Predigt am Sonntag Trinitatis über Epheser 1,3-5

Predigt über Epheser 1, 3-14 an Trinitatis 2012 in der Jakobuskirche in Pullach
von Lothar Malkwitz

Liebe Gemeinde,

heute wird wieder einmal deutlich, dass Masse über Bedeutung nur bedingt etwas aussagt. Von der Anzahl der Gottesdienstbesucher her betrachtet, scheint unser heutiger Sonntag Trinitatis ziemlich bedeutungslos zu sein. Im Ranking der Sonntage des Kirchenjahres dürfte er abgeschlagen am unteren Ende liegen, nicht wert, dass man in ihn investiert. Weihnachten, Ostern, Erntedank, Sommerfest – das sind die Spitzenreiter gemeinsam mit den Konfirmationssonntagen. Schon Pfingsten ist abgeschlagen, obwohl mit zwei Feiertagen ausgestattet. Und dann heute Trinitatis.

Nun –  ich behaupte: Weihnachten, Ostern werden ebenso überbewertet wie Trinitatis unterbewertet wird. Weihnachten ist eine Blase voller Illusion und Sentimentalität. Ostern läuft große Gefahr, als Feier menschlicher Allmachtsfantasien missbraucht zu werden. In Trinitatis hingegen geht es um nichts weniger als um – Gott selbst! Trinitatis ist ein echter Geheimtipp! Wenn Sie mich fragen: ich rate in Trinitatis zu investieren!

Trinitatis ist nichts Geringeres als das Fest der Erkennbarkeit Gottes. Nicht der Erkenntnis, denn „die Erkenntnis Gottes bleibt eine dunkle Nacht bis zu unserem Lebensende“ wie der Heilige Johannes vom Kreuz betont. Trinitatis ist das Fest der Möglichkeit, IHN selbst, gepriesen sei sein Name, zu entdecken. Und so ist es gut, die langen nun folgenden Sonntage bis zum Ende des Kirchenjahres von diesem Sonntag Trinitatis aus zu zählen.
Man könnte es auch anders sagen: In und mit Trinitatis wird unser Glaube an Gott erwachsen. Das heißt, er entwächst kindlichen Sehnsüchten, Illusionen und Projektionen, und erwächst so als ein Glaube, in dessen Zentrum weder das überhebliche Triumphieren noch das verbitterte Bitten und Klagen steht. Von Trinitatis herkommend ist die Mitte unseres Glaubens das Denken und das Danken, der Lobpreis: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen (Zebaoth), alle Lande sind seiner Ehre voll!“ (Jesaja 6,3) Das ist das Wort dieser Woche, mit ihm begann unser heutiges Zusammensein.

Auch unser heutiger Predigttext beginnt mit einem dreifachen Lobpreis – er steht zu Beginn des Briefes des Paulus an die Epheser:
„3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.“
Dreimal verwendet Paulus hier das griechische „eulogeo“: wörtlich heißt es „gut reden“ (lateinisch: („bene dicare“). Indem wir von Gott „gut reden“, redet Gott auch von uns gut. Das ist das Verblüffende: es gibt nicht nur einen „Teufelskreis“, sondern auch einen „Gotteskreis“, ein Mehren und Wachsen und Gedeihen „im Segen“. Und Segen heißt nicht nur „gut reden“, in „Segen“ steckt auch das Lateinische „signum“, das von „secare“ „schneiden“ abstammt und wohl zunächst „ein auf Holzstäben eingekerbtes, eingeschnittenes Zeichen“ darstellte. Die Säge als „Schneidewerkzeug“ erinnert noch an die Stammverwandtschaft von „Segen“ und „Säge“. So finden sich in dem Begriff „Segen“ die zwei großen Errungenschaften der Menschheit: die Sprache („gut reden“) und die Schrift („signum“).

