Predigt unter dem Eindruck von Paris stehend

Predigt über Matthäus 25, 31 -46 am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Güte des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde!

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“ Sie kennen dieses geflügelte Wort aus Aschenputtel: mit Hilfe der Tauben gelingt es Aschenputtel, die quälende Aufgabe der Mutter, Linsen aus der Asche auszulesen, schnell zu erfüllen.

Um etwas auszulesen, muss es vorher unterschieden sein: die schlechten Linsen werden von den guten Linsen unterschieden.

Wir könnten hier auch „Auslesen“ vornehmen: alle, die an einem Tag, mit einer ungeraden Zahl Geburtstag haben.

Es gibt also eine „Ordnung“, nach der die Auslese vorgenommen wird. Eine Unterscheidungs-Ordnung. Eine Diskriminierung. Diskriminierung heißt – neutral, ohne emotionalem Beigeschmack – nur „Unterscheidung“. Unterscheidungen sind nötig, um irgend etwas erkennen zu können. Ohne Diskriminierung sind wir im Nebel des Gleich-Gültigen: und wenn alles gleich-gültig ist, dann ist es beliebig. „Das ist mir gleichgültig“ heißt: ich habe keine eigene Meinung, keine Position dazu. Erst wenn mir etwas nicht gleich gültig ist, entsteht meine eigene Haltung, die sich von der Anderer unterscheidet.

Bis hierhin scheint noch alles recht klar. Spannend wird es dann, wenn wir uns fragen, nach welchen Kriterien wir Diskriminierungen vornehmen. Da sind wir dann mitten drin im Strudel der Emotionen:

Nach welchen Kriterien soll jemand Asyl erhalten? Oder Harz IV? Nach welchen Kriterien kommt deine Deutschnote zustande?

Nach welchen Kriterien leben wir eigentlich? Was tun wir ins Kröpfchen – und was nicht. Was lassen wir in uns herein und wovon distanzieren wir uns?

Ehe man sich versieht entstehen die Befürworter und die Gegner! Und alle haben ihre Ordnungsprinzipien. Mit denen sie aufeinander los gehen und sich – worst case – einseitig oder gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Woher kommt denn auf einmal diese Gewalt? Was macht es so schwierig, sich gelassen und ruhig damit auseinanderzusetzen, nach welchen verschiedenen Kriterien wir unterscheiden?

Es sind offenbar heftige Gefühle, die dieses Geschehen erhitzen.

In diesen Gefühlen scheint es sehr schnell um Sein oder Nicht-Sein – um Existenzberechtigung oder Existenzvernichtung zu gehen.

Nun ist es so, dass die Religionen, und besonders die monotheistischen Religionen, Öl ins Feuer der ohnehin schon heftigen Emotionen gießen. Vielleicht ist es auch anders herum: dass sich im Entstehen der monotheistischen Religionen die Heftigkeit der Diskriminierungen abbildet.

Dazu eine kleine Geschichte:

Goldstein, 92 Jahre alt, hatte Progrome in Russland erlebt, die Konzentrationslager in Deutschland und viele andere Judenverfolgungen.

Oh Herr“, sagte er, „es stimmt doch wohl: wir sind dein auserwähltes Volk?“

Eine himmlische Stimme antwortete: „Ja, Goldstein, die Juden sind mein auserwähltes Volk.“

Meinst du nicht, es ist an der Zeit, jemand anderen auszuwählen?“

Ich vermute, der Auswahlgedanke selbst ist ein unheilvoller. Denken wir an den ersten Mord der Menschheit: Kain erschlägt Abel. Warum? Weil Gott das Opfer von Abel auserwählte, das von Kain aber nicht beachtete. Denken wir an Josef: er wurde von seinen Brüdern verkauft. Warum? Weil ihn sein Vater Jakob als seinen besonderen Sohn im Gegenüber zu seinen Geschwistern bevorzugte. Die Gefühle des Nicht-Auserwählt-Seins sind Hass, Neid und Gier. Diese Gefühle sind der emotionale Sprengstoff für nach außen gewandte Gewalt.

Diskriminierung hat also mit Bevorzugung und Benachteiligung zu tun. Leider ist in den monotheistischen Religionen Gott selbst zu einem Prinzip geworden, das auswählt, indem es bevorzugt und benachteiligt. Das heutige Evangelium, das Gleichnis vom Weltgericht, handelt von der kosmischen Diskriminierung Gottes: die „Guten“ „erben“ das Reich, die „Bösen“ kommen in das „ewige Feuer“. Die „Guten“ dürfen bei Gott sein, die „Bösen“ werden von Gott verstoßen. Die „Guten“ sind die „Rechten“ – die „Bösen“ die „Linken“!

