Predigt über 1. Korinther 11, 23-26 an Gründonnerstag 2016
Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, Amen.
Liebe Gemeinde,
„in der Nacht, da Jesus verraten ward…“ Mit diesen Worten, den sogenannten Einsetzungsworten, beginnt unsere Abendmahlsfeier. Sie sind im1. Brief an die Korinther, 11, 23-26 überliefert. Darüber ist heute zu predigen.
Das Abendmahl geschieht in der Nacht.
Der Heilige Johannes vom Kreuz unterscheidet drei dunkle Nächte: die Nacht der Sinne, die Nacht des Verstandes und die Nacht Gottes.
In der Nacht der Sinne höre ich auf, mich auf meine Sinne und ihre Mitteilungen zu verlassen. Meine Sinne melden mir, wie ich in Raum und Zeit stehe, wie ich mich bewege. Im Laufe meines Lebens hat sich ein mir vertrautes körperliches Muster eingeprägt, das – wenn ich Pech habe – zu einseitigem Verschleiß und zu vielen Schmerzen führt. Meine Sinne melden mir auch, dass das ist, was ich sinnlich erfassen kann.
In der Nacht der Sinne laufen meine Sinne ins Leere: sie haben nichts „zu tun“. Sie „sehen“ nichts. Sie sind eingeschlafen.
In der Nacht des Verstandes höre ich auf, mich auf meinen Verstand und seine Gedanken zu verlassen. Im Laufe meines Lebens habe ich mir angewöhnt, viele Gedanken zu denken. Sie haben sich mir aufgezwungen durch Erfahrungen mit anderen Menschen. Besonders in meiner Babyzeit, Kindheit und Jugend, wo ich anderen Menschen ausgeliefert gewesen bin, haben diese Gedanken mein Denken entstehen lassen, das mir bis heute vertraut ist. Die allermeisten Gedanken, die ich heute denke, habe ich schon einmal gedacht. Vertrautes gibt Sicherheit.
In der Nacht des Verstandes werden diese Gedanken, wird mein Denken dunkel. In diese Nacht wagen sich wenig Menschen. Dort gilt es, elendige Gefühle zu erleiden. Das hat damit zu tun, dass meine Gedanken, die mein Denken bilden, mein Überleben gesichert haben und sichern. Indem ich dieses mein Denken verlasse, verlasse ich genau die Sicherheit, die ich mir so mühsam aufgebaut habe. Nur wenige Menschen sind dazu bereit und auch in der Lage.
In der dunklen Nacht Gottes höre ich auf, Gott dafür zu verwenden, wofür ich ihn mir geschaffen habe. Für die Erfüllung meiner Wünsche, für die Bestrafung meines Ungehorsams, für den Hass auf die, die nicht so an Gott glauben wie ich. In der dunklen Nacht Gottes hört Gott auf, „mein“ Gott zu sein. Der Heilige Johannes vom Kreuz sagt, die dunkle Nacht Gottes währt ein Leben lang.
Mein Denken wurde über meine Gedanken geformt. Meine Gedanken entstanden durch das, was ich im außen erlebt habe. Es traf zusammen mit meinem angeborenen Temperament, meiner genetischen Konstitution. So formte sich mein Ich. Jeder von uns hat sein eigenes, einmalig geformtes Ich. Dieses verleiht Ihnen und mir unsere je ganz eigene Sicht auf die Welt, auf die anderen Menschen, auf unser eigenes Leben. Der gläubige Selbstmordattentäter will seinem Gott Genugtuung verleihen und hofft dafür auf Anerkennung im Jenseits. Er ist sich keiner Schuld bewusst, da er ja nur im Namen Gottes die Ungläubigen liquidiert. Osama bin Laden bezeichnete den erfolgreichen Angriff auf das World Trade Center als „von Gott gesegnetes Unternehmen“. Das entspricht dem Denken Calvins, der der Meinung war: von Gott gesegnete Menschen erkennt man an ihrem materiellen Reichtum und ihrer gesellschaftlichen Anerkennung! Sie merken: dieser Gott ist ein Freund des Kapitalismus, ein Freund der Milliardäre.
