Predigt über Hiob 19, 19-27 am Sonntag Judica 2021
Liebe Gemeinde,
bereits in seinem Namen ist enthalten, worum es im Buch Hiob geht:
„Hiw“ heißt anfeinden – Hiob bedeutet: „Der Angefeindete“, „Der Widersacher“.
In dem alttestamentlichen Buch „Hiob“, dem unser heutiger Predigttext entstammt, geht es um eine ganz besondere Feindschaft: um die zwischen einem frommen, gottesfürchtigen Menschen – und Gott selbst.
Es geht um die Feindschaft – es geht nicht um Hiob.
Hiob ist für Gott nur ein Werkzeug: Er benötigt ihn, um eine Wette zu gewinnen, die er mit dem Teufel eingegangen ist.
Der Teufel hatte behauptet, dass Gottes Vorzeige-Sohn Hiob nur deshalb so fromm und rechtschaffen sei, weil sein Leben von Gott gesegnet ist. Er hat „sieben Söhne und drei Töchter, siebentausend Schafe und dreitausend Kamele, fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde …“ Mit anderen Worten: Wenn jemand so ein Leben führt, dann ist es ja wohl keine Kunst, „das Böse zu meiden“. Aber – so der teuflische Verführer weiter, „nimm ihn seinen Besitz und taste alles an, was er hat: Ich wette mit dir, er wird dir ins Angesicht fluchen!“
Und Gott lässt sich auf diese Wette ein: Der Teufel darf Hiob alles nehmen, was er hat, nur nicht sein Leben.
Und so geschieht es: Zuerst verliert Hiob seinen Besitz, dann seine Kinder, schließlich befällt ihn eine ekelerregende Krankheit in Form eines stinkenden Ausschlags.
Und Hiob wird stetig verzweifelter. „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren wurde und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt!“ Hiob wird suizidal: „Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß?“ „Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? Warum hat man mich auf den Schoß genommen? Warum bin ich an den Brüsten gesäugt?“
Es geht um Gefühle, liebe Gemeinde. Wer den Mut hat, in seine inneren Abgründe zu schauen, dem sind Hiobs Gedanken nicht fremd.
Bei all dem, das ich erleben musste: Wozu? Wozu bitte sehr soll das gut sein? Warum gerade ich? Warum gibt es mich überhaupt?
Es sind die Gefühle eines zutiefst missbrauchten Menschen.
Missbraucht heißt. Es ging nie wirklich um mich. Ich diente als Mittel.
Wer hat sich schon die Mühe gemacht, mich ernsthaft danach zu fragen, wie es mir geht? Was ich will – und was ich nicht will.
Wer ist da geblieben, hat mir weiter sein Ohr geliehen, wenn ich sagte: „Nicht besonders.“ So habe ich gelernt zu sagen: „Es geht gut!“ Das hat den Anderen entlastet. Und ich hatte meine Ruhe.
Wer hat von den sogenannten Freunden und Freundinnen hat mich nicht mit billigem Trost abgespeist? „Wird schon wieder!“ haben sie gesagt. Oder: „Nach jedem Regen kommt wieder ein Sonnenschein!“ Oder: „Schau dir andere Menschen an: denen geht es noch viel schlechter als dir!“ Keinen Trost habe ich erfahren – stattdessen billige Vertröstungen. „Wie lange plagt ihr meine Seele und peinigt mich mit Worten?“ (19,2) frägt Hiob. „So merkt doch endlich, dass Gott mir Unrecht getan hat und mich mit seinem Jagdnetz umgeben hat!“ (19,6)
Hiob kann seine „Freunde“ nicht erreichen. Was er als „seine eigene Wahrheit“ erlebt, können und oder wollen seine Freunde nicht begreifen. Sie beharren auf dem Standpunkt: Gott straft den Unfrommen, den Frevler – und nicht den Gerechten. Irgendetwas wird Hiob schon getan haben, dass er das erleiden muss, was er erleiden muss.
Es gibt eine verzweifelte Einsamkeit, die dazu führt, andere Menschen zu nötigen. „Du musst dich von mir erreichen lassen!“ „Du musst die Welt mit meinen Augen sehen!“ Hiob hat Recht – und sonst nichts. Sein Recht-Haben hilft nicht.
Wovon Hiob keine Ahnung hat, was auch seine Freunde nicht wissen können, das ist: Gott verwendet seinen „treuen“ Knecht als Spielball, als Joker, um seine Wette gegen den Teufel zu gewinnen.
Es geht Gott an keiner Stelle wirklich um seinen „frommen Knecht“ Hiob. Es geht ihm ausschließlich um seinen eigenen Triumph: den Teufel zu besiegen. Hierfür ist ihm jedes Mittel recht. Dieser Gott ist ein Spieler. Es ist ein kalter, abweisender, in sich selbst verliebter Macht-Gott, dem Einfühlung in den Anderen, Wärme und Barmherzigkeit fehlen. Hiob dient ihm ausschließlich als Marionette für seine Zwecke.
Mit anderen Worten: Es ist ein Gott, der sein Gott-sein ausschließlich für Machtausübung verwendet. Es ist ein armseliger Gott!
