Predigten

Gründonnerstag 2016 – „In der Nacht, da Jesus verraten ward …“

Predigt über 1. Korinther 11, 23-26 an Gründonnerstag 2016

Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, Amen.

Liebe Gemeinde,

in der Nacht, da Jesus verraten ward…“ Mit diesen Worten, den sogenannten Einsetzungsworten, beginnt unsere Abendmahlsfeier. Sie sind im1. Brief an die Korinther, 11, 23-26 überliefert. Darüber ist heute zu predigen.

Das Abendmahl geschieht in der Nacht.

Der Heilige Johannes vom Kreuz unterscheidet drei dunkle Nächte: die Nacht der Sinne, die Nacht des Verstandes und die Nacht Gottes.

In der Nacht der Sinne höre ich auf, mich auf meine Sinne und ihre Mitteilungen zu verlassen. Meine Sinne melden mir, wie ich in Raum und Zeit stehe, wie ich mich bewege. Im Laufe meines Lebens hat sich ein mir vertrautes körperliches Muster eingeprägt, das – wenn ich Pech habe – zu einseitigem Verschleiß und zu vielen Schmerzen führt. Meine Sinne melden mir auch, dass das ist, was ich sinnlich erfassen kann.

In der Nacht der Sinne laufen meine Sinne ins Leere: sie haben nichts „zu tun“. Sie „sehen“ nichts. Sie sind eingeschlafen.

In der Nacht des Verstandes höre ich auf, mich auf meinen Verstand und seine Gedanken zu verlassen. Im Laufe meines Lebens habe ich mir angewöhnt, viele Gedanken zu denken. Sie haben sich mir aufgezwungen durch Erfahrungen mit anderen Menschen. Besonders in meiner Babyzeit, Kindheit und Jugend, wo ich anderen Menschen ausgeliefert gewesen bin, haben diese Gedanken mein Denken entstehen lassen, das mir bis heute vertraut ist. Die allermeisten Gedanken, die ich heute denke, habe ich schon einmal gedacht. Vertrautes gibt Sicherheit.

In der Nacht des Verstandes werden diese Gedanken, wird mein Denken dunkel. In diese Nacht wagen sich wenig Menschen. Dort gilt es, elendige Gefühle zu erleiden. Das hat damit zu tun, dass meine Gedanken, die mein Denken bilden, mein Überleben gesichert haben und sichern. Indem ich dieses mein Denken verlasse, verlasse ich genau die Sicherheit, die ich mir so mühsam aufgebaut habe. Nur wenige Menschen sind dazu bereit und auch in der Lage.

In der dunklen Nacht Gottes höre ich auf, Gott dafür zu verwenden, wofür ich ihn mir geschaffen habe. Für die Erfüllung meiner Wünsche, für die Bestrafung meines Ungehorsams, für den Hass auf die, die nicht so an Gott glauben wie ich. In der dunklen Nacht Gottes hört Gott auf, „mein“ Gott zu sein. Der Heilige Johannes vom Kreuz sagt, die dunkle Nacht Gottes währt ein Leben lang.

Mein Denken wurde über meine Gedanken geformt. Meine Gedanken entstanden durch das, was ich im außen erlebt habe. Es traf zusammen mit meinem angeborenen Temperament, meiner genetischen Konstitution. So formte sich mein Ich. Jeder von uns hat sein eigenes, einmalig geformtes Ich. Dieses verleiht Ihnen und mir unsere je ganz eigene Sicht auf die Welt, auf die anderen Menschen, auf unser eigenes Leben. Der gläubige Selbstmordattentäter will seinem Gott Genugtuung verleihen und hofft dafür auf Anerkennung im Jenseits. Er ist sich keiner Schuld bewusst, da er ja nur im Namen Gottes die Ungläubigen liquidiert. Osama bin Laden bezeichnete den erfolgreichen Angriff auf das World Trade Center als „von Gott gesegnetes Unternehmen“. Das entspricht dem Denken Calvins, der der Meinung war: von Gott gesegnete Menschen erkennt man an ihrem materiellen Reichtum und ihrer gesellschaftlichen Anerkennung! Sie merken: dieser Gott ist ein Freund des Kapitalismus, ein Freund der Milliardäre.

Ich tue mich sehr schwer damit, anzuerkennen, wie verschieden wir Menschen sind. Mir wäre es viel lieber, wenn meine Mitmenschen auch so denken würden wie ich. Dahinter steckt ganz schön viel Hochmut. Und noch weiter dahinter steckt eine tiefe Sehnsucht nach Eins-Sein. Was könnte es schön sein, sich in die warme Decke gleichen Erlebens, gleichen Fühlens einzukuscheln.

