Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias in der Auferstehungskirche in München (10.1.2016) – Römer 12, 1-3

Liebe Gemeinde,

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Röm 8,14)

Mit dieser einfachen und einprägsamen Aussage aus dem Römerbrief begann unser heutiger Gottesdienst. Ich halte diesen Satz für wahr. Ich bin ein Kind, und das heißt: ein Abkömmling dessen, was mich (an-)treibt.

Was mich treibt, antreibt, ist das, was mich in der Tiefe bewegt. Der dazu gehörige Satz lautet: „Ich muss das machen.“ Dieser Satz gilt für alle wahrhaft schöpferischen Menschen: „Ich muss … schreiben … komponieren … erforschen … gestalten … malen …“

Nun wissen wir, dass in der Tiefe, in der mich etwas bewegt, auch die beiden großen Gefühle sich befinden, die irgendwie mit unseren Trieben verschmolzen sind: Liebe und Hass. Und ein Drittes befindet sich in eben dieser Tiefe: der Drang/ Trieb wahrgenommen zu werden. Und es hält uns Menschen elastisch und schützt vor Verknöcherungen, – und dafür haben wir vom lieben Gott die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis erhalten – uns immer wieder zu hinterfragen, wofür wir in der Tiefe unsere Gedanken, unser Sprechen und unser Tun verwenden.

Eben das. was uns in der Tiefe antreibt.

Diese Frage kann ich sofort auf mich selbst anwenden: wofür verwende ich meine Predigt hier bei Ihnen? Um im Mittelpunkt zu stehen? Dann geht es darum, dass Sie mich wahrnehmen. Für Hass? Dann brauche ich einen Feind, ein Feindbild, an dem ich meinen Hass unterbringen kann.

Um Liebe? Dann brauche ich einen Freund/ einen Geliebten, wo ich meine Liebe unterbringen kann.

Nun – soweit es mir bewusst ist, und je tiefer ich gehe, desto weniger ist mir bewusst! – möchte ich diese Predigt dafür verwenden, mit Ihnen dem Predigttext nachzudenken. Mit dem Hintergedanken, ob wir vielleicht am Ende etwas Genaueres darüber erfahren haben, was das ist, wie sich das auswirkt, wenn mich „der Geist Gottes antreibt!“

Röm 12, 1-3.(4-8)

12,1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch

die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber

hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und

Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger

Gottesdienst.

Ich ermahne euch…“ – das könnte nach erhobenem Zeigefinger, nach strengem Über-Ich klingen. So ist es nicht. „Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes…“ Das ist so wichtig im Umgang miteinander: dass Strenge und Milde in einem Atemzug geschehen. Sie gehören zusammen. Strenge, Ermahnung, die sich nicht in den Anderen einfühlt ist wirkungslos. Oder führt zu Rachegedanken, die im schlimmsten Fall in Gewalt ausufern. Milde, die alles zulässt, keine Grenzen vorgibt, nicht auf die Einhaltung von Grenzen dringt, führt zu Missbrauch, führt zu Übergriffen, wie jenen von der Silvesternacht.

Wozu werden wir in Barmherzigkeit ermahnt? Es geht um unseren Leib. Es wäre ein Missverständnis zu meinen, es ginge nur um unseren Körper. Mit „Soma“ meint Paulus unser wirkliches Leben auf dieser Erde, in seiner Ganzheit von Intellekt, Seele und Körper. Dieses unser Leben sollen wir „hingeben als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist.“

Opfer – das klingt nach Gewalt. Ist so aber nicht gemeint. Das Opfer soll „lebendig“ sein, „heilig“ und darin „Gott wohlgefällig“. Für mich bedeutet Opfer zuallererst: ich opfere meine Impulse, die auf schnelle Triebbefriedigung zielen. Genau an dieser Stelle beginnt für mich Mensch-Sein: alltäglich daran zu arbeiten, sich „halten zu lernen“. „Sich halten“ heißt, über die Fähigkeit zu verfügen, den schnellen Wünschen, der schnellen Lust oder Unlust Einhalt zu gebieten. Das ist dieselbe Kraft, die mich befähigt, mich auf die ganze Wirklichkeit einzulassen, mit all‘ ihren Facetten. Und nicht nur auf den Teil der Wirklichkeit, wie ich, wie meine Bedürfnisse sie gerne haben möchten.

