Liebe Gemeinde,
„er ruft mich und ich antworte ihm“ – dieser Satz aus Psalm 91, 15 hat unserem heutigen Sonntag, dem ersten Sonntag in der Passionszeit seinen Namen gegeben: Sonntag „Invocavit“.
„Er ruft mich, und ich antworte ihm!“ dies ist Gottes einfache Antwort auf den Ruf des Psalmsängers: „Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue!“
In dem heutigen Evangelium hörten wir von einem anderen „Rufer“, von einem verführerischen Ruf: „Wenn du Gottes Sohn bist, ….“ hatte er zweimal gesagt – dann kannst du aus Steinen Brot machen, kannst dich einfach in die Tiefe stürzen – wenn du Gottes Sohn bist, dann bist du doch allmächtig, dann kann dir doch nichts passieren. Und Jesu Antwort entspricht dem Ruf des Psalmsängers: „Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich traue!“ Die innige, vertrauensvolle Beziehung zu Gott schützt am Wirksamsten vor der Versuchung, sich selbst für allmächtig zu halten: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“ – „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ -. In der dritten Versuchung outet sich der Satan – jetzt wird deutlich, worum es wirklich geht: „Alle diese Reiche will ich dir geben, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest!“ Und Jesu Antwort – wiederum sehr schlicht aus seinem Gottvertrauen heraus: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“
Wer sich für sich selber, für seinen Lebensweg und für sein Geworden-Sein interessiert, für den ist es wichtig unterscheiden zu lernen zwischen dem Ruf der Ver-Führung und der Führung hin zu Gott. In der Verführung wird Gott ignoriert und es geht um das eigene Können, die eigene (All-)Macht. Der Verführer rät dazu, sich selbst, den eigenen Standpunkt „absolut“ zu setzen. „Absolut“ heißt wörtlich: Losgelöst von allem Anderen, losgelöst von der Gemeinschaft, losgelöst von dem Eingebunden-Sein in die Schöpfung. Nicht Gott als Inbegriff des Anders-Seins, des Fremden, des Unverfügbaren ist das Zentrum, sondern das eigene Ego. Egozentrisch heißt: Mein Ego ist zum Fixstern geworden – um ihn kreist mein Denken und Handeln. (Wer danach strebt, möglichst mächtig, erfolgreich, berühmt und reich zu sein, dem werden meine heutigen Predigt-Gedanken nicht interessieren.)
Unser heutiger Predigttext gibt eine mythologische Antwort auf die Frage nach der Entstehung des Menschen als desjenigen Lebewesens, das um sich selbst weiß, das sich seiner selbst bewusst ist. Sie alle kennen die berühmte Geschichte von der „Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies“ (Genesis 3)
Als „der Sündenfall“ ist sie lapidar überschrieben, und ich vermute, genau so haben wir sie im Religionsunterricht kennen gelernt, so wurde und wird sie gepredigt, so hat sie sich in zahllosen Kirchenliedern niedergeschlagen: Sie handelt von dem Ungehorsam Adams und Evas und von einem zornigen, fluchenden und verfluchenden Gott. Seinem „Fluch“ entspricht die „ungeheuerlich große Sünde“ auf unserer, auf menschlicher Seite, die nur von Gott selbst wieder gut gemacht werden kann. „Wir (Menschen) haben nichts als Zorn verdient …“ – das ist die Botschaft vieler Passionslieder.
Diese moralische Deutung der Geschichte vom sogenannten „Sündenfall“ hat viel Unheil und viel Elend angerichtet. Hinzu kommt die Engführung mit Sexualität, was dazu geführt hat, lebendige, liebevolle Sexualität zu „verteufeln“. Wer den Film „Das weiße Band“ gesehen hat, weiß, was ich meine. Er zeigt die Auswüchse dieses Denkens innerhalb eines protestantischen Pfarrhauses kurz vor Ausbruch des I. Weltkrieges.
Ich schlage einen nicht-moralischen Zugang zu dieser Geschichte vor: Dann handelt sie davon, wie der Mensch die selbstverständliche Gemeinschaft mit der Schöpfung verloren hat und zu dem geworden ist, was er bis heute ist:
Ein Tier, das „ich“ sagen kann!
