Liebe Gemeinde,
„…es ist wirklich zum Lachen!“
„Das glaube ich nie und nimmer…“
„Das ist völlig unmöglich…“
Genau darum geht es heute!
Worum es nicht geht: Es geht nicht um Quer denken, Verharmlosen und dadurch den angestauten Hass auf Regeln, Gebote, Autoritäten, „den Staat“ auszuleben.
Die frohe Botschaft lautet nicht, dass wir (Christen) mit einem Gott im Bunde sind, der die Naturgesetze willkürlich aushebelt. Wenn es in unserem zu predigenden Test heißt: „Sollte Gott etwas unmöglich sein?“ ist große Vorsicht geboten.
Wir Menschen sind nicht Gott! Und wir werden nicht Gott. Und das ist gut so.
Die Bewegung ist umgekehrt: „Gott wird Mensch!“
Die frohe Botschaft ist die Menschlichkeit Gottes – nicht die Göttlichkeit des Menschen! Die frohe und überraschende Botschaft ist: Es gibt einen Weg, der in wahrhafte Menschlichkeit führt: Es ist der Weg der Einfühlung in sich selbst und in den Anderen. Es ist der Weg des Verständnisses, gerade für das Schwache, Hilfsbedürftige. Auch diese Seite an sich selbst zu bejahen, sie zu sich zu nehmen und nicht länger draußen zu bekämpfen: dies ist der Weg einer heilsamen Menschlichkeit.
Kurzum: Es ist der Weg der Liebe, zu sich selbst und zum jeweils Anderen, mit dem ich gerade zu tun habe.
„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ heißt es im Wochenspruch zum 4. Advent (Phil. 4, 4.5b)
In dem Herrn – in Gott sich freuen – das ist etwas völlig anderes, als sich an der Stelle Gottes zu freuen.
Auf sich selbst gestellt,auf eigenen Beinen stehend und gerade so mit Gott im Bunde – Das ist die frohe Botschaft!
Und was heißt das: „Mit Gott im Bunde“?
Ich habe heute eine alte Geschichte zu predigen, in deren Mittelpunkt steht, dass sich jemand darüber lustig macht, was Gott ihm verheißt.
Die Geschichte steht in der Reihe der Ankündigungen der Geburt von etwas Neuem. Dem patriarchalischen Denken der Zeit entsprechend ist dieses „Neue“ der „Sohn“. Höhepunkt dieser Sohnes-Ankündigungen ist das vorhin gehörte Evangelium: Die Ankündigung der Geburt Jesu.
In unserem Predigttext handelt es sich um die Ankündigung eines anderen bedeutsamen Sohnes: Es geht um die Geburt Isaaks. Seine Eltern – Sarah und Abraham – waren nach unseren Maßstäben gemessen bereits im Greisenalter: Sarah ging auf neunzig zu – Abraham war 99.
Sie merken schon – wenn man diese Geschichte wörtlich – konkretistisch – nimmt, kann dabei nur Schwachsinn herauskommen.
Aber jetzt lese ich Ihnen die Geschichte erst einmal vor:
„Und der Herr erschien ihm (Abraham) im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. …
Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt. Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes. Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise. Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!
Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben. Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht –, denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht.“
Unsere Geschichte beginnt mit einer merkwürdigen Einleitung:
„Der Herr erschien Abraham … als der Tag am heißesten war.“
Abraham ist in der jüdischen Mystik verbunden mit der Ziffer 1. Mit ihm beginnt alles, er ist der erste der drei Erzväter. Und seine Name beginnt mit dem ersten Buchstaben des Hebräischen Alphabets, dem Alef. Sein zweiter Buchstabe ist das Beth. Es ist die Eins, die die zwei in sich trägt. Die Eins geht mit der Zwei, dem Anderen, dem Sohn schwanger. Im Hebräischen heißt Sohn „ben“ – beginnend mit Beth – eben der Zwei.
Abraham gehört zum ersten Tag der Woche, dem Sonntag. Und damit gehört er zur Sonne, deren astrologische Bedeutung: „Ich bin da“ ist. Es ist das Ego, das sich in seinem Dasein selbst genügt – um das alles andere kreist. Und so beginnt die Geschichte damit, dass die Sonne am höchsten steht, wo es am heißesten ist. Das ist auch die Zeit, wo sich etwas „wendet“. Wenn die Sonne am höchsten steht, beginnt ihr „Niedergang“. Es ist eine Wendezeit. So wie gerade eben – Weihnachten ist auch das Fest der Wintersonnenwende.
