Heute geht es um Glauben.
Klar – irgendwie geht es in einem Gottesdienst immer um Glauben.
Aber heute steht er im Zentrum:
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ So lautet der Wochenspruch.
Wir haben also gesiegt!
„We are the Champions … “
Wirklich?
Sehen so Sieger aus?
Also – ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht – aber mir widerstreben derart vollmundige Sätze! Ich weiß aus persönlicher Erfahrung und aus meiner therapeutisch-seelsorgerlichen Arbeit: Ganz so einfach geht das nicht. Zum einen maße ich mir nicht an, zu wissen, unter welchen Bedingungen jemand gerettet, gerecht oder selig werden kann. Zum andern vermute ich, dass gerade solche vollmundigen Sätze es sind, die zur Unglaubwürdigkeit von Predigern und ihrer Verkündigung beitragen.
Die Unglaubwürdigkeit solcher Sätze hat direkt mit der Haltung derer zu tun, von denen sie ausgesprochen werden.
Je überheblicher – desto weniger glaubwürdig.
Und noch eines: Wo es Sieger gibt, gibt es notwendig auch Verlierer.
Es war unter anderem Martin Luther, der mit seiner „theologia crucis“ versuchte, die Unglaubwürdigkeit und Überheblichkeit seiner Kirche (Stichwort: ecclesia triumphans) in eine neue Glaubwürdigkeit zu verwandeln. Populär verkürzt könnte man Luthers Kirchenkritik mit den Worten von Heinrich Heine so zusammenfassen: Die Würdenträger „predigen Wasser und trinken Wein“. Etwas differenzierter: Nach den Maßstäben, in denen diese unsere Welt misst, war Jesus ein Verlierer. Oder mit Paulus: Es war eine Torheit, sich kreuzigen zu lassen.
Unser heutiger Predigttext handelt von einem Mann, der sich wohl auch als ein „Narr Gottes“ (1. Korinther 4, 10) gefühlt hat. Er stellt sich in dem zu predigenden Abschnitt selbst vor:
1 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. 2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. 3 Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. 4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. 5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –, 6 er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.“
Eine kurze Zwischenbemerkung zum Zusammenhang, in dem dieser Text steht. Es ist das zweite sogenannte „Lied vom Gottesknecht“. In ihm stellt sich der „Knecht Jahwes“ – so bezeichnet er sich selbst – vor, während er im ersten Lied von Jahwe vorgestellt worden ist. („Seht, mein Knecht, den ich stütze, mein Erwählter…“ (Jes. 42,1 – dieser Text ist dem 1. Sonntag nach Epiphanias zugeordnet.)
Die Selbstvorstellung des Knechtes beginnt mit dem Hammer-Satz: Jahwe hat mich von Mutterleibe an berufen, hat seinen Mund zu einem scharfen Schwert geformt; er selbst sei ein spitzer Pfeil im Köcher Gottes.
Das ist alles ganz schön kriegerisch! Und wozu das Ganze?
„Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen möchte!“
„Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz.“
Dieser Satz erreicht mich. Oft denke ich mir: Wozu predigst du eigentlich? Oder wozu gibst du dir so eine Mühe, einigermaßen ökologisch verantwortungsvoll zu leben? Wozu? Und dann tauchen in meiner Fantasie „die Anderen“ auf – die in meinen Augen sich keine Mühe geben … Die ihre SUVs fahren, mit dem Flugzeug in aller Herren Länder fliegen, ihr Fleisch essen, und und und… Darauf angesprochen bekomme ich einen verständnislosen Blick und die Antwort: Das machen die Anderen doch auch. Und dann werde ich zornig, „erhebe“ mich über die Anderen, über meine Mitmenschen („Ich bin besser als ihr …!“) Und indem ich das tue, entferne ich mich immer weiter von dem Gott, den ich glaube, dem ich vertraue. Und dann stürze ich ab in Gefühle der Sinnlosigkeit: es hat doch eh alles keinen Sinn, und die Menschen sind doch gar nicht in der Lage, sich zu ändern.
Auf die Selbsterhöhung folgt der Absturz in die Selbsterniedrigung, auf die Manie folgt die Depression. Diese Bewegung findet sich auch sehr schön in unserem Text: Der Prophet versucht sich damit zu trösten, dass er sich von Gott berufen fühlt. In ihm, in seiner Botschaft will sich der Allmächtige verherrlichen. Seine Aufgabe ist nicht nur, das Volk Israel zu sammeln und die „Zerstreuten Israels wiederzubringen“ – seine Aufgabe ist viel universeller, viel großartiger:
„Ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.“
Ich merke: Ich kann diesen Gedanken, dieser Botschaft, für mich persönlich keinen Trost abgewinnen. Sie hilft mir nicht, aus meinen Sinnlosigkeits-Löchern herauszufinden. Aber sie erinnert mich daran, wie nahe sie mir gewesen ist, als ich jung war. Genau mit diesen Gedanken habe ich versucht, meine depressiven Gefühle zu bekämpfen: Ich wollte mir einen Namen machen, ich wollte berühmt werden, indem ich mir z.B. einen berühmten Doktorvater suchte usw.
