Predigt über 2. Mose 16, 2-3.11-18 am 7. Sonntag nach Trinitatis in Pullach

Predigt über 2. Mose 16, 2-3. 11-18 im Rahmen eines Taufgottesdienstes

am 7. Sonntag nach Trinitatis in Pullach (2014)

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext aus dem 2. Buch Mose ist eine weitere Geschichte, die vom Hunger und vom Satt-Werden handelt. Und – wie in der Kirche nicht anders zu erwarten – dass Gott es ist, der sättigt.

Das ist nicht sehr befriedigend im Anbetracht des Hungers auf dieser Erde. Und im Anbetracht der extrem ungleichen Verteilung von Menschen, die (zumindest scheinbar) satt sind, und solchen, die Hunger leiden, ja an Hunger sterben.

Was uns Menschen als Gemeinschaft nicht möglich zu sein scheint, ist, eine Ordnung zu schaffen, in der jeder Mensch genug hat. Genug zum Leben.

Und so schön diese alten Geschichten aus der Bibel auch sind – offensichtlich gelingt es uns nicht, ist es der Menschheit auch in 2000 Jahren nicht gelungen, sie zu verwirklichen.

Die Speisung der 5000 und die Geschichte vom Manna (dies ist der heutige Predigttext) – das sind schöne Geschichten (geblieben). Ihre Umsetzung, ihre Verwirklichung ist noch nicht geschehen.

Nun gehört zum Satt-Sein dazu, dass es kein Zustand ist. Satt-sein lässt sich nicht halten. Es ist kein Besitz. Satt-sein ist ein Element innerhalb der Bewegung des Lebens. Und damit, dass sich Leben nicht besitzen lässt, dass Leben kommt und wieder vergeht – damit tun wir Menschen uns so schwer. So beginnt unser Predigttext mit der Unzufriedenheit der Gemeinschaft der Israeliten:

„Da murrte die ganze Gemeinde der Israeliten gegen Moses und gegen Aaron in der Wüste. Die Söhne Israels sprachen zu ihnen:

‚Wären wir doch durch die Hand Gottes gestorben im Land Ägypten, als wir saßen überm Fleischtopf, und uns satt aßen am Brot. Doch ihr habt uns da in diese Wüste geführt, um dieses Volk Hungers sterben zu lassen.’“

Die berühmten Fleischtöpfe Ägyptens stehen für eine bestimmte Lebenshaltung: „Die sichere Versorgung hat höchste Priorität. Dafür wird ein Leben in Sklaverei in Kauf genommen.“

Man könnte so sagen: je mehr Angst wir davor haben, verhungern zu müssen, desto bereitwilliger unterwerfen wir unser Leben und unsere Freiheit unseren Bedürfnissen nach Absicherung. Nach der Devise: „Der sicherste Ort ist ein Gefängnis.“

Es geht also um die Fähigkeit, Unsicherheit zu ertragen. Unsicherheit heißt: nicht wissen, wie „es ist“, was morgen sein wird, wie ich im Alter versorgt bin usw. Unsicherheit aushalten hat mit dem ertragen von Angst zu tun.

Hunger ist eine Empfindung, die mich mit einem Mangel konfrontiert. Hungrig sein heißt: „Mir fehlt was“. Ich spüre eine Leere, und die soll verschwinden. Die will ich nicht haben. Die „Kinder Israels“ spüren diese Leere auf ihrer Wüstenwanderung. Sie haben Ägypten verlassen: das Land, in dem sie versklavt waren, aber auch das Land, in dem sie satt waren.

Das Erleben von Leere, von Unzufriedenheit ist häufig begleitet mit einem Konjunktiv: hätte ich doch, wäre ich doch, wie konnte ich nur so doof sein. Das ist die Gegenbewegung zu dem Streben nach Freiheit, nach Ausbruch aus dem Gefängnis der Unselbständigkeit. Ich vermute, es gehört zum Mensch-sein dazu, beide Seiten in sich zu tragen: das Streben nach Neuem, nach Freiheit, nach Selbstständigkeit und die Angst davor, in dieser Freiheit unter zu gehen, zu verhungern. Wie viel Freiheit kann ich mir leisten? Diese Frage muss jeder für sich beantworten und diese Frage beantwortet jeder von uns in seinem alltäglichen Handeln mit seinen kleinen und großen Entscheidungen.

Das Erleben von Unzufriedenheit ist häufig verknüpft mit einem weiteren Element: dem des Abwälzens von Schuld: die Anderen sind schuld, dass es mir so geht. Die Anderen, das sind die, von denen ich mich abhängig gemacht, die ich mir zu Führern „gemacht“ habe. Wir vergessen gerne, dass wir uns selbst unsere Führer, unsere Chefs machen. Die Kehrseite davon ist, dass es einfacher ist, in der Position des Kindes zu bleiben. Murren, motzen, in der Opposition bleiben ist viel einfacher, als die Arbeit der Regierung zu übernehmen. „Ihr habt uns in diese Wüste geführt! Und jetzt geht es uns so schlecht!“ M. Luther hat schon recht, wenn er die Gemeinschaft der Israeliten als „Kinder Israels“ übersetzt.

