Predigt über den Brief des Paulus an die Philipper 1, 3-11
am 22. Sonntag nach Trinitatis in der Thomaskirche in Grünwald
„Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke – was ich allezeit tue in allen meinen Gebeten für euch alle, und ich tue das Gebet mit Freuden – für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis heute; und ich bin darin guter Zuversicht, daß der
in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.“ (Phil 1, 3-11)
Liebe Gemeinde,
welch‘ eine Begrüßung!
Stellen Sie sich vor, jemand sagt zu Ihnen, oder Sie bekommen eine Mail:
„ich bin so dankbar, wenn ich an dich denke. Und ich denke oft an dich! Und ich bete für dich mit Freuden. Ich danke dafür, dass du in der frohen Botschaft lebst, und zwar von Anfang an bis jetzt. Und ich bin zuversichtlich, dass der, der in dir diese gute Entwicklung begonnen hat, der wird sie auch zu ende bringen, bis zu dem Tag, an dem alles klar wird – dem Tag Jesu Christi!“
Wie würden Sie reagieren?
Würden Sie sagen: Moment mal. Woher weißt du das? Kennst du mich so gut? Und angenommen – das stimmte, was du da sagst: müsste es mir dann nicht anders gehen, besser, leichter, heiterer?
Würden Sie sagen: komm‘ zur Sache – was willst du von mir? Mich um Geld anpumpen?
Sie können natürlich auch zurückfragen – was ich Ihnen durchaus zutraue –
und sagen:
Lieber Prediger, bevor du dir über uns den Kopf zerbrichst: wende doch das alles einmal auf dich an.
Denkst du manchmal an uns, die Thomaskirchengemeinde? Betest du auch für uns?
Und bist du dankbar, wenn du an uns denkst? Und zuversichtlich, dass wir in der Gemeinschaft des Evangeliums leben und in einer guten Entwicklung sind …
Wie stehst denn du zu uns, Pfarrer Malkwitz?
Ja – ähm – ganz schön direkt ist das alles.
Finden Sie nicht?
Sollten wir nicht lieber über Paulus reden und sein Verhältnis zur Gemeinde in Philippi? Dann geht uns das alles nicht so nah.
Nein – sollten wir nicht. Jedenfalls nicht so, dass wir uns damit von unserer Beziehung ablenken. Das Evangelium muss nahe gehen – ansonsten ist es kein Evangelium.
Und Nähe entsteht durch Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in Beziehung.
Von Ihnen zu mir – und von mir zu Ihnen.
Tatsächlich ist es so, dass ich mich auf einen Gottesdienst mit und bei Ihnen freue. Auch wenn ich meine Schwierigkeiten mit dieser Kanzel habe, auch wenn ich mir dieses Altarbild nicht bei mir zuhause aufhängen würde – ich komme ausgesprochen gerne zu Ihnen.
Und ich freue mich jedes Mal, wenn Pfarrer Stalter mir ein paar Gottesdienst-Termine bei Ihnen vorschlägt. Das kommt natürlich erleichternd hinzu: die freundschaftlich-kollegiale Beziehung zwischen Herrn Stalter und mir. Auch hierfür bin ich sehr dankbar.
Dies alles ist keineswegs selbstverständlich.
Auch Ihre Rückmeldungen, dass Sie etwas mit meinen Predigtgedanken oder meinen Gebeten anfangen können. Natürlich tut mir das gut. Auch wenn ich nicht – wie Paulus, als er seinen Philipperbrief schrieb – im Gefängnis sitze.
Beziehung ist immer etwas Wechselseitiges! Ein Geben und Nehmen. Im Guten wie – leider! – auch im Bösen.
Ich denke, für Paulus war das Sich-Erinnern an die Gemeinde von Philippi ein Trost während seines Gefängnisaufenthaltes.
