Liebe Gemeinde,
heute geht es um Bedürfnisse.
Zum Beispiel um das Bedürfnis, einen gesunden Diener zu haben.
Oder auch – wie wir gleichen hören werden – um das geradezu existentielle Bedürfnis, Wasser zum Trinken zu bekommen.
Es gibt nur ein paar Grundbedürfnisse, die Lebewesen haben:
Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen, Raum zum Leben.
Und es gibt noch ein Grundbedürfnis das die Brücke in eine „andere“ nicht sinnfällige Welt darstellt: Das Bedürfnis nach Wertschätzung, nach „Würde“.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar!“
Ich möchte das ausweiten: „Die Würde, von allem, was da lebt, ist unantastbar.“
Es ist ein Grundbedürfnis, wertvoll zu sein. Wer sich als wertvoll erlebt, erlebt sich, erlebt sein Leben als sinnvoll. Und damit hat er beste Voraussetzungen für ein einigermaßen zufriedenes Leben.
Nun sind wir Menschen allesamt soziale Lebewesen. Das heißt, der Ort, an dem das Bedürfnis nach Wert befriedigt oder nicht befriedigt wird ist der gesellschaftliche.
Das Bedürfnis nach Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis innerhalb unseres sozialen Zusammenlebens.
Und bereits hier wird es kompliziert. Die Frage und das Problem ist nämlich: „wertvoll wofür?“ „Wertvoll für wen?“ Wir haben vorhin vom „Diener des Hauptmanns von „Kapernaum“ gehört. (In Klammer: Das Griechische kennt zwei Formen von Sklaven und hat dafür auch zwei verschiedene Worte: „Pais“ und „Dulos“. Pais kann auch Kind bedeuten, betont also die „gute“ Beziehung zu seinem Herrn, während Dulos der Sklave ist, mit dem der „Herr“ machen kann, was er will. Seine Würde ist nicht nur nicht unantastbar – er hat keine Würde!)
Heutzutage ist es rechtsextremes Gedankengut, das anderen Menschen ihre Würde aberkennt. Wie sehr dies auf die Verfechter dieses Gedankenguts ausstrahlt, kann man an ihrem eigenen würdelosen Schreien radikaler un-menschlicher Paraolen erkennen!
Der Hauptmann setzt sich für seinen Diener ein. Warum? Natürlich kann man sagen: Weil er ihn braucht. Es liegt ihm nichts an seinem Diener als Menschen – aber er braucht seine Arbeitskraft. Deshalb will er einen gesunden Diener. Man kann auch sagen: Er mag seinen Diener unabhängig davon, was er zu leisten vermag und was nicht. Es geht ihm um das Leben seines Dieners „an sich“ – vor allem „brauchen“.-
Mit diesen Gedanken sind wir inmitten von schwer zu beantworteten Fragen gelandet. Was heißt den Anderen zu brauchen? Wo es ein Brauchen gibt, gibt es auch ein Missbrauchen. Wo es einen Diener gibt, gibt es einen Herrn – und damit ein hierarchisches Gefälle. Hierarchie heißt wörtlich: „Herrschaft des Heiligen“. Es bezog sich auf das Priesteramt.
Heute bezeichnet das Wort „Hierarchie“ die „Rangordnung“ von Menschen. Als Hauptmann kennt man sich mit Rangordnungen aus. Und mit Würde. Gegenüber Jesus bezeichnet er sich selber als „unwürdig“. Und bekommt die Anerkennung Jesu: „Wahrhaftig, ich sage euch, nicht einmal in Israel habe ich solch ein Vertrauen gefunden!“ (Matthäus 8, 10b) Heißt das, es ist erwünscht, sich selbst als „unwürdig“ zu bezeichnen? Ist das nicht die Haltung des im Rudel rangniederen Tieres, das sich dem Alpha-Tier/Wolf unterwirft? Ist das Christentum eine Religion für Menschen, die einen starken Führer suchen – weil sie sich selbst als schwach fühlen? Hat Nietzsche, der Pfarrers-Sohn, recht, wenn er sagt: „Sucht den Übermenschen“?
