Predigt über Matthäus 14, 22 – 33 am 4. Sonntag vor der Passionszeit 2022

Liebe Gemeinde,

heute geht’s um’s „Bewundern“.

„Kommet her und sehet die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern!“

Mit diesem Psalmvers wurde unser Gottesdienst eingeläutet, er möge uns in dieser Woche begleiten.

Das Evangelium handelt von der „wunderbaren Stillung des Sturms“.

Nun scheint zum Bewundern unabdingbar Angst dazu zu gehören: „Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: ‚Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?’“

In der anderen bekannten Geschichte, bei der die Jünger ebenfalls in einem Boot sitzen, freilich alleine, ohne ihren „Meister“, geht es auch um Angst. Um die Angst eines besonderen Jüngers mit Führungsqualitäten – um die Angst von Petrus. Doch hören Sie selbst, aus dem Evangelium des Matthäus im 14. Kapitel:

22 Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. 25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! 28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“

Bewundern und Angst gehören offensichtlich zusammen. Und das Bewundern ist eine Möglichkeit, Angst los zu werden. „Idealisieren“ wird das in der Psychologie genannt.

Es ist die Angst vor der „nüchternen“, vor der „wirklichen“ Wirklichkeit.

Indem ich jemand bewundere, ihn oder sie auf seinen Sockel stelle, muss ich mich nicht mehr mit der Wirklichkeit beschäftigen. Jemand, den ich bewundere, der „steht für sich“. Er befriedigt meine Sehnsucht nach Allmacht, Allwissenheit, ewigem Leben usw. Und indem ich ihn/sie/es bewundere werde ich selbst herausgehoben aus der alltags-grauen Wirklichkeit, in der ich gerade stecke. Wer anfällig für Bewunderung ist, der befindet sich notwendig in einer Wirklichkeit, die ihn nicht befriedigt. Und versucht mit aller Macht, die Bewunderung aufrecht zu erhalten. Wenn es dann überhaupt nicht mehr geht, ist die Enttäuschung um so größer, der Fall des ehemals Bewunderten um so tiefer.

Diese Dynamik muss gerade die katholische Kirche erleben und v.a. erleiden.

Der Jesus, der uns in unserem heutigen Predigttext vorgestellt wird, soll bewundert werden. Whow – er kann auf dem Wasser gehen, er kann direkten Einfluss auf das Wetter nehmen. …

Dieser Jesus, oder besser die Fantasien über solch einen Jesus, stammen aus der Kindheit. Zur gesunden Entwicklung eines Kindes gehören „Gestalten“, die es bewundert. Das können Tiere sein (Das Pferd Fury, der Hund Lassie, der „König der Löwen“ usw.) und das können Menschen sein. Bei mir waren es eine Zeitlang Winnetou und Old Shatterhand. Oder – moderner – Harry Potter. Natürlich können das auch grausame Machthaber sein. Sie alle sind „Helden der Kindheit“: sie leben so, wie ich als Kind auch gerne leben würde. Auf dem Weg der Entwicklung zum Erwachsenen, wird aus diesen „Bewunderungen“ ein Ideal. Ideal heißt: „So würde ich gerne sein!“

Je „abgehobener“ dieses Ideal von der Wirklichkeit ist, desto schwerer habe ich es. Wenn ich erst dann mit mir zufrieden bin, wenn ich auch auf dem Wasser laufen kann, werde ich sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne „absaufen“. Die Bemerkung: „Wenn du untergehst, dann war dein Glaube halt noch nicht groß genug“, ist in diesem Zusammenhang das zynische Festhalten an einem unrealistischen Ideal.

Nun gibt es Berufe, die sich in ganz besonderem Maße dafür eignen, höchste Ideale zu realisieren. Es sind die „rettenden“ Berufe. Dies sind allesamt soziale Berufe: Ärzte, Therapeuten, Priester, Politiker – sie alle umgibt die Aura von Größe, von Macht und eben auch von Rettung. Anfällig für solche Berufe sind Menschen, die als Kinder, erlebten, dass ihr Auftrag es ist, Vater und/oder Mutter zu stabilisieren, zu stützen, ja zu retten …

Wenn ich dich nicht hätte“, hat es geheißen.

Oder: „Du bist mein Retter!“ Oder: „Du bist genial (für mich)!“

Eigene (Trieb-)Regungen wurden brutal unterbunden oder abgeschnitten oder gewaltsam „heraus geprügelt“.

Daraus erwuchs in der kindlichen Seele die Überzeugung, mein Lebenssinn, meine Existenzberechtigung besteht darin, für den Anderen da zu sein, für ihn nützlich zu sein! Etwas platt formuliert: Ich soll so sein, dass ich von meinem Vater, meiner Mutter, meinem Chef gut gebraucht werden kann. Dann bekomme ich die ersehnte Anerkennung. Das ist die Schwester des sexuellen Missbrauchs: Es ist der narzisstische Missbrauch.

