Liebe Gemeinde,
für jedes Paar ist die Bewegung von der Zwei zur Drei eine Herausforderung.
Am Sinnenfälligsten wird diese Bewegung mit der Geburt des ersten Kindes.
Das Paar ist eine Familie geworden, die Zwei sind ab sofort zu dritt.
Für beide, Frau wie Mann, besteht die Herausforderung darin, ein gutes Dreieck entstehen zu lassen; einen Raum zu finden, in dem Platz für drei ist. Scheitert diese Bewegung, dann zerfällt die Familie in weitere Zweier-Beziehungen. Ein Klassiker dabei ist: Die Frau hat „ihr“ Kind, der Mann „seinen“ Beruf. Die Vorwürfe gehen dann her wie hin: „Du bist ja mit deinem Beruf verheiratet!“ „Du kreist nur mehr um das Baby“.
Hingegen Menschen, die in diesem „trinitarischen Raum“, dem „Raum des Zu-Dritt-Seins“, aufgespannt sind, haben es leicht. Der/die/das Dritte wird als Bereicherung erlebt, auf den offenherzig zugegangen wird. Es gibt keinen Ausschluss, keine Exkommunikation des Anderen, Fremden, vielmehr eine Integration. Ist jemand jedoch in „Zweisamkeit“ erstarrt, wird das Dritte als Bedrohung erlebt. Die in Zweisamkeit erstarrte Frau hat in sich keinen Raum für die Beziehung zu ihrem Partner und zu ihrem Kind. Und: Der in Zweisamkeit erstarrte Mann erlebt die Zuwendung seiner Frau zu dem Baby als Liebesentzug. In diesem Elend ist der Dritte vergessen und/oder wird ignoriert. Ignoranz ist die geringfügig aktivere Variante von Vergessen. Der/die/das Vergessene erlebt dies als „nicht wert, erinnert zu werden.“ So ist das Fehlen des trinitarischen Raumes zugleich ein Fehlen des Raumes von Wertschätzung, Achtung und Fürsorge. An ihre Stelle ist Lieblosigkeit getreten.
Anders herum gilt: Die gemeinsame Freude an dem Dritten, an dem Baby, an einem gemeinsamen Hobby oder auch an der Leidenschaft des Anderen, macht und hält Beziehungen lebendig. Gerade auch im Alter! Ich bin kürzlich auf die mir unbekannte vierte Strophe des bekannten Weihnachtsliedes: „Alle Jahre wieder …“ gestoßen. Die lautet:
„Sagt’s den Kindern allen,
dass ein Vater ist,
dem sie wohl gefallen,
der sie nicht vergisst.“ (Markus Barth in Christ in der Gegenwart, Nr. 51/2019 S. 561)
Und ich stimme Markus Barth sehr zu, wenn er sagt: „… kürzer kann man … das tiefe Geheimnis von Weihnachten … nicht zum Ausdruck bringen.“
Nur: Zu dritt sein können ist eine Fähigkeit, die uns Menschenkindern nicht in den Schoß fällt. Und es den Kindern sagen, ist zu wenig. Glaubhaft wird, wenn Kinder, wenn wir alle dies erleben können. Es fühlt sich nämlich an. Es ist ein anderer Blick auf die Welt, eine radikal andere Perspektive – ob ich „verschmolzen in Zweisamkeit“ oder in innerlich aufgespannter Dreiheit lebe.
(Ein kleine Experiment: Halten Sie sich ein Auge zu – so ist Ihr Blick, wenn der dreidimensionale Raum verloren gegangen ist. Irgendwie flach.)
Nun bedarf es eines starken Vertrauens, nicht nur dreidimensional zu schauen, sondern auch zu denken, zu leben. Aus der Perspektive des „Dritten“, der gerade nicht „mit dabei“ ist: Ich brauche das Vertrauen, dass „die beiden Anderen“ sich nicht gegen mich verbünden. Mein Misstrauen will Kontrolle, will festhalten. Hinzu kommt die Angst, wenn ich den Anderen loslasse, „frei gebe“, verlässt er mich. Das Eigenleben des Anderen bedroht meine Beziehung zu ihm.
Der Andere kann mich betrügen, belügen, verraten, verlassen …
In dieser Situation befindet sich Josef am Beginn unserer Erzählung der Geburt Jesu – wie sie sich im Matthäusevangelium findet. Sie haben es vorhin als Evangelium gehört.
18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
19 Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen.
20 Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.
21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
22 Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):
23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
25 Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.
Josef ist mit Maria verlobt und merkt, dass seine Verlobte schwanger ist. Da er sicher weiß, nicht mit ihr geschlafen zu haben, muss logischerweise das Kind von einem Anderen sein. Es muss das Kind einer Affäre, eines Betrugs sein. Er beschließt, Maria keine große Szene zu machen, sie dafür nicht bloß zu stellen, sondern sie heimlich zu verlassen. Josef ist keiner, der in seiner Enttäuschung den Anderen bloß stellen möchte. Aber er will sich auch schützen, und so beschließt er, sich aus der Beziehung zurück zu ziehen.
