Predigt über Markus 8, 31-38 am Sonntag Estomihi (27.2.22) gehalten unter dem Eindruck des Ukrinekonfliktes

Liebe Gemeinde,

ich beginne mit einer persönlichen Vorbemerkung:

In den Religionen wird Sprache dazu verwendet, zu überzeugen. Ziel ist, dass dem, der etwas mitteilt, geglaubt wird. Im AT wird dafür die Autorität Gottes selbst ins Spiel gebracht: „So spricht Gott …“ heißt es bei den Propheten. „Wahrlich, ich sage Euch …“, heißt es im NT. Und „Predigen“ heißt wörtlich: „praedicare“, zu deutsch. „ausrufen“, „preisen“, „rühmen“. Es kann aber auch heißen: „festsetzen“, „befehlen“.

So gesehen sind meine Predigten allesamt eine Themaverfehlung.

Ich rühme niemanden und ich setze nichts fest. Es gibt auch keine Befehle im Sinne von: mach das – oder lass das! Und schon gar nicht würde ich ein „so spricht Gott…“ voran stellen. (Auch wenn ich dazu manchmal größte Lust hätte. Und zwar v.a. dann, wenn ich mich über etwas empören möchte!)

Meine Predigten sind ein Versuch, meinen Hörern Anteil zu geben an Gefühlen und Gedanken, die ein religiöser Text in mir auslöst. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Es ist mein subjektives Verständnis eines Textes – auf dem Hintergrund meines Theologiestudiums und meines Psychoanalysestudiums.

Dies ist der Hintergrund, auf dem sie meine nun folgende Predigt hören mögen!

Liebe Gemeinde,

der heute zu predigende Text löst bei mir als erstes Abneigung aus. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass er sich sehr gut als Magna Charta, als Fundament für die Gründung einer religiösen Sekte oder eines totalitären Staates eignet. Da ist von den Schriftgelehrten die Rede, die Jesus töten werden, da wird Petrus, einer der engsten Freunde Jesu, als Satan beschimpft, um schließlich in dem hässlich-hassvollen Satz zu gipfeln: „Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“ (Vers 38) Das könnten Sätze eines Diktators sein, dem jegliche Empathie abhanden gekommen ist. „Denken Sie doch an die unschuldigen Menschen, die vom Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine betroffen sind, die im schlimmsten Fall getötet werden“, hatte unsere Außenministerin fast flehentlich gesagt. Für einen empathischen Menschen ist es nicht leicht, sich vorzustellen, wie gefühllos Menschen sein können. Und noch schwerer ist es, darauf nicht mit eigenem Hass zu reagieren. Sich nicht vom Hass, den ich spüre, infizieren zu lassen.

Liebe und Hass – das sind emotionale Grundbausteine des Lebens. Und je mehr wir unsere eigenen „hässlichen“ Seiten verleugnen, desto mehr Macht über uns erlangen sie. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden; überwinde das Böse mit Gutem“, schreibt Paulus im Römerbrief. Übrigens derselbe Paulus, der im ersten Korintherbrief seiner Wut auf die Korinther freien Lauf lässt. Im selben Brief, in dem er auch das sogenannte Hohe Lied der Liebe schreibt, das wir vorhin gehört haben.

Für mich heißt „Jesus nachzufolgen“ nichts anderes, als die eigene Liebefähigkeit zu stärken. Damit wird automatisch die eigene Bereitschaft zum Hassen geschwächt. Wenn wir die einfühlende Liebe verlieren, sind wir schutzlos unserem eigenen Hass ausgeliefert.

In der neu revidierten Lutherbibel trägt unser Predigttext die Überschrift:

Von der Nachfolge“. Ich werde im Folgenden neun Punkte benennen, die meiner Meinung nach eine „Nachfolge in Liebe“ ermöglichen. Ich erhebe damit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Erstens: Nachfolge in Liebe bedeutet, dass die Existenz eines Satans, eines „Verwirrung-Stifters“ und eines Feindes meiner Fähigkeit zu lieben, nüchtern anerkannt wird. Erst dann nämlich kann ich mich mit ihm auseinander setzen und ihn in nüchterner Liebe auf den richtigen Platz stellen. Er muss sich hinten anstellen. „Geh hinter mich, du Satan!“ „Du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ Menschlich ist, dem Leiden, den Schmerzen und den damit verbundenen vermeintlich unerträglichen Gefühlen auszuweichen. „Ich will das nicht haben“, sagt der Mensch. „Du musst das auch nicht aushalten“, sagt Satan!

Nüchterne Antwort:

Du stellst dich hinten an. Nicht länger bestimmst du meinen Weg. Nicht länger lasse ich mich von dir in die Irre führen bzw. verführen.“

Zweitens: „Das eigene Kreuz zu sich zu nehmen und zu tragen, ja zu ertragen“ – das hält Satan für völlig überflüssigen Unfug. Satan wirbt für maximalen Lustgewinn. Man könnte auch sagen, er macht Propaganda für Lust. Solche Propaganda-Sätze können heißen: „Das hast du dir jetzt echt verdient!“ Oder: „Man gönnt sich ja sonst nichts!“ Auch: „Das musst du dir nicht bieten lassen!“ „Wenn du stark bist, schlägst du zurück.“ (In Klammern: Wussten Sie übrigens, dass der Begriff „Propaganda“ in unserer Bedeutung, nämlich durch Werbung für die Ausbreitung von irgend einer Botschaft zu sorgen, erstmals im kirchlichen Bereich Verwendung fand? Im Jahr 1622 wurde in Rom eine „päpstliche Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens“ gegründet. Die hieß auf lateinisch: „congregatio de propaganda fide“. Klammer zu.)