Wir werden nachher singen: „Jesus ist kommen, nun springen die Bande, Stricke des Todes, die reißen entzwei…“ Ein Strick des Todes besteht in meinen eigenen Erwartungen daran, „wie es – das Leben, die Situation… zu sein hat ….“ Je fester, erstarrter meine Erwartung ist, desto wahrscheinlicher tötet sie die Lebendigkeit des Augenblicks. Indem wir diese Erwartungen opfern, stärken wir in uns die Kraft, uns dem zu öffnen, was da alltäglich auf uns zu kommt. Von außen, von seiten der Welt – wie von innen, von seiten unseres Unbewussten, unserer Emotionen, unserer Fantasien, unseres Körpers. Welche der Geist Gottes treibt, die spüren diese Kraft Gottes in sich, sich dem, was da ist, auch zu stellen. Dazu passt unser Monatsspruch: „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7)

Indem wir uns im Atem und in der Aura dieses Heiligen Geistes bewegen, wird unser Leben zu einem „vernünftigen Gottesdienst“. Und zwar alltäglich. Mit jedem Atemzug unseres Lebens. Es geht dann nicht mehr anders: wir atmen diesen Heiligen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit alltäglich ein und aus.

Sie sagen jetzt vielleicht: Träum‘ weiter! Pfarrersgeschwätz! Wie soll das gehen? „Money makes going the world around!“

Genau so ist es. Und so fährt Paulus fort: „12,2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“

Stellt euch nicht der Welt gleich!“ Jesus hatte das kräftiger formuliert: „Ihr seid das Licht der Welt…“ Indem wir uns der Welt gleich stellen, plappern wir mit der Welt, jammern mit der Welt, suchen unseren Vorteil mit der Welt.

In der Welt regiert der Nutzen. „Was bringt das?“ – das ist ein echter Welt-Satz.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele“ – das ist kein Welt-Satz. Der dazugehörige Welt-Satz lautet:

was bringt es mir, meine Seele kennenzulernen.“

Und die ehrliche Antwort darauf lautet:

Gar nichts!“ „Es bringt dir gar nichts. Genauso wenig wie es dir etwas bringt, in den Gottesdienst zu gehen … Oder an Gott zu glauben!“

Gott ist nämlich kein burner und kein Bringer!

Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz.“ (Meister Eckhart, Werke I, Frankfurt 1993, S. 195)

Und er fährt fort: „Alles, worauf du dein Streben richtest, was nicht Gott in sich selbst ist, das kann niemals so gut sein, dass es dir nicht ein Hindernis für die höchste Wahrheit ist.“

Das ist die Erneuerung unseres Sinnes von der Paulus spricht. Dass wir die Kraft haben, zu prüfen, aus welcher Haltung zum Leben eigentlich unsere Gedanken strömen. Im Kapitalismus ist das Nützlichkeitsdenken die Mitte.

Meister Eckhart und Paulus hingegen sind Seins-Denker. Im Zentrum dieses Denkens steht nicht die Frage, was etwas bringt, oder was etwas nützt, sondern: was es ist. Was es ausmacht. Es geht um das Da-Sein.

Nur mit diesem Denken kann Gott erahnt, gespürt, erlebt werden – Gott, der das letzte Sein, die unerkennbare letzte Realität ist! „Alles, worauf du dein Streben richtest, was nicht Gott selbst ist …“ das steht dir im Weg, der Wahrheit näher zu kommen.

Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist …: das Gute, das Wohlgefällige, das Vollkommene …“ Das ist der einzige „Zweck“, der einzige „Nutzen“ unserer Veränderung: Gottes Wille zu erkennen: „das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene.“ Und nicht nur zu erkennen, sondern – wichtiger noch – in diesem Willen zu leben. Ein alltägliches: „dein Wille geschehe!“

Das heißt auch: nicht das, was ich mir einbilde zu brauchen, geschehe. Wie kann auch das, von dem ich mir einbilde, es mir bringt mir etwas, besser sein, als Gottes Wille für mich?

Indem Gottes Wille zu meinem Lebensmaß wird – was kann dann noch schief gehen?

Nüchterne Antwort: Alles!

Dann löse ich nämlich mein Leben aus meiner (vermeintlichen) Kontrolle heraus. Und dann habe ich nichts mehr im Griff. Und das fühlt sich sehr, sehr verunsichernd an.

