Predigt über Hebräer 12, 12 – 17. 22 – 24 am 2. Sonntag nach Epiphanias 2024

Verwandlung, lateinisch Transformation, ist das Thema des heutigen Gottesdienstes. Die Geschichte der Hochzeit zu Kanaan, bei der Jesus das Wasser in Wein verwandelt: Sie ist das Evangelium, die Frohe Botschaft des heutigen Sonntags.

Verwandlung hat mit Veränderung zu tun.

Times are changing“: „Die Zeiten wandeln sich.“

Ein Sinneswandel ist die Veränderung in der Anschauung eines Menschen. Nun aber nicht so, dass Veränderung willkürlich, ohne jede „Form“ ist.

Es ist eine Veränderung mit Konstanten.

Wenn Sie sich Ihre Hände anschauen: Als Sie auf die Welt gekommen sind, waren die sehr anders als heute, es waren nämlich kleine, zierliche Babyhände – und doch sind es damals wie heute Ihre Hände.

Verwandlung heißt also, es bleibt in der Veränderung etwas „erhalten“.

Wenn Wasser in Wein verwandelt wird, so bleibt der Aggregatzustand „flüssig“ erhalten.

Oder, wenn Sie jemanden treffen, den Sie das letzte Mal vor 20 Jahren gesehen haben. Da sagen Sie: Bist du nicht die oder der Soundso? Ich dachte mir: Von irgendwoher kenne ich dich doch …

Das „Gleich-Bleiben„, oder die „Konstante“ ist wichtig für Erkenntnis.

Ansonsten herrscht Chaos. „Tohu wa bohu.“

Die „Verwandlung“, die „Veränderung“ ist wichtig für Wachstum, für Entwicklung. Ansonsten entsteht Erstarrung: „Und täglich grüßt das Murmeltier.“

Verwandlung ist etwas wesentlich Anderes als Abbruch. Wenn ich eine für mich unerträgliche Situation nicht verwandeln kann, muss ich sie „abbrechen“. Dabei habe ich zwei Möglichkeiten: Die eine ist, die Situation als solche zu zerstören, die andere ist, aus der Situation zu fliehen. Von beiden Möglichkeiten wird alltäglich Gebrauch gemacht.-

Unser heutiger Predigttext – er findet sich im Hebräerbrief Kapitel 12 – ist ein Aufruf zum Durchhalten bei allem, was zu ertragen und zu erleiden ist.

„Darum stärkt die wankenden Knie und tut sicherer Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.“ Mit diesem Appell beginnt er. Dabei ist ein klares Ziel vor Augen: „Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird.“ (Vers 12-14a)

„Heiligung“ bedeutet „heil“, also „ganz“ oder „unversehrt“ werden. Heilige sind „ganze“ Menschen. Und – was ist das, ein „ganzer Mensch“?

Ein ganzer Mensch ist ein Mensch, der alles, was ihn ausmacht, auch zu sich nimmt und bei sich „hält“. Ein ganzer Mensch hat gelernt, immer wieder sich selbst gleichsam über die Schulter zu schauen. Das Fremdwort dafür heißt: Selbstreflexion.

Und er hat gelernt, seine Emotionen und die daraus folgenden Impulse bei sich zu spüren und bei sich zu halten.

Mit dieser Fähigkeit kommen wir Menschenkinder nicht auf die Welt. Ganz im Gegenteil: Wir kommen damit auf die Welt, unsere Emotionen aus uns herauszuschreien. Wenn wir das Glück haben, eine Mutter und einen Vater zu haben, die unser Schreien „ertragen“ im Sinne von „aushalten“ ohne sich dabei aus der Liebe zu uns, zu dem schreienden Baby vertreiben zu lassen – dann haben wir eine gute Chance zu lernen, dass wir auch selbst allmählich unsere vermeintlich unerträglichen Gefühle ertragen. Scheinbar unerträgliche Gefühle wurden dann in erträgliche verwandelt oder modifiziert.