Die Wirklichkeit jedoch ist anders. –

Da gibt es z.B. die einmalige Lebensgeschichte Oscar Romero , von 1977 bis 1980 Primas der katholischen Kirche in El Salvador. Er wurde heute auf den Tag, vielleicht sogar auf die Stunde genau vor 36 Jahren erschossen: in einem Gottesdienst, nach der Predigt, wo er über das Sterben des Weizenkorns gepredigt hatte. Er war der festen Überzeugung, sich opfern zu müssen: Kurz vor seinem Tod sagte er: „Als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung … Als Hirte bin ich durch Gottes Auftrag verpflichtet mein Leben für die zu geben, die ich liebe, das sind die Salvadorianer, auch jene, die darauf aus sind, mich umzubringen … Ein Bischof mag sterben, doch die Kirche Gottes, das ist das Volk Gottes, wird niemals zugrunde gehen….“

Das war das Denken dieses Bischofs, der wohl bald heilig gesprochen werden wird. Hätte er auch so gehandelt ohne seinen Glauben an die Auferstehung? Würden die Selbstmordattentäter sich auch in die Luft sprengen, wenn sie der Überzeugung wären, es gibt kein Jenseits? Untersuchungen haben ergeben, dass bei religiösen Menschen die Bereitschaft, moralisch zu handeln nicht ausgeprägter ist als bei nicht-religiösen Menschen. Einzig die Bereitschaft zu extremer Gewalt ist bei religiösen Menschen signifikant ausgeprägter. Würde man die Gewalttaten der Menschheitsgeschichte zusammenfassen, ich fürchte, die Gewalt, die im Namen der drei monotheistischen Religionen verübt wurde, würde einen Spitzenplatz belegen.

Und wir müssen anerkennen, dass im Herzen unseres christlichen Glaubens eine Gewalt-Geschichte eingeschrieben ist, an die jede Abendmahlfeier erinnert: es heißt ja nicht: „in der Nacht nahm Jesus das Brot …“ – es heißt: „in der Nacht, da Jesus verraten ward …“

Romero war jahrzehntelang ein Mann des Establishments, romtreu und konservativ. Er kam nach El Salvador, um mit den „Progressiven“ aufzuräumen. Das war sein Auftrag.

Doch es kam anders. Romero wurde Zeuge, wie ein Jesuitenpater, ein alter Bauer und ein Ministrant erschossen wurden. Danach überfielen Soldaten das Dorf des ermordeten Priesters und schändeten die Kirche. Sie verwehrten Romero den Zutritt, als er die geweihten Hostien retten wollte. Dieses Ereignis bezeichnete er später als seine „Bekehrung“ und verband sie mit einem Satz von Petrus – „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apg 5,29)

Es ist derselbe Petrus, der seinen Herrn in eben dieser Nacht zwar nicht verraten aber dreimal verleugnet hat.

Verleugnung, Verrat, Täuschung, Lüge, Betrug: all dies gehört zu den Möglichkeiten des Menschseins dazu. Es gehört scheinbar zu unserer Freiheit dazu. Auch dies ist eine verbreitete eine Täuschung. Betrug, Verrat, Lüge – sie sind nicht Ausdruck von Freiheit, sondern von Sklaverei! Ich behaupte, dass sich niemand freiwillig, aus der Tiefe seines Herzens dafür entscheidet – sondern es sind Notlösungen, die sich mir aufdrängen ja aufzwängen im Angesicht unerträglicher Gefühle.

Ich vermute, der Verrat des Judas hat mit unerträglicher Enttäuschung zu tun. „Wann kommt denn jetzt endlich das Reich Gottes, von dem du die ganze Zeit predigst?“ Judas hat nicht ausgehalten, dass es so gar nicht kommt, wie er sich das vorgestellt, wie sehr sich das gewünscht hat. Und seine Enttäuschung nahm Gestalt an in jenem Jesus, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte. Auch das ist üblich, dass der Retter zum Sündenbock wird – aus verzweifelter Enttäuschung. Enttäuschung über sich, über das gelebte Leben, über andere Menschen, von denen ich mir so viel versprochen, erhofft habe – ist ein wesentliches Element, aus dem die Bomben des Hasses und der Gewalt gebastelt werden. Wer fähig ist, tiefer in sich zu blicken, wird entdecken, dass es im Grunde der eigene Selbst-Hass ist, aus dem heraus die „hässlichen“ Gedanken, Empfindungen und Taten fließen. So ist es in sich logisch, wenn sich Judas am Ende selbst das Leben nimmt.

Liebe Gemeinde,

Sie alle wissen, wie unser Predigttext weiter geht. „In der Nacht, da Jesus verraten ward nahm er das Brot …“ Ich lese ihn jetzt nicht vor, weil wir nachher mit diesen Worten wie immer gemeinsam das Abendmahl feiern werden.

Stattdessen ein (für mich) ziemlich neuer Gedanke: Jesus hat den Verräter nicht „kalt gestellt“, er hat ihn nicht „exkommuniziert“. Romero hat auch für seine Mörder gebetet. Und die Frauen aus dem KZ in Ravensbrück haben gebetet: „Friede den Menschen, die bösen Willens sind…“ Es ist eine Verführung und ein neuerlicher Verrat, sich mit der eigenen völlig berechtigten Empörung über die Menschen zu stellen, die mit ihrer Destruktivität Unheil angerichtet haben und Unheil anrichten.

