Predigt über Römer 10, 9-17 am 17. Sonntag nach Trinitatis 2021

Liebe Gemeinde,

„Herr, wer glaubte unserem Predigen?“ (Jesaja 53,1)

Dieser Satz des Propheten Jesaja steht am Ende unseres heutigen Predigttextes, ein Abschnitt aus dem Römerbrief des Paulus.

Paulus deutet das so: „So kommt der Glaube aus der Predigt; das Predigen aber durch das Wort Christi.“

Nun – vor dem Glauben steht das Hören. Das Zuhören. Das Hören auf das, was ein anderer, z.B. ein Prediger zu sagen hat.

Zur Veranschaulichung: Jeder, der die Mühe auf sich nimmt, einen Hund zu erziehen, weiß, dass alles damit beginnt, dass der Hund überhaupt bereit ist, auf mich zu hören. Dazu muss ich irgendwie mit ihm in Beziehung kommen. Ihn irgendwie darauf aufmerksam machen: „Hey, es gibt mich. Ich bin mehr und Anderes als das Ende deiner Leine! Ich will zum Beispiel, dass du neben mir gehst, wenn ich ‚bei Fuß‘ sage.“ Indem der Hund erlebt, dass dieses „Ich will jetzt was von dir!“ attraktiv ist, wird er sich erreichen lassen. Oft ist das ein „Leckerli“! Oder eine Streicheleinheit. Oder beides. Auf der anderen Seite: Ich muss glaubwürdig sein. Man nennt das auch konsequent. Wenn ich einmal den Hund beschimpfe, dass er an der Leine zieht, ein anderes Mal mich von ihm durch die Gegend ziehen lasse, herrscht Willkür in unserer Beziehung. Die Konsequenz: Der Hund lernt: Was mein Herrchen oder Frauchen sagt, ist nicht ernst zu nehmen.

Dies erfordert für den Hundeführer viel Klarheit, Nüchternheit, Präsenz: und – ganz wichtig – den Verzicht auf eine bestimmte Art der Befriedigung. Es ist der Abschied von etwas Sentimentalem: Der Hund möge gerade so sein, wie ich ihn brauche, um glücklich zu sein. Dies gilt nun auch für jede Art von Beziehungen zwischen uns Menschen: Je mehr ich darauf angewiesen bin, von meinen Mitmenschen befriedigt zu werden, je bedürftiger ich bin, desto schwerer habe ich es im Leben.

Ich habe lange gebraucht und es fällt mir immer noch schwer zu akzeptieren, dass das so ist.

Meine große Frage, wenn ich eine Predigt schreibe lautet stets: Wie komme ich mit den Menschen, denen ich meine Predigt halte, in Kontakt, in Beziehung? Wie erreiche sie? Es ist noch gar nicht so lange her, dass dazu sich ein neuer Gedanke gesellt: Ich bin nicht davon abhängig im Sinne von „darauf angewiesen“, die Gemeinde zu erreichen. Das schafft einen Spielraum, einen Freiheitsraum. Zwischen Gemeinde und Pfarrer, zwischen mir und Euch! Der Preis für diesen Spielraum ist die Anerkenntnis: Die Kraft meines Predigens endet – im übertragenen Sinne – wo Eure Kirchenbank beginnt. Weiter komme ich nicht. Und weiter darf ich auch nicht kommen. Das wie in der Arbeit mit Raubtieren: Jeder Löwe, jeder Tiger hat seinen Individual-Raum. Und es ist gut für den, der mit diesen Tieren arbeitet, diesen auch zu respektieren.

Anders ausgedrückt: Was Ihr mit meinen Worten, Sätzen, Gedanken macht, wofür Ihr die verwendet, das habe ich nicht mehr in der Hand. Auch wenn ich versuche noch so schmackhaft zu predigen, noch so viele Leckerli in meiner Predigt verpacke … es gibt Hunde, es gibt Menschen, die ein: „Wenn ich nicht will, dann will ich nicht!“ ausstrahlen und leben.