Wende heißt: So kann und wird es nicht weiter gehen. Es kommt etwas Anderes dazu. Dieses Andere ist die Zwei.
Abraham, die Eins, steht für die rechte Seite, für das Yang.
Isaak repräsentiert die linke Seite, die Zwei, das Yin. Im Zusammenspiel, im Zusammenklang von eins und zwei, von Yang und Yin geschieht Ganzheit.
Ganzheit im Sinne von „aus einem Guss“.
Nur die „ganze“ Glocke klingt und schwingt. Es gibt viele Weihnachtslieder, die vom Klingen der Glocken handeln. Das wird jetzt verständlich.
Die linke Seite ist die weibliche Seite, die Wasserseite, die passive Seite. Es ist der Mond, der beleuchtet wird. Wenn Sie im Alten Testament nachlesen, werden Sie merken, dass die Isaak-Geschichten allesamt Wassergeschichten sind. Unmittelbar nach seiner Geburt streitet Abraham mit Abimelech über die Brunnen (Gen. 26, 16-33) Und als Isaak seiner Frau Rebekka zum ersten Mal begegnet, kommt er vom Brunnen (Gen 24,62) Ansonsten bleibt Isaak merkwürdig passiv – bis dahin, dass er bereit ist, sich ohne Aufbegehren opfern lässt.
Sarah ist die einzige Frau, die in unserer Geschichte auftaucht. Auch sie bleibt passiv. Abraham und die „drei Männer“ sind die Aktiven. Ich verstehe im übrigen jede Frau, die sich über solche Geschichten ärgert. Der Platz der Sarah ist im Zelt, die Männer verfügen über sie. In einer anderen Version unserer Geschichte heißt es, ihre Aufgabe sei es, die Männer zu bewirten – und ansonsten ihre Klappe zu halten. Ist es da ein Wunder, dass sie sich lustig macht? Wenn man so radikal ohnmächtig ist, wenn man so radikal zu Passivität verdammt ist – dann ist „Sich lustig machen“ eine Art Not- Ventil. Ein naheliegendes Ventil, um ein wenig von dem Ärger und der Wut abzulassen. Dass Sarah dieser Ventil benötigt, wird noch nachvollziehbarer, wenn man sich die Mühe macht, sich in Sarah einzufühlen.
Für eine Frau, die sich dringend ein Kind wünscht, ist es häufig tief beschämend, wenn dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist. Die einzige und beste Lösung, die ihr dann bleibt, ist, sich damit abzufinden. „Gras über diese Schmach wachsen zu lassen.“
Und dann kommt ein Kamel daher, das die Grasnarbe wieder weg frisst. Dieses Kamel ist in unserer Geschichte kein anderer als – Gott selbst. Er reißt die alte Wunde von Sarah wieder auf. Und Sarah wehrt sich, in dem sie sich über die Ankündigung ihrer bevorstehenden Schwangerschaft lustig macht. Sie ist belustigt über diese Schnapsidee, dass sie in ihrem hohen Alter noch ein Kind kriegen sollte. Und Gott, der Herr, fordert sie auf, zu ihrem Lachen zu stehen: „Doch – du hast gelacht!“
Mehr nicht. Kein beleidigter Gott verhängt eine Strafe. Alles, was Gott will, ist: Stehe zu dir selbst: „Doch du hast gelacht!“
Es gehört Mut dazu, zu sich selbst zu stehen. Viel einfacher ist es, im Geheimen sich über jemand/etwas lustig zu machen – und darauf angesprochen es zu verleugnen. Viel einfacher ist es, irgendwelche pseudo-rationalen Gründe vorzuschieben. Das sind die berühmten Ausreden … Wer kennt das nicht aus seiner Jugend: Beim heimlichen Rauchen oder Knutschen oder Spicken erwischt zu werden …
Die dahinter steckende Abwehr ist sehr einfach: Es geht um die Abwehr von Peinlichkeit. Von Schamgefühlen. Scham erleben zu müssen, fühlt sich vernichtend an. Die einzige (scheinbare) Rettung ist es zu verschwinden.
„Ich möchte am liebsten im Boden versinken aus Scham!“
Der Vorteil dieser Flucht ist: Ich rette meine Seele vor der (phantasierten) Vernichtung. Ihr Nachteil ist: Ich kann keine neue Erfahrung machen, ich kann nichts Neues lernen.