Im Abendmahl verbinden und verbünden wir uns mit mit einem Gott, der nicht nur von der Liebe redet, der die Liebe ist, der die Liebe lebt. Jene Liebe, die alles erträgt und alles erduldet. Und die frei lässt. Das, finde ich, ist das Schwerste: in der Liebe zum Anderen seine Freiheit mir gegenüber anzuerkennen. Die Liebe, die mir persönlich viel leichter fällt, lautet so: ich komme dir mit meinem Wohlwollen entgegen, aber du musst schon auch … das machen, so sein, wie ich es für richtig halte … Und wehe dir, wenn nicht … Diese Liebe ist in der Tiefe freilich keine Liebe sondern das Okkupieren des Anderen mit meinen Wünschen, meinen Werten.

Wer Kinder hat und sie durch die Pubertät begleitet, weiß wahrscheinlich, wovon ich rede. Aber auch wer keine hat: jeder von uns kann sich immer wieder fragen: wie steht es eigentlich aus mit meiner Liebe zu mir, zu meinem(r) Partner(in), wenn er/sie nicht so denkt, handelt, wie ich es machen würde. Wenn er/sie nicht meine Wünsche erfüllt? Werde ich dann zynisch? Oder breche ich gar den Kontakt ab? „Wenn du so bist, will ich nichts mit dir zu tun haben…“ Ziehe ich dann hinter dem Rücken über ihn/sie her? Verbünde ich mich mit den Anderen gegen meinen eigenen Partner?

Aber halt – was, wenn mich der Andere fürchterlich nervt? Wenn er mich tierisch ärgert? Und wenn ich auch noch Recht habe, weil der Andere sich an die gute Ordnung, sich nicht an die Regeln hält, an die ich mich halte? Wohin mit diesen Gefühlen? Wenn ich die nur schlucke, werde ich daran ersticken. Wir sind nun mal nicht nur zur Liebe fähig – wir sind auch und gerade zum Hass fähig! Und hat nicht Jesus selbst die Händler aus dem Tempel geworfen? Das war ja wohl auch nicht gerade ein Liebesbeweis.

Jesus würde sagen: doch – war es. Ein Liebesbeweis für meinen Gott. Und wenn Romero in Ausnahmefällen Gewalt erlaubt hat, um sich von einem Unrechtsregime zu befreien – dann ist dies ebenfalls für die Liebe, für die Freiheit seines Volkes gedacht. Es ist nur so: dass genauso auch die IS denkt: wir im Westen sind das Unrechtsregime, wir sind die Ungläubigen, wir sind die, die Werte ihres Glaubens verachten! Und aus vermeintlicher Liebe zu deren Gott werden wir angegriffen und getötet.

Der Hass ist nicht aus der Welt zu schaffen. Das ist nicht einmal Jesus gelungen. Es ist eine Illusion zu meinen, irgendwann einmal würde die Liebe den Hass besiegen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Hass eingedämmt werden kann. Die Fähigkeit zur Eindämmung des Hasses hängt mit der Fähigkeit zusammen, Enttäuschung zu ertragen. Dass „es nicht so ist, wie ich es mir ersehne, herbeiwünsche“. Und die Fähigkeit Enttäuschung zu ertragen wächst mit meiner Kraft, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. ihr nüchtern zu begegnen.

Das alles können Sie übrigens alltäglich bei sich testen: was löst es in mir aus, wenn „es“ (mein Körper, mein Partner, mein Nachbar, mein Pfarrer, mein Kind, das Wetter, mein Auto, mein Chorbruder/Schwester usw. …) nicht so ist, wie ich es mir wünsche? Wie schnell bin ich genervt und rechthaberisch? Oder ziehe mich beleidigt zurück? Fresse den Ärger in mich hinein? Oder kotze ihn unverdaut dem Andern vor die Füße? Oder werde gemein? Räche mich subtil – so dass es der Andere gar nicht mitbekommt? Oder räche mich direkt – indem ich die Beziehung abbreche: „wenn du so bist, bist du für mich gestorben…“

Und dann können wir uns immer wieder an das Wort Jesu erinnern:

Daran wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh 13,35) „Liebe“ und „Erkennen“ sind im Hebräischen übrigens derselbe Wortstamm.

Wir Menschen haben, weil wir Menschen sind, die Möglichkeit, uns selbst zu erkennen. Zu fragen: was treibt mich gerade an? Was will ich gerade erreichen? Was vermeide ich gerade? Was will ich gerade nicht wahr haben?

Und wir können alltäglich unsere Fähigkeit zu lieben stärken. So wie wir unseren Körper trainieren, können wir auch unsere Liebesfähigkeit trainieren.