Als Prediger oder Hundeführer habe ich verloren, wenn mich das kränkt. Meine Bedürftigkeit, von Euch „gehört“, „wahrgenommen“ zu werden, schwächt meinen Standpunkt erheblich. Meine Bedürftigkeit macht mich unfrei – dem Hund gegenüber und Euch als Gemeinde gegenüber. Und dies gilt für jede Art zwischenmenschlicher Beziehung: Zwischen Eltern und Kindern, zwischen Ehepartnern, zwischen Freunden zwischen Christen in der Gemeinde und eben auch zwischen Tieren und Menschen.

(An dieser Stelle ist es mir ein Bedürfnis, den Tieren zu danken, die mich dies gelehrt haben und alltäglich lehren!)

Wenn ich jetzt also Ihnen ein paar Gedanken zu dem Predigttext, den Sie vorher gehört haben, anbiete, so sind das meine ganz eigenen Gedanken. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, dass ich mit diesen Gedanken „die Wahrheit“ verkünde. Es sind meine Gedanken und in Ihnen steckt natürlich meine Persönlichkeit, mein individuelles Geworden-sein. Ich greife zwei Abschnitte aus dem Text heraus:

Erstens: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn auferweckt hat von den Toten, so wirst du gerettet. Der wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Mund bekennt, wird selig.“ (Vers 9-10)

Solche vollmundigen Sätze widerstreben mir. Ich maße es mir nicht an, zu beurteilen, wer unter welchen Bedingungen gerettet, gerecht oder selig wird. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung und aus meiner seelsorgerlich-therapeutischen Arbeit: Für körperlich-seelisches Wohlergehen genügen diese Sätze nicht. Es kann geradezu zynisch sein, einem in großer seelischer Not befindlichen Mitmenschen zu sagen: Du musst Jesus als deinen Herrn mit dem Munde bekennen und im Herzen glauben. Und ich weiß aus eigener Erfahrung: Ich kann niemanden retten: nicht als Pfarrer, nicht als Therapeut.

Das heißt auf der anderen Seite nicht, dass Seelsorge oder Therapie sinnlos ist. Was der Therapeut/Seelsorger nämlich kann, und was er gelernt haben sollte, ist: Den Anderen in seinem So-geworden-Sein (und das ist zugleich sein Anders-Sein) wahrzunehmen und Ernst zu nehmen. Damit ist zugleich die Grenze der Möglichkeiten von Seelsorge benannt: Wer zu viel Angst davor hat, gesehen zu werden, dessen Schutz ist der Rückzug. Kompliziert wird es allerdings dann, wenn jemand zugleich gesehen werden will und sich versteckt. Das Zusammensein mit solchen Menschen erfordert sehr viel Kraft und noch mehr Geduld. Mein schwarzer Talar eignet sich im übrigen bestens dafür, mich in ihm bzw. in der Rolle des Pfarrers zu verstecken. Dann predige zwar mit dem Mund aber nicht meinem Herzen. Ich vermute, die aufmerksamen Zuhörer unter ihnen würden das spüren. Man sagt dann: „Irgendwie ist er nicht rüber gekommen.“ Das liegt daran, dass er/sie/es nicht wirklich präsent gewesen ist. Oder, mit Paulus: Dass er nicht mit dem Herzen geredet hat. Dies gilt natürlich auch für unsere Politiker, die sich heute zur Wahl stellen.

Zweitens: „Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt sind?“ (V.14-15a)

Die Aufgabe des Predigers nach Paulus ist es also, das, woran die Menschen glauben sollen, bekannt zu machen. Für Paulus ist das sehr eindeutig: „Dass Jesus der Herr ist, der von den Toten auferweckt worden ist.“ Das ist die Mitte, das Herz der paulinischen Botschaft: Der auferstandene Gekreuzigte. In und durch ihn ist jeder, der an ihn glaubt – egal ob Jude oder Heide – gerettet.