Ich tue mich sehr schwer damit, anzuerkennen, wie verschieden wir Menschen sind. Mir wäre es viel lieber, wenn meine Mitmenschen auch so denken würden wie ich. Dahinter steckt ganz schön viel Hochmut. Und noch weiter dahinter steckt eine tiefe Sehnsucht nach Eins-Sein. Was könnte es schön sein, sich in die warme Decke gleichen Erlebens, gleichen Fühlens einzukuscheln.
Die Wirklichkeit jedoch ist anders. –
Da gibt es z.B. die einmalige Lebensgeschichte Oscar Romero , von 1977 bis 1980 Primas der katholischen Kirche in El Salvador. Er wurde heute auf den Tag, vielleicht sogar auf die Stunde genau vor 36 Jahren erschossen: in einem Gottesdienst, nach der Predigt, wo er über das Sterben des Weizenkorns gepredigt hatte. Er war der festen Überzeugung, sich opfern zu müssen: Kurz vor seinem Tod sagte er: „Als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung … Als Hirte bin ich durch Gottes Auftrag verpflichtet mein Leben für die zu geben, die ich liebe, das sind die Salvadorianer, auch jene, die darauf aus sind, mich umzubringen … Ein Bischof mag sterben, doch die Kirche Gottes, das ist das Volk Gottes, wird niemals zugrunde gehen….“
Das war das Denken dieses Bischofs, der wohl bald heilig gesprochen werden wird. Hätte er auch so gehandelt ohne seinen Glauben an die Auferstehung? Würden die Selbstmordattentäter sich auch in die Luft sprengen, wenn sie der Überzeugung wären, es gibt kein Jenseits? Untersuchungen haben ergeben, dass bei religiösen Menschen die Bereitschaft, moralisch zu handeln nicht ausgeprägter ist als bei nicht-religiösen Menschen. Einzig die Bereitschaft zu extremer Gewalt ist bei religiösen Menschen signifikant ausgeprägter. Würde man die Gewalttaten der Menschheitsgeschichte zusammenfassen, ich fürchte, die Gewalt, die im Namen der drei monotheistischen Religionen verübt wurde, würde einen Spitzenplatz belegen.
Und wir müssen anerkennen, dass im Herzen unseres christlichen Glaubens eine Gewalt-Geschichte eingeschrieben ist, an die jede Abendmahlfeier erinnert: es heißt ja nicht: „in der Nacht nahm Jesus das Brot …“ – es heißt: „in der Nacht, da Jesus verraten ward …“
Romero war jahrzehntelang ein Mann des Establishments, romtreu und konservativ. Er kam nach El Salvador, um mit den „Progressiven“ aufzuräumen. Das war sein Auftrag.
Doch es kam anders. Romero wurde Zeuge, wie ein Jesuitenpater, ein alter Bauer und ein Ministrant erschossen wurden. Danach überfielen Soldaten das Dorf des ermordeten Priesters und schändeten die Kirche. Sie verwehrten Romero den Zutritt, als er die geweihten Hostien retten wollte. Dieses Ereignis bezeichnete er später als seine „Bekehrung“ und verband sie mit einem Satz von Petrus – „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apg 5,29)
Es ist derselbe Petrus, der seinen Herrn in eben dieser Nacht zwar nicht verraten aber dreimal verleugnet hat.
Verleugnung, Verrat, Täuschung, Lüge, Betrug: all dies gehört zu den Möglichkeiten des Menschseins dazu. Es gehört scheinbar zu unserer Freiheit dazu. Auch dies ist eine verbreitete eine Täuschung. Betrug, Verrat, Lüge – sie sind nicht Ausdruck von Freiheit, sondern von Sklaverei! Ich behaupte, dass sich niemand freiwillig, aus der Tiefe seines Herzens dafür entscheidet – sondern es sind Notlösungen, die sich mir aufdrängen ja aufzwängen im Angesicht unerträglicher Gefühle.
