Predigt über Johannes 3, 31- 36 für den 1. Weihnachtstag 2018
Liebe Gemeinde,
„am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“
Damit begann unser heutiger Gottesdienst.
Damit beginnt das Evangelium nach Johannes.
Keine Krippe, keine Engel, keine Hirten.
„Der von oben her kommt, ist über allen.“
Damit beginnt unser heutiger weihnachtlicher Predigttext, ebenfalls aus dem Johannesevangelium.
Das klingt „hochnäsig“!
Da steht jemand „über den Dingen!“
„Das lasse ich doch gar nicht an mich ran kommen!“
„Auf solche Niederungen, wie Gefühle, lasse ich mich doch gar nicht ein!“
Diese Haltung beschreibt nicht das im Johannesevangelium gemeinte „Wort“. Es beschreibt eine unter uns Menschen verbreitete Haltung, der man das Adjektiv „arrogant“ geben könnte. Sie ist verbreitet bei Menschen, die in der Tiefe ihrer Seele schwer verletzt worden sind. Die Miteinander-in-Beziehung-Sein, gar vom Anderen etwas zu brauchen, als demütigend erleben. „Arroganz“ kommt aus dem Lateinischen: „ad-rogare“ – „etwas Fremdes für sich beanspruchen.“ In der Arroganz wird alles als Eigenes ausgegeben und so das Fremde (der Andere) vernichtet.
Es gibt keine Möglichkeit, den Anderen gerade in seinem Anders-Sein anzuerkennen.
„Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken, und verleihe mir, o Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen“ betet Theresa von Avila.
Dem „von oben herab“ lebenden Menschen ist dies unmöglich. Er kann sich und dem Anderen auch nicht eingestehen, was er alles anderen Menschen verdankt. Es gibt auch keine Möglichkeit zu sagen: „Das weiß ich nicht.“ Oder gar: „Da habe ich mich getäuscht.“
„Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann.“ Auch eine Fürbitte der Heiligen Theresa.
Der Arrogante weiß immer schon alles und ist unfehlbar. Es gibt Patienten, wenn ich ihnen etwas sage, was ich für wesentlich halte, schweigen sie, so dass unklar bleibt, ob sie etwas damit anfangen können. Etwas später und an anderer Stelle sagen sie dasselbe, nur jetzt so, dass es so klingt, als wäre es ihre eigene Erkenntnis.
Das ursprünglich Fremde wird so als ihr eigenes ausgegeben.
(So sind auch Plagiate Ausdruck von Arroganz.)
Arrogantes Denken ist ein Denken in extremen Bewertungen und Beurteilungen: die Welt zerfällt in „zu bewundern“ und „abzulehnen“, stärker noch: „auszuscheiden“. Lateinisch: zu „exkommunizieren“. Oder gar auch: zu „liquidieren“.
„Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, ist über allen.“
„Da stehe ich drüber“, sagt der Überhebliche. Oder: „So was kratzt mich doch nicht.“
Als Adams Kinder aber sind wir Menschen von der Erde. Geschaffen aus Ton.
„Ich bin tausend Stufen hinabgestiegen, bis ich an den Punkt kam, an dem ich den Erdenkloß, der ich bin, sehen und berühren konnte,“ sagt der Psychoanalytiker C.G. Jung.
In diese Paradoxie hinein sind wir aufgespannt. Unser Leben findet „dazwischen“ statt: „zwischen Himmel und Erde.“ Wer die „Bodenhaftung“ verliert, droht im Weltall verloren zu gehen. Verschollen in den unendlichen Weiten des Weltalls.
Wer in sich selbst gekrümmt in seinem Schlammloch sitzt, droht in seinem eigenen Sumpf zu versinken, darin zu ersticken.
Es geht um die Energie, die von dem Wort, das da Fleisch wurde und alltäglich Fleisch wird, ausgeht. Verwende ich es für meine eigene Arroganz? Oder verwende ich es als Hilfe dafür, in der Spannung des „Dazwischen“, in der mein Leben aufgespannt ist, zu leben. Kippe ich zwischen den beiden Polen hin und her – oder verwende ich es als Kraft, die Widersprüche meines Lebens zu ertragen.
Weder arrogant abzuheben noch depressiv zu versinken.
„Was er gesehen und gehört hat, das bezeugt er; und sein Zeugnis nimmt niemand an.“
Der Eine, der „Hochnäsige“, fühlt sich viel zu überlegen, um irgend etwas anzunehmen. Annehmen im Sinne von: an mich heran lassen. Alles, was er an sich heran lässt, wird sofort zu seinem Eigenen. Alles wird bemächtigt.
