Dr. Lothar Malkwitz

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis (2004)

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis (4.7.2004) in der Jakobuskirche Pullach über Römer 14,10-13

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

das ist ein merkwürdiger „Lastenausgleich“, der da von Paulus angemahnt wird: „Einer trage des anderen Last!“ Ein schlichtes Wort, das uns in dieser Woche begleiten will – aber: was bedeutet es? Der Zusammenhang ist klar: es geht um „Fehltritte“. Frei umschrieben meint Paulus in etwa: „In einer lebendigen christlichen Gemeinde werden die Fehler der einzelnen aufgefangen und gemeinsam getragen.“ Das kommt so leicht daher – ist aber ein radikal anderer Blickwinkel für menschliches Zusammenleben als damals und heute üblich. Der springende Punkt ist: es fehlt die Verurteilung! Üblich war damals in der griechischen Welt sich auf die Vernunft als die absolute, übergeordnete Instanz zu berufen. Was der Vernunft, dem Logos entsprach, hatte Geltung, alles andere wurde als unvernünftig – non-sense verurteilt. In der jüdischen Welt war die übergeordnete Instanz das Gesetz: wer es erfüllte, der  galt als gerecht, der Ungerechte war der „Sünder“, der aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde – es sei denn er „tat Buße“. Paulus stellt in seinen Briefen beide Instanzen in Frage: der Weisheit der Welt stellt er die Weisheit Gottes gegenüber (Korintherbriefe) der Gerechtigkeit aus den Werken des Gesetzes stellt er die Gerechtigkeit aus dem „Sein in Christus“ gegenüber (Römer und Galaterbrief).

Und dem abwertenden Verurteilen oder gar Ausschließen stellt er die integrative Kraft der Liebe entgegen. So schreibt er in Röm 14, 10-13, unserem heutigen Predigttext:

 

 

Ein aufregender Text! Es geht schon los mit dem „Du aber…!“ Völlig unvermittelt, vorher war von Euch die Rede, von wir, von jeder muss usw. – und plötzlich leuchtet dieses existenzielle „du!“ auf

Ja Du – Du bist gemeint – hör auf dich in einem Kollektiv zu verstecken – es geht um dich und um deinen Umgang mit deinen Brüdern und Schwestern. Bruder und Schwester – das sind im engeren Sinne die Gemeindeglieder, im weiteren Sinne sind es die Zeitgenossen, Mitmenschen. „Hör’ auf, Deinen Mitmenschen zu richten!“ Krineo – wörtlich „unterscheiden“, dann richten, zu Gericht sitzen, beurteilen, verurteilen, der Übergang zu verachten ist fließend – so sagt Paulus auch: „oder, was verachtest du deinen Bruder?“ Exouteneo -verachten, die Vorsilbe ex- verweist auf das hinaus, das hinausstoßen, das Ex-Kommunizieren. Dagegen wendet sich Paulus. Und dann fährt er mit dem kollektiven „Wir“ fort: „wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen.“ Vorsicht – dieser Satz darf nicht platt konkretistisch verstanden werden: „weil wir wissen, dass es ein zukünftiges Gericht Gottes gibt, deshalb verurteilen und verachten wir nicht.“ Paulus so mißverstanden öffnet die Türe genau für die Form des Richtens und Verachtens gegen die Paulus sich wendet. Dann wären plötzlich wir, die Getauften und Gerechtfertigten die Bessser-Wisser; aber das wäre nur ein Austausch absoluter Instanzen; statt griechischer Vernunft, statt jüdischem Gesetz der Gekreuzigte-Auferstandene als die letzte absolute Instanz. Es bliebe dasselbe Muster – es bliebe bei dem „von oben herab“ der Wissenden gegenüber den Unwissenden, es bliebe bei den Urteilenden gegenüber den zu Beurteilenden, es bliebe bei der Moral der Guten gegenüber den nicht so Guten.

Die frohe Botschaft, das Evangelium Jesus Christi aber ist kein weiterer Appell an irgend etwas … – davon gab und gibt es genug.

 

„Ich schäme mich des Evangeliums nicht; es ist ja eine Gotteskraft zum Heil für jeden, der glaubt…Wird doch in ihm Gottes Gerechtigkeit aus Glaube zu Glauben enthüllt…“ das ist das Leitthema der Paulinischen Theologie des Gerechtfertigten und deshalb freien Christenmenschen! Und das Gefäß, der Container für diesen radikalen Gedanken ist der Glaube, das Vertrauen auf einen im letzten unerkennbaren … Hier gehört das Wort „Gott“ hin – aber ich scheue mich, es zu verwenden – denn im kirchlichen Sprachspiel ist auch das Wort Gott gezähmt, domestiziert – „fromm“ geworden. Und steht in der Gefahr, den Gemeinten, den Bedeuteten – eben den unverfügbaren Gott – zu verwässern, zu vergewissern zu versichern.