Ich vermute, der Verrat des Judas hat mit unerträglicher Enttäuschung zu tun. „Wann kommt denn jetzt endlich das Reich Gottes, von dem du die ganze Zeit predigst?“ Judas hat nicht ausgehalten, dass es so gar nicht kommt, wie er sich das vorgestellt, wie sehr sich das gewünscht hat. Und seine Enttäuschung nahm Gestalt an in jenem Jesus, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte. Auch das ist üblich, dass der Retter zum Sündenbock wird – aus verzweifelter Enttäuschung. Enttäuschung über sich, über das gelebte Leben, über andere Menschen, von denen ich mir so viel versprochen, erhofft habe – ist ein wesentliches Element, aus dem die Bomben des Hasses und der Gewalt gebastelt werden. Wer fähig ist, tiefer in sich zu blicken, wird entdecken, dass es im Grunde der eigene Selbst-Hass ist, aus dem heraus die „hässlichen“ Gedanken, Empfindungen und Taten fließen. So ist es in sich logisch, wenn sich Judas am Ende selbst das Leben nimmt.
Liebe Gemeinde,
Sie alle wissen, wie unser Predigttext weiter geht. „In der Nacht, da Jesus verraten ward nahm er das Brot …“ Ich lese ihn jetzt nicht vor, weil wir nachher mit diesen Worten wie immer gemeinsam das Abendmahl feiern werden.
Stattdessen ein (für mich) ziemlich neuer Gedanke: Jesus hat den Verräter nicht „kalt gestellt“, er hat ihn nicht „exkommuniziert“. Romero hat auch für seine Mörder gebetet. Und die Frauen aus dem KZ in Ravensbrück haben gebetet: „Friede den Menschen, die bösen Willens sind…“ Es ist eine Verführung und ein neuerlicher Verrat, sich mit der eigenen völlig berechtigten Empörung über die Menschen zu stellen, die mit ihrer Destruktivität Unheil angerichtet haben und Unheil anrichten.
Im Abendmahl verbinden und verbünden wir uns mit mit einem Gott, der nicht nur von der Liebe redet, der die Liebe ist, der die Liebe lebt. Jene Liebe, die alles erträgt und alles erduldet. Und die frei lässt. Das, finde ich, ist das Schwerste: in der Liebe zum Anderen seine Freiheit mir gegenüber anzuerkennen. Die Liebe, die mir persönlich viel leichter fällt, lautet so: ich komme dir mit meinem Wohlwollen entgegen, aber du musst schon auch … das machen, so sein, wie ich es für richtig halte … Und wehe dir, wenn nicht … Diese Liebe ist in der Tiefe freilich keine Liebe sondern das Okkupieren des Anderen mit meinen Wünschen, meinen Werten.
Wer Kinder hat und sie durch die Pubertät begleitet, weiß wahrscheinlich, wovon ich rede. Aber auch wer keine hat: jeder von uns kann sich immer wieder fragen: wie steht es eigentlich aus mit meiner Liebe zu mir, zu meinem(r) Partner(in), wenn er/sie nicht so denkt, handelt, wie ich es machen würde. Wenn er/sie nicht meine Wünsche erfüllt? Werde ich dann zynisch? Oder breche ich gar den Kontakt ab? „Wenn du so bist, will ich nichts mit dir zu tun haben…“ Ziehe ich dann hinter dem Rücken über ihn/sie her? Verbünde ich mich mit den Anderen gegen meinen eigenen Partner?
Aber halt – was, wenn mich der Andere fürchterlich nervt? Wenn er mich tierisch ärgert? Und wenn ich auch noch Recht habe, weil der Andere sich an die gute Ordnung, sich nicht an die Regeln hält, an die ich mich halte? Wohin mit diesen Gefühlen? Wenn ich die nur schlucke, werde ich daran ersticken. Wir sind nun mal nicht nur zur Liebe fähig – wir sind auch und gerade zum Hass fähig! Und hat nicht Jesus selbst die Händler aus dem Tempel geworfen? Das war ja wohl auch nicht gerade ein Liebesbeweis.