Innerhalb dieses Rahmens taucht nun folgende Passage auf, über die heute zu predigen ist:
„19 Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. 20 Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. 21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! 22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? 23 Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden als Inschrift, 24 mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! 25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. 26 Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust. 28 Wenn ihr sprecht: Wie wollen wir ihn verfolgen und eine Sache gegen ihn finden!, 29 so fürchtet euch selbst vor dem Schwert; denn das sind Missetaten, die das Schwert straft, damit ihr wisst, dass es ein Gericht gibt.“
Der entscheidende Satz lautet: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“
Paulus hat das so ausgelegt: „Die Leiden der gegenwärtigen Zeit stehen in keinem Verhältnis zu der zukünftigen Herrlichkeit, die sich an uns offenbaren wird.“ (Römer 8,18) Karl Marx hat dieses Denken „Opium fürs Volk genannt“ – die Vertröstung auf ein besseres Jenseits.
Grundlage dieses Denkens ist Konkretismus. Das heißt, es ist ein „Minus-spirituelles-Denken“. Es fehlt jegliche Symbolisierung. Gott ist ein Mensch, der mit dem Teufel eine Wette eingeht. Jesus ist ein Mensch, der nach seinem Tod wieder aufgestanden und in den Himmel gefahren ist. Dort sitzt er zur Rechten des Vaters. Wer meint, „so ist es wirklich“, der denkt konkretistisch. Kinder können gar nicht anders als konkretistisch denken. Und schwer in ihrer seelischen Entwicklung verletzte Kinder bleiben ihr Leben lang auch als Erwachsene in Konkretismen gefangen. Sie können mit Sätzen wie: „Menschsein heißt, aufgespannt zwischen Himmel und Erde zu leben“ nichts anfangen. Oder der Satz: „Das Reich Gottes ist zwischen Euch!“ wird entweder politisch auf ein Diesseits oder eschatologisch auf ein Jenseits reduziert.
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ Spiritualität verwandelt.
„Der Erlöser“ ist zu verwandeln in ein Geschehen, in „Erlösung“. Erlösung hat mit Lösung zu tun. Und Lösung hat mit loslassen zu tun.
Lernen loszulassen ist die entscheidende Fähigkeit, um erlösbar zu werden. Voraussetzung für dieses Lernen ist Selbsterkenntnis: Woran halte ich denn so hartnäckig fest.
Hiob klammert sich an sein Opfer-Sein. Er möchte nur eines: Dass die ganze Welt einsieht: Ihm ist Unrecht widerfahren. Und zwar von Gott selbst! Mit „eisernem Griffel und Blei“ soll dies „für immer in einen Felsen gehauen“ werden (V. 25b).
Damit schreibt Hiob sein Opfer-Sein endgültig fest.
„Du darfst nie vergessen …“, sagt das Opfer. Wie Gott besessen davon ist, seine Wette zu gewinnen, so ist Hiob besessen davon, die ganze Welt von seiner Unschuld zu überzeugen. Von seinem Opfer-sein kann er nicht loslassen. Und gerade dadurch bleibt er an den Täter gebunden. Die stärkste Bindung, die es zwischen Menschen gibt, ist Hass. Hass schweißt Täter und Opfer zusammen. Von daher gilt: Ohne Opfer kein Täter – ohne Täter kein Opfer. Und das einzige Lösungsmittel, das die Bindung lösen kann, ist Liebe. „Das notwendigste Werk ist die Liebe“, sagt Meister Eckhart. „Daran wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, dass ihr liebevoll miteinander umgeht“, sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh. 13,35). Alles andere ist sekundär!
Liebe Gemeinde,
was lernen wir aus diesem Text, aus diesen Gedanken?
Wir können ihn als Exerzitium in der Fastenzeit verwenden:
Woran halte ich mit eisernem Willen fest?
Finde ich bei mir eine hartnäckige Weigerung, mit etwas, das mir in meinem Leben widerfahren ist, einverstanden zu sein?
Wo nehme ich etwas persönlich, was gar nicht persönlich gemeint gewesen ist?
Was ist für mich unannehmbar?
Indem ich versuche, mir diese Fragen ehrlich zu beantworten, werde ich die auf die Triggerpunkte, auf die Verhärtungen meiner Seele stoßen.
Man erkennt sie daran, dass es weh tut.
Im übrigen: Gott will Hiob als Person nichts Böses antun. Es geht persönlich gar nicht um ihn. Gott braucht Hiob für seine Zwecke. Mit ihm will er die Wette gewinnen. Und Hiob braucht seine Freunde für seine Zwecke. Sie sollen einsehen, dass er unschuldig.
Solange ich den Anderen brauche, kann ich ihn nicht lieben.
Solange ich den Anderen brauche, nehme ich ihn als Mittel für mich wahr. Und sehe ihn nicht und kann ihn nicht sehen in seinem ganz eigenen, einzigartigen Auf-der-Welt-Sein.
Erlösung lebt und wirkt, indem ich aufhöre zu brauchen!
Damit öffnet sich die Welt des Seins; in ihr ist alles an seinem Ort.
Erlösung ist nichts anderes als die Freiheit, „es gut sein zu lassen“. Damit hat ein wettender und wetteifernder Gott keine Macht mehr.
„Es gut sein zu lassen“ ist unser menschlicher Beitrag zu unserer Erlösung.
Es gut sein lassen heißt, sich jenem Gott zu überlassen, dessen unerkennbare Wahrheit frei macht. Auf diesem Weg werde ich immer tiefer erleben: Es ist alles längst geschehen.
„Ich bin schon erkannt, ich bin schon bei meinem Namen gerufen, ich bin wirklich gemeint .“
Oder, mit Meister Eckhart:
„Die wichtigste Zeit ist stets der Augenblick.
Der wichtigste Mensch ist stets der, der dir gegenüber ist.
Und das notwendigste Werk ist zu lieben.“ (Meister Eckhart) AMEN
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