 

Wo Gott ist, ist keine Sicherheit sondern Unsicherheit – Gott beginnt da, wo das Gewohnte, Vertraute aufhört. Dieses Ende und diesen radikalen Neuanfang hat Paulus erlebt – in seinem Damaskus – in seiner Wandlung vom Verfolger der frühen Christen zu deren leidenschaftlichen Verteidiger und Befürworter.–

 

Und jetzt? Was heißt das alles hier für uns? Hier – und heute?

 

Ich möchte Ihnen eine Begebenheit erzählen, die ich vor kurzem erlebte und die mir sofort einfiel, als ich unseren Predigttext zum ersten Mal las: „es war ein schöner Nachmittag; ich war mit dem Fahrrad unterwegs, zusammen mit meiner 5jährigen Tochter und ihrer gleichaltrigen Freundin. Beide hatten vor kurzem Radfahren gelernt, und waren stolze, wenn auch noch etwas unsichere neue Verkehrsteilnehmer. Sie fuhren auf dem Bürgersteig und ich neben ihnen auf der Strasse. Ein besonderes Abenteuer sind immer die Seitenstrassen, die es zu überqueren gilt – und wenn die „anderen“ auch noch die Vorfahrt haben. Wir kamen also an so eine Stelle und mussten bremsen, weil ein mächtiger schwarzer Sportwagen von rechts kam. Natürlich – er hatte die Vorfahrt. Nur – die wollte er gar nicht wahrnehmen – sondern er parkte – direkt vor unserer Nase im absoluten Halteverbot. Für uns bedeutete das: Absteigen, um den Wagen herum die Fahrräder schieben und wieder aufsteigen. Das ist alles etwas mühsam und mein Blutdruck begann zu steigen. Als ich dann noch den Fahrer des Wagens sah, ein sonnenbebrillter in teures dunkles Tuch gehüllter junger Mann, der wippenden Schrittes seines Weges ging als wäre er allein auf der Welt… kochte es in mir. Nachdem wir es geschafft hatten, den Bürgersteig zu erreichen fuhren die Mädchen langsam mit ihren kleinen Rädern weiter und ich ebenso langsam hinterher. Wir überholten den Sportwagenfahrer und es zischte aus mir heraus: „Wirklich toll geparkt!“ Darauf bekam ich zur Antwort: „Es ist wohl ein größeres Vergehen, mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig zu Fahren, als da zu  parken.“ Darauf ich, völlig verdattert irgendwie dagegen argumentierend. Als er zur Bank abbog versuche ich es noch mit: „Nur nicht sich von anderen erreichen lassen!“ Aber er hat es wohl nicht mehr gehört.“

 

Warum erzähle ich Ihnen diese wenig erfreuliche Geschichte?

 

Erstens um Ihnen zu sagen, dass ich es nicht leicht finde, wirklich christlich im paulinischen Sinne zu leben.

Zweitens, weil ich der Überzeugung bin, dass das, was Paulus erlebt hat, und wovon er so leuchtend schreibt, kein Zustand ist, den man irgend wann einmal „besitzt“, sondern ein beständiges Ringen um ein Geschehen, dem man sich mal mehr mal weniger annähern kann. Es gibt kein jenseits des „zugleich Sünder und Gerechtfertigt-Seins“. Aber in dem Annehmen dieses Geschehens kann sich tiefe Zufriedenheit ereignen.

Drittens glaube ich eignet sich die Geschichte ganz gut zur Veranschaulichung unseres Textes.