Das geht soweit, bis wir spüren: Gott ist ja nichts Anderes als Liebe. Aus ihm quillt meine Geduld, meine Nachsicht, meine Barmherzigkeit. Und zwar an erster Stelle zu meinen eigenen Fehlern. Zu meinem eigenen Nicht-perfekt-Sein. So entsteht Platz für etwas Mittleres, Gemäßigteres. Es entsteht ein Zwischen-Raum.

Eine persönliche Schlussbemerkung: ich habe mein Leben ziemlich anders geplant. Ich wollte erfolgreich und berühmt werden. Das hat nicht geklappt.

Glücklicher- oder gnädigerweise ist mir Gott dazwischen gekommen.

Ihm habe ich mich ergeben.

Auch wenn es immer wieder in mir kämpft.

Wahrscheinlich ist das so.

Der Gott, der die Liebe ist: „Ubi caritas et amor, ibi deus est.“

Zu deutsch: „Wo Güte und Liebe ist, da ist Gott.“ Klammer auf: und nicht im Hass und nicht in der Gewalt Klammer zu.

Oder – mit Theresa von Avila:

nichts beunruhige dich;
nichts ängstige dich;

Wer gott hat,

Dem fehlt nichts.
Gott allein genügt“ AMEN.

Solo dios basta!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Sinne und unser Denken in Christus Jesus, AMEN.

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Predigt über Hebräer 5, 7-9 am Sonntag Judika 2016

Predigt über Hebr. 5,7-9 am Sonntag Judika 2016 in der Thomaskirche (Grünwald)

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

Judika!“ – „Gott, schaffe mir Recht!“

Das ist das Motto dieses Sonntags.

Gott schaffe mir Recht, das ist etwas Anderes als: „ich schaffe mir Recht.“

Und es ist etwas ganz Anderes als „Ich habe Recht!“ – oder „Du hast Recht!“

Letzteres ergibt keinen Sinn. Es ist Non-Sense. Wie kann ich oder jemand anders Recht haben? Wie soll das gehen? Bin ich dann der Besitzer des Rechtes?

Recht ist immer ein Geschehen zwischen mehreren, wenigstens zwei Menschen. Recht ist in seinem Wesen etwas Drittes, Hinzukommendes. Es entsteht über Vereinbarungen, die geschlossen werden.

In der Natur kommt Recht nicht vor. Das „Recht des Stärkeren“ ist kein Recht – es ist die Macht des Stärkeren.

Recht“ konnotiert mit „richtig“, mit „gerade“ (siehe rechter Winkel), mit „ordentlich“ (so ist es „recht“ – so ist es in Ordnung). Auch mit „richten“ im Sinne von Rechtsprechen und nicht zuletzt mit „aufrichtig“ im Sinne von ehrlich, wahrhaftig. (Nebenbei: sind die bei uns in Westeuropa verbreiteten Rückenschmerzen die Rückmeldungen des Körpers für „Un-Aufrichtigkeit“?)

Gott, schaffe mir Recht!“ Der Beter, der dies gebetet hat, wähnte sich im Recht. Er empfand es als Unrecht, was ihm, was seinem Volk widerfahren war. „Gott, schaffe mir Recht, streite meinen Streit gegen ein unheiliges Volk, befreie mich von dem Mann der Bosheit und der Lüge…“ (Psalm 7,9)

Ich vermute, dass viele Menschen in unserer Gegenwart diese Sätze genauso sprechen können, vielleicht gerade so sprechen. Die Zivilisten in Syrien, die so gar nichts dafür können, dass ihre Häuser zerbombt werden.

Die Menschen in der Ukraine …

Die Frauen, die sexuell belästigt werden …

Gott schaffe mir Recht heißt, dass ich mich ungerecht behandelt fühle. Und dass ich selbst keine Möglichkeit sehe, an diesem Unrecht etwas zu ändern.

Ich trete mein Recht an Gott ab, lege es in seine Hand. Gott hat das letzte Wort.

Er allein ist Richter. Und wie richtet er? Er richtet auf, indem er dient:

Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen …“ Er diente und „gab sein Leben zu einer Erlösung für Viele.“ Dies ist der Wochenspruch für diese Woche. Gott verwendet Recht nicht für Bestrafung, er stellt es in den Dienst. Und zwar so, dass er für unsere „Erlösung“ sich selbst aufgibt, sich selbst opfert.

Auch unser „Grundgesetz“ steht im Dienst für unsere Gemeinschaft, für eine demokratische Gemeinschaft, in der jeder wertgeschätzt wird. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.Damit beginnt unser Grundgesetz. Der Staat ist ein Diener der Menschenwürde – und nicht umgekehrt!

Unser Wochenspruch geht freilich noch einen Schritt weiter: hier wird der Dienst mit dem Sich-Opfern verbunden. „Er gab sein Leben zur Erlösung …“ Indem Gott uns so diente, schuf er uns Recht. Aber was heißt das?