Das hieße, ein Donald Trump oder ein Elon Musk oder ein Jeff Bezos oder ein Marc Zuckerberg: sie machen alles richtig. Milliardäre an die Macht! Ist das die moderne Interpretation von: „Sucht den Übermenschen!“?
Sie merken: Fragen über Fragen.
Und – ich bin nicht Jesus – ich verfüge nicht über die Antwort.
Ich bin selbst auf der Suche.
Von daher bin ich von vorne herein als Heilsbringer ungeeignet. Von daher muss ich all‘ jene enttäuschen, die von einem Gottesdienst/einer Predigt erwarten, er oder sie könne ihn gesund machen.
Auch in meinen Gottesdiensten bekommen Sie mit, was mich ausmacht:
Ich bin unterwegs. Ich bin auf der Suche. Ich habe nichts Endgültiges, nichts: „SO ist es und nicht anders!“ dabei.
Vielleicht verbindet mich das mit dem Einen oder Anderen von Ihnen.
Vielleicht ärgert das aber auch den Einen oder Anderen von Ihnen, der sagt: Ich gehe doch nicht in die Kirche, um Fragen zu bekommen. Davon habe ich selber genug. Ich gehe in die Kirche, um Antworten zu finden! Antworten, die mich befriedigen, die mich satt machen, die meinen Durst nach etwas löschen, von dem ich selber nicht ganz genau weiß, was es eigentlich ist!
So ging es jener Frau aus Samaria, die beim Wasser-Holen Jesus begegnete.
Hören Sie selbst – unseren heutiger Predigttext (Johannes 4, 5-14):
5 Er [= Jesus] kam nun in eine Stadt Samarias, die Sychar heißt, nahe bei dem Grundstück, das Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hatte. 6 Dort war der Brunnen Jakobs. Jesus nun, müde von der Reise, setzte sich so [wie er war] an den Brunnen. Es war aber ungefähr die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau aus Samaria, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagt zu ihr: „Gib mir zu trinken.“ 8 Seine Jünger waren nämlich in die Stadt weggegangen, um Nahrung zu kaufen. 9 Da sagt die samaritanische Frau zu ihm: „Wie kannst du, ein Jude, von mir, einer samaritanischen Frau, (etwas) zu trinken erbitten?“ Juden haben nämlich keine Gemeinschaft mit den Samaritanern. 10 Jesus antwortete und sagte zu ihr: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und (wüsstest), wer der ist, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, so würdest du ihn bitten, und er gäbe dir lebendiges Wasser.“
11 Die Frau spricht zu ihm: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher hast du dann das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab und selbst aus ihm trank, und seine Söhne und sein Vieh?“ 13 Jesus antwortete und sagte zu ihr: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst haben. 14 Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird für immer keinen Durst mehr haben, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das in (das) ewige Leben sprudelt. 15 Die Frau sagt zu ihm: „Gib mir dieses Wasser, damit ich nicht mehr Durst habe und (nicht mehr) zum Schöpfen hierher kommen muss!“
Whow! denke ich mir, als ich diesen Text das erste Mal lese. Eine Quelle, die direkt in das ewige Leben hinein sprudelt. Von diesem Wasser möchte ich auch haben! Und – nein, mehr noch: nicht nur das Wasser, die Quelle selber verheißt Jesus: Wer von dem Wasser, das Jesus gibt, trinkt: in ihm wird das Wasser zu einer Quelle, das (direkt) in das ewige Leben hinein sprudelt. Nicht schlecht, oder? Ist das eine Spielart von „I’ll make Ameria great again: „I’ll make You great again!“?
Aber schon bald mischt sich mein innerer Bedenkenträger – „Rationalität“ mit Namen – ein. Er sagt: Falle doch nicht auf so unrealistische Verheißungen herein. Es gibt kein ewiges Leben! Schau dir doch deinen älter werdenden Körper an; denke an deine Kreuzschmerzen und andere Zipperlein. Denke an deine zwei Operationen im letzten Jahr: Dank moderner Medizin und moderner hygienischer Standards ist deine Lebenserwartung deutlich verlängert, aber sicher nicht dank irgend einer Quelle, die ein vor 2000 Jahren gestorbener Mann verheißen hat!