Was ist passiert? Jemand tut etwas Unrechtes. Keine Frage, der Fahrer parkte seinen Wagen im absoluten Halteverbot. Man könnte also die Polizei rufen. Wäre das im Sinne des Paulus? Ich glaube nicht. Es wäre noch einmal mit einer größeren Macht operiert. Das mag manchmal in Welt nötig sein – ich hätte dann die Genugtuung bekommen, dass der andere bestraft wird – ein zweifelhafter Gewinn. Ist mein Ärger im Sinne des Paulus? Schwer zu sagen, aber Paulus kann auch sehr impulsiv schreiben und verbirgt seinen Ärger nicht. Ich glaube, sich in einer Situation, in der man sich „überfahren“ fühlt zu ärgern ist völlig menschlich und angemessen. Die Frage ist, wie es dann weiter geht. Und darauf gibt Paulus eine verblüffende Antwort. Er sagt: Du tust Dir selbst nichts Gutes, wenn Du Dich aus Ärger über Deinen Mitmenschen stellst! Denn „jeder von uns muss über sich selbst Gott Rechenschaft geben!“ Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Übersetzt heißt das nämlich: Vor Gott, vor dieser Instanz „extra nos“ – die etwas mit Gewissen zu tun hat, aber weit darüber hinaus geht – gibt es kein Entrinnen. Als ich mich an diesen Gott wandte, weil ich mein Verhalten alles andere als toll fand, aber auch das Unrecht, das mir doch widerfahren war, nicht einfach wegwischen wollte, entstand in mir folgender Dialog: eine Stimme, freundlich aber sehr deutlich sagte zu mir: „Du kannst niemand dazu zwingen, dich zu sehen oder gar sich in deine Bedürfnisse einzufühlen. Der Autofahrer wusste selbst auch ganz genau, dass er sich ins absolute Halteverbot stellte. In dem du ihm daraus noch einmal einen Vorwurf machst, bleibt ihm nichts anderes mehr übrig als sich zu verteidigen. Und manchmal ist Angriff die beste Verteidigung – und so hat er dich auf dein eigenes Vergehen aufmerksam gemacht!“ Okay. Das leuchtet ein. Ja – und – weiter will ich sagen. Da  scheint mir die Stimme ein wenig zu lächeln, indem sie fort fährt: „Kann es sein, dass du auch deshalb dich so geärgert hast, weil du ganz im Inneren – du würdest es nie zugeben – auch ein kleines bisschen diesen Mann um sein schickes Auto beneidet hast. – Und dann geht er auch noch zur  Bank! Und du sitzt auf Deinem Fahrrad und begleitest zwei kleine Mädchen! Vielleicht bist Du kurzfristig einem Klischee von Männlichkeit aufgesessen, demgegenüber Du Dich etwas  – minderwertig fühltest?“

 

Aha. Soll ich das glauben? Mein Ärger über den „Fehltritt“ meines Mitmenschen hätte dann mit meiner eigenen Bedürftigkeit zu tun! Theoretisch kenne ich ja diese Zusammenhänge. Sie sind das tägliche Brot einer Therapiestunde. Wer sich selbst minderwertig, in der schwachen Position fühlt, fängt an zu beneiden. Neid aber ist die Ursache des Hasses; aus ihm entspringt dann, sich über den anderen zu stellen, ihn zu richten und zu verachten. Sich seinen eigenen Neidgefühlen anzunähern, ist aber deshalb so schwierig, weil es beschämend ist. Und Scham ist ein ekelhaftes Gefühl, das sich wehrt, offenbar zu werden. „In den Boden versinken wollen vor Scham“ – d.h. ja nichts anderes als weg damit – dieses Gefühl halte ich nicht aus. Wenn Paulus schreibt, ich schäme mich nicht des Evangeliums – weiß er, wovon er spricht – er, der Christenhasser und –verfolger, der sich dieser ganz neuen emotionalen Erfahrung vor Damaskus gestellt hat, sich von ihr hat überwältigen lassen, er hat verstanden, weil er es erlebt hat, dass wer in Christus ist, ist eine neue Kreatur. Neid, Scham Hass alle diese dunklen unangenehmen Gefühle, mit denen wir nichts zu tun haben  wollen –  die haben jetzt einen Platz gefunden – in Christus, dem Gehassten, dem Beschämten, den Verspotteten. Der in Christus offenbare Gott liebe Gemeinde, ist kein Sonntagsgott – er ist ein Alltagsgott, alltäglich zu gebrauchen, um über das Erlebte Rechenschaft abzulegen, zu re-flektieren und daraus neue Kraft zu schöpfen. Denn alles, was einen Platz findet, muss nicht mehr frei herumirren. Es muss nicht mehr verfolgen. Der von Neid und Hass verfolgte Mensch hat sich seinen Verfolgern noch nicht zugewandt, ist ihnen noch nicht angemessen begegnet. Um dieser Begegnung standzuhalten, bedarf es des Vertrauens auf eine Instanz, die nicht von dieser Welt ist. Dies aber ist Gott. Gott eignet sich nicht als verlängerter Arm irgendeiner weltlichen Instanz! Als solcher verkümmert Gott zu einem Götzen, der mir sein Urteil, sei es moralischer, sei es logischer Art aufzwingen möchte.

