Predigt zu Pfingsten 2018 in der Jakobus- und in der Petruskirche

Predigt über 1. Korinther 2, 12-16 an Pfingsten 2018

Liebe Gemeinde,

es würde das Miteinander-Reden (den „Dialog“) erheblich erleichtern, wenn jeder Sprechende sich die Mühe machte, kurz darüber nachzudenken, wofür er das, was er gerade sagen will, verwendet. Und zwar bevor er den Mund aufmacht.

Wofür eignet sich der Gedanke, den ich gerade äußern will?

Viele Äußerungen eignen sich insbesondere dafür, den eigenen Hass unterzubringen. Schadenfreude – im Volksmund gilt sie als „die schönste Freude“ – lässt sich in Sätzen wie: „das hast du jetzt davon…!“ oder: „Das hätte ich dir gleich sagen können…!“ Oder: „warum hast du nicht … , dann wäre dir das nicht passiert…“ gut unterbringen. Und natürlich auch das dazugehörige Gefühl von Ärger – mit dem inneren Gedanken: „so ein Idiot!“

Auf den ersten Blick nicht gleich sichtbar ist in solchen Gedanken eine Haltung versteckt: die Haltung der Überheblichkeit. Ein unausgesprochenes: „mir wäre so was nicht passiert …“

Unser heutiger Predigttext, ein Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief von Paulus, bietet sich für Selbstsicherheit, Selbst-Befriedigt-Sein und Überheblichkeit an. Er bietet sich aber auch dafür an, über dieses nur allzu menschliche und verbreitete Geschehen nachzudenken.

12 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.

13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.

14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.

15 Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt.

16 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen« (Jesaja 40,13)? Wir aber haben Christi Sinn.“

Aha! So ist das also.

Etwas salopp, etwas verkürzt zusammengefasst heißt das: die „Deppen“ sind die Anderen – wir hingegen wissen, wie es ist, wie es geht. „Wir haben Christi Sinn!“

Wir haben den Geist!!!

Klasse. Wenn ich uns so anschaue, dann merke ich auch gleich, wie recht Paulus hat:

„We are the Champions … No time for losers – cause we are the champions of the world“

Keine Zeit für Verlierer – weil: wir sind die Champions der Welt!

Champion – ein Wort aus dem Sport – heißt: derjenige sein, der alle anderen aus dem Rennen geworfen hat – schlicht: „der Beste“.

(Nebenbemerkung: Je ehrgeiziger der Champion, desto narzisstisch bedürftiger ist er. Anders ausgedrückt: ist er einmal kein „Champion“, zieht er sich voller Scham und Enttäuschung zurück. So fehlte jüngst einer herausragenden deutschen Fußballmannschaft die gelassene Großzügigkeit, trotz verlorenem Pokalfinale mit den Siegern zu feiern und für die Sieger sich zu freuen .,. )

Doch HALT: unser Held ist doch dieser von der Welt Verachtete, der Ausgestoßene, der inmitten der Verbrecher Hingerichtete!

Ja – das ist alles „Geist der Welt“. Es ist „Geist des natürlichen Menschen“; ihm ist das, was wir erkennen eine „Torheit“. Der natürliche Mensch „kann nichts erkennen“ – „es muss geistlich beurteilt werden!“

Wir aber sind der geistliche Mensch. Von ihm gilt:

„Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt.“ WOH!

Liebe Gemeinde,

„solange wir uns auf Erde befinden, gibt es nichts, was für uns wichtiger ist als die Demut.“ Sagt Theresa von Avila am Anfang ihres zeitlos schönen und immer wieder zu lesenden Buches: „Die innere Burg“. Die Demut – und nur die Demut – sei der „Weg“ zur Vereinigung mit Gott.

Die zitierten Paulus-Sätze klingen nicht demütig. Im Gegenteil: sie sind anfällig für Überheblichkeit. Insbesondere dann, wenn man sie aus ihrem Zusammenhang löst.

Der Zusammenhang ist, dass in der Gemeinde von Korinth sich Gruppen gebildet hatten, die jeweils meinten, die „reine Lehre“, das „bessere Christ-Sein“ zu verkörpern. Das ist auch ein verbreitetes menschliches Phänomen: Gruppen entstehen und zerfallen, und es entstehen wieder neue Gruppen. Meist hat der Zerfall damit zu tun, dass sich eine Gruppe abspaltet, weil sie sich mit dem „Mainstream“ der alten Gruppe nicht mehr identifizieren kann. Der „Mainstream“ nennt diese Abspaltungen dann „Sekten“ (lateinisch: sectio: ursprünglich die Zerstückelung von Gütern bei einem Aufkauf). In den Augen des jüdischen „Mainstreams“ war Jesus ein Sektierer, der Gründer einer „Sekte“. Dasselbe gilt für Martin Luther aus der Sicht des „Mainstreams“ der katholischen Kirche. (Nebenbei: schaut man sich die Geschichte der Psychoanalyse seit ihrer Gründung durch S. Freud an, wird man dasselbe Phänomen entdecken.)

Paulus kämpft in unserem Predigttext um die Einheit der Gruppe. Das „Wir“ soll die Gemeindeglieder in Korinth miteinander verbinden, zusammenschweißen – das „wir“ bedeutet: wir haben doch alle denselben Glauben, denselben Sinn!

Einen Glauben, auf den wir stolz sein können!

Der Kehrseite dieser Art des „Vereinigens“ ist: es bedarf eines Fremden, eines Anderen, eines Nicht-Wir, von dem „wir“ uns absetzen. Auf den wir mit unserem vermeintlichen Glauben und Wissen „herabschauen“. Das ist keine Beziehung in Freiheit, es ist eine Beziehung in Abhängigkeit. Ich brauche die Herabsetzung des Anderen, um mich selber als „gut und richtig“ zu spüren.

