Predigt über 2. Korinther 3, 3-9 (2014)

Predigt über 2. Kor. 3, 3-9 am 20. Sonntag nach Trinitatis 2014

gehalten in der Jakobuskirche in Pullach

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die liebende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

ich beneide Tiere um die Selbstverständlichkeit ihres Da-Seins. Tiere sind. Sie müssen ihr Tun nicht hinterfragen. Es ist Ausdruck unserer menschlichen Überheblichkeit zu sagen: Tiere sind eben primitiv. Leben nur von ihrem Instinkt gesteuert. Wer sich die Mühe macht, das unglaublich soziale und faire Miteinander-Leben eines Wolfsrudels zu beobachten, wird schnell eines Besseren belehrt. Von wegen primitiv. Da gibt es eine gute Rangordnung, die das Überleben aller – gerade auch der Schwachen gewährleistet. Von so einer guten Ordnung können wir Menschen bestenfalls träumen. Verwirklicht ist sie nicht.

Die Texte des heutigen Gottesdienstes beschäftigen sich mit guter Ordnung. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist…“ so beginnt unser Wochenspruch aus dem Propheten Micha: Und was ist das? „Gottes Wort halten und Liebe üben und bescheiden gehen vor deinem Gott.“

Das klingt einfach und gut. Und es klingt nicht nur so, sondern es ist auch so. Würde sich die menschliche Gemeinschaft an die 10 Gebote halten, Liebe üben und bescheiden sein – wir könnten ein gutes Leben auf dieser unserer Mutter Erde führen.

Und warum tun wir es dann nicht? Offenbar ist es doch nicht so einfach.

Nun gibt es da die vielen Appelle, dass wir Menschen uns ändern müssen. Die sind so alt wie die Menschheit selbst.

Und dann gibt es die, die meinten sich opfern zu müssen für die Menschheit. Die Märtyrer. Vielleicht auch Jesus selbst.

Viel hat das alles nicht gebracht, wenn man sich die Geschichte von uns Menschen so anschaut.

Gewalt, Zerstörung, Vernichtung scheint einfach zu uns Menschen dazu zu gehören.

Platon nennt es „Todestrieb“.

Ist es also besser zu resignieren? Aufzugeben? Eine verbreitete Form der Resignation ist, so zu leben, dass wir uns von unserer eigenen Lust versklaven lassen: krasse Autos, geile Frauen, muskulöse Männer, Markenklamotten, Markenuhren, Luxushotels, Fernreisen etc. Zusammengefasst: „Hol dir, was Spaß macht!“

Dies ist eine – keineswegs neue – menschliche Haltung.

Wenn ich eben sagte, das ist eine Form der Resignation, so meine ich damit nicht euch Konfis, die Jugendlichen. Zur Pubertät gehört notwendig das Ausleben der eignen Lust. Hinter dem Erleben der eigenen Lust steht nämlich die riesige Entdeckung, auf der Welt zu sein! Es gibt mich! Ich spüre mich! Ich erlebe mich! Pubertät heißt Leidenschaft, an die Grenzen gehen, über die Grenzen gehen. Zur Pubertät gehört das Exzessive, auch das Fanatische. Und zur Pubertät gehört die Entdeckung einer ganz neuen Kraft, die dem Kind fehlte. Diese Kraft hat wiederum mit unserer Tiernatur zu tun: töten zu können und Sexualität leben zu können.

Nun ist es freilich so, dass für die große Mehrheit von uns die Pubertät – jedenfalls rein zeitlich gesehen – eine (kleine) Weile zurück liegt. Ich vermute, unsere Leidenschaften sind milder geworden, das prickelnde Gefühl des Auf-der-Welt-Seins hat sich ein wenig abgeflaut. Unsere Kräfte lassen nach. Stattdessen geht es eher um das Sich-Auseinander-Setzen mit Endlichkeit und Vergänglichkeit, auch damit, zu akzeptieren, wie das gelebte Leben sich entwickelt hat usw.

