Liebe Gemeinde,
wer die Kraft hat sich und Andere zu fragen: „Wie soll ich leben?“ der ist in seiner Entwicklung bereits weiter gekommen als all jene, die unbewusst, unreflektiert ihr Leben leben. Und mit der Frage nichts anfangen können.
Nun fragt der „reiche Jüngling“ im Evangelium nicht nur: „Wie soll ich leben?“ sondern er fügt hinzu: „… damit ich das ewige Leben ererbe.“
In seiner Antwort geht Jesus darauf nicht ein.
Stattdessen beschwert er sich, dass er „gut“ genannt wird – „Niemand ist gut außer Gott allein“ – und verweist auf die Thora, in unserem Sprachgebrauch die „Zehn Gebote“.
Ich finde es außerordentlich wichtig, sich darüber im Klaren zu werden, wofür ich etwas tue. Das ist die Frage nach der Verwendung meines Lebens. Warum will ich eigentlich ein „guter Mensch“ sein? Und was heißt das: „Niemand ist gut, außer Gott allein?“
Oder warum bin ich nicht bereit, etwas zu akzeptieren? Mein Älter-werden zum Beispiel. Meine zunehmende Gebrechlichkeit. Meine Schmerzen … Die steigende Popularität von Parteien wie der AFD?
Fragen über Fragen.
Oder, noch eine Frage: Wofür verwende ich meine Predigtgedanken? Welches Anliegen habe ich damit?
Verwende ich Sie dafür, dass Sie mich toll finden?
Oder verwende ich Sie dafür, eine Botschaft Ihnen mitzuteilen, die mir wichtig ist, die aber nicht unmittelbar etwas mit mir zu tun hat.
Im ersten Fall geht es um meinen Narzissmus. Da ist es mir wichtig, wie Sie mich sehen.
Im zweiten Fall geht es um Inhalt. Um eine „Sache“.
Die Sache, über die ich nachgedacht habe, ist mir vorgegeben: Sie heißt „Predigttext“. Bevor ich Ihnen Anteil an meinen Gedanken darüber geben werde, lese ich den Text erst einmal als Ganzes vor.
Es ist ein Ausschnitt aus dem ersten Petrusbrief, Kapitel 4, 7-11:
7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. 8 Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn »Liebe deckt der Sünden Menge zu« 9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren. 10 Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: 11 Wenn jemand redet, rede er’s als Gottes Wort; wenn jemand dient, tue er’s aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Unter dieser Überschrift sind die dann folgenden Handlungsanweisungen zu verstehen.
Diese Überschrift ist heute – nachdem fast 2000 Jahre vergangen sind, ohne dass das „Ende aller Dinge“ eingetreten ist, nicht sehr glaubwürdig. Aber eines gilt auch heute noch: Dass es ein „Ende unseres Lebens“ geben wird. Und das heißt einen Zeitpunkt, an dem ich nichts mehr an meinem gelebten Leben ändern kann. Es ist dann so, wie es ist, bzw. wie es gewesen ist. Und ich habe nur die Wahl, dieses mein Leben so zu akzeptieren oder der eben nicht.
Viel „Altersgrantelei“ und viel „Missmut“ quillt aus der Ablehnung dessen, wie mein Leben war bzw. wie es ist.
Schauen wir mal, wie die Gedanken unseres Predigttextes hierzu passen.
Erstens: „So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet“. Besonnenheit und Nüchternheit tut gut. Sie verhindert unüberlegtes Handeln „aus dem Affekt“ heraus. Spannend dass es heißt: „zum Gebet“. Für mich heißt das: Lasst Euch in Euren Gebeten nicht dazu hinreißen, um die Realisierung Eurer Illusionen zu bitten. Betet vielmehr realistisch. Anstelle um eine wunderbare Heilung zu bitten, betet um die Kraft, Schmerzen, Enttäuschungen usw. zu ertragen. Bete um die Kraft, sich auf den Boden der Wirklichkeit zu stellen…. Mit der Überschrift: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
Zweitens: „Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn ‚Liebe deckt der Sünden Menge zu‘. Es geht nicht darum, Fehlverhalten zu vertuschen. Im Gegenteil: Fehlverhalten ist zu benennen. Aber „in Liebe“. Das Gegenteil dazu wäre: „in Verurteilung“. Es steht uns Menschen nicht zu, über einen Mitmenschen zu urteilen. Nicht einmal vor Gericht. Auch hier werden Taten von Menschen verurteilt – aber nicht Menschen als solche. Wichtig ist das Adjektiv „beharrlich“. Es ist leicht einen anderen Menschen zu lieben, solange er mir meine Wünsche erfüllt. Aber ist das wirklich Liebe? Liebe hat mit Ausdauer, eben Beharrlichkeit, zu tun. Und damit, es auch wieder „gut sein lassen zu können“. Beharrliche Liebe ermöglicht das Freiwerden von dem, was gewesen ist. Das Gegenteil hierzu ist nachtragend sein. Mir und dem Anderen lebenslang das „hinterher zu tragen“, was geschehen ist. Nachtragend hat mit „unverzeihlich“ zu tun. „Das hätte nie passieren dürfen!“ Hier hilft das nüchterne Gebet: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ ( Matthäus 6, 12)
Drittens: „Seid gastfrei untereinander ohne Murren.“ Gilt das nur für die christliche Gemeinschaft? So klingt es. Aber ich verstehe es anders. Ich möchte Dekan Rudolf Rengstorf aus seiner Predigt zitieren: „Hier geht es um Menschen, die wir nicht kennen, die fremd sind in unserem Ort, weil sie hier als Ausländer hergekommen oder aufgewachsen sind. Ihnen Raum zu geben und Chancen, hier heimisch zu werden, ist mühsam, erfordert viel Phantasie und Einfühlungsvermögen. Hinzu kommt: Das alles gibt es nicht zum Nulltarif. Die Beschaffung von Wohnungen für größere Familien, Sprachunterricht, zusätzliches Training an Arbeitsplätzen, Integration in Kindergärten und Schulen. Das kostet Steuergelder. Da kommt man schnell ins Murren und Protestieren mit dem Tenor:: Das Boot ist voll! Grenzen bei uns und in den Nachbarländern dicht machen!
