Predigt am Pfingstsonntag 2014 in der Petruskirche Forstenried über Römer 8, 1-2 und 10-11
Liebe Gemeinde,
das Nachdenken über den Heiligen Geist lehrt, dass Gott in sich selbst bezogen ist. Wir glauben nicht an einen ein-fältigen- wir glauben an einen dreifaltigen Gott. Zu der aufopfernden Vater-Sohn-Beziehung kommt als dritte „Person“ in Gott der Heilige Geist hinzu. Der Hl. Augustinus nennt ihn „vinculum caritatis“, „Band der Liebe“. Die Art und Weise, in der Gott mit sich selbst in Beziehung steht, in der der Vater mit dem Sohn in Beziehung steht, ist die der Liebe.
Es ist gesagt worden, dass es letztlich nur zwei Arten von In-Beziehung-Sein gibt: die des Hasses und die der Liebe. Beide Arten des In-Beziehung-Seins finden sich mannigfaltig in der Bibel – und in allen Religionen. Und es ist eine Illusion zu glauben, eine der beiden Arten ließe sich auslöschen: der naheliegende Gedanke, es gehe darum, den Hass zu eliminieren, ihn „auszulöschen“ – ist noch einmal voller Hass. Vernichten, Eliminieren, Liquidieren, Exkommunizieren – dies sind allesamt Bestrebungen, die nicht von Liebe, sondern von Hass gespeist werden.
Der Beginn der Liebe ist die Anerkennung der Wirklichkeit – ohne wenn und aber. „Es ist, was es ist.“
Es ist das, was ich gerade zu erleben habe. Was mir widerfährt.
Der Beginn der Liebe verbindet sich mit der Fähigkeit zu ertragen und zu erdulden. Liebe beginn da, wo mein Ich des „Kämpfens gegen“ müde wird.
„Es soll nicht geschehen durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist….“
Liebe beginnt da, wo vernünftige Einsicht wirksamer wird, als die Macht des Tuns. Die Macht des Machens.
Liebe beginnt mit dem Aushalten von Ohnmacht.
Liebe beginnt mit dem Tragen und Ertragen des eigenen Kreuzes. Dazu bleibt mir freilich nichts anderes übrig, als das, was ich zu tragen habe, kennen zu lernen. Ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich verhaftet bleibe in Vorwürfen gegenüber den Anderen.
Ein großer Vorteil, über die „Anderen“ zu reden, über sie mir Gedanken zu machen, an ihrer Stelle zu fühlen ist: sich die Mühsal der Selbst-Erkenntnis zu ersparen. Selbsterkenntnis ist mühsam, weiß ich doch nie so genau, was dabei heraus kommt…
Und eines ist klar: beschäftige ich mich mit mir selbst, komme ich sehr bald an die Stelle, an der ich anerkennen muss: mein Leben ist mir geschenkt; es vergeht. Ich kann mein Leben nicht festhalten, nicht besitzen. Ich kann es nicht „im Griff haben!“
Gerade wir Männer haben doch so gerne „alles im Griff“!
Die Jünger Jesu hatten ebenfalls mit Vergänglichkeit zu kämpfen. Der überraschende Tod ihres Meisters war ein Schock für sie gewesen. Es gab zwar einige wenige sog. „Erscheinungen“ des Auferstandenen – aber: es war doch nicht mehr so, wie früher.
ER fehlte.
Pfingsten ist das Fest, das verdeutlicht: Gottes Wirken ist da am Mächtigsten, wo wir unsere vertraute Welt des Sichtbaren und Erkennbaren verlassen. Verlassen heißt, indem wir uns „leer machen“, indem wir unsere Urteile und Vor-Urteile zurück stellen, unser „so-wird-es-sein-wissen“ zurückhalten.
Paulus unterscheidet im 8. Kapitel seines Briefes an die Römer (daraus ist unser heutiger Predigttext) zwischen „dem Gesetz des Geistes, der lebendig macht“ und „dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Ich verbinde das Gesetz des Geistes mit der Fähigkeit, in Abwesenheit von „sinnlichen Dingen“ zu denken. Das ist eine Fähigkeit, die auch ein Mathematiker benötigt. Es ist die Fähigkeit zu abstrahieren.
Das „Gesetz des Geistes, der lebendig macht“ beinhaltet aber noch etwas anderes: die Fähigkeit, dass Denken der Lebendigkeit, dem Leben gerecht wird. Und Leben ist ein Geschehen, das sich nicht machen lässt: es eignet sich eher zum Bestaunen.