 

Gott lässt frei – weil er die Liebe ist – wie Paulus nicht müde wird zu sagen. Und vor der Liebe – der in Christus offenbar gewordenen Liebe – muss sich keiner schämen, auch nicht und gerade nicht seiner Schattenseiten. Die Liebe beschämt nicht, sie bleibt freundlich – aber sie ist auch ganz klar. Sie verschleiert nicht, sondern deckt liebevoll auf. Die Liebe aber ist nichts anderes als die Fähigkeit, sich in sich selbst und in den anderen einfühlen zu können, Fürsorge für das eigene und das anvertrautes Leben zu tragen. Auf diesem Hintergrund ist der letzte Satz unseres Textes zu verstehen: Statt unsere Mitmenschen zu richten, sollen wir darauf achten, den anderen keinen Anstoß zum Ärger zu geben. Je tiefer ich für meinen Mitmenschen – auch wenn er sich mir in den Weg stellt, auch wenn er mich beeinträchtigt – Achtung empfinden kann, desto elastischer werde ich auch in schwierigen Situationen bleiben. Dieses in der Achtung für den anderen bleiben heißt für mich: einer trage des anderen Last! Den anderen achten geht aber nur, wenn ich mich selbst achte, und mich selbst achten geht wiederum nur, wenn ich mein Leben in Gott, in jenem dritten Punkt außerhalb verankere – und von ihm her immer wieder aufs Neue reflektiere. Verankert sein in Gott, das heißt mit Paulus: „Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir also leben oder sterben – wir sind des Herrn.“ Dieser Satz steht übrigens unmittelbar vor unserem Predigttext.

 

Liebe Gemeinde,

 

ich habe versucht, Ihnen anhand eines persönlichen Erlebnisses zu veranschaulichen, wie ich das „vor Gott Rechenschaft ablegen“ verstehe.

Im Verlauf dieses Geschehens haben sich folgende Gedanken herausgebildet, die ich noch einmal zusammenfassen möchte:

1.     Einsicht, Einfühlung, Rücksicht etc. lässt sich nicht erzwingen. Über Zwang, Macht, Gewalt kann man oberflächliche Verhaltensänderung erreichen. Neue Einstellungen, verwandeltes Erleben lässt sich nicht erzwingen. Dies gilt auch für die Politik: alltäglich sind wir Zeugen davon, dass sich Frieden und Demokratie nicht erzwingen lassen.

2.     Gefühle wie  Neid, Wut, Trauer, Empörung, Angst gehören zum Leben dazu. Sie lassen sich nicht weg-glauben und nicht weg-therapieren. Dies gilt auch für das Erleben von Endlichkeit, Krankheit und Tod.

3.     Aber (!) – Verwandlung ist möglich! Verwandlung ist die Alternative zu verachten und ausscheiden. Verwandlung geschieht auf dem Weg des „vor Gott Rechenschaft Abgebens.“ Allerdings bedarf es des Mutes, sich dem Schmerz der ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selbst zu stellen und den eigenen Schattenseiten zu begegnen. Wahrheit ist die Milch der Seele. Diese Milch nährt  und führt zu der unglaublich frohen Botschaft:

Es gibt die Möglichkeit der Wandlung, der Verwandlung von Hass in Liebe, von Angst in Sicherheit, von Misstrauen in Vertrauen, von Neid in Dankbarkeit. Oder – noch einmal mit Paulus: nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir – mein Ich ist hineinverwandelt und hineingestaltet in Christus. Und umgekehrt: der historische Jesus der Geschichte ist transformiert in den Christus des Glaubens. Äußere Welt ist zu innerer Welt geworden: Seele wächst und gedeiht. Oder, in der wunderschönen Poesie Paul Gerhardts:

„Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum und lass mich Wurzel treiben.“ AMEN.

 

Und die Liebe Gottes, die höher ist als all unser menschliches Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus AMEN.

 

 

 

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Fürbitten Misericordias Domini 2004

Fürbitten – Misericordias Domini  –  25.04.04

Barmherziger und geheimnisvoller Gott!

Wir kommen mit unseren Sorgen zu Dir, in dem Vertrauen auf Deine verwandelnde, lebensbejahende Kraft.

Wir bitten Dich für die politischen Hirten:
Dass sie die Fürsorge und das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Menschen im Herzen tragen,
dass sie  lernen, die Leidenschaft ihrer Machtimpulse zu verwandeln in eine Leidenschaft und Fürsorge für das Leben ihrer Mitmenschen.

Wir bitten dich für die religiösen Hirten:
Dass sie respektvoll die Andersartigkeit anderer auch sehr fremder  Religionen  anerkennen,
dass sie ihren Fanatismus und ihre Leidenschaft für die Wahrheit des eigenen Glaubens lernen zu verwandeln in eine Leidenschaft für den Dialog mit anderen Glaubensrichtungen.

