Predigtgedanken zu Johannes 1, 1-5
Predigtgedanken am 2. Sonntag nach Weihnachten 2015
zu Joh. 1, 1-5
Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die liebende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN,
IM ANFANG WAR DAS WORT
UND DAS WORT WAR BEI GOTT
UND GOTT WAR DAS WORT
DASSELBE WAR IM ANFANG BEI GOTT
ALLE DINGE SIND DURCH DASSELBE GEMACHT UND OHNE DASSELBE IST NICHTS GEMACHT WAS GEMACHT IST
IN IHM WAR DAS LEBEN UND DAS LEBEN WAR DAS LICHT DER MENSCHEN
UND DAS LICHT SCHEINT IN DER FINSTERNIS UND DIE FINSTERNIS NAHM ES NICHT AN.
Die Tiefe des Prologs des Johannesevangeliums ist nicht auslotbar. Der Heilige Augustinus schlug vor, diese ersten fünf Verse in goldenen Buchstaben in allen Kirchen über dem Eingang für alle Menschen gut sichtbar zu schreiben.
Sie hören im folgenden einige Gedanken zu diesen Sätzen – mehr nicht.
„Im Anfang war das Wort“ – nicht am Anfang. Das entspricht dem:
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Nicht am Anfang.
Das bedeutet, dass der Anfang kein Zustand ist, der einen Anfang und ein Ende hat. Im Anfang, das gleicht der Welle, die sich erhebt, die doch nichts anderes ist wie das Meer selbst. Wie unser Leben, das auch nichts weiter ist wie eine kleine Welle im Ozean der Ewigkeit. Es entsteht, es hebt sich heraus, es wird wirklich, konkret, es gestaltet sich … es entsteht ein „Ich“, ein „mein Leben“ … und es lässt los, fällt wieder zurück, verschwindet wieder in der Unendlichkeit.
Auch einen Tag unseres Lebens können wir so betrachten – oder den Verlauf dieses Gottesdienstes: es verdichtet sich etwas, nimmt Gestalt an und verschwindet, verklingt wieder.
Im Anfang – war das Wort. Wort meint hier nicht die Bezeichnung eines Dinges: wie Ball oder Kerze. Es geht um eine vage Ahnung, um den Vorläufer einer Idee …
„Und das Wort war bei Gott“ – so, wie die Ahnung, das Aufkommen einer Idee bei ihrem Schöpfer ist. Der Maler, der ein Bild malt, der Komponist, der eine Melodie komponiert, der Architekt, der ein Haus entwirft, der Naturwissenchaftler, der über ein Phänomen nachdenkt: er erlebt „im Anfang“ seine Idee zunächst einmal in seinem Inneren. In diesem Sinne ist das Wort bei Gott. Es ist ein erstes Dazwischen – zwischen der Idee des Künstlers und dem Künstler selbst. Es ist eine erste „Ent-äußerung“ im Inneren des Künstlers. Doch – solange es im Außen noch nicht gestaltet ist, bleibt es unerkennbar eins mit dem Künstler – und so heißt es:
„Und Gott war das Wort!“
„Dasselbe war im Anfang bei Gott.“
Die erste Sellbst-Unterscheidung Gottes geschieht in der Dunkelheit Gottes selbst. Unerkennbar von außen. Nur im Inneren Gottes ist etwas geschehen: aus dem All-Einen, ewig Gleich-Gestalten ist eine erste Verschiedenheit geworden: die Ahnung einer Zweiheit. Diese Ahnung aber geschieht im Dunkel der Nacht, wie Johannes vom Kreuz nicht müde wird, uns zu sagen.
Dieses dunkle Geschehen führt zu (An-)Spannung. Auch wenn das „Wort“ Gott selbst war, so ist es auch etwas Anderes. Wenigstens soviel Anderes, dass es als „Wort“ benannt und von Gott unterschieden wird. (Für die Intellektuellen unter uns: Es ist seit alters Blasphemie zu behaupten, neben Gott gibt es etwas Nicht-Göttliches. Das ist die Blasphemie des Atheismus. Ebenfalls ist es Blasphemie zu behaupten, Gott sei alles in allem. Das ist die Blasphemie des Pantheismus.)
Der Prolog des Johannesevangelium ist der schmale Grad zwischen diesen Abgründen von Atheismus und Pantheismus.