Das Gesetz des Geistes führt zur Kapitulation meines mir selbst gemachten Denkens: in dieser Kapitulation ergibt es sich in das Denken Gottes.
„Niemand will sich dem Heiligen Geist lassen“ sagt Johannes Tauler in seiner auch heute noch höchst lesenswerten Pfingstpredigt vor gut 600 Jahren. Das hatte und hat damit zu tun, dass wir unseren Wert, unsere Daseinsberechtigung, unseren Stolz daraus beziehen, was wir alles selber können. „Selber machen“: das ist nicht nur das Leitmotiv von Kindergartenkindern.
Und inzwischen können wir ganz viel selber machen – nur das Leben – das müssen wir uns nach wie vor schenken lassen.
Und nicht einmal ein guter Gedanke lässt sich produzieren: er fällt uns ein, er fällt in uns hinein. Das gilt auch für unsere nächtlichen Träume: echte aus dem Unbewussten quellende Träume sind überraschend, unvorhersehbar, nicht gemacht. Wie wenig wir Menschen in Wahrheit machen können, wie ausgeliefert wir in Wahrheit sind: dies ist schwer auszuhalten. Darin liegt begründet, dass wir vielleicht gar nicht von dem Gesetz der Sünde und des Todes freigemacht werden wollen. Denn ein großer Vorteil dieses Gesetzes ist seine Vorhersehbarkeit.
Das Gesetz der Sünde und des Todes ist ein geschlossenes System. Das beruhigt und gibt Sicherheit. In diesem Gesetz ist die Welt scheinbar in Ordnung. Weiß ist weiß und schwarz ist schwarz. Gut ist gut und böse ist böse. Ursache und Wirkung sind klar von einander geschieden. Täter und Opfer ebenfalls. Weil der Mensch von Gott abgefallen ist, deshalb musste er seinen eigenen Sohn opfern, um die Menschheit zu erlösen. Dies ist ein Denken aus dem Gesetz der Sünde heraus. Es beansprucht zu wissen, was in Gott vorgeht. Es geht davon aus, als wäre Gott ebenso kleinlich wie so mancher Mensch.
Das Gesetz des Geistes beginnt mit der Anerkenntnis eigenen Nicht-Wissens. Eigenes Nicht-Wissen anerkennen bedeutet im selben Atemzug auch das Nicht-Wissen über den Anderen anzuerkennen. Mehr noch: es bedeutet anzuerkennen, dass ich nicht weiß, was hier jetzt gerade zwischen uns geschieht. Ich habe keine Ahnung, auf welchen Boden meine Gedanken bei Ihnen fallen. Indem ich das anerkenne, weht durch unsere Beziehung ein Geist von Freiheit. Ich bin frei, meine Gedanken zu äußern, Sie sind frei, diese für sich zu verwenden. Einschließlich der Verwendung, sich von dem, was ich sage abzuwenden.
Auch das gehört zum Gesetz des Geistes hinzu: die Freiheit in Beziehung ist auch eine Freiheit dazu, den Anderen zu verlassen. Ich glaube, dass unterschätzt wird, wie sehr wir als Menschen auf Beziehung angewiesen sind. Und wie hoch die Verführung ist, sich mit toten Dingen zu „beschäftigen“ – ganz einfach deshalb, weil diese uns nicht verlassen können. Freiheit, Lebendigkeit ist nicht haltbar. Sogar unser Leben selbst, das wir so selbstverständlich meinen zu „haben“, wird uns eines Tages verlassen. Es wird ein letztes Ausatmen geben, dem kein Einatmen mehr folgt.
Paulus gehört zu denjenigen, die die Endlichkeit unseres Lebens verleugnen. Er wird nicht müde, in sehr konkretistischer Weise ein „ewiges Leben“ zu postulieren. So auch am Ende unseres Predigttextes: „Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ (V. 10-11)
Meines Erachtens schwächt es die Glaubwürdigkeit der christlichen Religion, wenn sie, gemeinsam mit vielen anderen Religionen, die Angst vor dem Tod so „beantwortet“, dass sie die Endgültigkeit des Todes einfach verleugnet. „Wenn du an Christus glaubst, wirst du ewiges Leben haben“.
Ich habe als junger Mann versucht, mich mit diesen Gedanken zu trösten – und bin so Pfarrer geworden. Mein Doktorvater wollte beweisen, dass J. Chr. Von den Toten auferstanden ist – im Sinne eines historischen Beweises.