Nein, wir unterstützen in unseren Gemeinden alle Bemühungen, den Fremden ein neues Zuhause und Bürgerrechte zu geben. Wir tun das, weil die Fremden in der Bibel durchgehend Achtung genießen bis dahin, dass Jesus unseren Umgang mit Fremden zum Maßstab dafür gemacht hat, wie wir mit ihm umgehen.“ (Rudolf Rengstorff, Predigt zu 1. Petrus 4, 7-11; im Internet zu finden unter: evangelisch.de)
Viertens: „Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat…“ Das heißt, es geht nicht darum, sich ein Talent, über das man nicht verfügt, aus den Fingern zu saugen. Niemand kann alles. Aber jeder kann etwas. Und das ist gut so und – das genügt auch.
Und woran erkenne ich die Gabe, die ich empfangen habe? Woran erkenne ich meine „Be-Gabung“? Ganz einfach: Indem mir etwas leicht fällt, indem mir etwas Spaß macht. Ansonsten quäle ich mich ganz umsonst. Und das meint Paulus nicht, wenn er präzisiert: „… als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ Das heißt, es geht darum, mit den eigenen Begabungen pfleglich umzugehen, eben „Haus zu halten“.
„Haus halten“ hat damit zu tun, Begrenzungen zu akzeptieren. Und im Rahmen von Begrenzungen Prioritäten zu setzen. „Alles auf einmal“ geht nicht. Es überfordert mich. Und führt dazu, dass ich gar nichts tue.
Etwas vereinfacht könnte man sagen: Es geht um Projektarbeit. Welches Projekt nehme ich mir heute vor? Und – ganz wichtig: Schließe es dann auch ab. Beides ist die Voraussetzung dafür, am Ende eines Tages für diesen Tag Gott zu danken und mich wohlig in die Arme Gottes fallen lassen zu können.“ Viele Schlafprobleme haben damit zu tun, dass Unabgeschlossenes in unserer Seele geistert und uns keine Ruhe finden lässt.
Ein Letztes: „Wer Gott liebt, der liebt auch seinen Bruder!“ Das ist die Überschrift über den heutigen Sonntag. Zum guten Haushalten gehört Fürsorge. Fürsorge für alles, was mir anvertraut ist. Fürsorge für mich und für das Lebendige, das mich umgibt. Die Fähigkeit zu dieser Fürsorge gründet für uns Christen in unserem Glauben an Gott. So heißt es am Ende unseres Predigttextes: „Wenn jemand redet, rede er’s als Gottes Wort; wenn jemand dient, tue er’s aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Gott die Ehre geben bedeutet für mich: Dem Fremden, dem Unbekannten, dem, was mir nicht bewusst ist die Ehre zu geben. Und „Ehre geben“ heißt: Meinem Unbewussten eine Unterkunft, ein Zuhause, eine Bleibe bei mir zu geben. Es gehört zum Kern der jüdisch-christlichen Religion, den Fremden zu ehren.
Der Fremde ist der „Nächste“ – ihn zu lieben wie sich selbst ist neben der Gottesliebe das höchste christliche Gebot. Das bedeutet, die Sicherheit verleihenden „Güter“ loszulassen. „Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben,“ antwortet Jesus auf die Frage des reichen Jünglings: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“
Diese Antwort machte den Frager „betrübt“ „und (er) ging traurig davon, denn er hatte viele Güter“.
So ist das.
„Gott die Ehre geben“ fühlt sich gar nicht berauschend an.
Es ist ein nüchternes und manchmal sehr ernüchterndes Geschehen. Gefühle der Trauer gehören unweigerlich dazu. Gott die Ehre geben bedeutet auch, von Vertrautem Abschied zu nehmen.
Nur so können neue, fremde Gedanken und Erkenntnisse in unsere Seele hinein kommen.
Wer es jedoch wagt, durch diese Ernüchterungen hindurch zu gehen, wird reichlich belohnt.
Er beginnt, die wirkliche Wirklichkeit – jenseits seiner Illusionen – sehen zu lernen.
Dazu eine Geschichte:
Eines Nachts stolperte ein Betrunkener über eine Brücke und stieß mit seinem Freund zusammen. Die beiden lehnten sich über das Geländer und schwatzten eine Weile.
„Was ist das da unten?“ fragte plötzlich der Betrunkene.
„Das ist der Mond“, sagte der Freund.
Der Betrunkene blickte noch einmal hin, schüttelte ungläubig den Kopf und sagte: „Okay, okay! Aber wie zum Teufel bin ich hier hinaufgekommen?“ Anthony de Mello
Wenn jemand redet, rede er es als Gottes Wort, sagt Paulus. Gottes Wort aber ist das Wort der Liebe zu allem Lebendigen.
Und Rumi sagt: „Schweigen ist die Sprache Gottes, alles andere ist schlechte Übersetzung.“
In diesem Sinne: Ich habe genug geredet. Lassen wir jetzt in der Stille Gott selbst zu Wort kommen, AMEN.