Predigt an Trinitatis 2022 über die „dritte Dimension“ (Römer 11, 33-36)

Liebe Gemeinde,

Sonntag Trinitatis.

Wir feiern heute die Trinität Gottes.

Einer in Drei. Auch Drei in Einem.

Diese Idee eignet sich – wie so Vieles Spirituelle – für Spott und Häme.

„Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.

Es war die Art zu allen Zeiten,

durch drei und Eins, und Eins und Drei

Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.

So schwätzt und lehrt man ungestört;

Wer will sich mit den Narrn befassen?

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,

Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“

So verspottet Mephisto in Goethes Faust die Trinitätslehre:

Sie würde „Irrtum statt Wahrheit verbreiten.“

Mephisto hätte genauso gut unseren heutigen Predigttext aus dem Römerbrief zur Veranschaulichung verwenden können:

„O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Jes. 40, 13) Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?“ (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“

Ist das nicht inhaltsleeres Geschwätz? Was soll denn bei solchen Worten gedacht werden?

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, sagt Ludwig Wittgenstein.-

Ich möchte heute versuchen, Ihnen die Idee des trinitarischen Gottes ein wenig näher zu bringen. Ich halte sie nämlich für zentral für das Verständnis menschlichen Denkens.

Für mich ist die Trinität oder „Dreiheit“ Gottes, die wir an diesem Sonntag feiern, der Ausdruck der Wiederherstellung, der Restauration Gottes.

Was heißt das?

Ich beginne mit einer Veranschaulichung:

Wir Menschen kommen selbst als Dritte auf die Welt!

Es gibt uns nur, weil „Zwei“ (Frau und Mann) es gewagt haben, sich hin zur Drei zu entfalten.

Wer Kinder hat, weiß, weshalb ich hier von „Wagnis“ spreche.

Denn: Es gibt kein zurück mehr! Man ist nie mehr nur Mann oder Frau.

Mutter oder Vater werden ist irreversibel – unumkehrbar.

Ein abstrakter Einschub:

In drei Dimensionen zu denken und zu leben viel viel anspruchsvoller ist, als nur in zweien.

In zwei Dimensionen bleibt alles überschaubar – eben zweidimensional.

Zweidimensional ist flach. Raum lässt sich nicht in zwei Dimensionen abbilden.

Es gibt links oder rechts, es gibt falsch oder richtig, es gibt schwarz oder weiß. Es ist so und nicht anders. Ich habe recht oder du hast recht.

Wenn Wittgenstein sagt, „alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden“, dann lässt sich das auf die zweidimensionales Denken anwenden.

Was aber geschieht, wenn die dritte Dimension hinzukommt?

Dann entsteht Raum!

Beziehungs-Raum.

Falsch und richtig treten miteinander in Beziehung. Oder gut und böse.

Der große Nachteil:

Damit geht eine bestimmte vermeintliche Art von Klarheit und Eindeutigkeit verloren. Dreidimensionales Denken und Erleben beginnt mit Verwirrung!

Vorteil: Es entsteht etwas „Mittleres“, „Gemäßigtes“, eben „Drittes“ jenseits der beiden „harten“ Pole! So haben es auch jene Kinder viel leichter, die erleben dürfen, dass die „Beiden“, denen sie ihre Existenz verdanken, miteinander in lebendiger, liebevoller und sich gegenseitig bereichernder Beziehung sind.

Und entsprechend schwer haben es Kinder, wenn die Beziehung ihrer „beiden“ Eltern eine solche ist, in der Macht, Entwertung, Ablehnung und Ignoranz im Zentrum stehen. Oder auch: Wenn Eltern den Anspruch haben, immer derselben Meinung zu sein. Auch dann können Kinder nicht lernen, wie sich verschiedene Ansichten gegenseitig bereichern können, oder auch dass verschiedene Ansichten in der gegenseitigen Liebe des Elternpaares „gehalten“ werden können. 

Die geistige Matrix für eine liebevolle Dreier-Beziehung ist die Trinitätslehre: Aus der liebenden Beziehung zwischen Gott als Vater und Gott als Sohn geht der Heilige Geist hervor. Genauer: In der Kreuzigung, im Tod Jesu ist das Ende der Zweieinigkeit erreicht. Hier gibt es kein darüber hinaus. Die Möglichkeiten der Zwei (Vater und Sohn) sind erschöpft. Sie sind ohne Macht.

Der Karfreitag ist nichts anderes als die Anerkenntnis der Ohnmacht des Vaters im Angesicht seines sterbenden Sohnes.

Es bedarf eines „rettenden Dritten“, der „von außen“ hinzu kommt. Aber nun nicht so, dass er den beiden „äußerlich“ ist. Der rettende Heilige Geist, der „Tröster“ der Not des Vaters und des Sohnes, wohnt „versteckt“ in der Liebe zwischen Vater und Sohn. Er ist „in nuce“ – im Dunklen – immer schon da. Dies hat Augustinus gemeint, wenn er den Heiligen Geist als „vinculum caritatis“, als „Band der Liebe“ zwischen Vater und Sohn bezeichnet.