Hier kommt unser Predigttext – ein kurzer Abschnitt aus dem Hebräerbrief – ins Spiel. In ihm verbindet sich das „Dienen“ mit dem „Gehorsam gegenüber Gott“. Einem Gehorsam, der im radikalsten Fall das eigene Leben kosten kann.

7 Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Gebete und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch wegen seiner Gottesfurcht erhört worden.

8 Und er lernte, obschon der Sohn seiend, an dem was er erlitt Gehorsam, 9 und als er vollendet war, ist er allen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heils geworden.“

Indem wir uns auf diese Texte einlassen, lassen wir uns auf einen Gott ein, der alles Andere als allmächtig ist. „Mit lautem Schreien und mit Tränen…“ Das ist sehr menschlich und wenig abgeklärt, wenig souverän. Dieses Schreien und diese Tränen änderten freilich nichts an Jesu „Gottesfurcht“. Es geht nicht um Angst vor Gott, sondern um Ehrfurcht. Um Respekt. Darum, dass etwas nicht selbstverständlich ist. Höher als die eigene Verzweiflung, die eigenen Schmerzen steht die Gottesfurcht.

Der Gegenbegriff zu Gottesfurcht ist Achtlosigkeit. Gedankenlos. Nicht wahrnehmend. Für mich ist Gottesfurcht die Fähigkeit, mich dem, was gerade ist, zu überlassen. Gottesfurcht benötigt „innere Sicherheit“. Aus der heraus ich das Leben, die Wirklichkeit auf mich zukommen lassen kann. Das Leben in seiner Gänze: in seiner Schönheit wie in seiner Hässlichkeit, in seiner Freude wie in seiner Trauer. In dieser Gottesfurcht lernte Jesus:

Und er lernte – obschon der Sohn seiend – an dem, was er erlitt, Gehorsam.“

In Gehorsam steckt „Hören“: „er lernte an dem, was er erlitt zu hören.“ Lernen geht leider nicht ohne Schmerzen. Nicht ohne Leiden. Insbesondere das Lernen, das mit eigener Veränderung, mit eigener Entwicklung zu tun hat. Das verbreitete stark überbewertete kognitive Lernen – was im Zentrum unserer Schulen steht: die Aneignung von Wissen – ist demgegenüber einfach, ja simpel. (Ich spreche aus Erfahrung: was wusste ich alles als Doktor der Theologie und wie wenig Ahnung hatte ich vom Leben.)

Die Fähigkeit Leben zu lernen, Entwicklung zu lernen hat mit der Fähigkeit zu leiden zu tun. Oft ist das Leiden eingemauert, um es nicht spüren zu müssen. Die erwünschte Veränderung soll ohne Schmerzen, ohne Leiden geschehen. Das ist leider eine Täuschung. Der Motor für alle Veränderung ist das Leiden: das gilt im Großen, im politischen Rahmen ebenso wie im kleinen, privaten Leben.

Er lernte in dem, was er erlitt Gehorsam!“ Gehorsam ist das Hören auf eine innere Stimme, die ebenso leise wie eindeutig ist. Glücklich, wer diese Stimme in sich gefunden hat – mit ihr verbunden, weiß er, was er zu tun, was er zu lassen hat.

An anderer Stelle sagt der Hebräerbrief: „Christus war treu als Sohn über Gottes Haus“ (Hebr. 3,6)

Es geht um Verführung. Und um Treue.

In Treue steckt Vertrauen.

Vertrauen ist die stärkste Quelle für Sicherheit.

Stärker als Garantie.

Es gibt nämlich keine Garantie.

Für nichts.

Außer für das eigene Sterben.

Auch unser beliebtes „Selbst-Vertrauen“ ist gegenüber dem Vertrauen, das hier gemeint ist, schwach. Schwach und einsam.

Es geht um Gott-Vertrauen. Es geht um das Vertrauen in die Beziehung zu dem Gott, der auf der Seite meines ganz Eigenen steht. Wo ich spüre: das bin ich, und das werde ich tun. In radikaler Freiheit für meinen Gott. Dieses Vertrauen allein schenkt Sicherheit. Dieses Vertrauen ist drückt sich aus in dem Hören auf die innere Stimme, die nicht verführbar ist. Sie ist die Stimme meines „eigenen Eigenen“ in der Tiefe. Obwohl in mir, ist sie nicht von mir (ausgedacht). Sie wirkt in mir – die Kunst ist es, sie zu hören. Erkennen kann ich sie daran, dass sie leise ist, behutsam, achtsam, aber auch nüchtern, und sehr sicher. Sie ist nicht triumphal, nicht euphorisch, aber auch nicht niedergedrückt unterwürfig.