Jesus würde sagen: doch – war es. Ein Liebesbeweis für meinen Gott. Und wenn Romero in Ausnahmefällen Gewalt erlaubt hat, um sich von einem Unrechtsregime zu befreien – dann ist dies ebenfalls für die Liebe, für die Freiheit seines Volkes gedacht. Es ist nur so: dass genauso auch die IS denkt: wir im Westen sind das Unrechtsregime, wir sind die Ungläubigen, wir sind die, die Werte ihres Glaubens verachten! Und aus vermeintlicher Liebe zu deren Gott werden wir angegriffen und getötet.
Der Hass ist nicht aus der Welt zu schaffen. Das ist nicht einmal Jesus gelungen. Es ist eine Illusion zu meinen, irgendwann einmal würde die Liebe den Hass besiegen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Hass eingedämmt werden kann. Die Fähigkeit zur Eindämmung des Hasses hängt mit der Fähigkeit zusammen, Enttäuschung zu ertragen. Dass „es nicht so ist, wie ich es mir ersehne, herbeiwünsche“. Und die Fähigkeit Enttäuschung zu ertragen wächst mit meiner Kraft, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. ihr nüchtern zu begegnen.
Das alles können Sie übrigens alltäglich bei sich testen: was löst es in mir aus, wenn „es“ (mein Körper, mein Partner, mein Nachbar, mein Pfarrer, mein Kind, das Wetter, mein Auto, mein Chorbruder/Schwester usw. …) nicht so ist, wie ich es mir wünsche? Wie schnell bin ich genervt und rechthaberisch? Oder ziehe mich beleidigt zurück? Fresse den Ärger in mich hinein? Oder kotze ihn unverdaut dem Andern vor die Füße? Oder werde gemein? Räche mich subtil – so dass es der Andere gar nicht mitbekommt? Oder räche mich direkt – indem ich die Beziehung abbreche: „wenn du so bist, bist du für mich gestorben…“
Und dann können wir uns immer wieder an das Wort Jesu erinnern:
„Daran wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh 13,35) „Liebe“ und „Erkennen“ sind im Hebräischen übrigens derselbe Wortstamm.
Wir Menschen haben, weil wir Menschen sind, die Möglichkeit, uns selbst zu erkennen. Zu fragen: was treibt mich gerade an? Was will ich gerade erreichen? Was vermeide ich gerade? Was will ich gerade nicht wahr haben?
Und wir können alltäglich unsere Fähigkeit zu lieben stärken. So wie wir unseren Körper trainieren, können wir auch unsere Liebesfähigkeit trainieren.
Das geht soweit, bis wir spüren: Gott ist ja nichts Anderes als Liebe. Aus ihm quillt meine Geduld, meine Nachsicht, meine Barmherzigkeit. Und zwar an erster Stelle zu meinen eigenen Fehlern. Zu meinem eigenen Nicht-perfekt-Sein. So entsteht Platz für etwas Mittleres, Gemäßigteres. Es entsteht ein Zwischen-Raum.
Eine persönliche Schlussbemerkung: ich habe mein Leben ziemlich anders geplant. Ich wollte erfolgreich und berühmt werden. Das hat nicht geklappt.
Glücklicher- oder gnädigerweise ist mir Gott dazwischen gekommen.
Ihm habe ich mich ergeben.
Auch wenn es immer wieder in mir kämpft.
Wahrscheinlich ist das so.
Der Gott, der die Liebe ist: „Ubi caritas et amor, ibi deus est.“
Zu deutsch: „Wo Güte und Liebe ist, da ist Gott.“ Klammer auf: und nicht im Hass und nicht in der Gewalt Klammer zu.
Oder – mit Theresa von Avila:
„nichts beunruhige dich;
nichts ängstige dich;
Wer gott hat,
Dem fehlt nichts.
Gott allein genügt“ AMEN.
Solo dios basta!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Sinne und unser Denken in Christus Jesus, AMEN.