Wir haben Christi Sinn!“ Dadurch heben wir uns von den „weltlichen“ Menschen ab. Und das gibt uns Sicherheit. Sicherheit durch Abwertung des Anderen/Fremden.

Diese Art des Denkens wird in den Evangelien, wird von Jesus als pharisäisches Denken bezeichnet.

Im Gleichnis Jesu vom Pharisäer und Zöllner (Lukas 18,9-14) sagt der Pharisäer: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute …“ Diese seine „Identität“ lebt davon, nicht so „minderwertig“ wie die Anderen zu sein. So wird Religion, wird Glaube zu einer Krücke für die eigene wackelige Identität. Die aktuelle Idee, in allen bayrischen Verwaltungsgebäuden ein Kreuz anzubringen, ist Ausdruck von derartiger Unsicherheit – und nicht Ausdruck eines starken Glaubens. Ein starker Glaube vertraut dem Kreuz – und gerade so wird er es nicht demonstrativ zur Schau stellen.

Ein starker Glaube drückt sich in ebenso klaren wie einfachen Worten aus.

Der Zöllner (auf den der Pharisäer herab blickt) im genannten Gleichnis betet schlicht: „Gott sei mir Sünder gnädig!“

Gnade“ aber, „Erbarmen“ ist ein Geschehen, das sich nicht machen lässt. ES geschieht. ES ist nicht mein Werk, mein Gemachtes, es ist das Werk des Heiligen Geistes, „der weht wann und wo er will…“ Und selig der Mensch, der sein Brausen hört und sich darauf einlassen kann. Selig die Seele, die befreit wurde zum Mitschwingen im Wehen des Heiligen Geistes.

Die Voraussetzung dafür ist tiefe Demut. In ihr lasse ich meine Verdienste und meine Werke los. In ihr ergebe ich mich. In ihr geschieht liebevolle Hingabe – an mein so und nichts anders gewordenes Leben. Deshalb sagt Theresa von Avila:

Solange wir uns auf der Erde befinden, gibt es nichts, was für uns wichtiger ist als die Demut!“

Aber auch hier ist Vorsicht geboten: es gibt nämlich eine „falsche, eine verkleidete“ Demut, eine Demut, die in Wirklichkeit Feigheit ist. Noch einmal Theresa mit scharfer Zunge:

Es gibt Menschen, „die immer im Elend unserer Erde stecken bleiben.“ Ihr Lebensfluss kommt nie „aus dem Schlamm der Ängste“ heraus, „aus der Verzagtheit und Feigheit, die furchtsam fragt, ob man auf mich schaut oder nicht auf mich schaut; ob mir, wenn ich diesem Weg folge, etwa ein Unheil zustößt; ob ich es wagen, kann jenes Werk zu beginnen; ob es Hochmut ist; ob es recht ist, dass eine solch elende Person (wie ich) sich mit einer so hohen Sache wie dem Gebet befasst; ob man mich für etwas Besseres hält. Denn Übertreibungen sind nicht gut, auch nicht in der Tugend! …“ Theresa bezeichnet diese Haltung als „Mattherzigkeit“ – dies habe mit „Demut“ nichts zu tun.

Und sie findet die Ursache dieser Verdrehung in einer „verdrehten Selbsterkenntnis“, die dann entsteht, „wenn wir nicht aus uns heraus gehen.“

Anders ausgedrückt heißt das: echte Selbsterkenntnis ist nur möglich, wenn ich in der Lage bin, mich ein wenig von mir selbst zu entfernen, mich selbst ein wenig „von außen“ zu sehen und zu erkennen. Eben „aus mir heraus gehe“. Erst dann beginne ich nämlich, mich kennen zu lernen. Ohne diese Fähigkeit bleibe ich ein Gefangener meiner selbst, bleibe ich blind für mich.

Aus mir heraus gehen bedeutet freilich: ein Risiko eingehen. Und das erzeugt Angst.

Aus mir heraus gehen bedeutet, ich verlasse meine „Komfortzone“, meine Routine, in der vermeintlich nichts passieren kann. Meine Angst will mich genau davon abhalten. Und ich kann alles dafür verwenden, in der Komfortzone zu bleiben – auch meinen Glauben.

Das ist für mich jeden Tag aufs Neue die große Frage, ob und inwieweit mein Glaube letztlich eine selbstgemachte Seifenblase, eine Halluzination ist. Ob mein Glaube in der Beziehung des Heiligen Geistes empfangen oder von mir selbst gefertigt wurde.

Hierfür kenne ich keine letzte Sicherheit. Allerdings werde ich sofort misstrauisch, wenn mir jemand erklärt, er sei sich sicher, dass sein Leben vom Heiligen Geist erfüllt ist. Aber vielleicht ist mein Misstrauen auch nur Ausdruck meines Neides, dass mir diese Sicherheit nicht gegeben ist.

Liebe Gemeinde,

ich möchte gerne ein Leben leben, in dessen Zentrum steht: „Ich habe Christus im Sinn.“ Und ich kann mir gut vorstellen, dass uns dieser Wunsch verbindet.

Möge meine, möge unsere Seele – wie Hildegard von Bingen betet – dem Wind gleichen, der über die Kräuter weht, und dem Tau, der die Gräser benetzt, und der Regenluft, die wachsen lässt,

möge meine/unsere Seele befreit werden und frei sein von dem Geist des Machens, und des Besser-Wissens,

möge meine/unsere Seele jenem Schiff gleichen, von dem Johannes Tauler dichtete:

Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last, das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.“ AMEN.

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