Paulus „lobt Gott“ (wörtlich: „segnet“ Gott) für den Segen, den wir Menschen durch Jesus Christus empfangen dürfen. Die Rede von Jesus Christus verführt natürlich sofort zu konkretem Denken. Und wahrscheinlich brauchen und suchen wir Menschen auch immer wieder das Konkrete, weil es uns Halt und Sicherheit gibt. Aber das Wesen dieses Segens besteht nicht in etwas Konkretem, Dinglichem: es ist ein „geistlicher Segen im Himmel“. Was heißt das? Es ist der Segen des Heiligen Geistes, der an Pfingsten „sich offenbarte“. Und das Gute am Heiligen Geist ist, dass er sich jeder verdinglichten, verfestigten Vorstellung von vorneherein entzieht. Er „weht, wo er will“ (Joh. 3,8a). Aber er weht nicht willkürlich, nicht nach Lust und Laune.  Er ist ein „vinculum“, eine Verbindung, wie der Heilige Augustinus sagt, nämlich die liebende Verbindung zwischen Vater und Sohn. Im Heiligen Geist ist die Liebe entsprungen, die Liebe, die Raum schenkt für drei.

Und das ist das Geheimnis des Glücklichseins: indem Platz ist für drei, muss sich keiner mehr verloren, verlassen oder gar verraten fühlen! Im Heiligen Geist verwandelt sich das „oder“ in ein „und“, verwandelt sich der Ausschluss in ein konstruktives Miteinander. Der Heilige Geist ist der „Dritte Weg“, der sich dem eröffnet, der es wagt, sein Entweder-Oder-Denken zu hinterfragen. Schärfer formuliert: das Entweder-Oder-Denken, das digitale Denken ist unheimlich erfolgreich für Unlebendiges – um aber Lebendigem nachzudenken, bedarf es eines beseelten, eines geistlichen Denkens.

Sie können es auch anders herum sich verdeutlichen: überall da, wo das Dritte ausgeschlossen wird, entsteht Geist- und Seelenloses, findet eine tödliche Reduktion statt. Unsere  Seele selbst ist insofern die „leibliche Schwester“ des Heiligen Geistes, als auch sie ein Drittes, nämlich die lebendige Verbindung von Körper und Verstand darstellt. Und so hatten unsere Altvorderen sehr recht, wenn sie sagten, Gottes Wohnstatt ist die Seele – natürlich nicht nur die von uns Menschen, sondern des Belebten schlechthin. Würden wir Menschen dies wirklich Ernst nehmen, könnten wir Menschen dies wirklich erleben, dann wären wir gar nicht mehr dazu in der Lage, geist- und gedankenlosen Raubbau an uns selbst, an unseren Mitmenschen, am Leben auf dieser Erde vorzunehmen. „Alle Lande sind gefüllt mit Gott“ – wörtlich heißt das: „die Erde“ ist voll mit Gottes gutem Geist! „Gott wohnt auf unserem Planeten.“ Aber leider gilt eben auch der „Teufelskreis“: wer in sich das Dritte als vernichtet erlebt, der muss diese Vernichtung auch nach außen tragen.

Aber warum ist die Vernichtung des Dritten so weit verbreitet und warum ist „Zweieinigkeit“ so verführerisch?