Nun steht Scham in direkter Beziehung zu jenen inneren Stimmen in uns Menschen, die uns bewerten. Wenn ich mit meiner Predigt zufrieden bin, hat das damit zu tun, dass eine Stimme in mir sagt: „Gut gemacht!“ Das gilt natürlich auch umgekehrt. Und alles hängt davon ab, ob diese inneren Stimmen, die mich bewerten, mir wohlwollend („gnädig und barmherzig“) oder ungnädig und unbarmherzig zu mir sind. Luthers quälende Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ lautete: Wie bekomme ich in mir eine Instanz, vor der ich mich nicht so elendiglich schämen muss. Die mir wohlgesonnen ist. Luther hatte in seiner Vaterbeziehung viel Ungnade erlebt – verbunden mit einer schweigend-duldenden Mutter. Ich fürchte, die allermeisten Menschen, die sich für den Beruf des Priesters entscheiden, leiden an Problemen, die mit „sich ungenügend fühlen“ zu tun haben. Und es ist so peinlich, sich „ungenügend zu fühlen“. Wenn das die Anderen merken! Wenn das aufkommt! So lernt man, seine Fehler zu überspielen, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre – und spürt doch in der Tiefe eine diffuse Angst, dass „es jederzeit zu einer Katastrophe kommen kann.“
Der Gott unserer Geschichte ist ein heilsamer Gott. Keine Moral, kein erhobener Zeigefinger, keine Androhung von Strafe. Nur: „Doch – du hast gelacht!“ Nicht einmal: Jetzt gib es doch endlich zu, dass du gelacht hast.
Das ist souveräne Führung. Ich nehme dich wahr und ich sage dir sehr nüchtern, was ich wahrnehme. Ohne vorwürflichen Unterton. Ohne diese Enttäuschungs-Gefühlsduselei: „Jetzt bin ich aber enttäuscht von dir. Ich dachte …“
Diese souveräne Führung ist nur möglich, wenn ich als „Führer“ völlig frei bleibe gegenüber den „Geführten“. Frei bleiben heißt – ich bin nicht darauf angewiesen, wie der Andere sich verhält, was er sagt oder tut.
(In Klammern: Sie können daraus im Umkehrschluss ableiten, wie unfrei jene Führer sein müssen, die Mauern bauen und meinen, das ihnen anvertraute Volk kontrollieren zu müssen!)
Liebe Gemeinde,
ich habe in meiner Einladung für den heutigen Gottesdienst ein Wort des islamischen Mystikers Rumi zitiert:
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“
An diesem Ort findet die lächerliche Verheißung der Geburt Isaaks statt. Isaak heißt übrigens wörtlich: „Es ist zu lächerlich, daran zu glauben!“
Dazu passt ein Satz aus dem Dao te King von Laotse:
„Hört ein Unverständiger vom Dao, lacht er laut auf.“
Und er fügt hinzu: „Was wäre denn das für ein Dao, das Unverständige nicht verlachen!“
„Steig doch herab vom Kreuz, du Gottes Sohn“ – so wird Jesus unmittelbar vor seinem Tod verlacht. Natürlich – das sind Gefühle der Genugtuung gegenüber einem, der den Mund zu voll genommen hatte.
Ich selbst kenne diese Gefühle, als Donald Trump abgewählt worden ist.
„Das geschieht ihm recht!“
Sich lustig machen ist also die Gegenreaktion zu Überheblichkeit.
In der Überheblichkeit stelle ich mich über den Anderen, meine zu wissen, wie „es“ ist. Jede Deutung über den Anderen – das hast du ja nur deshalb getan, weil du … – ist so gesehen Ausdruck von Überheblichkeit. Ich – ,mein“ Ich – stellt sich über den Anderen. Deshalb haben Deutungen nur etwas im geschützten Kontext einer Psychotherapie zu tun. Sie sind das Skalpell des Therapeuten und seine Aufgabe ist es, damit verantwortungsvoll umzugehen. (Wie ein verantwortungsvoller Chirurg, der auch nicht „blind“ darauf los schneidet!)
Liebe Gemeinde,
äußerlich betrachtet ist Weihnachten nichts weiter als das Fest der Wintersonnenwende. Ganzheitlich-heilsam betrachtet ist Weihnachten das Fest der Menschlichkeit Gottes. Es ist das Ende des Entweder-Oder-Denkens, das Ende der Spaltungen in schwarz und weiß, falsch und richtig, gut und böse.
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“
Immer, wenn wir uns dort treffen, dann geschieht Weihnachten, AMEN.