Durch „unterscheiden“ formt sich etwas. Im Hebräischen steht für „formen“ und „leiden“ dasselbe Wort. Im Wort beginnt sich Gott zu formen. Und in diesem Formen entsteht Leiden. Die prägnanteste Formung Gottes geschieht in seinem Sohne. In ihm geschieht auch größtes Leiden.
Es geht nicht anders.
In der Formung findet Rückzug statt. Nur das Ungeformte ist Alles in Allem. Überall gleich. Das Geformte ist differenziert. Die Formung geschieht und entsteht durch das Nicht: indem der Steinmetz von dem Klotz – der „Materie“ – etwas entfernt, entsteht Form, entsteht ein Moses (des Michelangelo). Indem sich die Ahnung, die Idee des Künstlers in den Stein einprägt, wird der Stein ge-nichtet und so ge-richtet.
„Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“
Alle Dinge, alles, was gemacht ist, ist irgendwie geformt. Es hat einen Prozess des Leidens durchlebt. Dass wir hier miteinander reden können, hat damit zu tun, dass wir gelernt haben, die Luft in unserer Kehle beim Ausatmen zu formen. Besser: wir formen unseren Mund und unsere Kehle so, dass aus unserer Atemlouft verständliche – geformte – Laute entstehen. In Hebräischen heißt „Kehle“ übrigens auch „Seele“.
Ohne Form ist alles gleich: formlos. Formung entsteht und geschieht im Ertragen des Nicht. Das Nicht in der Musik ist das Verklingen des Tones. Sein Vergehen. Ohne sein Verklingen, ohne seine Vergänglichkeit entstünde keine Melodie. (Es gibt in der Musik keine „Pausen“: „Pause“ bedeutet: Innehalten – Zeit für Verklingen -…)
Die Zerstörung der Form ist die Zerstörung der Vergänglichkeit. Ist die Zerstörung der Zeit. Zerstörte Zeit hört sich so an:
Töne der Melodie „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ gleichzeitig anspielen
Die Form der Melodie entsteht: jeder Ton erklingt und zieht sich wieder zurück –
und macht in seinem Rückzug einem neuen Ton Platz – nun aber so, dass sich der neue Ton auf den vorhergehenden, der alte Ton auf den neuen bezieht.
Die Stärke der Form ist die Stärke der guten Verbindungen der einzelnen Töne zueinander.
In diesen guten Verbindungen entsteht das, was wir dann „Schönheit“ nennen. In „Unförmigkeit“ ist auch „Schönheit“ zerstört.
So bildet die Musik ganz besonders dieses „Im Anfang“-Geschehen ab –
wie eine Melodie entsteht,
wir hören Verbindungen, beziehen Töne aufeinander …
Und indem wir hören verklingt die Melodie auch schon wieder.
Musik ist Sinnbild der Flüchtigkeit unseres Lebens. Gerade aus ihrer Flüchtigkeit und Vergänglichkeit herausentspringt ihre Schönheit.
Die Melodie „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ spielen
Die Stärke der Form hat also mit Ordnung zu tun. Und mit Bescheidenheit. Indem jeder Ton seinen ihm zugewiesenen Platz einnimmt, fügt er sich in das Ganze ein. Den zugewiesenen Platz einnehmen bedeutet, für das Erklingen genauso bereit sein wie für das Verklingen.
Dies gilt auch für unser Leben.
Durch den Rückzug Gottes entsteht Raum für seine Gestalt: das ist sein Wort.
In seinem Sohn ist Gott erklungen und verklungen.
In seinem Sohn erklingt Gott alltäglich. Und verklingt.
„In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen
und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis nahm es nicht an.“
Das ist das Beruhigende. Die Finsternis kann das Licht nicht annehmen. Sie kann es nicht verstehen. Sie kann es freilich auch nicht zerstören.
„Das Licht der Menschen“ – das ist die Wahrheit. Sie allein leuchtet aus sich heraus. Sie allein bedarf keines Denkers, sie muss nicht erkannt werden.
Ihre einzige Qualität ist es – zu sein!
Wir Menschen haben die Freiheit, uns der Wahrheit zuzuwenden oder uns von ihr abzuwenden. Indem wir uns ihr zuwenden, geht uns ein Licht auf. Etwas wird „evident“ – leuchtet aus sich heraus.
Indem wir uns von ihr abwenden, wird es finster in uns.