Ein anderes Bild für diese Verwandlung ist unsere Verdauung, Permanent verwandelt unser Körper Nahrung in etwas, was er für sein (körperliches) (Über-)Leben brauchen kann. So wächst unser Körper, so entwickelt er sich.-

Nachdem unser Predigttext so schön begonnen hatte, kippt er. Er kippt in dem Zusammenhang, wo sein Autor – keiner weiß, wer er wirklich war -, nicht mehr bejahende, sondern negative Sätze, besser negative Ermahnungen verwendet: „… und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume.“ (V.15a) Gottes Gnade versäumen bedeutet aber, „dass … eine bittere Wurzel aufwächst und Unfrieden anrichtet und viele durch sie verunreinigt werden„. Dies ist vor allem moralisch gemeint: Es geht um den „Hurer“ oder den „Gottlosen„, wie „Esau, der um der einen Speise willen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. Ihr wisst ja“, heißt es weiter, „dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.“ (V. 15-17)

Dies ist – liest man im Alten Testament nach – schlichtweg falsch. Im 1. Buch Mose, Kapitel 33, 1- 14, wird die berührende Versöhnung zwischen Jakob und seinem Zwillingsbruder Esau geschildert. Jakob hat Sorge, ob Esau auf Rache gegen ihn sinnt, weil er sich das Erstgeburtsrecht erschlichen hatte. Die Realität aber ist: Im Gegenteil: „Esau lief ihm (sc. Jakob) entgegen und herzte ihn und fiel ihn um den Hals und küsste ihn, und sie weinten.“ (V. 4) Keine Rede ist von einem unter einem Fluch lebenden Esau.

Ich weiß nicht, was den Autor des Hebräerbriefes dazu gebracht hat, diese rigiden Muster des Abwertens zu verwenden. Ist es sein eigener Hass, der in Anbetracht der „Hurer“ und „Gottlosen“ bei ihm durchbricht? Den er nicht länger bei sich halten kann. Es ist ja gar nicht so selten, dass ich im Kampf gegen einen vermeintlichen „Feind“ selber Züge von meinem Feind annehme.

Unser Predigttext ist also mit aller größter Vorsicht zu genießen. Die Gefahr ist, ihn als Ermunterung dafür zu lesen, alles, womit wir nicht einverstanden sind, was nicht in unser Denksystem passt, abzuwerten, schlimmer noch, zu verdammen.

Alle Religionen bzw. religiösen Systeme stehen in dieser Gefahr. Dies ist der Grund für die unsägliche Allianz von Religion und totalitärem Denken.

Aktuell hat totalitäres Denken Konjunktur. Nicht nur in Ländern wie China, Russland oder Nordkorea. Leider auch bei uns. Noch sind es nur sogenannte „Randgruppen“. Noch sind sind es nur „Chaoten und Randalierer“. Aber die Gefahr einer Ansteckung ist nicht gering. Und totalitäres Denken ist ein Virus, der weder durch Impfung noch durch Atemschutzmasken sich hemmen lässt. Der moralische Impetus totalitärer Systeme drückt sich in dem aus, was „schwarze Pädagogik“ genannt worden ist. Es ist eine Pädagogik, die der Überzeugung ist, der Mensch sei von Natur aus „böse“; und um dem „Bösen“ Einhalt zu gebieten, muss Bestrafung angedroht und – wenn er nicht anders geht – auch durchgeführt – werden.

Dazu ein – wie ich finde – bemerkenswertes Beispiel aus der aktuellen Gegenwart: Einem Statement der Polizei zufolge sind die Silvesterfeiern diesmal relativ ruhig verlaufen, weil es ein überaus starkes Aufgebot an Einsatzkräften gab. Dahinter steht ein Denken, das unterstellt, dass Menschen aus freien Stücken nicht bereit oder auch nicht in der Lage sind, vernünftig und friedlich miteinander Silvester zu feiern. „Den ‚Chaoten‘ und ‚Randalierern‘ kann man nur mit Druck beikommen!“ heißt es.

Und ich kann verstehen, wenn jemand, der sich dieses Jahr vorgenommen hatte, aus sich heraus nicht zu randalieren, wenn sich der jetzt denkt: Okay, dann werde ich Euch das nächste Mal beweisen, dass ich mich von meinen Aktionen ganz sicher nicht wegen eures Polizeiaufgebots abhalten lasse.