Ich glaube, weil wir Säugetiere sind. Und weil wir als Säugetiere alleine nicht überleben können. Wir brauchen den Anderen. Schon als „Junge“ konnten wir nur überleben, weil es eine Brust/Flasche gab, die uns fütterte. Die Anwesenheit dieser Lebensquelle war unabdingbare Voraussetzung für unser Überleben. Am Anfang unseres Lebens sind wir „unbedingt (absolut) abhängig“.  Alleinsein ist tödlich. Genauer: zu langes Allein-gelassen-Werden ist tödlich. Denn natürlich sind wir auch von Anfang an allein: bereits im Mutterleib sind wir „allein“ in dem Sinne, dass wir „ganz“ sind, und nicht ein Teil der Mutter. Das Gefühl „ein Teil des Anderen“ zu sein, ist Ergebnis eines langen zerstörerischen Prozesses, in dem das „Eigen“-Sein oder „Selbst“-Sein des Anderen konsequent abgelehnt (ex-kommuniziert) worden ist. Wer in einer Atmosphäre aufwächst, in der kein Raum für „Drittes“ ist, der kann sein „Eigen-in-Beziehung-Sein“ nicht finden. Und so kann er nicht erkennen, dass er selbst wesentlich ein „Dritter“ ist: das Zusammen-Treffen („co-itus“) einer Samen- und einer Eizelle. Dieses „Dritter-Sein“ bildet sich in der Wirklichkeit selbst des kleinsten Babys ab: es ist ein „eigenes Lebewesen“, dessen zentrale Lebensfunktionen, nämlich zu atmen, zu essen und zu verdauen ihm niemand abnehmen kann –  und zugleich ist es für sein Überleben auf die Beziehung zu anderen so dringend angewiesen.

Die Zweieinigkeit ist das süße Gift, sich vorzutäuschen, man könne ohne den Dritten leben. Wenn das „Junge“ spürt, von einer Brust abhängig zu sein, die es nur nährt, wenn es alles „Eigene“ aufgibt, wenn es ganz mit den Bedürfnissen der „Brust“ verschmilzt, dann gibt es kein Wachsen. Wachsen, Entwicklung bedarf eines Wachstums-Raumes und dieser entsteht erst in und mit dem Dritten. In der Zweieinigkeit  gibt es nur entweder „entzückende“ Verschmelzung, oder „höllische“ Einsamkeit. Gibt es nur „Hochgelobt sei der da kommt, im Namen des Herrn“ oder „Kreuzige ihn!“  Zur Zweieinigkeit gehört notwendig der Hass auf den Dritten und der Triumph der Verschmelzung! So ist die Zweieinigkeit die Keimzelle für Verfolgung, Fanatismus und Gewalt.

Ich vermute, für Paulus war die Entdeckung von Christus als Messias der erlebte Durchbruch zu einem dritten Weg. Auf ihm verwandelte sich der Verfolger in einen Bekenner, in einen Missionar – mit gefährlichen Tendenzen freilich zu einer neuen Zweieinigkeit… und einer neuerlichen Verfolgung des Fremden, des Dritten.

Im Namen des trinitarischen Gottes eröffnet sich ein Weg jenseits von Verfolgung, Zwang und Gewalt. Ein Weg der Freiheit des „mit meinem Eigenen-in-Beziehung-Seins“. Und dieser Weg fühlt sich an! Er fühlt sich an als „ein innerliches zur Ruhe Kommen“, als eine „Gelassenheit und Zufriedenheit“, als eine „lebendige Gelöstheit“. Innere Hetze, sich von Terminen gejagt fühlen, nicht zur Ruhe Kommen, chronische Unzufriedenheit, nicht Schlafen können – all’ dies ist Ausdruck, dass das Dritte in uns, dass die Wirkung des Heiligen Geistes geschwächt, schlimmstenfalls zerstört ist.

Kehren wir zurück zum Epheserbrief: In den folgenden Zeilen führt Paulus den „geistlichen Segen“, mit dem uns Gott gesegnet hat aus: „4 Denn in Christus hat er uns erwählt, ehe der Grund der Welt gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten;“