Indem ich Gott mein Leben ausliefere, sterben meine Täuschungen darüber, wie „es sein sollte“! Damit bin ich natürlich auch weniger anfällig für meine Enttäuschungen darüber, wie es gerade ist. (Meine Ent-Täuschungen, die in der Tiefe nichts anderes ausdrücken, als dies, dass ich mich getäuscht habe!) Und meine Kraft, die Wirklichkeit in ihrer Nüchternheit anzunehmen: dass „es nämlich so und nicht anders ist“, wächst. Hier gehört nun der dritte Satz unseres Predigttextes hin:

12,3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Dass er maßvoll von sich halte.“ Im „Maß“ sind die Grenzen enthalten. Die Wirklichkeit, in der ich gerade bin, ist immer eine begrenzte. Dies anzuerkennen erhöht die Möglichkeit für Bescheidenheit. Das Maßlose – das ist auch das Grenzenlose. Und das Grenzenlose vertreibt das ihm Fremde; es will nur eines: sich selbst grenzenlos ausdehnen. Krebszellen sind ein guter Ausdruck für Maßlosigkeit. Oder sexuelle Übergriffe. Beides ist auch ein Ausdruck für die Verbindung von Maßlosigkeit und Zerstörung (Destruktivität). Alle totalitären Staaten oder Systeme sind maßlos und zerstörerisch. Sie kennen kein Halten. Sie können sich selbst nicht halten. (Krebs!)

Die Anerkennung meines Lebens-Maßes bedeutet anzuerkennen, dass mein Leben aufgespannt ist: zwischen einem „Anfang“ und einem „Ende“. Und dass nicht alles in so ein kurzes Leben hinein passt. Und dass ich auch selber Grenzen habe – dass ich nicht alles kann, nicht alles weiß. Die Anerkennung eines Maßes, meines Maßes, macht depressive Gefühle. Wer diese nicht aushält, der muss bei der verbreiteten „alles ist möglich“ Haltung bleiben und verbittert im Angesicht der vielen „Un-Möglichkeiten“. Oder holt sich das, von dem er meint, es stünde ihm zu, mit Gewalt!

Entscheidend ist der Satz: „wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“ Für denjenigen, der sich selbst das Maß aller Dinge ist, ist dieser Satz unerträglich. „Es gibt niemand, der mir etwas ausgeteilt hat“, wird er sagen. „Ich teile aus. Ich hole mir, was ich brauche. Ich bestimme …“ Je verliebter jemand in sich selbst ist, in seine Intelligenz, in seine Schönheit, in seinen Reichtum, in sein Können, desto unerreichbarer ist er für Gott. Desto unerreichbarer ist er für den Gedanken: dies alles, was du hast und kannst – es ist nicht dein Verdienst. Es ist dir geschenkt. Theologisch ausgedrückt: du verdankst es der Gnade Gottes.

Erst wer sich darauf einlassen kann, kann akzeptieren, dass er Teil einer größeren Gemeinschaft, eines größeren Ganzen, gemeint Leben, ist. Davon handeln die folgenden Verse des Paulusbriefes, auf die ich aus Zeitgründen nicht mehr eingehe. Es ist das wunderschöne Bild von der Gemeinde als ein Leib mit vielen Gliedern. Wenn jedes Glied da sein darf, wo es hingehört und in seiner Arbeit da geschätzt wird, wo es ist und wirkt, und sich weder über die Anderen stellt, noch sich kleiner macht, als es ist … dann ist der Leib, dann ist der gesamte Organismus gesund. Die Probleme entstehen erst, wenn sich einzelne Glieder anmaßen, das Ganze zu sein.

Dann fällt der lebendige Organismus aus seinem natürlichen Gleichgewicht heraus.

Gebe Gott, dass wir in diesem noch jungen Jahr unsere eigene Lebendigkeit spüren. Die niemals mehr sein kann, als ein Teil eines größeren, unbekannten Ganzen.

Gebe Gott, dass wir uns mit dieser Lebendigkeit verbinden, in der wir den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit in uns aufnehmen und aus uns herausgeben.

Gebe Gott, dass wir in unserer Lebendigkeit seinen Heiligen Geist ein- und ausatmen, was auch immer das Neue Jahr uns bringen wird, AMEN.

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