Doch zurück zu unserem Predigttext. Ich habe gesagt, er sei mit großer Vorsicht zu lesen. Mit dieser Einschätzung stehe ich nicht alleine da. Martin Luther schrieb in seinem Vorwort zu seiner Hebräerbrief-Vorlesung: Er biete „eine große Schwierigkeit dadurch, dass er im 6. und 10. Kapitel die Buße den Sündern nach der Taufe stracks verneinet und versagt und Kap. 12,17 sagt, Esau habe Buße gesucht und doch nicht gefunden, was wider alle Evangelien und Briefe des Paulus ist.“ Konsequent hat Luther – trotz Wertschätzung – diesen Brief möglichst weit nach hinten in der Bibel gestellt.

Nun ist es aber wichtig, – und das ist das Wesen konstruktiver Kritik – nicht pauschal etwas oder jemand zu verurteilen. Das Ende unseres Predigttextes ist konstruktiv und ermutigend. Es ermutigt zu der Hoffnung, dass Entwicklung, dass Transformation möglich ist:

… ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zu der Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.“ (V. 22-24)

Das sind sehr starke Bilder. Da ist die „Stadt des lebendigen Gottes„, zu dem wir Christen gekommen sind. Durch Jesus, den „Mittler des neuen Bundes„. Sein Blut „redet“ anders als das Blut Abels.

Abels Blut hat zum Himmel geschrien! Abel, der Unschuldige, wurde von seinem Bruder Kain erschlagen. Aus Neid und Hass.

Abels Blut schreit zum Himmel – gemeinsam mit dem Blut aller unschuldig Getöteten, aktuell in der Ukraine, in Russland, in Israel, in Palästina!

Und inwiefern „redet das Blut Jesu besser als das Blut Abels?“

Jesu Blut ist das „Blut der Besprengung„. „Besprengung“ ist die kultische Form der Reinigung, die mit Sühnung verbunden ist. Für den Autor des Hebräerbriefes ist es Jesus, der diese Reinigung durchführt, „durch sein eigenes Opfer“ (9, 26). Die Selbsthingabe Jesu, sein Opfer, ermöglicht es uns, zur Stadt des lebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem zu kommen. Die Hingabe von Gott selbst – in der Gestalt seines eigenen Sohnes – hat Gott mit sich selbst versühnt. Das ist die Sühne, die mit Jesu Opfertod ein für allemal geschehen ist. In der Selbst-Aufgabe Gottes durch seinen Sohn löst sich die Härte seines Hasses, zerreißt der Vorhang der Getrenntheit von Gott und Mensch: Gott ist jetzt – in Gestalt seines Sohnes – einer von uns, dem kein Leid, keine Ohnmacht mehr fern ist. Damit ist eine neue Verbindung, ein „neuer Bund“ zwischen Gott und uns Menschen entstanden, dem wir Jesus Christus, seinem „Gehorsam bis zum Tod“ verdanken. Jesus ist zum „Mittler des neuen Bundes“ geworden, wie es in unserem Predigttext heißt. Oder, mit den Worten eines Gedichtes von Johann Rist:

O große Not! Gott selbst ist tot, am Kreuz ist er gestorben, hat dadurch das Himmelreich uns aus Lieb‘ erworben“.

Das, liebe Gemeinde, ist die große Transformation Gottes, ist Gottes eigene Entwicklung: Von einem abgehobenen, distanzierten, majestätisch-kalten Macht-Gott hin zu einem mitfühlenden, liebevollen, einfühlsamen, barmherzigen Liebes-Gott. Und der Mittler, der Transformator dieses Geschehens ist Jesus!

Damit ergibt sich unsere Aufgabe als Christen-Menschen, die wir durch unsere Taufe in dieses Transformationsgeschehen Gottes eingetaucht worden sind. Ein Geschehen, an dem wir unser Leben lang Anteil haben dürfen.

Gebe Gott, dass wir auch in diesem noch jungen Jahr uns entwickeln dürfen. Hin zu Menschen, die immer wieder die Kraft finden, ihren zerstörerischen Impulsen und ihren „hässlichen“ Gefühlen Einhalt zu gebieten und im „neuen Bund“ mit Gott wachsen können, hin zur lebendigen Fülle eines liebevollen Menschseins. Dazu bedürfen wir eines starken inneren „Mittlers“.

So gebe Gott, dass die Liebe dieses Jesus in uns kräftig werden kann, im Sinne der diesjährigen Jahreslosung: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Kor. 16,14) AMEN.

Nach oben scrollen