Wir bitten dich auch für diejenigen, die mit Tieren umgehen:
Dass sie respektvoll die Geschöpflichkeit aller Tiere und Pflanzen anerkennen,
dass sie lernen, gierige Impulse der Ausbeutung zu verwandeln in die Dankbarkeit für die Schöpfung, von der wir Menschen leben dürfen.

Wir bitten dich für diejenigen, die  mit Kindern und Jugendlichen umgehen,
die Eltern, Erzieher, Lehrer und Ausbilder:
dass sie die Gleichwertigkeit der ihnen Anvertrauten anerkennen,
dass sie lernen ihre Impulse des „von oben herab“ zu verwandeln in eine freundliche und geduldige Fürsorge ihrer Schützlinge.

Wir bitten Dich für unseren Alltag:
Dass wir achtsam und aufmerksam bleiben, fürsorglich und einfühlsam – gerade auch dann, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen.
Stärke unsere Fähigkeit zur Hingabe an Deinen lebensbejahenden Willen, auch wenn wir unsicher und ängstlich sind, so dass Dein freundlicher Geist in uns wohnen kann –
Durch Jesus Christus unseren Herren, AMEN.

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Predigt zur Ernennung als Pfarrer im Ehrenamt über 1. Petrus 2,18-25

Predigt zur Einführung in das Amt des „Pfarrers im Ehrenamt“
am Sonntag Misericordias Domini in der Jakobuskirche in Pullach
(25. April 2004) über 1. Petrus 2,18-25

Gnade sei mit Euch und Friede – von Gott unserem Vater und Jesus Christus unserem Henrren.

Liebe Gemeinde,

als ich mit Herrn Pfr. Bordon den heutigen Sonntag vereinbarte, an dem ich als Pfarrer i.E. in die Gemeinde eingeführt werden sollte, freute ich mich sehr. Ich schlug sofort nach, um welchen Sonntag nach Ostern es sich handeln würde: Misericordias Dei – die Barmherzigkeit Gottes!  In der jüdischen Tradition wird das große Hallel (Ps. 126) gesungen – der die Wunder der Schöpfung Gottes preist – mit dem Refrain: „Preist Jahwe, denn er ist gut, in Ewigkeit währt sein Erbarmen.“ Jahwe, der barmherzige Gott. Das ist der gute Hirte, verdichtet in Ps. 23 und von uns Christen in besonderer Weise auf Jesus Christus angewandt. Ein Sonntag fast zum Jubeln also (Halleluja heißt ja jubeln, jauchzen). Wie von selbst kamen mir Melodien ins Ohr, aus Haydns Schöpfung irgendwie vermischt mit  „Morning has broken“ von C. Stevens. – Jetzt noch ein schöner Preditgttext dachte ich mir – dann kann eigentlich nichts mehr passieren!

Und wie das so ist im Leben, folgen auf Hochgefühle gerne Ernüchterungen. Und das gelang dem heutigen Predigttext aus dem 1. Petrusbrief mühelos – mich zu ernüchtern, mich ratlos zu machen, mich stark zu verunsichern. Es geht schon damit los, dass man sich nicht einigen konnte, ab wo der Text angehen sollte: in der alten Predigtreihe beginnt er bei Vers 21, in der neuen bei Vers 21 b – und liest man die Kommentare von Neutestamentlern, so erfährt man verblüfft, dass alle der Meinung sind, nur wenn man auch noch die Verse 18 und 19 hinzu nimmt, ist der Text in seiner Ganzheit zu verstehen. Wenn also schon formal solche Probleme sind – um welchen Inhalt muss es sich dann erst handeln? Kurz noch ein Wort zur Geschichte des Textes: der 1. Petrusbrief wurde wohl zwischen 80 und 100 n.Chr. in Rom als theologisches Rundschreiben  verfasst; sein Verfasser bediente sich der Autorität des Heiligen Petrus, um diesem Schreiben Gewicht zu verleihen. Das Schreiben sucht Hilfestellungen für den Alltag der Christen zu geben – in unserem Abschnitt wendet sich der Verfasser explizit an die Sklaven unter den Christen, um an deren Schicksal seine Auffassung über die Nachfolge Christi zu veranschaulichen.
Und jetzt: hören Sie selbst: 1. Petrus 2, 18-25.