Mit der Auferstehung wird dieses Licht sichtbar. Es ist das Licht der Liebe, das die Dunkelheit erhellt. Dieses Geschehen ist die Dynamik des Heiligen Geistes. In ihm lodert das Feuer der Leidenschaft für die „verbindende“ Liebe! Im und mit dem Heiligen Geist, dem „Dritten im Bunde“, geschieht die Ver-Söhnung – die nichts mit Sohn, sondern mit Sühne zu tun hat – zwischen den „Beiden“. In ihr wird die Wunde der Spaltung „verbunden“. Spaltungen sind Ausdruck von Verzweiflung (wieder die „Zwei“!). Wenn die „Zwei“ sich nicht verbinden lassen, wenn sie jeden Verband ablehnen, bleibt es bei der Härte von „entweder du oder ich…“ Immer wenn Sie Gefühle ohnmächtiger Verzweiflung erleiden, können Sie sicher sein, dass Sie nicht eingebunden sind in das „Band der Liebe“. –

Liebe Gemeinde,

wir werden jetzt gleich das schöne Lied von Paul Gerhardt – „Geh aus mein Herz ….“ weiter singen.

Und in Strophe 14 wird es heißen:.

„Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich Wurzel treiben.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.“

Diese Bilder fließen aus einem tief verinnerlichten trinitarischen Denken:

Damit „Raum“ entsteht, bedarf es der dritten Dimension, haben wir gesagt. Ansonsten bleibt es flach.

Ein guter Baum – der wächst nach oben, nach unten, nach links und nach rechts. Ein „guter Baum“ ist die Verbindung von horizontaler und vertikaler Dimension. So ist er verwurzelt in der Liebe Gottes. Er weiß, dass er nicht aus sich heraus leben kann. Seine Wurzeln sind ein „vinculum“ – eine „unsichtbare“ Verbindung zu dem Milieu, in dem er wächst und gedeiht. Und noch eines: Er weiß, dass er ein Baum, eine Pflanze ist inmitten von vielen anderen. Wer von Peter Wohlleben „Das geheime Leben der Bäume“ gelesen hat, weiß, wie sozial Bäume sind, wie intensiv sie miteinander kommunizieren und sich gegenseitig unterstützen. Und er weiß, dass es auch bei Bäumen eine von uns Menschen gemachte grausame „Massenbaumhaltung“, genannt „Plantagen“, gibt. In ihr gibt es kein Band der Liebe – an seiner Stelle stehen Profitinteressen. Ungehemmte, „unverbundene“ Quantität und Effizienz sind der Tod tritinitarischen Denkens.

Und was machen wir mit den Schnecken? Gibt es die nicht in Gottes Garten?

Doch. Die gibt es durchaus. In Gottes Garten gibt es alle Lebewesen, auch die, die wir für völlig sinn- und nutzlos erklären, wie Schnecken oder – noch weniger beliebt – Zecken. Und auch sie haben Empfindungen. Z.B. Können Zecken bis zu neun Monaten ohne Essen auskommen, um sich dann auf einen „Wirt“ fallen zu lassen, dessen Blut sie aufsaugen. Und sie haben einen Trieb, sich zu vermehren. Nach der Paarung sterben die Männchen sofort, die Weibchen nachdem sie bis zu zweitausend Eier abgelegt haben. Dann versterben auch die Weibchen. Vermenschlicht könnte man sagen: Sie opfern ihr Leben für ihren Nachwuchs!

Und trotzdem fällt es mir schwer, mich in Zecken einzufühlen. Ich denke, das ist auch nicht nötig: Es genügt, die geläufigen Schubladen von Nützlingen und Schädlingen nicht mehr zu verwenden. Die sind nämlich zweidimensional und anthropozentrisch. Heißt: Das alleinige Zentrum der Einordnung ist der Mensch.

Wer sich auf Gott einlässt, wer den zentralen Platz, das Zentrum für Gott frei macht, der kann gar nicht mehr in diesen geläufigen Schubladen von Nützlingen und Schädlingen denken. Der Satz: „Ihr werdet sein wie Gott“ wird ihn nicht mehr verführen. Er wird bescheiden und selbstbewusst antworten: Warum sollte ich wie Gott sein wollen? Mir genügt, das zu sein, was ich bin: ein Mensch. Mir genügt der Platz auf dieser Welt, auf den ich nun mal stehe. Von diesem Platz aus lebe ich mein alltägliches Leben, trage meine Verantwortung. Und von diesem Platz aus werde ich irgendwann wieder verschwinden, meinen ganz eigenen Tod sterben.

Und von diesem Platz aus kann ich nur staunen.

Staunend stehe ich vor dem großen Bogen, vor dem Regenbogen Gottes, in dem sich die Entwicklung Gottes hinein in diese unsere Welt abzeichnet.

Ein Ausdruck dieses großen Regenbogens Gottes ist ein Satz, den Sie alle gut kennen:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“

Oder auch: „Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die liebende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“

Wer alltäglich in dieser Dreiheit lebt, der hat die Trinitätslehre verstanden – auch wenn er keine Ahnung davon hat, was sie bedeutet, AMEN.

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