Solche Kinder haben verinnerlicht, dass das ganz eigene Leben, die ganz eigene Kreativität, die ganz eigenen Gefühle unerwünscht sind. Sie sind böse. Wenn man sie fühlt, hat man den Platz in der Gemeinschaft verloren. Für den katholischen Priester geht dieses Ideal so weit, dass er auch die Kraft seiner ureigensten Lebendigkeit – seine Sexualität – dem opfern soll, was „Gott“ genannt wird. Dies ist sowohl ein Missbrauch an Gott („Ich will Eure Opfer nicht!“ heißt es bei Hosea.) als auch ein Missbrauch an dem jungen Mann, der Priester werden will. Der zur Zeit zurecht beklagte Missbrauchsvorwurf vieler katholischer Priester ist psychodynamisch nur der Ausdruck dieser Missbrauchsbeziehung. Wer seine Identität auf Missbrauch aufgebaut hat, kann nicht anders als sich selbst und ihm Anvertraute missbrauchen.

Soweit – so gut. Nur: Wenn wir unsere Geschichte nicht als Super-Helden-Geschichte lesen, was bleibt dann noch von ihr übrig?

Ergibt sie dann noch Sinn oder sollte man sie nicht – wie Vieles andere was in der Bibel steht – auf den Müll der Geschichte ablegen? Ist sie nicht genauso veraltet, wie unser ganzer Glaube, wie unser ganzes Christentum? Stehen wir nicht weiß Gott vor anderen Aufgaben: Stichwort Klimawandel, Stichwort Corona, Stichwort Ukraine.

Es kann durchaus sein, dass wir als Menschheit allesamt untergehen. Ohne dass es eine rettende Hand gibt, die uns da herauszieht.

Aber darum geht es m.E. in der Geschichte auch gar nicht. Ich lese unsere Geschichte als Veranschaulichung. Sie veranschaulicht die „Überwindung“ der Zeit. Wie damals, als sich das Schilfmeer teilte und die Israeliten trockenen Fußes ans andere Ufer kamen. Auch sie wurden nicht von der Zeit verschlungen. Aber dieses Wunder führte sie nicht in das Paradies oder Schlaraffenland, sondern – in die Wüste. Und immer wieder „murrte“ das Volk, wollte zurück zu den „alten Zeiten“, zu den „Fleischtöpfen“ Ägyptens, zu den „Brüsten der Mutter“.

Der auf dem Wasser wandelnde Jesus veranschaulicht die Möglichkeit, in der Zeit die Zeit zu „vergessen“. Die Verwirklichung dieser Möglichkeit nennen wir „in der Gegenwart sein.“ Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

In der Gegenwart sein heißt: da sein. Mit allem, was mich ausmacht. In der Gegenwart sein heißt wahrnehmen, was gerade wahrzunehmen ist. Die Modeworte „Achtsamkeit“, „Aufmerksamkeit“ usw. sind Ausflüsse des „In-der-Gegenwart-Seins“.

Auf der einen Seite gilt: Unser Leben spielt sich in der Zeit ab. In ihr kommen wir auf die Welt, in ihr werden wir groß, in ihr machen wir unsere Erfahrungen, in ihr werden wir alt und in ihr sterben wir. Diese Zeit lässt sich als Pfeil, als gerichtete Linie visualisieren.

Auf der anderen Seite gibt es das „Verlassen“ oder „Vergessen“ dieser Zeit. Dies findet z.B. regelmäßig in Träumen statt, wo wir mühelos von Situationen sogar von Menschen träumen können, die es längst nicht mehr gibt. Das ist die vertikale Dimension des Erlebens.

Es gibt Menschen – insbesondere spirituelle Menschen -, die meinen, die „Lösung“, die „Erleuchtung“, wäre es, die Zeit zu „überwinden“. Ganz und gar gegenwärtig zu leben, „reine Präsenz“ zu erleben. Sie können sehr lange meditieren, bewusst atmen usw. Was sie aber nicht können, ist, die meditative oder kontemplative Erfahrung in ihr Alltags-Leben zu integrieren. So bleibt es bei einer „Spaltung“ oder „Aufteilung“ zwischen Alltag und Kontemplation. Aus dieser Spaltung heraus wird z.B. verständlich, dass hoch spirituelle Menschen gleichzeitig massiv abwertend, ja böse sein können. Wenn z.B. ein Bernhard von Clairvaux zum Heiligen Krieg gegen die Muslims aufruft, scheint seine spirituelle Lebenshaltung völlig verloren gegangen zu sein. Ähnliches gilt für die antisemitischen Äußerungen von Martin Luther. Und natürlich auch für die Position der Kirche – evangelisch wie katholisch – im III. Reich.

Es geht also um die gute, dem Leben dienende Verbindung zwischen dem schnöden alltäglichen Leben in der Zeit und einem spirituell-meditativen Leben „jenseits“ der Zeit.

Ich möchte dies abschließend mit einer Geschichte veranschaulichen, die ich bei A. de Mello gefunden habe:

Das Geheimnis der Zufriedenheit

Es kamen ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.

„Herr“, fragten sie „was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“

Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“

Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: „Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?“

Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich.“

Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend, fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“

So einfach ist das – und zugleich so schwer!

Gott ist ein Gott der Gegenwart, sagt Meister Eckhart.

Gebe dieser Gott, dass wir mit der Fülle oder auch Leere dessen, was uns je und je umgibt, einverstanden sind. So wird Zufriedenheit und Glück von selber in unsere Seele einziehen, AMEN.

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