Drittens: Der Weg der Nachfolge in Liebe beginnt mit Verleugnung. „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst.“ „Verleugnen“, griechisch „aparneomai“, bedeutet wörtlich: „sich lossagen“.

Lossagen heißt sich lösen von all den Selbst-Täuschungen, denen ich aufgesessen bin. Alle Betrüger dieser Welt betrügen sich in der Tiefe selbst. Machen sich selbst etwas vor und verbringen ihr Leben damit, sich diese Täuschungen schön zu reden. Sie fliehen vor dem Blick in den Spiegel; sie weichen der Frage: „Wer bist du in Wirklichkeit?“ aus. Das Prinzip Satan erklärt diese Frage als uninteressant. Da, wo Selbst-Erkenntnis geschehen könnte, findet Selbst-Ablenkung statt.

Viertens: Menschen wie Jesus ist es möglich geworden, einen Blick hinter die Kulissen des Schauspiels Selbst-Täuschung zu werfen. Und er hatte den Mut, diesen Blick mitzuteilen und zu sagen: Ihr seid doch alle Schauspieler. Das ist doch nicht echt, was ihr da treibt. Ihr redet von Gott – und lasst Euch leiten von Satan. Dass jemand mit einer derartigen Botschaft gekreuzigt wurde, ist da nicht weiter verwunderlich.

Fünftens: An Jesus glauben, seine Botschaft verinnerlichen, mit und in ihr zu leben, führt keineswegs ins Paradies unbegrenzter Lusterfüllung. Zunächst einmal führt seine Botschaft in die Öde und Kargheit des Verzichts. Des Verzichtes darauf, sich weiterhin etwas vor zu machen. Ein notwendiges Gefühl am Beginn dieses Weges ist das Erschrecken über sich selbst. „Oh Gott, wie konnte ich mich nur so täuschen?“ Es gehört viel Mut und Kraft dazu, sich seine eigenen Täuschungen einzugestehen. Dieses Eingeständnis wird nämlich noch von einem weiteren, sehr unangenehmen Gefühl begleitet: Der Angst, verrückt zu werden. Und dieses Gefühl ist absolut angemessen: Auf dem Weg in die Nachfolge werde ich ver-rückt. Alles, was ich bislang für sicher hielt, wird nämlich in Frage gestellt und neu geordnet, neu aufgestellt.

Sechstens: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er sich selbst gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele?“

Die Abwehr dieses Satzes ist einfach und verbreitet. Da ich nicht weiß, was Seele ist, muss ich mich auch nicht mit ihr beschäftigen. Aber ich weiß, wie es geht, in dieser Welt Anerkennung und Ruhm zu bekommen. Und das hilft mir was. „Haste was, bist du was!“

Was bringt demgegenüber die Beschäftigung mit sich selbst?“ – „Eben: nichts!“

Siebtens: Jesus predigte das Reich Gottes – gekommen aber ist die Kirche.

Und die Kirche musste kommen, weil Jesu Predigt sich nicht dafür eignet, mit ihr eine Gemeinschaft oder gar einen Staat zu etablieren. Im Urchristentum lebte man wohl in einer Art Kommune. Die Hippie-Bewegung der Sechziger-Jahre des letzten Jahrhunderts mit ihrem Slogan: „All you need is love“ ist – glaube ich – sehr nahe diesem urchristlichen Gedankengut. Es ist eine wunderschöne Vision – nur nicht dafür geeignet, menschliches Zusammenleben zu ordnen. Nebenbei: Wir wissen, dass es auch im Urchristentum einen erheblichen Streit zwischen Petrus und Paulus gab, der im sogenannten „Apostelkonzil“ beigelegt worden ist. Menschliches Zusammenleben benötigt einen klaren und verlässlichen Rahmen. Wie schwer es uns Menschen fällt, sich an einem Rahmen zu halten, hat der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche gezeigt. Und zeigt aktuell das Handeln Putins.

Achtens: Deshalb ist es auf dem Weg liebevoller Nachfolge unabdingbar, dem eigenen Hass, der eigenen Bereitschaft zu zerstören, ins Auge zu blicken – um ihr Einhalt zu gebieten zu können. Das setzt aber voraus, Zerstörerisches als Zerstörerisches überhaupt erst Mal zu erkennen. Putin sagt, er schützt und sichert die Ukraine und damit Russland vor den westlichen Feinden. Sein Krieg ist „eine Friedensmission“. Die Schriftgelehrten damals wollten ihr religiöses System vor einem vermeintlichen Gotteslästerer schützen. Deshalb musste er vernichtet werden.

Neuntens: Es bleibt uns nicht erspart, eine eigene Position zu beziehen. Ich versuche alltäglich meiner Fähigkeit zu lieben Raum zu geben. Und ich scheitere alltäglich und lasse mich verführen zu hassen. In dem Ganzen brauche ich einen barmherzigen vergebenden Gott. Einen Gott, der die Liebe ist.

Und mein Gebet an ihn ist sehr kurz:

Gott, sei mir Sünder gnädig! AMEN.

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