Liebe Gemeinde,

auch wenn dieses Gleichnis im Matthäusevangelium steht – es ist so überhaupt nicht im Sinne der Botschaft des Jesus aus Nazareth, der mir etwas bedeutet.

Wer auch immer sich dieses Gleichnis ausgedacht hat – es ist ein Abbild von innerer, von seelischer Zerrissenheit.

Anders ausgedrückt: die an sich schönen und wertvollen Gedanken, sich den Bedürftigen zuzuwenden, den Hungernden, den Kranken, den Fremden, den „Geringsten“ – werden dadurch vergiftet, dass sie für Überheblichkeit auf der einen Seite und Beschämung auf der anderen Seite verwendet werden.

Es ist eben dieses Denken, in dem sogenanntes Gutes und Böses mit aller Gewalt getrennt voneinander gehalten wird, das die sogenannten „Geringsten“ erst entstehen lässt.

Oder, anders: Die „Geringsten“ sind die Abfallprodukte eines Denkens, dem es darum geht, sich selbst auf die Seite der Guten, der Anständigen, der Recht-Habenden, der „Richtigen“ zu retten. Diese Rettung ist dann umso dringender, wenn fest steht, dass auf der anderen Seite die ewige Verdammnis, das ewige Höllen-Feuer wartet.

Sie erkennen diese Rettungsversuche stets an der damit einhergehenden Starre (Rigidität) und Überheblichkeit (Arroganz). (Arroganz stammt übrigens ab von dem lateinischen Verb „adrogare“: „sich einer Sache anmaßen“, „etwas Fremdes für sich beanspruchen“)

Das „Fremde“, das der Arrogante für sich beansprucht, ist die Beurteilung des Anderen in Verbindung mit Selbst-Gerechtigkeit auf der eigenen Seite. Die grundlegenden Schriften der monotheistischen Religionen: das Alte Testament, das Neue Testament und der Koran eignen sich vorzüglich für die Einnahme eines arroganten Standpunktes.

(Nebenbei: An einer Stelle im Koran sagt Jesus, zu Maria gewandt: „Ehrerbietung meiner Mutter! Gott machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“ (Sue 19, Vers 32). Und an einer Stelle im Neuen Testament sagt Jesus: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ (Matthäus 10,34) Also: Vorsicht vor Vor-Urteilen!)

Als der Sufi Jalaluddin Rumi gefragt wurde, ob der Koran ein gutes Buch sei, dessen Lektüre sich lohne, antwortete er: „Du solltest dich eher fragen, ob dein Zustand es dir erlaubt, davon zu profitieren.“

Es ist eine Frage der inneren Haltung, wie wir Texte verstehen. Und nicht nur Texte – es ist eine Frage der inneren Haltung, mit der und in der wir all das wahrnehmen, was um uns herum und in uns geschieht.

Den meisten Menschen ist ihre innere Haltung so selbstverständlich, dass sie ihnen völlig unbewusst ist. So unbewusst, wie sie essen, trinken, atmen, sitzen, stehen, gehen.

Und die große Hürde, sich etwas bewusst zu machen, hat damit zu tun, dass viele von uns (vermute ich) Sätze, in denen sie wahrgenommen worden sind, als Vorwurf erlebt haben. Dass also Wahrnehmen dasselbe ist wie: „du bist falsch – sei anders!“

Wie in unserem Text: Die rechte Seite ist die richtige Seite. Bleibt für die linke Seite nur das Andere: die falsche Seite.

Gib deine „schöne Hand“ – und das war die rechte Hand: so bin ich von meiner Mutter erzogen worden, die selbst (tragische Ironie) Linkshänderin war!

In der chinesischen Medizin ist im übrigen die linke Seite die weibliche Seite.

In unserem Text stehen auf der linken Seite die Böcke: also die männlichen Tiere. Ihr großer Nachteil ist: durch sie bekommt man keinen Nachwuchs! Außerdem schmeckt ihr Fleisch nicht besonders. Man kann sie also zu nichts zu gebrauchen. Nur – sie können auch nichts dafür, dass sie als Böcke, als männliche Tiere auf die Welt kamen. Diese armen „Sündenböcke“ sind – weiß Gott – unschuldig!