In der Nacht nach seinem Beschluss träumt Josef einen Traum. Und da er diesen Traum Ernst nimmt, verändert er sein ganzes weiteres Leben. Im Traum erscheint ihm ein Engel. Ein Engel ist ein Bote aus einer „anderen Welt“. Dies entspricht dem Wesen unserer Träume: Sie sind Botschaften aus einer anderen Welt. Nicht die rationale Welt des Konkret-Sinnlichen repräsentieren Träume, sondern eine Welt mit anderen Gesetzen, anderen Zusammenhängen, einer anderen Logik. Eine Welt, in der es eine Schwangerschaft gibt, die nicht die Folge von Geschlechtsverkehr ist. Eine Welt, über die sich unser diesseitiger Verstand lustig macht, da er sie nicht versteht. „Was bringt mir das, wenn ich mich an meine Träume erinnere?“ fragt er.
„Nichts – im Sinne von Effizienz, Ruhm und Status“, ist die nüchterne Antwort.
„Vielleicht ein bisschen mehr Verständnis für dich, für dein Denken und Fühlen… Vielleicht einen neuen, unerwarteten Blickwinkel eines Themas …
Vielleicht sogar eine neue Entscheidung dafür, wie du weiterleben möchtest …“
„Josef, du Sohn Davids“, sagte der Engel in Josefs Traum. Damit weist er darauf hin, in welcher Ahnenreihe Josef steht: Sein Stammbaum führt auf König David zurück, er gehört zu demjenigen Geschlecht, von dem die Geburt des Messias erwartet wird. Und sein Name, „Josef“ heißt wörtlich: „Es komme noch einer“ – im Sinne von: „Es ist noch nicht zuende.“ (Hebräisch josef: „hinzufügen“, „vermehren“) (In Klammern: Es gibt noch einen Träumer namens Josef: Den Sohn von Jakob und Rahel, dessen Schicksal an wesentlichen Punkten dem Schicksal Jesu ähnelt, über dessen Leben Thomas Mann den wunderschönen Roman: „Josef und seine Brüder“ geschrieben hat. Klammer zu.)
„Es kommt noch einer!“ Dies ist die große Herausforderung für den Mann, wenn er einen Sohn bekommt: „Da kommt noch einer, ein Nachfolger!“ Das Leben geht weiter: Er selbst ist nicht der Einzige, nicht der Letzte. Indem ich diesen Gedanken tief in mich hinein lasse, schwingt auch mit: „Mein Sohn wird mich überleben, er wird stark und kräftig werden, während meine Kräfte schwinden werden …“ Dies alles muss durchgearbeitet werden, um die Vater-Sohn-Beziehung nicht mit Hass und Neid zu vergiften, was ein großes Thema innerhalb der griechischen Mythologie ist.
Nun ist es schon schwer genug, sich damit anzufreunden, dass der eigene Sohn Etliches besser kann als ich. Wie schwer muss es dann erst sein zu akzeptieren, dass meine Frau den Retter der Welt auf die Welt bringen wird, mit dessen Zeugung ich nicht das Geringste zu tun habe. Josef – der Ausgeschlossene! Das ist kein gutes Dreieck!
Matthäus versucht Josef einzuschließen, indem er auf seinen Stammbaum verweist – ein Abkömmling der Davididen. Was ja eigentlich völlig egal ist, nachdem der Messias eben nicht von diesem Josef abstammt, gezeugt wurde.
Sie merken – hier kommen wir wieder mit unserem Alltagswissen, unserer gebräuchlichen Logik nicht weiter. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Sich von all dem abzuwenden und es als „Blödsinn“ zu entwerten. Oder sich in der Haltung von Unwissenheit zuzuwenden. Ich möchte letzteren Weg gehen.
Wenden wir uns wieder dem Traum zu. Ein Traum hat etwas Schwebendes, nicht Fixiertes. Der Traum von Josef ist ein Ausdruck, eine Veranschaulichung von der
Geburt von etwas radikal Neuem. Etwas, das sich nicht erschaffen, nicht erzeugen lässt. Etwas, das geschieht – und dieses Geschehen entspringt einer anderen Welt. (Wie die Rose (Susanna) – es erscheint in unserer Welt, aber es entstammt nicht unserer Welt. Und nimmt doch alles an, was zu unserer Welt gehört: „Wahrer Mensch – und wahrer Gott!“
„Nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding“ haben wir vorhin gesungen.)
Josef repräsentiert die Kraft, das von seinem Verstand gemachte Konzept von Wirklichkeit loszulassen. Diese Kraft hat mit Mut zu tun: dem Mut, sich verunsichern zu lassen. Echte kognitive wie emotionale Stärke fließt daraus, das eigene Wissen nicht absolut setzen zu müssen. Oder anders ausgedrückt: Nicht-Wissen zu ertragen. Nicht-Wissen ist ein frontaler Angriff auf unseren stolzen Verstand. Da unser Verstand schlau ist, hat er sich im Laufe unseres Lebens viele Tricks und Strategien ausgedacht, die verhindern sollen, dass er verunsichert wird. Eine der verbreitetsten Strategien ist, das, was mich verunsichern könnte, vorab, bevor überhaupt die Möglichkeit der Verunsicherung entsteht, zu ignorieren.