Rückblickend muss ich sagen: mir hat diese Art zu denken keinen Trost gegeben – sie hat mich aber überheblich gemacht gegenüber Anders-Denkende. Im nach hinein stellt es sich mir so dar, dass mich andere Gedanken zu sehr verunsicherten. Ich vermute so etwas auch bei Paulus: er hat sein ganzes religiöses System, in dem er aufgewachsen ist, geopfert – für Christus. Und so muss er darum kämpfen, dass dies nicht umsonst gewesen ist. Es darf nicht umsonst gewesen sein! Die Enttäuschung wäre zu groß. Und so heißt es in seiner bekannten Stelle, die heuer an Ostern zu predigen war: „Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig; … so sind auch die in Christus Entschlafenen verloren …. hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter den Menschen…“ (1. Kor. 15)
Hier entsteht eine bemerkenswerte Militanz des Denkens. Der Verfasser des Hohen Liedes der Liebe, „die Liebe trägt alles, duldet alles …“ scheint hier keine Liebe zu kennen. Ein in Frage stellen der konkreten Auferstehung Christi von den Toten wird nicht geduldet….
Aber warum ist das so wichtig? Die Kraft der Predigt dieses Jesus aus Nazareth, die Kraft seiner Gedanken und Gleichnisse, die Wucht seiner Botschaft der Liebe – warum genügt dies nicht? Denken wir an das vorhin gehörte Evangelium:
Johannes 14, 23-27: „Wer mich liebt, wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern, was ich euch gesagt habe.“
Liebe Gemeinde,
wenn wir als Christen ernst genommen werden wollen, wäre es gut, wenn wir eine glaubwürdige Botschaft hätten. Und noch besser wäre es, wenn wir eine Botschaft hätten, die einen Beitrag zu den Problemen unserer Welt leistet.
Es geht um den Geist dieses Jesus aus Nazareth. Seinen Geist einatmen bedeutet, sich mit seinen Predigten und Gleichnissen zu beschäftigen. Sie auf sich wirken zu lassen, sie zu verinnerlichen, seine Predigt der Liebe nicht nur zu predigen, sondern glaubwürdig zu leben. Ohne darauf zu schielen, was ich „davon habe“, wenn ich das tue.
Aus dem Geist der Freiheit heraus zu leben bedeutet in Freiheit zu leben – ohne sich von Kosten- und Nutzenerwägungen abzulenken. Der kapitalistischen Frage: „Was habe ich davon“ können wir heiter antworten: „Nichts!“ Der Geist, der frei macht, der Geist Jesu Christi ist kein Haben-Geist – er ist ein Geist des Seins. Da-sein – hier und jetzt, mit allen Fasern unseres Lebens, unseres Körpers, unserer Seele – das ist es, was du davon hast. Und je stärker du dich auf dein Dasein einlässt, desto stärker darf der Andere da sein. Desto weniger belastet oder bedroht dich das Dasein des Anderen.
Indem du bist, lässt du den Anderen sein. Es geht gar nicht anders.
Nur wenn du wackelst, wenn du selbst unsicher bist, wirst du anfangen, am Anderen herum zu ziehen. So als müsse er dir Stabilität geben. Als wäre es beruhigend, einen Gleichgesinnten zu haben. Aber was nützt es, gemeinsam einen „falschen“ Weg zu gehen? Der Weg wird davon nicht „richtiger“.
Suche nicht nach Gleichgesinnten – suche nach Wahrheitsgesinnten! Auch eine Botschaft des Rabbi aus Nazareth: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32) Und der Träger der Wahrheit ist der Heilige Geist. Er ist es, der die Wahrheit der Predigt Jesu bestätigt hat. Dafür ist es nicht wichtig, ob er leibhaftig von den Toten auferstanden ist. Viel wichtiger ist, dass er in seiner Botschaft weiter lebt, dass seine Botschaft weiter wirkt. Und das tut sie bis heute.
Es ist die Botschaft der Kraft der Liebe.
Hildegard von Bingen hat diese Kraft in einem ihrer wunderschönen Gebete mit dem Heiligen Geist verbunden:
„Belehre mich
mit dem Hauch des Heiligen Geistes,
dass reines Wasser aus mir sich ergieße,
Tränen entströmen
dem Seufzen nach guten Taten,
und Wohlgeruch dufte
aus heiligen Werken.
Am Tag will ich wirken
die Tugend des Gleichmuts
und salben des Nachts
alle Schmerzen.“ AMEN.