„In ihm (Christus) hat er uns erwählt …“ „Ek-legomai“  – nicht das „Ek/Ex“ des Aus-Schließens (Ex-Kommunikation), sondern das Ek/Ex des Heraus-Holens aus der verführerischen Zwei-Einigkeit ist das Wirken Gottes!  Das Wirken Gottes gleicht dem einer „geistlichen Hebamme“: er steht uns bei, auf die Welt zu kommen und uns frei in dieser Welt zu bewegen. Und diese Freiheit ist eine Freiheit für diese Welt:  nicht moralisch ist das „heilig und untadelig“ gemeint, sondern ganzheitlich, selbstverständlich. Nur der innerlich Abhängige lebt rücksichtslos – der Freie lebt auch sich heraus besonnen, verantwortungsvoll in Rücksichtnahme. Der Freie lebt aus der Freiheit der verinnerlichten liebevollen Beziehung: theologisch ausgedrückt: die Liebe zwischen Vater und Sohn – menschlicher ausgedrückt: die Liebe zwischen Mutter und Vater. Wer als Kind das Glück hatte, ein sich liebendes Elternpaar zu erleben und verinnerlichen zu können, dessen Leben wird ein gesegnetes sein. Paulus formuliert diese Liebe wieder in Bezug auf den trinitarischen Gott:

„In seiner Liebe 5 hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.“ So fährt Paulus seinen Lobpreis fort. „Liebe“ ist freilich besonders missbrauchbar für zweieinige, romantische Verschmelzung. In Wirklichkeit ist Liebe wesentlich auf die Entstehung und das Wachstum eines Dritten ausgerichtet. Indem wir uns geliebt fühlen, können wir diese Liebe weitergeben, an alles was uns umgibt. Und so werden wir zu „Kindern Gottes“ – nicht infantil miss zu verstehen -, sondern als Erwachsene leben wir in kindlicher Offenheit, Neugierde und Herzensfreude.

Und Paulus fährt fort: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade… (ich kürze aus Zeitgründen) „… in ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden…“

Wieder so ein missverständlicher Satz. Der Streit der Religionen ist letztlich ein Erbstreit. Jede beansprucht, der wahre Erbe zu sein. Daraus entsteht ein falsches egoistisches Lob Gottes: „Ich danke dir, dass du mich zum Erben eingesetzt hast!“ Das heißt in Klammern -: und nicht die Anderen!

Ich möchte Ihnen abschließend eine Geschichte erzählen, die gut zusammenfasst, worum es mir heute geht:

„Mein Freund und ich gingen auf die Weltmesse der Religionen. Keine Handelsmesse, eine religiöse Messe. Aber der Wettbewerb war genauso verbissen, die Reklame genauso laut.
Am jüdischen Stand erhielten wir Prospekte, die besagten, Gott sei allbarmherzig und die Juden sein auserwähltes Volk.
Am islamischen Stand erfuhren wir,  Gott sei voller Gnade und Mohammed sein einziger Prophet. Das Heil erlange man, wenn man auf den einzigen Propheten Gottes höre.
Am christlichen Stand entdeckten wir, dass Gott die Liebe sei und es außerhalb der Kirche keine Rettung gäbe. Nur ein Mitglied der Kirche läuft nicht die Gefahr ewiger Verdammnis.
Beim Hinausgehen frage ich meinen Freund: „Was hältst du von Gott?“ Er widerte: „Er ist engstirnig, fanatisch und grausam.“
Wieder zu Hause, fragte ich Gott: „Was hältst du von so einer Sache, Herr? Merkst du nicht, dass man dich Jahrhunderte lang in Misskredit gebracht hat?“
Gott antwortete: „Ich habe die Messe nicht organisiert. Ich hätte mich geniert, auch nur hinzugehen!“ (Antony de Mello)

Liebe Gemeinde,

lassen Sie uns Gott loben und preisen. Lassen sie uns das drei Mal „heilig“ in der Abendmahlsliturgie singen. Lassen sie uns jetzt das Abendmahl feiern. Und dies bitte alles in der tiefen Anerkenntnis, dass wir nichts wissen, nichts haben und nichts sind – außer in unserem Glauben an den dreieinigen Gott, der als Heiliger Geist im Anderen, im Fremden, im Unbekannten, im Dritten geschieht. Auf dass Gott sich unseres Glaubens nicht genieren muss, AMEN.

Nach oben scrollen