Ich denke, sie wissen wie die Geschichte weiter geht: Gott nährt seine Kinder, nährt die Kinder Israels mit Wachteln am Abend und Manna am Morgen. (Für die Naturwissenschaftler unter uns: es gibt in der Tat in bestimmten Gegenden der Wüste Wachtelschwärme, die vom Mittelmeer heraufziehen und sehr schwerfällig sich bewegen – deshalb leicht zu fangen sind. Und das „Manna“, abgeleitet vom Hebräischen „man hu“ „was ist das?“ ist das Sekret von Schildläusen, das essbar und sehr eiweißhaltig ist.)

Die Botschaft ist einfach: Gott sättigt.

Mich befriedigt diese Botschaft nicht. Würde sie stimmen, müsste das Problem des Hungers längst gelöst sein. Ich finde, so wie sich die Geschichte entwickelt, schreibt sie kindliches Denken geradezu fest. Wir können eben nichts tun, um satt zu werden – wir müssen auf einen Gott warten, der – wenn wir Glück haben (oder genug glauben?) – uns was zum Essen gibt. Und was ist mit denen, die verhungern? Haben die dann Pech gehabt? Sie merken – diese Gedanken führen direkt: entweder zu einer Abwendung von Gott, dass es nämlich Gott gar nicht gibt – oder zu einer Vergiftung Gottes in dem Sinne, dass er offenbar ein grausamer Willkürherrscher ist, der die Einen satt macht und die Anderen verhungern lässt.

Für mich gibt es nur einen Weg, der hier weiter hilft und weiter führt, nämlich, sich von der kindlichen Vorstellung von einem Gott, der da irgendwo im Himmel sitzt und unsere Geschicke lenkt und leitet, zu verabschieden. Indem ich Abschied nehme von dieser meiner kindlichen Vorstellung von Gott, komme ich vielleicht in die Lage, Gott wirklich zu finden. Besser: wird es mir vielleicht möglich, mich von Gott auffinden zu lassen. Denn „Ich“, mein kleines Ich kann Gott nicht finden. Es kann sich nur bereit halten, sich finden zu lassen. Verstehen wird es dies nie. Dafür ist unser Ich nicht gemacht. Es muss auch nicht verstehen, dass Gott in mir, in jedem von uns wohnen möchte. Das äußere Zeichen dieses Wohnung-Nehmens ist in unserer Tradition die Taufe. Und der Weg der christlichen Existenz führt von der Taufe bis hin zu dem Gedanken: Gott wohnt in mir. Oder wohne ich in ihm? Denn: je tiefer Gott in mich hinein kommt, desto weniger weiß ich noch: wohnt jetzt Gott in mir oder wohne ich in ihm? Und so entstehen merkwürdige Sätze wie der, mit dem wir unseren Gottesdienst begonnen haben: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ (Eph. 2,19)

Wobei für mich die Heiligen nicht irgendwelche Supermenschen waren, sondern Menschen, die ihrem eigenen Ganz-Sein nahe gekommen sind. Und genau dies macht satt. Unser verbreiteter Irrtum ist zu meinen, satt-sein, Sättigung findet im Außen statt. Besitz anhäufen, Karriere machen, Status bekommen – das ist alles ganz nett, aber es ist ungeeignet, wirklich und in der Tiefe satt zu machen. Satt-werden hat in der Tiefe damit zu tun, bei sich selbst „angekommen“ zu sein. Eine immer deutlichere Ahnung davon zu bekommen, wer ich bin, und was mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Das ist ein langer und mühsamer Weg, durchaus vergleichbar mit einem langen Zug durch die Wüste. Besonders schwer und schmerzhaft ist das Ertragen der eigenen Enttäuschungen und Verführungen, das Entdecken der eigenen Fleischtöpfe, die mich dazu verleitet haben, den Weg zu mir nicht zu gehen. In der griechischen Mythologie ist es übrigens die Geschichte von Odysseus, der es ebenfalls so schwer hat, zu sich nach Hause zu kommen. Immer wieder lässt er sich „bezirzen“, „vergisst“, wozu er eigentlich da ist, was er eigentlich, sein Eigenes betreffend, will.

Das Nach-Hause-Kommen, das wahrhaftige Zu-sich-selbst-Finden ist es, was Menschen heiligt. In unserer Tradition ist es die Eucharistie oder das Abendmahl, wo wir Gott „sinnenfällig“ in uns hinein nehmen und so zu Mitbürgern in seinem Hause werden. Indem wir dies jetzt gemeinsam erleben, sind wir gemeinsam bezogen auf eine unsichtbare Mitte, die keiner von uns besitzen kann. Die keinem von uns zur Verfügung steht. Auch mir als Pfarrer nicht. Und das ist gut so. Und in dieser Bezogenheit respektieren wir einander in unserer gewachsenen Verschiedenheit und Andersartigkeit. Und erleben uns als Mitbürger in jenem Haus der Gemeinschaft, das auf IHN verweist, jenem unsichtbaren und unerkennbaren Gott, der sich doch in Jesus Christus als Grenzen überwindende Liebe gezeigt hat.

Indem wir seine Liebe in uns hineinlassen, nähren wir unsere Seele. Es kann gut sein, das dieses Nähren sich mit Tränen vermischt. Tränen sind Ausdruck dessen, dass unsere Seele verdaut. Und verdauen ist ein Zeichen dafür, dass Sättigung geschieht. Und so ist alles gut, so wie es ist. AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

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