STOP! Sagt mein Ich. Auseinander Ihr beiden. Jetzt erst mal langsam.
Was ist denn das Zentrum des Textes? Ist es das „ewige Leben“?
Oder steht nicht etwas Anderes im Mittelpunkt?
Dass Jesus nämlich sich nicht um hierarchische Strukturen, um gesellschaftliche Rangordnungen kümmert. Dass es ihm ziemlich egal ist, innerhalb welcher Rangordnung sein Gegenüber steht. (Die Samaritaner waren aus der Sicht der Israeliten in der Rangordnung vor Gott niedriger. Und Frauen standen natürlich noch mal niedriger als Männer!) Und eben an so eine „niedrig stehende, unbedeutende“ Samaritanerin wendet sich Jesus mit seiner Bitte: „Gib mir etwas zu trinken!“
Das riecht nach Umbruch, nach Aufruhr, nach Umwertung der zur Zeit gültigen Werte. Es beunruhigt.
Freilich – unsere Erzählung stellt schnell eine Rangordnung wieder her: „Wenn du wüsstest, wer es ist, der dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘ – dann hättest du ihn gebeten, dass er dir Wasser gäbe, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben!“ Das ist ganz schön provokant – noch dazu, wo Jesus keinen Schöpfeimer hat, mit dem er Wasser aus der Tiefe des Brunnens schöpfen könnte. „Bist du etwas größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab…“ Damit bezieht sich die Frau auf die ihr bekannte Rangordnung. Sie holt Jesus sozusagen runter auf die Erde. Frei über setzt heißt das: „Jetzt mach mal halblang! Du meinst doch nicht im Ernst, du wärst größer als unser Stammvater Jakob, dem wir den Brunnen verdanken?! Worauf Jesus noch einmal „steigert“: Doch, genau das meine ich! Das Wasser nämlich, das ich gebe, ist eines, das nicht nur jeden Durst löscht – es ist quasi ein Vorgeschmack auf das Paradies, indem es sich zu einer Quelle sprudelnden Wassers verwandelt.
Liebe Gemeinde,
in Zeiten, in denen (wieder einmal) menschlicher Größenwahn Konjunktur hat, in denen Größenwahnsinnige zu Präsidenten gewählt werden – in solchen Zeiten möchte ich besonders darauf achtgeben, selber „auf dem Boden zu bleiben“.
Es geht (mir) um die gute Verbindung eines zuversichtlichen Glaubens/Vertrauens auf dem nüchternen Boden der Wirklichkeit. In Zeiten, in denen Verdrehungen der Wirklichkeit bis hin zu vorsätzlichen Lügen im Dienste von Propaganda Konjunktur haben, ist die Fähigkeit zu Nüchternheit und das nüchterne Überprüfen dessen, was jemand sagt und/oder verheißt, besonders wichtig. Der „Faktencheck“! Zurecht ist gesagt worden, man könnte den Text als Werbekampagne für Jesus-Wasser lesen. Mit dem Slogan: „Wer dieses Wasser trinkt, bei dem lösen sich alle Probleme wie von selbst. Er bekommt jetzt schon den (Vor-)Geschmack des Paradieses.“
(Ich muss an das HB-Männchen meiner Kindheit denken: Nach mehreren vergeblichen Versuchen kommt die „Erlösung“: Greife lieber zu HB, dann geht alles wie von selbst! Es gab auch ein gehässige Variante dieser Werbung: Das HB-Männchen versucht sich vergeblich umzubringen. Um dann zu hören: „Greife lieber zu HB; dann sinkst du friedlich in dein Grab!“)
Aber zurück. In unserer Wirklichkeit gilt: „Paradiese lost“ – unser Leben findet außerhalb des Paradieses statt. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Schlimm ist und tragisch, wenn jemand vor lauter Paradieses-Sehnsucht vergisst, dass sein Leben im Hier und Jetzt stattfindet.