Und wenn er mit etwas gescheitert ist, dann sagt er: „Ich muss mich neu erfinden.“
Der Andere, der „In sich selbst Gekrümmte“ fühlt sich viel zu „klein und schwach“, um irgend etwas an sich heran zu lassen. Dessen bin ich nicht wert, sagt er.
Die beiden sind Brüder. Sie sind nur verschiedene Seiten derselben Medaille. Sie können nichts annehmen, nichts in sich hinein lassen. Wer aber nichts nehmen kann, der kann auch nichts geben. Sie sind „erstarrt“. Unersättlich auf der Suche nach „mehr“.
„Nicht Viel-Wissen sättigt die Seele und gewährt ihr Frieden (wörtlich: Befriedigung), sondern das das Verkosten der Dinge von innen her“, sagt Ignatius von Loyola.
„Wer aber sein Zeugnis annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist.“
„Besiegeln“ ist ein altes Wort: es bedeutet, als jemandes Eigentum zu markieren. Man sagt noch: darauf gebe ich dir „Brief und Siegel“: der „Siegel“ – ein Abdruck aus Wachs – bestätigt, dass der Brief echt ist. Es ist eine Art definitive „Beglaubigung“.
Der Satz heißt also: wer das Zeugnis des Wortes von innen her verkostet, der gibt Brief und Siegel darauf, dass Gott wahrhaftig ist. „Von innen her verkosten“ heißt: nicht nur an sich ran lassen, sondern in sich hinein lassen.
Der Arrogante ist ein emotionaler Anorektiker.
Er verwendet Nahrung nicht für Wachstum sondern dafür, sich und der Welt zu beweisen, dass er „darüber steht“ – dass er keine Nahrung braucht.
„Von innen her verkosten“ geschieht mit einem sich öffnenden Magen. Sich öffnen heißt, die Kontrolle darüber, was in mich hinein kommt, aufzugeben. Nur: was einmal in mir „drinnen“ ist, das führt ein Eigenleben. Das kann ich nicht mehr kontrollieren. Im schlimmsten Fall zerstört es mich, wenn es Gift ist.
Es ist mein Schutz, den ich mir über Jahrzehnte zugelegt habe, der mich davon abhält, den Anderen, das Fremde, Gott in mich hinein zu lassen.
„Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß.“
Wer von Gott selbst ausgesandt ist, der kann nicht anders als Gottes Worte reden. In ihm und über ihn und mit ihm ist Gottes Heiliger Geist.
„Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.“
Es ist der Sohn, von dem hier die Rede ist. Er kommt von oben her, er ist über allen, er bezeugt, was er alles gesehen hat, er hat den Geist ohne Maß.
Und er ist es, den der Vater lieb hat.
Und er ist es, der den Vater lieb hat.
Der Sohn ist nichts weiter als die Hingabe an die Wirklichkeit.
„Es ist, was es ist“, sagt die Liebe.
Der Weg des Sich-Öffnens geschieht ausschließlich über Liebe.
In der Liebe ist die Arroganz vernichtet.
„Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.“
Im Glauben, im Vertrauen auf den Sohn des Vaters erlange ich Anteil am Geist des Sohnes und so Anteil an der Liebe des Vaters. Nur über das Vertrauen, dass die Nahrung, die ich bekomme, mich nährt und mich nicht zerstört, kann ich sie in mich aufnehmen. Sie schenkt mir ein Leben, das Bestand hat. Meine geistliche Nahrung ist die liebevolle Beziehung zwischen Vater und Sohn.
Sie geistlich in dem Sinne, in dem der Heilige Geist das Band der Liebe zwischen Vater und Sohn ist.
So gesehen geht die Liebe wirklich durch den Magen.
Liebevolles Vertrauen ist nicht zerstörbar. Und: es ist kein Besitz. Genauso wenig wie Nahrung ein Besitz ist. Es gibt kein „Für-immer-gesättig-Sein“.
„Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm!“
Das Griechische Wort für „nicht gehorsam sein“ heißt wörtlich: „nicht überzeugt sein.“ Es ist der Wankelmütige, der im zweiten Satz den ersten aufhebt, der verstrickt ist in seine inneren Ambivalenzen, in sein inneres „Hin-und-her-gerissen-Sein“. Er täuscht Sich-einlassen vor. In Diskussionen sagt er: „Ja, aber …“
Er hat es schwer, da nichts Bestand hat. Es täte ihm gut, an seinem Zweifel zu zweifeln. Aber, da er ins Zweifeln verliebt ist, müsste er sich von dieser Art Liebe trennen.
