Predigt über Hebräer 5, 7-9 am Sonntag Judika 2016
Predigt über Hebr. 5,7-9 am Sonntag Judika 2016 in der Thomaskirche (Grünwald)
Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.
Liebe Gemeinde,
„Judika!“ – „Gott, schaffe mir Recht!“
Das ist das Motto dieses Sonntags.
Gott schaffe mir Recht, das ist etwas Anderes als: „ich schaffe mir Recht.“
Und es ist etwas ganz Anderes als „Ich habe Recht!“ – oder „Du hast Recht!“
Letzteres ergibt keinen Sinn. Es ist Non-Sense. Wie kann ich oder jemand anders Recht haben? Wie soll das gehen? Bin ich dann der Besitzer des Rechtes?
Recht ist immer ein Geschehen zwischen mehreren, wenigstens zwei Menschen. Recht ist in seinem Wesen etwas Drittes, Hinzukommendes. Es entsteht über Vereinbarungen, die geschlossen werden.
In der Natur kommt Recht nicht vor. Das „Recht des Stärkeren“ ist kein Recht – es ist die Macht des Stärkeren.
„Recht“ konnotiert mit „richtig“, mit „gerade“ (siehe rechter Winkel), mit „ordentlich“ (so ist es „recht“ – so ist es in Ordnung). Auch mit „richten“ im Sinne von Rechtsprechen und nicht zuletzt mit „aufrichtig“ im Sinne von ehrlich, wahrhaftig. (Nebenbei: sind die bei uns in Westeuropa verbreiteten Rückenschmerzen die Rückmeldungen des Körpers für „Un-Aufrichtigkeit“?)
„Gott, schaffe mir Recht!“ Der Beter, der dies gebetet hat, wähnte sich im Recht. Er empfand es als Unrecht, was ihm, was seinem Volk widerfahren war. „Gott, schaffe mir Recht, streite meinen Streit gegen ein unheiliges Volk, befreie mich von dem Mann der Bosheit und der Lüge…“ (Psalm 7,9)
Ich vermute, dass viele Menschen in unserer Gegenwart diese Sätze genauso sprechen können, vielleicht gerade so sprechen. Die Zivilisten in Syrien, die so gar nichts dafür können, dass ihre Häuser zerbombt werden.
Die Menschen in der Ukraine …
Die Frauen, die sexuell belästigt werden …
Gott schaffe mir Recht heißt, dass ich mich ungerecht behandelt fühle. Und dass ich selbst keine Möglichkeit sehe, an diesem Unrecht etwas zu ändern.
Ich trete mein Recht an Gott ab, lege es in seine Hand. Gott hat das letzte Wort.
Er allein ist Richter. Und wie richtet er? Er richtet auf, indem er dient:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen …“ Er diente und „gab sein Leben zu einer Erlösung für Viele.“ Dies ist der Wochenspruch für diese Woche. Gott verwendet Recht nicht für Bestrafung, er stellt es in den Dienst. Und zwar so, dass er für unsere „Erlösung“ sich selbst aufgibt, sich selbst opfert.
Auch unser „Grundgesetz“ steht im Dienst für unsere Gemeinschaft, für eine demokratische Gemeinschaft, in der jeder wertgeschätzt wird. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. “ Damit beginnt unser Grundgesetz. Der Staat ist ein Diener der Menschenwürde – und nicht umgekehrt!
Unser Wochenspruch geht freilich noch einen Schritt weiter: hier wird der Dienst mit dem Sich-Opfern verbunden. „Er gab sein Leben zur Erlösung …“ Indem Gott uns so diente, schuf er uns Recht. Aber was heißt das?
Hier kommt unser Predigttext – ein kurzer Abschnitt aus dem Hebräerbrief – ins Spiel. In ihm verbindet sich das „Dienen“ mit dem „Gehorsam gegenüber Gott“. Einem Gehorsam, der im radikalsten Fall das eigene Leben kosten kann.
„7 Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Gebete und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch wegen seiner Gottesfurcht erhört worden.
8 Und er lernte, obschon der Sohn seiend, an dem was er erlitt Gehorsam, 9 und als er vollendet war, ist er allen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heils geworden.“
Indem wir uns auf diese Texte einlassen, lassen wir uns auf einen Gott ein, der alles Andere als allmächtig ist. „Mit lautem Schreien und mit Tränen…“ Das ist sehr menschlich und wenig abgeklärt, wenig souverän. Dieses Schreien und diese Tränen änderten freilich nichts an Jesu „Gottesfurcht“. Es geht nicht um Angst vor Gott, sondern um Ehrfurcht. Um Respekt. Darum, dass etwas nicht selbstverständlich ist. Höher als die eigene Verzweiflung, die eigenen Schmerzen steht die Gottesfurcht.