Dazu eine Geschichte, die ich bei Willigis Jäger in dem Büchlein: „Das Leben endet nie“ gefunden habe:
„Eine alte Frau bügelte einen Haufen Wäsche. Da trat der Todesengel zu ihr: ‚Es ist Zeit! Komm!‘ Die Frau antwortete: ‚Gut, aber erst muss ich die Wäsche fertig bügeln, wer tut es denn sonst, und ich dann muss ich kochen, meine Tochter arbeitet im Geschäft, sie braucht etwas zum Essen, wenn sie heimkommt. Siehst du das ein?‘ Der Engel ging. Eine Zeit später kam er wieder…. Die Frau ging gerade aus dem Haus. ‚Ich hab jetzt keine Zeit‘, sagte sie. ‚Ich gehe ins Altersheim. Da warten Dutzende von Menschen auf mich, die sehr einsam sind. Die kann ich doch nicht im Stich lassen.‘ Der Engel ging. Und so ging es weiter. Immer fand die Frau einen Grund, warum es jetzt gerade nicht möglich war zu sterben.
Als die alte Frau dann eine uralte Frau geworden ist, dachte sie bei sich: ‚Jetzt könnte der Engel kommen. Nach all der Arbeit und der Mühen muss die Seligkeit des Paradieses doch sehr schön sein.‘ Der Engel kam. Die Frau fragte ihn: ‚Führst du mich jetzt in die Seligkeit?‘ Der Engel frage zurück: ‚Und wo, glaubst du, warst du die ganze Zeit?'“
Jäger schreibt dazu: „Wir sind durchtränkt von der Idee, es gäbe eine bessere Welt. Wir meinen, es müsse eine Alternative zum Hier und Jetzt geben, das uns offensichtlich nicht genügt. Wir fordern eine ganz andere Schöpfung – die jetzige hat zu viele Unvollkommenheiten. Sie ist, um es deutlich zu sagen, das Werk eines Stümpers.“ (Jäger, S.74-75)
In den Religionen ist aus diesen Gedanken der Glaube an ein besseres Jenseits, an ein Reich Gottes entstanden, in dem nur Harmonie herrscht. „Kummer und Seufzen“ werden entfliehen, heißt es bei Jesaja. „Löwe und Lamm werden friedlich nebeneinander lagern“, heißt es in der Offenbarung des Johannes. „Sprudelnde Quelle ewigen Lebens“ heißt es in unserem Text.
Alle Mystiker hingegen sind sich darin einig: Es gibt gar nichts anderes und schon gar nicht etwas Besseres als das Jetzt. Und wir können es jeden Augenblick erleben, indem wir uns unserer Atems bewusst werden.
„Die Wirklichkeit des menschlichen Lebens dauert ein Einatmen lang“, sagt der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh.
Im Erleben des Augenblicks, im Erleben des „Jetzt und Hier“ werde ich frei! Befreit von meiner Sehnsucht, es gäbe vielleicht doch die Möglichkeit einer Rückkehr in das Paradies. Befreit von meinen Qualen, ich, mein Leben, meine Mitmenschen „es“ ist nicht gut genug!
In der großartigen Dichtung von J. Milton „paradise lost“ aus dem Jahr 1667 – „Das Paradies ist verloren“ – ist es der Satan, der dies nicht anerkennen und dadurch das Paradies nicht verlassen kann. Er kann/will die Realität dieser Welt, in der wir leben, nicht akzeptieren. Anders unsere Vorfahren: Eva und Adam werden zu erwachsenen Menschen, indem sie anerkennen: Es gibt kein zurück! Die Pforten des Paradieses sind geschlossen. Adam und Eva sind über das Paradies hinausgewachsen! Sie sind erwachsen geworden. Und sie wurden nicht von einem zornigen Gott ausgestoßen. Im Gegenteil – ein liebevoller, mitfühlender Gott hatte ihn noch eigenhändig aus Tierfellen Röcke genäht Genesis 3, 20-21! Und gerade so sind die Tore, die uns in unser einmaliges Leben hinein führen, in dem wir immer schon gewesen sind, weit offen. Alles, was wir tun müssen, ist: los zu gehen. In dem sicheren Vertrauen: Gott geht mit.
Denn – mit Meister Eckhardt: „Gott ist ein Gott der Gegenwart!“ AMEN
Ich kenne jemand, der hat mit anderen sozial engagierten Menschen zusammen die „STIFTUNG WASSER“ gegründet. Sie ist leicht im Internet zu finden!