„Ihr Sklaven sollt in allem Respekt euren Herren untergeben sein, und zwar nicht nur den Guten und freundlichen, sondern auch den unguten. Denn das ist Gnade, wenn jemand in der Bindung an Gott Schweres hinnimmt und ungerecht leidet. Welcher Ruhm liegt nämlich darin, wenn ihr für Verfehlungen Mißhandlungen zu ertragen habt? Aber wenn ihr Gutes tut und deshalb Leiden ertragen müßt, das ist Gnade vor Gott. Dazu seid ihr ja berufen, weil auch Christus für euch gelitten hat und euch ein Vorbild hinterließ, damit ihr seinen Spuren folgt. Er hat keine Sünde getan, und man fand keine Falschheit in seinem Mund; er wurde beschimpft und schimpfte nicht zurück, mußte leiden und drohte nicht, sondern überließ (alles) dem gerechten Richter. Er selbst hat unsere Sünden an seinem Leib aufs Holz hinaufgetragen, damit wir den Sünden absterben und der Gerechtigkeit leben. Durch seine Strieme seid ihr geheilt. Ihr irrtet nämlich umher wie die Schafe, aber jetzt seid ihr umgekehrt zum Hirten und Beschützer eures Lebens.“

Einerseits: Jubel über die Schönheit der Schöpfung, die Wunder des Lebens, die Barmherzigkeit des Schöpfers, die Güte des Hirten – das ist der Eingangsakkord des Sonntags –
und dann diese Modulierung: Ungerechtigkeiten, Unterordnungen vielleicht sogar Demütigungen, bis hin zu Gewalt und Grausamkeiten („Striemen“ ) sind hinzunehmen, ja gelten als Ausdruck von Gnade.
Wie geht das zusammen? Das ist die entscheidende Frage. Denn: bleiben die beiden Seiten zerrissen, dann bleiben auch die Menschen in zerrissenen Gefühlen stecken: einerseits im manischen Triumph des „mir kann nichts passieren, ich stehe über den Dingen“ und andererseits im Essigtopf des: „jetzt ist es zu spät, es hat doch eh alles keinen Sinn, man muß halt das Leben über sich ergehen lassen.“

Der Autor unserer Briefstelle stellt folgende, höchst aktuelle These auf: Nur wer sich traut, durch den Schmerz (das Leiden) zu gehen, der bekommt auch wirklich am Leben Anteil. Vorbild und Vermittler dieses Geschehens ist kein anderer als Jesus Christus selbst. In dem Sinne ist er der „gute Hirte“, weil in seiner Art und Weise mit Leiden umzugehen, die Barmherzigkeit Gottes offenbar geworden ist, er sie uns offenbart hat. Was aber war die Besonderheit seines Umganges mit Leid? Er hat – wie der Neutestamentler Norbert Brox so schön schrieb, „die Multiplikation des Bösen“ durchbrochen. Indem er nicht Hass mit Hass, Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit vergolten hat. Also nicht mehr Auge um Auge. Aber mehr noch: und  das ist der bleibende Stachel des Lebens Jesu und seines Evangeliums (der eigentliche „Skandal“) – jedenfalls nach meinem Verständnis: Er hat nicht nur Ungerechtigkeit nicht mit Ungerechtigkeit vergolten – er hat sie auch nicht mit Recht vergolten. Er hat Ungerechtigkeit überhaupt nicht vergolten! Er hat sie „erlitten“ in des Wortes ursprünglicher Bedeutung – er hat sie geschehen lassen – aber nicht so, dass er depressiv eingebrochen wäre, sondern so, dass er in seiner Passivität seine Aktivität und Vitalität ganz neu entdeckt hat: nämlich sein nicht brechbares Vertrauen in seinen Gott. Sogar in diesem harten, scheinbar verzweifelten Satz des „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, wendet er sich an seinen Gott! Sterben müssen ist die Herausforderung für das Vertrauen in Gott – einer Herausforderung, die ich umgehe, wenn ich vorschnell den Gedanken der Auferstehung hinzunehme: Jesu Besonderheit ist seine Fähigkeit, sich der „dunklen Nacht Gottes“ – wie der Heilige Johannes v. Kreuz so schön schreibt – zu überlassen. Das heißt sich nicht aus dem Vertrauen an den barmherzigen Gott bringen zu lassen – gerade dann, wenn kein Licht am Ende des Tunnels leuchtet!
Das hat der Verfasser von 1. Petrus verstanden – und deshalb eignen sich die Sklaven in ganz besonderer Weise dafür, um  seine Anschauung der Bedeutung der vita Jesu deutlich zu machen – deutlich zu machen für alle Christen! Es wäre ein großes Mißverständnis und ein Mißbrauch unseres Textes, ihn in irgendeinerweise politisch auszuschlachten. Darum geht es nicht.