Der Verführer denkt in kurzer Lust. Für ihn ist Gehorsam un-lustig. Er will die schnelle Triebbefriedigung. Sei es der Trieb nach Ansehen und Status, sei es der Trieb nach nach den sinnlichen Dingen: schnelle Autos, Sex, Wellness, Anti-Aging. Oder nach Schnäppchen! Jetzt, wo das Benzin billig ist, kauf‘ ich mir einen SUV. War da nicht was mit Umwelt? Und ökologischer Verantwortung? Vergiss es! Sollen erst mal die Anderen.

Der Verführer sagt: „Man gönnt sich ja sonst nichts!“ „Sei doch nicht blöd!“ Oder: „Geiz ist geil!“ „Da ist doch nichts dabei.“ „Das machen die Anderen doch auch!“

Liebe Gemeinde,

der Mensch, den wir als Gottes Sohn bekennen, Jesus, hat seine Treue zu seinem Gott mit der Todesstrafe bezahlt. Er wurde als Verbrecher hingerichtet.

Wir glauben an einen Gottessohn, der von dem religiösen Establishment seiner Zeit als Verbrecher mit dem Tode bestraft worden ist. Das Establishment aller Zeiten ist konservativ und extrem misstrauisch gegen die „Er-Neuerer“! Das hatte auch ein Martin Luther zu spüren bekommen. Oder ein Solschenizyn. Oder ein Oscar Romero, Erzbischof von Salvador von 1977 bis 1980.

Er war ein Mann des Establishments, romtreu und konservativ. Er kam nach El Salvador, um mit den „Progressiven“ aufzuräumen. Das war sein Auftrag.

Doch es kam anders. Romero wurde Zeuge, wie ein Jesuitenpater, ein alter Bauer und ein Ministrant erschossen wurden. Danach überfielen Soldaten das Dorf des ermordeten Priesters und schändeten die Kirche. Sie verwehrten Romero den Zutritt, als er die geweihten Hostien retten wollte. Dieses Ereignis bezeichnete er später als seine „Bekehrung“: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apg 5,29)

Und so wurde Romero ein „Prophet des Gehorsams“. Nach 60 Lebensjahren entfaltete sich plötzlich das wahrhaftige (göttliche?) Selbst in diesem Manne: sein Leitungsstil veränderte sich: er begann wichtige Entscheidungen mit seinen Mitarbeitern zu besprechen anstatt einsam zu entscheiden. Er sah das Leiden seines Volkes und wurde sehr mutig. „Christen müssen kühne Menschen sein“, sagte er.

In den drei Jahren, in denen er Primas von El Salvador war, brauchte man Sonntags nicht in die Kirche zu gehen. Wenn er predigte, lief jeder Radioapparat im Lande auf höchster Lautstärke – bis der Kirchensender in die Luft gesprengt wurde. Romero entwickelte großes Vertrauen in die Fähigkeit seines Volkes, Schöpfer seiner eigenen Gesellschaft zu sein und forderte die Gläubigen auf, selbst aktiv zu werden und nicht darauf zu warten, was der Bischof am Sonntag sagt. …

Die reiche Oligarchie, die er ständig angriff, versuchte ihn als „Psychopathen“ abzustempeln. Papst Johannes Paul II. distanzierte sich von ihm, als er revolutionäre Gewalt gegen langandauernde und eindeutige Tyrannei erlaubte.

Schließlich rief Romero die Angehörigen der Armee öffentlich auf, den Befehl zu verweigern und Schluss zu machen mit der Unterdrückung des eigenen Volkes. Kurz vor seinem Tod sagte er: „Als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung … Als Hirte bin ich durch Gottes Auftrag verpflichtet mein Leben für die zu geben, die ich liebe, das sind die Salvadorianer, auch jene, die darauf aus sind, mich umzubringen … Ein Bischof mag sterben, doch die Kirche Gottes, das ist das Volk Gottes, wird niemals zugrunde gehen….“

Am 24. März 1980 wurde Romero in einem Gottesdienst erschossen. Er hatte über das Johanneswort: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ gepredigt.

Bei uns geht es nicht um Leben und Tod.

Nur um einen ganz gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst. Und wenn der vorbei ist, geht es wieder hinaus ins Leben, in unseren Alltag.

Und heute Abend hören wir die Ergebnisse von drei Landtagswahlen. Und müssen ertragen, dass auch bei uns Mächte stark geworden sind, die unsere Demokratie, unser Grundgesetz massiv angreifen. Es gut, sich nicht der Empörung im außen hinzugeben, sondern sich selbstkritisch zu fragen: wie sieht es eigentlich mit meinem eigenen Establishment in meinem Inneren aus? Von wem werde ich, wird mein Leben regiert? Wo sind meine eigenen fundamentalistischen Strömungen? Wie viel Demokratie halte ich in meinem Inneren überhaupt aus? Sind auch die Minderheiten in meinem Inneren geschützt, oder werden sie ignoriert? Wie ehrlich bin ich zu mir selbst? Oder wie sehr lasse ich mich von diffusen Mächten treiben, die ich gar nicht so genau kenne? Und vielleicht auch nicht kennen lernen möchte?