Auch dies kann ich leider nicht so eindeutig und überzeugend predigen, wie das Paulus konnte. Ich kann das deshalb nicht, weil ich das in der Tiefe meiner Seele oder auch mit meinem Herzen so nicht glauben kann. Es ist zu weit weg von meinem Erleben. Was mir zu Herzen geht, das ist die Botschaft, die die der lebendige Jesus hatte. Was mich berührt, das ist seine Predigt von der Gottesliebe und der Nächstenliebe. Es sind Sätze wie dieser: „Du siehst den Splitter im Auge deines Nächsten – den Balken im eigenen Auge siehst du nicht!“ Hier beginnt für mich christliche Existenz, christliches Leben in der Nachfolge Jesu: Mit dem Willen und dem Mut, den Balken, den Schatten im eigenen Auge kennen zu lernen. Und sich einzugestehen, dass der vermeintliche Splitter im Auge meines Nächsten von meinem eigenen Balken abgesplittert ist. Mit anderen Worten: Dass all‘ meine Gedanken und Sätze über meine Mitmenschen Projektionen meiner Selbst sind. Melanie Klein hat einmal gesagt, dass wir Menschen in der Tiefe gar nicht fähig sind, andere Menschen zu erkennen. Alles, was wir über andere sagen, sind in der Tiefe Aussagen über uns selbst. Diese Erkenntnis ist besonders unangenehm, wenn wir das auf unsere Bewertungen bzw. Abwertungen von anderen Menschen anwenden.

Und damit kehre ich am Ende meiner Predigt zu ihrem Anfang zurück:

Herr, wer glaubte unser, Predigen?“ Paulus verwendet dieses Jesajazitat nicht dafür, sein eigenes Predigen zu hinterfragen. Er macht daran den Ungehorsam derer fest, die nicht glaubten. Dahinter steht die Strategie, sich selbst nicht in Frage stellen zu müssen. Gefährlich und destruktiv wird dieser Gedanke, wenn er sich verbündet und verbindet mit Konsequenzen derart: Wer mir nicht glaubt, ist ungehorsam und muss bestraft werden. Das ist der direkte Weg in eine totalitäre Religion und am Ende in einen Gottesstaat. Hätte Paulus den Mut zu Selbsterkenntnis aufgebracht, so würde er erkennen, dass es um sein eigenes Gekränkt-sein geht, wenn ihm jemand nicht glaubt. Dieses äußert sich als Ärger über die „Ungläubigen“ und führt zu ihrer Beleidigung. In totalitären religiösen Regimen wird der Name „Gott“ dafür missbraucht, den eigenen Hass ausleben zu dürfen. Wer es hingegen wagt, sich selbst kennen zu lernen, wird dieses Geschehen auch bei sich finden: Der Andere hat mich nicht so befriedigt, wie ich das erwartet habe, also wird er (völlig zurecht) bestraft. Ein moderne, sublime Form dieser Bestrafung ist der Beziehungsabbruch: Der Andere ist ab sofort Luft für mich!

 

Ein ganz anderes Denken lehren die Mystiker. Zum Beispiel der islamische Mystiker Rumi, übrigens ein Zeitgenosse von Meister Eckhart. (Beide lebten im 13. Jahrhundert!).

In einem Gespräch gibt er Anteil daran, woraus seine Gedanken quellen:

Ich sage, was immer aus dem Verborgenen kommt. Wenn Gott will, dann macht er dieses bisschen Rede nützlich und lässt es sich in Eurer Brust festsetzen, und es bringt gewaltigen Nutzen. Wenn Gott nicht will, können hunderttausend Worte gesprochen sein, und keines würde sich im Herzen festsetzen; sie alle würden vorüber gehen und vergessen werden. …

Ich hoffe zu Gott, dass Ihr diese Worte auch mit Eurem Herzen hört, denn das ist nützlich. Wenn tausend Diebe von außen kommen, können sie die Tür nicht öffnen, solange sie drinnen keinen Diebeskomplizen finden, der von innen öffnen kann.“ (Von Allem und vom Einen, München 2008,S. 129-130)

In dieser Haltung zu predigen und zu leben erfordert viel Demut und Zurückhaltung. Und es entlastet und befreit! Ich habe als Prediger nicht die Möglichkeit, Eure Herzen zu erreichen. Das kann nur Gott allein. Was ich kann und wozu ich mir bei jeder Predigt Mühe gebe, ist, Gott den Weg zu bereiten. Zu Ihren Herzen, zu meinem Herzen.

Gebe Gott, dass Sie und ich immer wieder einen Diebeskomplizen in unserm Innern finden, der uns hilft, die Tür zu öffnen, auf dass Gott selbst in unser Inneres hineinkommen kann, AMEN.

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