Der theologische Schlüsselsatz unserer Textstelle und des ganzen Briefes ist Vers 19 – den man nicht weglassen sollte: „Denn das ist Gnade, wenn jemand in der Bindung an Gott Schweres hinnimmt und ungerecht leidet.“

„Gnade“ (Charis – wörtlich: Anmut, Schönheit, dann Geschenk, nicht zu Machendes) und „Leiden“ (Paschein – wörtlich erleben – Angenehmes wie Unangenehmes) gehört untrennbar zusammen.
Wir leben in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der Leiden, Schmerz und Tod hinter sterilen Glasfassaden abgeschirmt, betäubt und entkeimt wird. Welche Kreativität hat die Menschheit jedenfalls in unserer westeuropäischen Kultur darauf verwandt, sich mit Tod, Krankheit, Schmerz, Trauer, Schwäche nicht konfrontieren zu müssen. Dabei ist in Vergessenheit geraten, was in unserem Brief zusammengehalten wird: Anmut und Schönheit – Gnade – zu erleben heißt sie zu erleiden. Wer verlernt hat aus der Tiefe heraus zu weinen, kann sich auch nicht aus der Tiefe heraus freuen. Und wer „Leiden“ als Kränkung für die eigene vermeintliche Stärke und Unverwundbarkeit erlebt, kann auch nicht mehr sagen: „es tut mir leid!“ Ein weitgehend aus der Mode gekommenes Wort – das eine so wohltuende und versöhnende Wirkung haben kann, wenn es wirklich so erlebt wird.
In dem schönen alten Wort „Wachstumsschmerzen“ ist das Wissen um die Zusammengehörigkeit erhalten: zu wachsen, körperlich wie seelisch, tut immer auch weh, weil wachsen, sich entwickeln ein nicht Machbares und in diesem Sinn ein zu Erleidendes ist. „Wachsen“ „Entwicklung“ geschieht.

Das sich drein fügen in den Schmerz (auch der Ungerechtigkeit) setzt allerdings eine Intuition dafür voraus, dass der Schmerz, das Leiden ja der Tod nicht das letzte Wort haben. Denn Schmerzen bloß um der Schmerzen willen auf sich zu nehmen – hat eher mit Masochismus als mit Wachstum zu tun. Durch die dunkle Nacht der Unsicherheit, des Schmerzes zu gehen, setzt eine Vorahnung von „Leben“ voraus – und zwar: und jetzt scheine ich mir selbst zu widersprechen: jenseits von Krankheit, Schwäche Tod und  Schmerz! Ich meine mit jenseits des Schmerzes etwas, was in unserer Briefstelle in einem Bild ausgedrückt wird: „Ihr irrtet nämlich umher wie Schafe, aber jetzt seid ihr umgekehrt zum Hirten und Beschützer eures Lebens.“ Dieses Bild ist die Veranschaulichung dafür, warum es Gnade ist, „wenn jemand in der Bindung an Gott Schweres hinnimmt und ungerecht leidet“. Ich möchte diesen Zusammenhang mit Hilfe eines eigenen Traumbildes verdeutlichen, das zu einem Traum gehört, den ich in der Zeit der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst träumte:
„Ich predige in einem Raum, der so aussieht wie diese Kirche, aber auf einer Seite ist eine große milchige Wand, wobei unklar ist, ob es eine Milchglasscheibe ist, oder Nebel. Es sind vornehmlich ältere Menschen im Raum und wir blicken gemeinsam auf dieses diffuse Etwas. Während ich rede – ich weiß nicht mehr worüber – lichtet sich der Nebel und man sieht ein herrliches Bergpanaorama, mild  erleuchtet von den letzten Strahlen einer rötlichen Abendsonne. Wir schweigen gemeinsam, sind angerührt von dem wunderbaren Blick. Und ehe wir uns versehen, ist die Sonne am Untergehen und wird abgelöst von einem sternenklaren Himmel. Und jemand sagt vorwurfsvoll: das hat doch alles keinen Sinn – was nützt es, die Sonne zu sehen, wenn sie eh gleich untergeht. Lieber hätte ich sie nicht gesehen! Und jemand anderes sagt: wer die Sonne gesehen hat, hält die Nacht leichter aus. Und vielleicht wird morgen ja wieder ein schöner Tag. Und überhaupt: schau doch, wie schön diese Nacht ist.“