Und ich habe lange dafür gebraucht zu lernen: Das, was die Anderen, die Gesellschaft in mir sieht: es nährt mich nicht wirklich! Es macht mich nicht satt. Prestige, Status, Titel usw. das alles ist emotionales Junkfood. Man schlingt es gierig in sich hinein, für kurze Zeit wird die innere Leere zugedeckt, um sich dann umso hartnäckiger wieder zu melden.
Das ist der Suchtkreislauf: Junkfood macht nicht satt – Junkfood macht abhängig!!!
Sättigend ist allein die Verbindung zur eigenen Wahrheit, sättigend ist die Erkenntnis, dass ich so und nicht anders geworden bin.
„Die Wahrheit macht Euch frei“, sagt der Johanneische Christus.
Alle Ängste entstehen in der Täuschung, im Sich-selber-etwas-Vormachen.
„Ich aber dachte,ich arbeitete vergeblich und verzehrte mein Kraft umsonst und unnütz.“ (V. 4a) Ich vermute, diesen Satz kennt jeder, der mit Leidenschaft seinen Beruf ausübt: sei es der Lehrer/Erzieher, sei es der Pfarrer, es es der Therapeut. Wer in diesem Gefühl erstarrt, der wird verbittern: Ich habe so viel gegeben – und was habe ich bekommen?
Erst wenn ich mich selber finde in meinem Leben, wenn ich mir eingestehen kann, es gibt eine Tiefe, in der ich dies alles für mich tue, bzw. getan habe, erst dann werde ich wirklich frei. Jede einzelne Entscheidung meines Lebens, egal ob sie groß oder klein war, gut oder schlecht gewesen ist – es ist meine eigene Entscheidung gewesen!
„Der Herr hat mich berufen … “ stimmt – und: Ich habe mich berufen lassen.
Spirituelles Denken neigt dazu, sich freiwillig in eine Abhängigkeit hinein zu begeben. Und so weigert es sich, sich dem Strom des Lebens zu überlassen. Paulus hat mit seiner Idee, dass wir alle „Kinder Gottes“ sind, diese Art zu denken auf den Punkt gebracht.
Möglicherweise sind wir Menschen ja darin überfordert, erwachsen zu werden. Erwachsen sein heißt für mich, Verantwortung für das eigene Denken und Handeln zu übernehmen und nicht länger anderen eine „Schuld“ in die Schuhe zu schieben. Erwachsenes Denken hat gelernt, dass eigene „Fehler“ einzugestehen, eigene Schwächen anzuerkennen, mich nicht vernichtet. Im Gegenteil: Diese Fähigkeit macht stark.
Gesundes und verträgliches Miteinander-Leben in Gruppen, in Familien, in Gemeinden entsteht überall da, wo Menschen bereit sind, ihren eigenen Anteil an einem Konflikt auf sich zu nehmen. Das können Kinder nicht. Es setzt nämlich die Fähigkeit voraus, sich selbst ein wenig über die Schulter zu schauen, sich selbst ein wenig „von außen“ zu betrachten.
Es ist vor allem eine Frage des Mutes, an diesen Punkt zu kommen.
Und es ist eine Frage des Vertrauens, dass – wenn ich mich ehrlich kennen lerne und zu mir stehe – ich nicht verurteilt werde. Weder von mir selbst noch von Anderen.
Es ist das Gegenteil dessen, was ein französisches Sprichwort meint:
„Qui s’excuse, s’accuse.“
In dieser Haltung bleibe ich vereist.
Dahinter steht Luthers drängend Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“
Seine Erkenntnis: Ich bekomme ihn geschenkt, kann ihn mir nicht machen. Dies hat Luther „Rechtfertigung“ genannt. Eine Rechtfertigung, die sich niemand von uns selber geben kann. Die ich nur im Vertrauen empfangen kann.
Und das ist für denjenigen, der versucht, aus seiner eigenen Stärke heraus zu leben, unerträglich.
So gesehen stimmt es: „Unser Glaube, unser Vertrauen ist der Sieg, der die Welt überwunden hat … “ AMEN.