„Wie es denn recht und billig ist, daß ich so von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verteidige und bekräftige.“ (V. 7)
Es ist gut und ungemein stärkend, gute Beziehungen „im Herzen zu haben“. Obwohl allein, weiß sich Paulus auch im Gefängnis umgeben von einer Gemeinschaft, die sich um das Evangelium schart. Es ist so wohltuend zu wissen, mehr noch zu spüren, dass es Menschen gibt, die sich nicht irreführen lassen von platten populistischen Parolen. Die sich weigern, Feindbildern hinterher zu laufen. Für die in der Tiefe das gemeinsame Menschsein und der Glaube, das Vertrauen an den einen und einzigen Gott zählt, der sich nicht in Religionen oder Konfessionen ein- und aufteilen lässt.
Bei uns in Pullach war heute vor einer Woche ein islamischer Geistlicher, ein Imam, da. Er hat in der Reihe „Sonntags um 6 – ein halbe Stunde für den ganzen Menschen“ die 1. und die 59. Sure aus dem Koran rezitiert.
Es war einfach nur berührend. Mit welch‘ ehrlicher Hingabe hier ein islamischer Kollege seinem Vertrauen in Gott Ausdruck verleiht, ohne irgendeinen missionarischen Impetus.
Indem wir Gott im Herzen tragen, haben wir zugleich die menschliche Gemeinschaft im Herzen. Anders geht es gar nicht. Das vorhin gehörte Evangelium, das bekannte Gleichnis vom „Schalksknecht“, handelt davon, wie Leben für jemand ist, der mit Gott nichts anfangen kann. Er kommt gar nicht auf die Idee, das, was er erlebt hat, dass ihm nämlich seine Schulden erlassen wurden, nunmehr auf sein eigenes Leben und seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen anzuwenden. Dafür wird er nicht bestraft – wie häufig falsch ausgelegt wird – sondern er muss nur die Konsequenzen tragen: da ihm Gott fehlt, fehlt ihm die Barmherzigkeit. Er kann Barmherzigkeit weder empfangen noch weiter geben. Und so bleibt er „auf seinen Schulden sitzen“.
Doch zurück zu Paulus, zurück zu unserem Predigttext:
„Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Christus Jesus.“
Paulus hat Sehnsucht nach seiner Gemeinde. Er vermisst sie. Sie können den Grad, mit dem sich jemand auf eine Beziehung eingelassen hat, leicht messen an dem Grad, mit dem jemand vermisst wird. Mit dem er selbst vermisst wird – und nicht das, wofür ich ihn gut gebrauchen konnte. Paulus sagt: „mich verlangt nach euch in Christus Jesus“. Damit ist der „Dritte“ genannt, innerhalb dessen das „Verlangen“ oder „Vermissen“ und „Fehlen“ des Anderen geschieht. Dieser Dritte oder besser die Dimension des „Dritten“ ist lebenswichtig für Beziehungen. Sonst wird man mit Haut und Haaren aufgefressen. Der Dritte ist der Raum dazwischen. Zwischen Ihnen und mir ist der/das Dritte das gemeinsame Bezogensein auf Gott. Es geht nicht um mich – es geht auch nicht um Sie: es geht darum, wie sehr es uns gemeinsam gelingt, dass Gottes barmherziger Geist zwischen uns wirksam werden darf. Es geht auch nicht um diese Predigt, oder um die Schlauheit meiner Gedanken: die dienen ausschließlich als Medium für etwas Drittes: für den Heiligen Geist, der die tote Vater-Sohn-Beziehung zum Leben erweckt hat.
In der christlichen Tradition ist dieser Heilige Geist aber nichts anders als die Liebe: die liebende Verbindung zwischen Vater und Sohn („vinculum caritatis“ hat ihn der Heilige Augustinus genannt.) Und so versteht sich der nächste Satz des Paulus beinahe von selbst:
„Und ich bete darum, daß eure Liebe immer noch
reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung,“
Die Liebe, die reicher werden kann an Erkenntnis und Erfahrung, hat wenig mit jenem rosarot bebrillten Verliebt-Sein zu tun hat, mit dem Liebe oft verwechselt wird. Liebe ist ein sehr nüchternes, die Realität anerkennendes Geschehen: „es ist, was es ist, sagt die Liebe“ (Erich Fried) Und indem die Liebe die Realität anerkennt, kann Erfahrung und Erkenntnis wachsen. Liebe findet nicht in Seifenblasen von Illusionen statt … Sie findet auch nicht in gut gemeinten Ratschlägen statt. Liebe geschieht und wächst in der liebevollen Zuwendung zum Anderen, im geduldigen Ertragen und Mit-Tragen seines So-seins und im tiefen Vertrauen in seine Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten. Liebe geschieht im Nicht-schon-vorher-Wissen, was gut für den Anderen ist und was er lassen soll.