Die Stimme die sagt: es tut mir zu weh, die Sonne zu sehen, weil ich nicht aushalten kann, dass sie untergehen wird; lieber bleibe ich im Nebel, das tut wenigstens nicht weh – das  ist die Stimme des vermeidenden Schmerzes. Sie sagt: „Warum muss gerade jetzt die Sonne untergehen?“ „Warum habe ich das nicht früher gesehen – überhaupt: warum gerade ich?“ Diese Stimme verweigert sich der Hingabe an das Jetzt – paradoxerweise auch dem Genießen der Schönheit – aus Angst vor dem Schmerz der Vergänglichkeit. Dem Schmerz der Trennung.
Die zweite Stimme ist wachstumsfördernd und lebensbejahend. Sie sagt: auch wenn die Sonne nicht mehr scheint, gibt es eine Erinnerung daran – und eine Hoffnung auf einen neuen Tag. Und ein Sich-Einfügen in das was jetzt ist: nämlich Nacht. Diese Stimme hat gelernt, darauf zu vertrauen, dass es Wandlungen und Verwandlungen gibt. Die Gegenwart ist nicht festgeschrieben, sondern ist selbst im Werden. Diese Stimme hat gelernt, dass Trennungen zum Leben gehören, ja lebensdienlich sind. Diese Stimme hat erlebt und erlitten, dass sich Neues nur einstellen kann, wenn Altes freundlich verabschiedet worden ist. Und das tut weh. Wir können dies übrigens mit jedem Atemzug wahrnehmen: indem ich ausatme, den verbrauchten, alt gewordenen Atem loslasse und die dunkle Nacht des Nicht-Atmens wage, erlebe ich, wie aufs Neue die Luft das Leben in meine Lungen strömt: es atmet mich.
Aber was ist, wenn kein freundlicher Abschied möglich war – was ist, wenn das kleine Kind seine Mama oder seinen Papa durch einen Unfall verliert? Was ist, wenn man – warum auch immer, die eigene Heimat verlassen muss – und nicht ohne weiteres zurückkehren kann. Was ist, wenn der Freund, den man so gern mochte, der Führer, dem man so viel zu verdanken hat als Straftäter hingerichtet wird? Was ist, wenn Trennung verklebt ist mit Gewalt, mit Unrecht, ja mit Verbrechen? Das ist das Schicksal der Hinterbliebenen Jesu – seiner ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu – ihr geliebter Rabbi wurde in ihren Augen völlig ungerecht hingerichtet. Und das ist die Keimzelle des Evangeliums, der frohen Botschaft – die Idee, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass sich Hass verwandeln lässt in Liebe, Angst verwandeln lässt in Vertrauen, Sterben verwandeln lässt in Leben. Das ist eine ganz andere Botschaft als die, man dürfe Ohnmacht nicht hinnehmen, man darf sich Ungerechtigkeit nicht bieten lassen, man muß das Böse ausrotten.

Liebe Gemeinde,
Jesus hat als Christus vorgelebt, dass sich Leiden, ja der Tod verwandeln läßt. Durch Jesus  – und so wurde er zum Christus – ist der völlig neue Gedanke auf die Welt gekommen, dass Leiden, Schmerzen auch Schuld nicht abgespalten, nicht exkommuniziert werden müssen – sondern ertragen werden können in dem Vertrauen auf ihre Verwandlung. Dieses unbedingte Vertrauen hatte Jesus zu seinem Gott, dieses Vertrauen ist die „Bindung an Gott“ unserer Briefstelle und dieses Vertrauen lässt sich in keine Todesgruft einsperren. Psychologen haben herausgefunden, dass gut an ihre Eltern gebundene Kinder die besten Chancen für ein freies und zufriedenes Leben haben. Gut gebunden sein, heißt, sich trennen zu können, ohne den anderen zu verlieren. Gut in Gott gebundene Menschen fühlen sich von ihrem Gott wie von einem guten Hirten begleitet – einem Hirten, dem es um das Wohlergehen seiner Schafe geht und nicht um deren Gängelung oder Knechtung. Jesus hat zu diesem Gott „abba“ gesagt und bis in die Gealt seines Todes hinein vertraut, dass dieser Gott barmherzig ist: ein Herz hat gerade für die Verwirrten und Verzagten, gerade für die, die  Schmerzen erleiden und ungerecht behandelt werden, gerade für die, die sich verlassen – mutterseelen allein – fühlen.

So ist Jesus zum Christus geworden, zum guten Hirten und „Beschützer“ unseres Lebens. In  dem Vertrauen auf diesen Christus und in der Bindung an diesen Gott des Lebens können wir neu zurückkehren zu unserem Ausgangspunkt: durch den Schmerz hindurch gegangen können wir jetzt neu mit dem Psalmisten singen: Das Leben ist schön – preist Jahwe, den Schöpfer und barmherzigen Gott, durch ihn und mit ihm und in ihm lebt und webt seine Schöpfung – und wir haben daran Anteil – welch eine Gnade!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Sinne in Christus Jesus Amen.

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