Gebe Gott, dass in der Mitte unserer Lebens sich die gewaltlose Macht des Dienens ausbreite. Des Dienens für ein Leben, das regiert wird von dem Glauben an eine Gemeinschaft, in der jeder, der guten Willens ist, einen sicheren Platz hat – unabhängig von Status, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität. Gebe Gott, dass unsere Sucht, möglichst weit vorne zu sein, (neben Jesus im Reich Gottes sitzen zu dürfen) eingegrenzt wird von unserer Freude, zusammen zu sein.

Und so behüte uns der Gott der Klarheit, der Nüchternheit, der Wahrhaftigkeit und der Barmherzigkeit. Und der Wachsamkeit für meine eigenen Gedanken und Taten.

Oder mit Teresa von Avila: solo dios basta – „Gott allein genügt.“ AMEN.

Predigt über Hebräer 5, 7-9 am Sonntag Judika 2016 Weiterlesen »

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias in der Auferstehungskirche in München (10.1.2016) – Römer 12, 1-3

Liebe Gemeinde,

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Röm 8,14)

Mit dieser einfachen und einprägsamen Aussage aus dem Römerbrief begann unser heutiger Gottesdienst. Ich halte diesen Satz für wahr. Ich bin ein Kind, und das heißt: ein Abkömmling dessen, was mich (an-)treibt.

Was mich treibt, antreibt, ist das, was mich in der Tiefe bewegt. Der dazu gehörige Satz lautet: „Ich muss das machen.“ Dieser Satz gilt für alle wahrhaft schöpferischen Menschen: „Ich muss … schreiben … komponieren … erforschen … gestalten … malen …“

Nun wissen wir, dass in der Tiefe, in der mich etwas bewegt, auch die beiden großen Gefühle sich befinden, die irgendwie mit unseren Trieben verschmolzen sind: Liebe und Hass. Und ein Drittes befindet sich in eben dieser Tiefe: der Drang/ Trieb wahrgenommen zu werden. Und es hält uns Menschen elastisch und schützt vor Verknöcherungen, – und dafür haben wir vom lieben Gott die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis erhalten – uns immer wieder zu hinterfragen, wofür wir in der Tiefe unsere Gedanken, unser Sprechen und unser Tun verwenden.

Eben das. was uns in der Tiefe antreibt.

Diese Frage kann ich sofort auf mich selbst anwenden: wofür verwende ich meine Predigt hier bei Ihnen? Um im Mittelpunkt zu stehen? Dann geht es darum, dass Sie mich wahrnehmen. Für Hass? Dann brauche ich einen Feind, ein Feindbild, an dem ich meinen Hass unterbringen kann.

Um Liebe? Dann brauche ich einen Freund/ einen Geliebten, wo ich meine Liebe unterbringen kann.

Nun – soweit es mir bewusst ist, und je tiefer ich gehe, desto weniger ist mir bewusst! – möchte ich diese Predigt dafür verwenden, mit Ihnen dem Predigttext nachzudenken. Mit dem Hintergedanken, ob wir vielleicht am Ende etwas Genaueres darüber erfahren haben, was das ist, wie sich das auswirkt, wenn mich „der Geist Gottes antreibt!“

Röm 12, 1-3.(4-8)

12,1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch

die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber

hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und

Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger

Gottesdienst.

Ich ermahne euch…“ – das könnte nach erhobenem Zeigefinger, nach strengem Über-Ich klingen. So ist es nicht. „Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes…“ Das ist so wichtig im Umgang miteinander: dass Strenge und Milde in einem Atemzug geschehen. Sie gehören zusammen. Strenge, Ermahnung, die sich nicht in den Anderen einfühlt ist wirkungslos. Oder führt zu Rachegedanken, die im schlimmsten Fall in Gewalt ausufern. Milde, die alles zulässt, keine Grenzen vorgibt, nicht auf die Einhaltung von Grenzen dringt, führt zu Missbrauch, führt zu Übergriffen, wie jenen von der Silvesternacht.

Wozu werden wir in Barmherzigkeit ermahnt? Es geht um unseren Leib. Es wäre ein Missverständnis zu meinen, es ginge nur um unseren Körper. Mit „Soma“ meint Paulus unser wirkliches Leben auf dieser Erde, in seiner Ganzheit von Intellekt, Seele und Körper. Dieses unser Leben sollen wir „hingeben als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist.“

Opfer – das klingt nach Gewalt. Ist so aber nicht gemeint. Das Opfer soll „lebendig“ sein, „heilig“ und darin „Gott wohlgefällig“. Für mich bedeutet Opfer zuallererst: ich opfere meine Impulse, die auf schnelle Triebbefriedigung zielen. Genau an dieser Stelle beginnt für mich Mensch-Sein: alltäglich daran zu arbeiten, sich „halten zu lernen“. „Sich halten“ heißt, über die Fähigkeit zu verfügen, den schnellen Wünschen, der schnellen Lust oder Unlust Einhalt zu gebieten. Das ist dieselbe Kraft, die mich befähigt, mich auf die ganze Wirklichkeit einzulassen, mit all‘ ihren Facetten. Und nicht nur auf den Teil der Wirklichkeit, wie ich, wie meine Bedürfnisse sie gerne haben möchten.