Der Gegenbegriff zu Gottesfurcht ist Achtlosigkeit. Gedankenlos. Nicht wahrnehmend. Für mich ist Gottesfurcht die Fähigkeit, mich dem, was gerade ist, zu überlassen. Gottesfurcht benötigt „innere Sicherheit“. Aus der heraus ich das Leben, die Wirklichkeit auf mich zukommen lassen kann. Das Leben in seiner Gänze: in seiner Schönheit wie in seiner Hässlichkeit, in seiner Freude wie in seiner Trauer. In dieser Gottesfurcht lernte Jesus:
„Und er lernte – obschon der Sohn seiend – an dem, was er erlitt, Gehorsam.“
In Gehorsam steckt „Hören“: „er lernte an dem, was er erlitt zu hören.“ Lernen geht leider nicht ohne Schmerzen. Nicht ohne Leiden. Insbesondere das Lernen, das mit eigener Veränderung, mit eigener Entwicklung zu tun hat. Das verbreitete stark überbewertete kognitive Lernen – was im Zentrum unserer Schulen steht: die Aneignung von Wissen – ist demgegenüber einfach, ja simpel. (Ich spreche aus Erfahrung: was wusste ich alles als Doktor der Theologie und wie wenig Ahnung hatte ich vom Leben.)
Die Fähigkeit Leben zu lernen, Entwicklung zu lernen hat mit der Fähigkeit zu leiden zu tun. Oft ist das Leiden eingemauert, um es nicht spüren zu müssen. Die erwünschte Veränderung soll ohne Schmerzen, ohne Leiden geschehen. Das ist leider eine Täuschung. Der Motor für alle Veränderung ist das Leiden: das gilt im Großen, im politischen Rahmen ebenso wie im kleinen, privaten Leben.
„Er lernte in dem, was er erlitt Gehorsam!“ Gehorsam ist das Hören auf eine innere Stimme, die ebenso leise wie eindeutig ist. Glücklich, wer diese Stimme in sich gefunden hat – mit ihr verbunden, weiß er, was er zu tun, was er zu lassen hat.
An anderer Stelle sagt der Hebräerbrief: „Christus war treu als Sohn über Gottes Haus“ (Hebr. 3,6)
Es geht um Verführung. Und um Treue.
In Treue steckt Vertrauen.
Vertrauen ist die stärkste Quelle für Sicherheit.
Stärker als Garantie.
Es gibt nämlich keine Garantie.
Für nichts.
Außer für das eigene Sterben.
Auch unser beliebtes „Selbst-Vertrauen“ ist gegenüber dem Vertrauen, das hier gemeint ist, schwach. Schwach und einsam.
Es geht um Gott-Vertrauen. Es geht um das Vertrauen in die Beziehung zu dem Gott, der auf der Seite meines ganz Eigenen steht. Wo ich spüre: das bin ich, und das werde ich tun. In radikaler Freiheit für meinen Gott. Dieses Vertrauen allein schenkt Sicherheit. Dieses Vertrauen ist drückt sich aus in dem Hören auf die innere Stimme, die nicht verführbar ist. Sie ist die Stimme meines „eigenen Eigenen“ in der Tiefe. Obwohl in mir, ist sie nicht von mir (ausgedacht). Sie wirkt in mir – die Kunst ist es, sie zu hören. Erkennen kann ich sie daran, dass sie leise ist, behutsam, achtsam, aber auch nüchtern, und sehr sicher. Sie ist nicht triumphal, nicht euphorisch, aber auch nicht niedergedrückt unterwürfig.
Der Verführer denkt in kurzer Lust. Für ihn ist Gehorsam un-lustig. Er will die schnelle Triebbefriedigung. Sei es der Trieb nach Ansehen und Status, sei es der Trieb nach nach den sinnlichen Dingen: schnelle Autos, Sex, Wellness, Anti-Aging. Oder nach Schnäppchen! Jetzt, wo das Benzin billig ist, kauf‘ ich mir einen SUV. War da nicht was mit Umwelt? Und ökologischer Verantwortung? Vergiss es! Sollen erst mal die Anderen.
Der Verführer sagt: „Man gönnt sich ja sonst nichts!“ „Sei doch nicht blöd!“ Oder: „Geiz ist geil!“ „Da ist doch nichts dabei.“ „Das machen die Anderen doch auch!“
Liebe Gemeinde,
der Mensch, den wir als Gottes Sohn bekennen, Jesus, hat seine Treue zu seinem Gott mit der Todesstrafe bezahlt. Er wurde als Verbrecher hingerichtet.