Und damit ist das „Paradies unbeschwert-selbstverständlichen Lebens“ verlassen. Es ist keine Strafe für ein Vergehen, sondern Folge einer natürlichen Entwicklung. Der Kabbalist Friedrich Weinreb bezeichnet den „Baum der Erkenntnis“ als den Baum der Zweiheit: Von ihm essen, das heißt seine Frucht „verinnerlichen“, führt notwendig in die Zweiheit, in das „Entweder-Oder-Denken“. Indem ich mir meiner Selbst gewahr werde, werde ich meiner Getrenntheit von allem Anderen gewahr. Im Entstehen des Ich entsteht das Du. Und dies ist nicht verbunden mit einem Glücksgefühl, sondern mit einem Gefühl der Scham: „Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ (Vers 7) Und als Gott am Abend die berühmte Frage stellt:
„Adam, wo bist du?“ bekommt er als Antwort:
„Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.“
„Sie wurden gewahr, dass sie nackt waren“ – dies ist der Beginn des langen Weges der Selbst-Erkenntnis. Ein Weg, auf dem es kein direktes Zurück mehr gibt. Der Zugang zum Paradies ist für immer verschlossen; er wird bewacht von den Cherubim mit einem „flammenden, blitzenden Schwert.“
Und am Beginn des Weges steht die Scham und die Furcht. Ich glaube im übrigen, dass Angst, Scham und Schuldgefühle die größten Stolpersteine auf dem Weg der Selbst-Erkenntnis sind. Die Macht des Verführers gründet genau hier: Er sagt, wenn du dich an das hältst, was ich dir sage, dann bist du nie mehr ohnmächtig, musst dich nie mehr schämen. Im Gegenteil, du wirst dafür geliebt, dass du Steine in Brot verwandeln kannst, du wirst dafür bewundert, welchen Mut du hast, was du dich alles traust, und du wirst über einen unermesslichen Reichtum verfügen.
Wer so antworten kann, wie Jesus, der benötigt ein tiefes Vertrauen in die Gegenwart Gottes. Dieses Vertrauen gründet darauf, dass Gott mit geht. Dass er mich nicht alleine, nicht im Stich lässt. Das ganze Alte Testament ist voll von Geschichten, wie Gott in und mit der Geschichte seines Volkes in das Geschehen dieser Welt hinein kommt. In allem Leiden, in aller Zerstörung und doch in unzerstörbarer Hoffnung. Für uns Christen geht eben dieser Gott des Alten Testamentes noch einmal in ganz besonderer Weise diesen unseren Weg in Jesus aus Nazareth mit, an dessen vorläufigem Ende das Scheitern, die sogenannte „Torheit“ und Ohnmacht des Kreuzes steht. Und auch dies hat Jesus nicht in seinem Vertrauen zu Gott beirrt. So wurde er für uns der Christus, der „Gesalbte“ Gottes. In ihm vollzieht sich die Verwandlung des „Alten Adams“ und so die Rückkehr zu Gott. In ihm verwandelt sich das Kreuz des Geächtet-, des Ausgeschlossen-Worden-Seins zum Baum des Lebens, des neuen Lebens in Gott. Dieses „Neue Leben“ ist ein „Leben von der Auferstehung her“, wie Dietrich Bonhoeffer sagt. In ihm hat sich die Zweiheit verwandelt: Sie ist nicht länger hermetisch abgeriegelt, vielmehr konnte sie sich öffnen hin zur Drei. Es ist der Dritte, der Heilige Geist, der die Ohnmacht des Vaters im Angesicht des toten Sohnes in Lebendigkeit verwandelt. In vielen künstlerischen Darstellungen wird der Heilige Geist im übrigen als Frau dargestellt. Es ist die Kraft der Weiblichkeit Gottes, die Kraft des Aushaltens und Empfangens, die „neues Leben“, neue Lebendigkeit mit sich bringt. Die Personifizierung dieser Kraft geschieht in Maria. So passt es gut, dass dieser Gottesdienst von Stücken aus Monteverdis Marienvesper umrahmt wird.
Die Kabbala lehrt, dass der direkte Rückweg in das Paradies von Gott verhindert wurde, damit der Mensch nicht auch noch vom Baum des Lebens esse. Vers 24: „Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“
Der neue und einzige Weg hin zum Baum des Lebens führt aus der Engführung der Zwei heraus – hinein in die Lebendigkeit des „Zu-Dritt-Seins“. Hier ist keiner mehr ausgeschlossen, weil die Verbindungen der „Drei“ von Liebe durchdrungen sind. Im Grunde genommen lebt die Verführungskunst des Verführers davon, den abwesenden Dritten schlecht zu reden, um ihn auszuschließen, zu exkommunizieren. Wir sind umso weniger verführbar, je sicherer die Beziehung mit und zu dem, der gerade nicht da ist, in uns verankert ist. Die Verführung greift nämlich nur in der Abwesenheit des Dritten – niemals in seiner Anwesenheit. Das gilt für Adam und Eva im Paradies, das gilt für das Machen das Goldenen Kalbes, das gilt für die Versuchung Jesu in der Wüste. „Es merkt doch keiner“, oder: „was ist denn dabei“, oder „das muss er oder sie doch nicht erfahren“ – dies sind die Einfallstore für die List des Verführers.
Gebe Gott, dass wir seine starke und liebevolle Begleitung in unserem Leben spüren, so dass wir selbst stark und liebevoll werden und die listigen Einflüsterungen der vielen Verführerinnen und Verführer heiter erkennen, sie benennen und damit entmachten AMEN.
3, 1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;
3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!
4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,
5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.
7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten.
9 Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.
13 Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.
15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.
18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen.
19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.„20 Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.
21 Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.
22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!
23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.
24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.