbindung von Geistigem und Lebendigem. Purpur verkörpert auch etwas sehr Wertvolles, so dass die Farbe „Purpur“ für Würde schlechthin steht. Der Umgang zwischen Paulus und Lydia ist ein Würdevoller – weit entfernt von einer entwürdigenden Zwangstaufe.

Indem sich Lydia von Paulus taufen lässt, verbinden sich die beiden mit dem Fluss des Lebens. Vertrauen sich dem Fluss des Lebens an. Und dann „nötigt“ Sylvia ihren Täufer zum Essen. Das klingt kurz nach Zwang – lässt sich freilich in der inneren Welt auch als den letzten Schritt zu echter Gemeinschaft, wirklicher communio verstehen: dem autarken „Ich“ des Paulus muss mit „sanftem Nachdruck“ klar gemacht werden, dass es auch nur ein Teil eines größeren Ganzen ist und dass es keine „Schande“ ist, etwas zu nehmen, zu empfangen. Auch der freie und stimmige Austausch von Geben und Nehmen, wo es nichts Gönnerhaftes und nichts Bedürftiges mehr gibt, gehört zu einer einer guten, ganzheitlichen Beziehung in gegenseitiger Würde und Wertschätzung.

Liebe Gemeinde.

ich weiß nicht, welche Gefühle diese Deutung unseres Predigttextes in Ihnen auslöst. Ich kann mir vorstellen, dass die Bandbreite von Verständnislosigkeit über ärgerlich-empörte Ablehnung bis hin zu neugierigem Interesse geht. Ich bin mir auch darüber im Klaren, Ihnen damit etwas zuzumuten. Aber – ganz ehrlich – ich kann nicht anders predigen.

Dieser, mein Zugang zum christlichen Glauben und zu den Texten der Bibel, ist, wenn er denn ein Adjektiv bekommen soll, ein mystischer. Purpur ist übrigens auch die Farbe der Mystik – und die Farbe der Buße. Und in der Gegenwart als Violett die Farbe der Emanzipation der Frauen. (Spannend, oder?)

Die Mystiker (und die Frauen?) waren einerseits die kirchlichen Außenseiter. Manche wurden mit dem Tode bestraft, manche wurden heilig gesprochen. Karl Rahner hat am Ende seines Lebens gesagt: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein; oder er wird nicht mehr sein.“ Für mein persönliches Leben stimmt der Satz voll und ganz. Warten wir ab, ob er auch im Großen und Ganzen recht hatte. AMEN

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Sinnen und Trachten, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus, AMEN.

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