Wir glauben an einen Gottessohn, der von dem religiösen Establishment seiner Zeit als Verbrecher mit dem Tode bestraft worden ist. Das Establishment aller Zeiten ist konservativ und extrem misstrauisch gegen die „Er-Neuerer“! Das hatte auch ein Martin Luther zu spüren bekommen. Oder ein Solschenizyn. Oder ein Oscar Romero, Erzbischof von Salvador von 1977 bis 1980.
Er war ein Mann des Establishments, romtreu und konservativ. Er kam nach El Salvador, um mit den „Progressiven“ aufzuräumen. Das war sein Auftrag.
Doch es kam anders. Romero wurde Zeuge, wie ein Jesuitenpater, ein alter Bauer und ein Ministrant erschossen wurden. Danach überfielen Soldaten das Dorf des ermordeten Priesters und schändeten die Kirche. Sie verwehrten Romero den Zutritt, als er die geweihten Hostien retten wollte. Dieses Ereignis bezeichnete er später als seine „Bekehrung“: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apg 5,29)
Und so wurde Romero ein „Prophet des Gehorsams“. Nach 60 Lebensjahren entfaltete sich plötzlich das wahrhaftige (göttliche?) Selbst in diesem Manne: sein Leitungsstil veränderte sich: er begann wichtige Entscheidungen mit seinen Mitarbeitern zu besprechen anstatt einsam zu entscheiden. Er sah das Leiden seines Volkes und wurde sehr mutig. „Christen müssen kühne Menschen sein“, sagte er.
In den drei Jahren, in denen er Primas von El Salvador war, brauchte man Sonntags nicht in die Kirche zu gehen. Wenn er predigte, lief jeder Radioapparat im Lande auf höchster Lautstärke – bis der Kirchensender in die Luft gesprengt wurde. Romero entwickelte großes Vertrauen in die Fähigkeit seines Volkes, Schöpfer seiner eigenen Gesellschaft zu sein und forderte die Gläubigen auf, selbst aktiv zu werden und nicht darauf zu warten, was der Bischof am Sonntag sagt. …
Die reiche Oligarchie, die er ständig angriff, versuchte ihn als „Psychopathen“ abzustempeln. Papst Johannes Paul II. distanzierte sich von ihm, als er revolutionäre Gewalt gegen langandauernde und eindeutige Tyrannei erlaubte.
Schließlich rief Romero die Angehörigen der Armee öffentlich auf, den Befehl zu verweigern und Schluss zu machen mit der Unterdrückung des eigenen Volkes. Kurz vor seinem Tod sagte er: „Als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung … Als Hirte bin ich durch Gottes Auftrag verpflichtet mein Leben für die zu geben, die ich liebe, das sind die Salvadorianer, auch jene, die darauf aus sind, mich umzubringen … Ein Bischof mag sterben, doch die Kirche Gottes, das ist das Volk Gottes, wird niemals zugrunde gehen….“
Am 24. März 1980 wurde Romero in einem Gottesdienst erschossen. Er hatte über das Johanneswort: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ gepredigt.
Bei uns geht es nicht um Leben und Tod.
Nur um einen ganz gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst. Und wenn der vorbei ist, geht es wieder hinaus ins Leben, in unseren Alltag.
Und heute Abend hören wir die Ergebnisse von drei Landtagswahlen. Und müssen ertragen, dass auch bei uns Mächte stark geworden sind, die unsere Demokratie, unser Grundgesetz massiv angreifen. Es gut, sich nicht der Empörung im außen hinzugeben, sondern sich selbstkritisch zu fragen: wie sieht es eigentlich mit meinem eigenen Establishment in meinem Inneren aus? Von wem werde ich, wird mein Leben regiert? Wo sind meine eigenen fundamentalistischen Strömungen? Wie viel Demokratie halte ich in meinem Inneren überhaupt aus? Sind auch die Minderheiten in meinem Inneren geschützt, oder werden sie ignoriert? Wie ehrlich bin ich zu mir selbst? Oder wie sehr lasse ich mich von diffusen Mächten treiben, die ich gar nicht so genau kenne? Und vielleicht auch nicht kennen lernen möchte?
Gebe Gott, dass in der Mitte unserer Lebens sich die gewaltlose Macht des Dienens ausbreite. Des Dienens für ein Leben, das regiert wird von dem Glauben an eine Gemeinschaft, in der jeder, der guten Willens ist, einen sicheren Platz hat – unabhängig von Status, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität. Gebe Gott, dass unsere Sucht, möglichst weit vorne zu sein, (neben Jesus im Reich Gottes sitzen zu dürfen) eingegrenzt wird von unserer Freude, zusammen zu sein.
Und so behüte uns der Gott der Klarheit, der Nüchternheit, der Wahrhaftigkeit und der Barmherzigkeit. Und der Wachsamkeit für meine eigenen Gedanken und Taten.
Oder mit Teresa von Avila: solo dios basta – „Gott allein genügt.“ AMEN.
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