Ungefähr in der Mitte des Lebens (so zwischen Ende 30 und Ende 40) findet eine bemerkenswerte „Wende“ im Leben statt. Bzw. kann statt finden. Diese Wende hat damit zu tun, sich zurück zu wenden. Zurück zu besinnen. Und zwar darauf, wie wenig Leben sich „machen“ ließ. Unser heutiger Predigttext eignet sich dafür, diese „Wende“ ein wenig Gestalt werden zu lassen. Er steht bei Paulus im 2. Brief an die Korinther, Kapitel 3, Vers 3-9.

Paulus schreibt: „Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unseren Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist, des lebendigen Gottes, nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.“ Das erinnert an den schönen Satz des Propheten Ezechiel: „Ich will euch ein einträchtiges Herz geben und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus eurem Leibe und ein fleischernes Herz geben.“

Die christliche Gemeinde ist ein Brief Christi, sagt Paulus. Es geht nicht darum, irgendwelche Dogmen zu erfüllen, oder besonders schlau zu sein. Es geht auch nicht darum, sich „aufzuamseln“ und von einer (gut gemeinten) Aktivität in die nächste zu springen. Es geht um etwas recht Schlichtes: Gott herein zu lassen, herein zu lassen in das eigene Herz. Unser Herz ist nicht nur die Pumpe, die unseren Blutkreislauf in Bewegung hält; unser Herz ist das Organ der Liebe. Indem wir Gott in unser Herz lassen, lassen wir seine Liebe in unser Herz hinein. Dies lässt sich nicht machen. Es ist ein Geschehen, das sich unserem Machen entzieht. Kein Therapeut, kein Pfarrer, kein Arzt – niemand kann da etwas machen. Gott in das Herz hinein lassen geschieht in radikaler Freiheit. „Da ist nichts zu machen!“

So fährt Paulus auch fort: „Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.“ Es geht um Vertrauen, dass in mir bzw. im Anderen etwas wächst. Vertrauen heißt wieder: es gibt keine Gewissheit, keine Garantie. Vertrauen ist das Letztmögliche. Mehr geht nicht. Wir haben dieses Vertrauen „durch Christus“. Dies lässt sich auf Jesus beziehen: er hat uns vorgelebt, was es heißt, bis zuletzt, bis in die Stunde radikalen Allein-seins auf Gott zu vertrauen. Es lässt sich darüber hinaus auf „den Christus des Augenblicks“ beziehen. Damit meine ich das Offenbar-Werden dessen, was gerade noch in der unbewussten Tiefe war, das „Auftauchen“ eines „Geistes aus der Tiefe des Seins.“

Dieses Vertrauen ist ein direkter Angriff auf alle Ideen, dass wir selbst etwas in der Hand haben. Das pubertäre Denken ist geprägt davon, selbst etwas in der Hand zu haben, „sich selbst Lust verschaffen zu können“. Dahinter steht der Drang: sich selbst zu spüren. Dies ist unausweichlicher Bestandteil menschlichen Sich-Entwickelns.

Die Gedanken des Paulus wenden diese Ideen. Das Subjekt ist auf einmal nicht mehr mein Ich, sondern Gott: „Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen“ so fährt Paulus fort; „sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott.“ Das hört das pubertierende Ich natürlich gar nicht gerne. Mein Tüchtig-Sein kommt doch aus mir, sagt es und klopft sich selbst auf die Schulter.

(Nebenbemerkung: Das griechische Wort für „tüchtig“ bedeutet so etwas wie: „gut genug sein“. Das ist weit weg von „perfekt sein“ – und nahe bei: „es reicht“. (Winnicott hat dieses „gut genug“ in die Psychoanalyse eingeführt: es sei völlig ausreichend „a good enough mother“ zu sein – perfekte bzw. perfekt sein wollende Mütter hingegen sind gefährlich. 😉

Und weiter sagt Paulus: „Dieser Gott hat uns auch tüchtig (gut genug) gemacht zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“

Der Buchstabe tötet, wenn er rein mechanisch verwendet wird, muss man hinzufügen. Das Gesetz ist tödlich, wenn es lieblos, rein mechanisch-bürokratisch ausgelegt wird. Dies gilt auch für das vorhin gehörte Evangelium mit dem Spitzensatz: „Was Gott zusammen gefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Seine „tödliche“ Auslegung ist, dass Geschiedene exkommuniziert werden. Wer sich für diese Begründung auch noch auf Jesus beruft, der muss die Botschaft der Liebe und der Vergebung irgendwie missverstanden haben. Es ist doch schon traurig genug, wenn eine Ehe zu Bruch gegangen ist – dafür muss man doch nicht auch noch mit Exkommunikation bestraft werden.