Und um uns herum. Um die Finsternis nicht spüren zu müssen, sind wir verführbar für Blendungen. Die unsere selbstgemachten Scheinwerfer bringen kein Licht ins Dunkle. Das Dunkle zieht sich vor ihnen zurück.
Das Problem ist, dass bei vielen Menschen die Wahrheit mit falscher Moral vergiftet ist. Dass sie wahre Sätze nicht in ihrer Wahrheit hören können, sondern als Vorwurf und Anklage gegen sie. Wenn mich das Hören der Wahrheit über mich und mein leben beschämt, kann ich die Wahrheit nicht in mich hinein lassen. Dann verschließe ich, um mich zu schützen.
Die Wahrheit beginnt zu leuchten, indem sich die beiden Pole Gottes, seines Wortes, miteinander verbinden: der eine Pol ist seine Klarheit und seine Strenge, der andere ist seine Barmherzigkeit und seine Milde.
Das Wort als Form bringt die Strenge, das Gerichtet-Sein, das Gericht in Gott. Verbindet sich das Gerichtete liebevoll mit dem zu Richtenden, so entsteht Leben.
Es wird hell. So wird aus dem Gerichtet-Sein ein Aufgerichtet-Sein. So heißt es bei Paulus: „Gott war in Christus … und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Kor. 5,19)
Das ist das Licht, das wir Christen in die Finsternis dieser Welt tragen dürfen: „Das Wort von der Versöhnung in Jesus Christus“!
Dieses Wort wohnte von Anfang an bei Gott, dieses Wort „ward Fleisch und wohnte unter uns“, dieses Wort kann von der Finsternis nicht auslöscht werden!
Dieses Wort muss sich nicht in der Weise ausdrücken, wie wir es gewohnt sind: als Sprache.
„Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“, hat L. v. Beethoven gesagt. Es gibt Menschen – und vielleicht gehörte Beethoven dazu – in deren Innerem Sprache verkümmert ist. Solche Menschen konnten nicht lernen, ihr Erleben, ihre Gefühle in Sprache zu fassen. Sie haben Sprache kennengelernt als Handlungsanweisung „Mach‘ …“. Oder als Ausdruck von Aggression: sei es als chronisches Sich-lustig-machen, sei es als be- und verurteilen: den Anderen oder sich selbst Nieder-machen. Oder als neutral-sachliche, sogenannte „wissenschaftliche“ Beschreibung von Sachverhalten.
Was fehlt ist die Möglichkeit, in und mit Sprache Erlebtes und Gefühltes auszudrücken. Gute Sprache trägt und erträgt die Emotionen des Sprechers. (Im „Stottern“ ist Sprache gefährdet, unter der Last der Emotionen zusammenzubrechen.)
Als Rückzugsraum und Schutzraum für den Ausdruck von Gefühlen bleibt dann etwas Nicht-Sprachliches: z.B. die Musik.
„Die Musik ist die beste Gottesgabe. Durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt. Musik ist der beste Trost für einen verstörten Menschen, auch wenn er nur ein wenig zu singen vermag. Sie ist eine Lehrmeisterin, die die Leute gelinder, sanftmütiger und vernünftiger macht.“ (Martin Luther)
Martin Luther litt unter einem harten, sadistischen Vater und einer wenig spürbaren, offenbar sehr zurückgezogenen Mutter. Und derselbe M. Luther, der die Bibel in ein so klingendes und berührendes Deutsch übersetzt hat, sagt: „Die Musik ist die beste Gottesgabe … der beste Trost für einen verstörten Menschen …“ nicht: das Sprechen von Bibelzitaten o.ä. …
Und der Ursprung der Musik verweist auf die Dunkelheit unseres Herkommens. Bereits im Mutterleib, wo noch alles dunkel ist, haben wir mit ungefähr fünf bis sechs Monaten zu hören begonnen. Das Gehör ist das früheste vollständig entwickelte Sinnesorgan. Und was haben wir da wohl gehört? Den sicheren, gleichmäßigen Rhythmus des Herzschlag des Mutter. Das Gurgeln und Plätschern der Darmgeräusche der Mutter. Und – wie von ferne – andere Geräusche, die „draußen“ waren. Natürlich hatten wir zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von „drinnen“ und „draußen“!
Unser Hören jedenfalls begann im Dunkeln – und so passt es gut zu der dunklen Weih-Nacht, AMEN.
Predigtgedanken zu Johannes 1, 1-5 Read More »