Ob dies dem Verfasser unseres Textes bewusst war? Dass er in derselben Geistes-Haltung denkt, wie jene, die schrien: „Kreuzige ihn!“ ? „Das Opferlamm. Das zur Schlachtbank geführt wird…“

Dass genau dieses Denken seine Verwirklichung findet im religiösen Terror aller Zeiten. Der aus der Idee entspringt, selbst sich das Amt des Richters anzumaßen.

Und ob dem Verfasser unseres Textes bewusst war, wie radikal anders sich hiervon das Denken Jesus absetzt. Hat er sich überhaupt die Mühe gemacht, sich mit den Gedanken Jesu zu beschäftigen? Bei Jesus geht es um Integration, nicht um Ausscheidung. Wie z.B. in seinem Gleichnis vom verlorenen Schaf, das sich übrigens auch im Matthäusevangelium findet. Hier geht es um die Rettung des einen – und nicht um die Bestrafung der Falschen. Oder seine Antwort auf die Frage, wann das Reich Gottes kommt: „es ist inwendig in euch“, oder „es ist zwischen euch“ … und nicht: das Reich Gottes kommt, wenn die Bösen in der Hölle schmoren und die Guten im Paradies spazieren gehen …

Oder das Gleichnis vom scheinbar „verlorenen“ Sohn: der heimkehrende Sohn wird weder beurteilt noch verurteilt. Vielmehr wird ein Freudenfest über seine Rückkehr gefeiert.

Es ist der neidische ältere Bruder, der urteilt, der sagt: „ich bin bei dir geblieben, habe für dich gearbeitet – und jetzt wird der belohnt, der dein Erbe durchgebracht hat … Das ist ungerecht!“

Du solltest dich fragen, ob dein Zustand es dir erlaubt, von den Texten zu profitieren.“

Die Verführung ist groß, sich selbst auf den Richterstuhl zu setzen, der allein Gott oder Christus oder Allah oder Jahwe vorbehalten ist. Das ist das zentrale Missverständnis, der fundamentale Missbrauch aller Sekten und fundamentalistisch denkenden religiösen Gruppierungen: zu meinen, sie müssten an der Stelle Gottes Gericht halten.

In Wirklichkeit wird nur der eigene Neid, der eigene Hass und die eigene Gier in diesem vermeintlichen Gericht-Halten untergebracht. Gott braucht keine Richter; Gott braucht keine Inquisition. Was er aber braucht, das ist unsere Kraft und unseren Mut, uns unserer eigenen Abgründen bewusst zu werden. Unserer eigenen Gier, unserem eigenen Neid, unserem eigenen Hass ins Auge zu schauen – um ihm Einhalt zu gebieten.

Sie können das alles im übrigen auf sich selber anwenden. Indem Sie zum Beispiel aufmerksam dafür werden, wie oft Sie am Tag in Urteilen denken und Urteile äußern. Diese Sätze/Gedanken gehen meistens so los: „also ich finde es unmöglich, dass …“ Das Gefühl dazu ist eine selbstgerechte Empörung. Und ein selbstgerechtes Sich-Lustig-Machen über Andere. Und richtig Spaß macht das, wenn man dann auch noch GesinnungsgenossInnen bekommt. Dann kann man so richtig über Andere herziehen. Das Andere- das ist das Nicht-Eigene: das Fremde. Die Inhalte für Überheblichkeit sind übrigens austauschbar. Es gibt auch überhebliche Vegetarier, Friedensaktivisten, Krichgänger. Der Punkt ist nicht der Inhalt, sondern wofür ich ihn verwende. Ob ich meine Geisteshaltung und mein Tun dafür verwende, auf die Anderen herabzuschauen.

Und wie du wieder ausschaust…“ Und das ist so lange relativ harmlos, wie es bei dem „sich lustig machen“ bleibt. Und ganz wichtig: in der Phase der Pubertät gehört das Ganze unabdingbar dazu! Euch steht es zu, sich über die Erwachsenen, über uns

Alte auch lustig zu machen! (Wir machen das im übrigen umgekehrt auch ganz gern!)

Entscheidend ist, dass es im „gutmütigen“ Rahmen bleibt. Und schön wäre es, wenn man allmählich sich entscheiden könnte, auch erwachsen zu werden. Ich habe das Gefühl, bei uns gibt es viele „Berufsjugendliche“, die allmählich auf die Rente zugehen. Aber das nur nebenbei.