Freilich gilt auch: wir Menschen brauchen Gesetze, weil es nur wenige gibt, denen der Geist Gottes in das Herz hinein geschrieben ist. Diese bedürfen tatsächlich keiner Gesetze. Sie brauchen das „Gott fordert“ nicht, weil sie spüren: „ich kann gar nicht anders als da sein in Beziehung zu meinem Gott, der mich errettet hat“. Sie sagen nicht: „Gott fordert das und das von mir“ – sie sagen: „alles, was ich habe und kann, gehört mir eh nicht, es ist nicht mein Verdienst; so ist es mir die größte Freude, es meinem Gott zu schenken.“

Diese Gedanken finden sich bei den Mystikern quer durch alle Konfessionen. Das ist sehr beruhigend. Keine Konfession, auch nicht wir als Christen, haben „die Wahrheit“ gepachtet! Und andersherum: Wahrheit geschieht da, wo man sie einlässt – egal, welche Hautfarbe, welche Weltanschauung, welche Konfession die Mehrheit hat.

In den folgenden letzten drei Versen unseres heutigen Predigttextes fällt Paulus seiner eigenen Weite und Offenheit in den Rücken. Er preist sein Amt als Apostel: es ist „das Amt, das den Geist gibt“, sagt er und deshalb sei es dem Amt des Mose, das nur die in Stein gehauenen Buchstaben brachte, an Herrlichkeit überlegen. Schade, dass Paulus hier mit einem Mal ins Vergleichen kommt. Auch dies ist eine verbreitete menschliche Eigenschaft, das Eigene herauszustellen, indem man Anderes, Fremdes abwertet. Hierzu gibt es eine schöne Fürbitte von Theresa von Avila: „Lehre mich Herr, an anderen Menschen unerwartete Talente zu sehen, sie zu fördern und verleihe mir die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.“

Hinzu kommt, dass auch Paulus in seinen Briefen nichts anderes macht, machen kann, als Buchstaben zu schreiben. Nicht die Buchstaben töten, sondern die unlebendige Verwendung dieser Buchstaben. So haben wir alle gelernt, dass die 10 Gebote uns sagen, was wir alles nicht „sollen“: „du sollst nicht …“ Die Bedeutung dieses „du sollst nicht“ ist aber eine ganz Andere. Es bedeutet: „Indem du mir, deinem Gott, vertraut hast, habe ich dich aus Ägypten, aus dem Land, in dem du versklavst worden bist, heraus geführt. Und in diesem Vertrauen, in dieser gewachsenen Vertrauensbeziehung zwischen dir und deinem Gott wirst du ein Leben führen, das den 10 Geboten entspricht. Es wird dir ein Bedürfnis sein, diesem erlebten Vertrauen entsprechend zu leben.“

Und so werden die steinernen Herzen in lebendige Herzen verwandelt.

Gebe Gott, dass wir in uns einen Führer finden, der die Kraft hat, uns alltäglich aus dem Land unserer Unfreiheit herauszuführen, der alltäglich unsere Ungeduld und unser Murren geduldig erträgt, der uns nicht beschämt, der uns aber Ernst nimmt in dem, was wir denken, tun und getan haben. Gebe Gott, dass wir so lernen dürfen, unser Herz für seine Liebe zu öffnen. Indem dies geschieht, wird es uns immer selbstverständlicher, alltäglich Gottes Gebote zu halten, Liebe zu üben und bescheiden unserer Wege zu gehen – voreinander und miteinander und vor und mit unserem Gott, AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher und tiefer ist als all unserer Denken und Predigen bewahre unsere Herzen und unser Sinnen in Christus Jesus, AMEN.

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