So etwas wie unsere Träume zum Beispiel. Bevor ich mich von ihnen verunsichern lasse, behaupte ich einfach, dass Träume keinerlei Bedeutung haben. Irgendwelche nächtliche synaptische Entladungen meines Gehirns darstellen. Und schon habe ich Ruhe vor dem scheinbaren Blödsinn, den ich träume.
Während Josefs Alltagsverstand schläft, erlebt er Neues. Dieses Neue spricht zu ihm wie in einem Traum. Als er erwacht, ist er ein Anderer. Er nimmt das Geträumte ernster als seine ursprüngliche Interpretation der Wirklichkeit. Dazu bedarf es eines tiefen Vertrauens. Von diesem Vertrauen rät uns unser Alltagsverstand dringend ab. Er sagt: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.
Erst in der Bewegung des Vertrauens kann Josef eine Stimme hören, die aus einer anderen Wirklichkeit zu ihm spricht. Dies ist die Stimme Gottes, bzw. seines Engels oder Boten. Und indem Josef sich von dieser Stimme berühren lässt, übernimmt er Verantwortung. „Ver-Antwortung“ heißt ja wörtlich: eine angemessene Antwort geben auf diese „andere“, „ungewohnte“ und „unerhörte“ Stimme in meinem Innern. Die Antwort, die Josef gibt, die Verantwortung, die Josef nunmehr trägt, ist die, für Maria und Jesus zu sorgen. Aus seiner Verantwortung entspringt seine Für-Sorge. Fürsorge ist nichts Großes: Es genügt, da zu sein und da zu bleiben, als Mann, als Vater. Die Gegenbewegung, der erste Impuls von Josef war die Flucht, war der Beziehungsabbruch. „Mit mir nicht!“ Dieser Impuls ist nur allzu verständlich.
Wir Menschen neigen dazu, Wirklichkeit so zu interpretieren, dass wir uns nicht auf sie einlassen, keine Verantwortung und keine Fürsorge übernehmen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Josef geht es um die „Schande“. „Schande“ ist mit „Scham“ konnotiert – und sich schämen ist ein so ekelhaftes Gefühl, dass es sehr verständlich ist, alles daran zu setzen, sich dem nicht aussetzen zu müssen. Unser Verstand hilft uns dabei. Wäre es nicht eine „Schande“, wenn herauskäme, dass Maria, seine Verlobte, fremd gegangen ist? Eine Schande für das junge Paar. Eine Schande, die nur durch Beziehungsabbruch zwar nicht ungeschehen, so doch gemildert werden kann?
Lesen wir aber die ganze Geschichte wie einen Traum, so handelt sie davon, wie der Messias, das wirklich Neue, sich entwickeln und auf die Welt kommen kann. All dies geschieht in der Dunkelheit der Seele – all dies sind Traumgedanken eines seelischen Wachstumsprozesses. Hierzu gehört auch die Jungfrauenschaft Marias – natürlich nicht im biologisch-historischen Sinne, sondern im übertragenen: Das Gefäß, in dem die Kraft unseres neuen Denkens und Empfindens wächst, ist frei von den Kontaminierungen des Alten: es ist leer für Neues. Maria steht Josef zu Seite: Seine Aufgabe ist es, das Wachsen und sich Entwickeln des Neuen, Messianischen zu bewachen und zu behüten. Denn das Neue ist gefährdet – König Herodes repräsentiert die mörderische Kraft, die das Neue Leben vernichten will. Und wieder es ein Traum über den Josef erfährt, wie er Maria und Jesus schützen kann – (über die Flucht nach Ägypten). Maria und Josef verkörpern für mich eine fruchtbare Beziehung aus der heraus ein „Gott mit uns“, ein Immanuel, wächst – einer, wie es heißt, der sein Volk retten wird von seinen Sünden.
Das Volk, das sind all‘ die Bestrebungen und Tendenzen in uns, die bei dem Ganzen nicht mitmachen, die am Alten festhalten, an den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Das Volk ist verliebt in die „Zwei“ – das Dritte ist unerwünscht. Für die hebräische Bibel ist Ägypten das Land, das in Zweiheit erstarrt ist. Es gibt kein Drittes – der Welt der Lebenden steht das Totenreich gegenüber.
Altes wie Neues Testament aber handeln davon, dass es ein Leben „jenseits“ der Welt der Zweiheit gibt. Ein Leben jenseits der Erstarrung. Die Entdeckung des „Dritten“, des lebendig machenden Heiligen Geistes, innerlich wie äußerlich, ist für mich das Zentrum der christlichen Religion und das Geheimnis erfüllten, lebendigen Lebens.
Gebe Gott, dass wir mutig werden, dass wir es wagen, unsere Gefangenschaft in der Zweiheit unseres Denkens zu erleben; gebe Gott, dass in uns ein Messias, ein „Immanuel“ wachsen darf, der uns in die Wüste des Erlebens des Einen, Einzigartigen Gottes führt, in der Heiligen Dreiheit seiner Personen, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, AMEN.