Etwas lustig finden hat mit der Fähigkeit zu tun, sich selbst in Frage stellen zu können. Es gibt Menschen, die können das nicht. Sie haben das Gefühl, sich selbst in Frage zu stellen vernichtet sie. Diese Menschen fühlen sich in ihrer eigenen Würde, ja in ihrer Identität angegriffen und abgelehnt, wenn etwas nicht so ist, wie sie es haben wollen. So muss alles Fremde zerstört werden. Sie geben die Zerstörung, die sie erlebt haben weiter – und zerstören: die Identität, die Würde, die Freude, den Spaß der Anderen. Genau hier ist die psychische Stelle, wo es kippt: und zwar in zerstörerische Gewalt. Das Problem ist, dass bei diesen Menschen der Satz: die Würde, tiefer noch, die Existenz des Lebendigen ist unantastbar, nicht greift, weil sie ihn nicht verstehen.

Das Problem ist, dass bei diesen Menschen die innere mentale Welt zerstört ist. An ihrer Stelle sind einfache gut-böse-Diskriminierungen getreten. Es gibt die Guten – dazu gehört man selbst – und die Bösen: die sind zu zerstören. Der menschliches Zusammenleben schützende mentale Rahmen, die uns schützenden mentalen Grenzen sind im Inneren dieser Menschen zerstört. Und das Innere drängt nach außen. Und wenn es keine Instanz mehr gibt, die hier Einhalt geben kann, dann entstehen Amokläufe, Amokflüge, Selbstmordattentate usw.

Ich weiß, dass meine Worte und die Worte der Politiker im Vergleich zu der geschehenen und immer weiter geschehenden Gewalt sich ausnehmen wie eine Wasserpistole im Vergleich zu einem Maschinengewehr. Aber genau das ist die Verführung: jetzt selbst und selbst-gerecht zum Maschinengewehr des eigenen Hasses zu greifen. Es gilt auch: die Kraft zu finden, die eigene Ohnmacht auszuhalten. Und die damit verbundenen Ängste. Und bei alle dem: nicht aus der Liebe zu fallen. Dies scheint mir die Aufgabe von allen ernsthaft religiös orientieren Menschen zu sein. Was wir brauchen ist eine ökumenische Friedensbewegung der Weltreligionen.

Der Rapper KC Rebell (selbst türkischer Abstammung) besingt in seinem schönen Song „Fata morgana“ das, was ich hier in dürren Worten versuche zu sagen, so:

Auch, wenn du dich umguckst,

und du Menschen siehst, die rumspinnen,

solltest du besser in deinen eigenen Problemen schwimmen

egal, was du siehst, was du lebst, was du bist, was du denkst,

lass es einfach in deinem Kopf drin.

Und dann kommt der wunderschöne Refrain:

Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders

doch den Balken in deinem Auge siehst du nicht

erlaub dir niemals ein Urteil über andere

denn ein anderer urteilt dann über dich …

Liebe Gemeinde,

wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ – das war die Einleitung in den heutigen Gottesdienst.

Ich weiß nicht, ob wir das müssen. Aber soviel weiß ich: keinem von uns steht es zu, sich auf diesen Richterstuhl setzen.

Und mit „von uns“ meine ich „uns Menschen“: egal welcher Hautfarbe, welcher Religionszugehörigkeit, welchen Nettoeinkommens, welchen Alters, welchen Geschlechtes. Und auch egal, welchen gesellschaftlichen oder politischen Status jemand innehat. … unsere Aufgabe ist es, diesen Stuhl leer zu lassen … und uns abzufinden mit der Begrenztheit und Vorläufigkeit und Fehlerhaftigkeit unserer Erkenntnismöglichkeiten. Und in diesem Abfinden den Mut und die Stärke zu finden, dem eigenen Hass und dem Hass derer, die auf Zerstörung aus sind, Einhalt zu gebieten – in Klarheit und in Bescheidenheit.

Ich hoffe, dass dies auch für das hier Gesagte gilt: möge es Ihre Herzen so erreichen, wie es mir nicht möglich ist. Möge es Ihre Herzen so erweichen, wie es allein dem Wirken des Heiligen Geistes möglich ist: seine Kraft und seine Güte, seine Weisheit und seine Liebe, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre uns in Christus Jesus, AMEN.

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