Er steht „im Zorn Gottes“ – das klingt dramatischer als es ist. Es ist nicht so, dass ein beleidigter Gott ihm zürnt. Es ist vielmehr so, dass er selber sich von Gott abgewendet hat. Der Zorn Gottes ist „bloß“ seine Abwesenheit. Da wir Menschen in Beziehung leben und denken müssen, bedeutet die Abwesenheit einer liebevollen Beziehung die Anwesenheit einer zornigen Beziehung.
Wenn ich mit Wut im Bauch esse, ist die Gefahr groß, Magengeschwüre oder Schlimmeres zu bekommen. Daran der Nahrung die schuld zu geben ist ebenso kindlich wie falsch.
Es gibt eine Geschichte, die sehr unaufdringlich zeigt, wie wirksam die Anwesenheit einer liebevollen Beziehung sein kann. Und wie Liebe und Vertrauen Geschwister sind:
Es war einmal ein alter Mann, der zur Zeit Lao Tses in einem kleinen chinesischen Dorf lebte. Der Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Ihr einziger Besitz war ein wunderschöner Hengst, um den sie von allen im Dorf beneidet wurden. Es gab schon unzählige Kaufangebote, diese wurden jedoch immer strickt abgelehnt. Das Pferd wurde bei der Erntearbeit gebraucht und es gehörte zur Familie, fast wie ein Freund.
Eines Tages war der Hengst verschwunden. Nachbarn kamen und sagten: „Du Dummkopf, warum hast du das Pferd nicht verkauft? Nun ist es weg, die Ernte ist einzubringen und du hast gar nichts mehr, weder Pferd noch Geld für einen Helfer. Was für ein Unglück!“ Der alte Mann schaute sie an und sagte nur: „Unglück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen.“
Das Leben musste jetzt ohne Pferd weitergehen und da gerade Erntezeit war, bedeutete das unheimliche Anstrengungen für Vater und Sohn. Es war fraglich ob sie es schaffen würden, die ganze Ernte einzubringen.
Ein paar Tage später, war der Hengst wieder da und mit ihm war ein Wildpferd gekommen, das sich dem Hengst angeschlossen hatte. Jetzt waren die Leute im Dorf begeistert. „Du hast Recht gehabt“, sagten sie zu dem alten Mann. Das Unglück war in Wirklichkeit ein Glück. Dieses herrliche Wildpferd als Geschenk des Himmels, nun bist du ein reicher Mann…“ Der Alte sagte nur: „Glück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen.“
Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf über den wunderlichen Alten. Warum konnte er nicht sehen, was für ein unglaubliches Glück ihm widerfahren war? Am nächsten Tag begann der Sohn des alten Mannes, das neue Wildpferd zu zähmen und zuzureiten. Beim ersten Ausritt warf ihn dieses so heftig ab, dass er sich beide Beine brach. Die Nachbarn im Dorf versammelten sich und sagten zu dem alten Mann: „Du hast Recht gehabt. Das Glück hat sich als Unglück erwiesen, dein einziger Sohn ist jetzt ein Krüppel. Und wer soll nun auf deine alten Tage für dich sorgen?‘ Aber der Alte blieb gelassen und sagte zu den Leuten im Dorf: „Unglück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen.“
Es war jetzt alleine am alten Mann die restliche Ernte einzubringen. Zumindest war das neue Pferd soweit gezähmt, dass er es als zweites Zugtier für den Pflug nutzen konnte. Mit viel Schweiß und Arbeit bis in die Dunkelheit sicherte er das Auskommen für sich und seinen Sohn. Ein paar Wochen später begann ein Krieg. Der König brauchte Soldaten, und alle wehrpflichtigen jungen Männer im Dorf wurden in die Armee gezwungen. Nur den Sohn des alten Mannes holten sie nicht ab, denn den konnten sie an seinen Krücken nicht gebrauchen. „Ach, was hast du wieder für ein Glück gehabt!“‚ riefen die Leute im Dorf. Der Alte sagte: “ Mal sehen, denn wer weiß? Aber ich vertraue darauf, dass das Glück am Ende bei dem ist, der vertrauen kann.“ AMEN.