Liebe geschieht in Freiheit, die nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln ist.
In dieser Freiheit könnt ihr selbst „prüfen, worauf es ankommt,
damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi, erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lobe Gottes.“
Paulus ermutigt seine Gemeinde zu Mündigkeit. „Prüft, worauf es ankommt – in liebevoller Bezogenheit!“ Damit ihr „lauter und „unanstößig“ seid – im Griechischen heißt lauter: eine Unterscheidung, die im klaren Licht der Sonne Bestand hat. Und „unanstößig“ heißt: den eigenen Weg aufrichtig gehen und nicht mehr oder weniger planlos durchs Leben stolpern.
Liebe Thomasgemeinde,
dazu möchte ich Sie und mich ebenfalls ermuntern. Seien Sie kritisch! Kritisch in Liebe – nicht in Rechthaberei, auch nicht in Besserwisserei.
„Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte!“ Mit diesem Psalmwort begann unser Gottesdienst.
Im Hebräischen gibt es eine Entsprechung zwischen „sich fürchten“ und „sehen“.
Es geht nicht darum, vor Gott Angst zu haben.
Es geht darum, sich von Gott wahrnehmen zu lassen.
Und das kann Angst erzeugen.
Von jenem Gott, der mich tiefer und wahrhaftiger kennt, als ich mich selbst.
Von jenem Gott, vor dem ich mich fürchte, weil ich nicht glauben kann, dass sein Blick liebevoll auf mich fällt. Von jenem Gott, der mir längst vergeben hat, auch das, was ich mir selbst nicht vergeben kann.
Von jenem Gott, der mir nicht glaubt, dass mein Leben bedeutungslos ist.
Von jenem Gott, der sich nicht von mir einreden lässt, ich sei ein Versager.
Von jenem Gott, dem mein gesellschaftlicher Status unwichtig und meine seelische Entwicklung wichtig ist.
Von jenem Gott, vor dem ich mich fürchte, weil ich so unsicher bin, ob ich an meinem Leben, an meiner Bestimmung, an meinem Eigenen vorbei lebe.
Von jenem Gott, den ich brauche, um mich selbst, um meinen Lebensweg zu verstehen.
Von jenem Gott, der mich einhüllt in das Feuer seiner Wahrhaftigkeit.
Dieses Feuer verbrennt meine Täuschungen.
Dieses Feuer vernichtet mein falsches Selbst.
Ich habe Angst, Gott, dass in dem Feuer deines Gerichts von mir nichts übrig bleibt. Was könnte vor deiner Wahrheit bestehen?
Nichts.
Ich gebe auf, Gott. Ich bin gescheitert. Ich habe versagt.
„Bei dir ist Vergebung, indem ich dich in mir empfange!“
„Bei dir ist Vergebung, indem ich mein Herz dir überlasse!“
Dir, Gott, mich öffnend wird mein Herz durchstrahlt von deiner Liebe,
die ich selbst und aus mir heraus niemals finden und niemals geben kann.
Dir Gott mich öffnend erlebe ich meine eigene Armut, sie verwandelt sich in Reichtum bei dir.
Dir Gott mich öffnend erlebe ich meinen Zweifel und er verwandelt sich in Sicherheit bei dir.
Dir Gott mich öffnend erlebe ich meine Ungeduld und sie verwandelt sich in Ruhe bei dir.
Dir Gott mich öffnend erlebe ich, dass ich geöffnet wurde in, durch und mit deiner geduldigen Liebe.
Damit bin ich mit meiner Predigt genauso wie mit meiner Sprache am Ende.
Was bleibt ist … danke ….
Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke …. AMEN.