Wir werden nachher singen: „Jesus ist kommen, nun springen die Bande, Stricke des Todes, die reißen entzwei…“ Ein Strick des Todes besteht in meinen eigenen Erwartungen daran, „wie es – das Leben, die Situation… zu sein hat ….“ Je fester, erstarrter meine Erwartung ist, desto wahrscheinlicher tötet sie die Lebendigkeit des Augenblicks. Indem wir diese Erwartungen opfern, stärken wir in uns die Kraft, uns dem zu öffnen, was da alltäglich auf uns zu kommt. Von außen, von seiten der Welt – wie von innen, von seiten unseres Unbewussten, unserer Emotionen, unserer Fantasien, unseres Körpers. Welche der Geist Gottes treibt, die spüren diese Kraft Gottes in sich, sich dem, was da ist, auch zu stellen. Dazu passt unser Monatsspruch: „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7)

Indem wir uns im Atem und in der Aura dieses Heiligen Geistes bewegen, wird unser Leben zu einem „vernünftigen Gottesdienst“. Und zwar alltäglich. Mit jedem Atemzug unseres Lebens. Es geht dann nicht mehr anders: wir atmen diesen Heiligen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit alltäglich ein und aus.

Sie sagen jetzt vielleicht: Träum‘ weiter! Pfarrersgeschwätz! Wie soll das gehen? „Money makes going the world around!“

Genau so ist es. Und so fährt Paulus fort: „12,2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“

Stellt euch nicht der Welt gleich!“ Jesus hatte das kräftiger formuliert: „Ihr seid das Licht der Welt…“ Indem wir uns der Welt gleich stellen, plappern wir mit der Welt, jammern mit der Welt, suchen unseren Vorteil mit der Welt.

In der Welt regiert der Nutzen. „Was bringt das?“ – das ist ein echter Welt-Satz.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele“ – das ist kein Welt-Satz. Der dazugehörige Welt-Satz lautet:

was bringt es mir, meine Seele kennenzulernen.“

Und die ehrliche Antwort darauf lautet:

Gar nichts!“ „Es bringt dir gar nichts. Genauso wenig wie es dir etwas bringt, in den Gottesdienst zu gehen … Oder an Gott zu glauben!“

Gott ist nämlich kein burner und kein Bringer!

Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz.“ (Meister Eckhart, Werke I, Frankfurt 1993, S. 195)

Und er fährt fort: „Alles, worauf du dein Streben richtest, was nicht Gott in sich selbst ist, das kann niemals so gut sein, dass es dir nicht ein Hindernis für die höchste Wahrheit ist.“

Das ist die Erneuerung unseres Sinnes von der Paulus spricht. Dass wir die Kraft haben, zu prüfen, aus welcher Haltung zum Leben eigentlich unsere Gedanken strömen. Im Kapitalismus ist das Nützlichkeitsdenken die Mitte.

Meister Eckhart und Paulus hingegen sind Seins-Denker. Im Zentrum dieses Denkens steht nicht die Frage, was etwas bringt, oder was etwas nützt, sondern: was es ist. Was es ausmacht. Es geht um das Da-Sein.

Nur mit diesem Denken kann Gott erahnt, gespürt, erlebt werden – Gott, der das letzte Sein, die unerkennbare letzte Realität ist! „Alles, worauf du dein Streben richtest, was nicht Gott selbst ist …“ das steht dir im Weg, der Wahrheit näher zu kommen.

Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist …: das Gute, das Wohlgefällige, das Vollkommene …“ Das ist der einzige „Zweck“, der einzige „Nutzen“ unserer Veränderung: Gottes Wille zu erkennen: „das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene.“ Und nicht nur zu erkennen, sondern – wichtiger noch – in diesem Willen zu leben. Ein alltägliches: „dein Wille geschehe!“

Das heißt auch: nicht das, was ich mir einbilde zu brauchen, geschehe. Wie kann auch das, von dem ich mir einbilde, es mir bringt mir etwas, besser sein, als Gottes Wille für mich?

Indem Gottes Wille zu meinem Lebensmaß wird – was kann dann noch schief gehen?

Nüchterne Antwort: Alles!

Dann löse ich nämlich mein Leben aus meiner (vermeintlichen) Kontrolle heraus. Und dann habe ich nichts mehr im Griff. Und das fühlt sich sehr, sehr verunsichernd an.

Indem ich Gott mein Leben ausliefere, sterben meine Täuschungen darüber, wie „es sein sollte“! Damit bin ich natürlich auch weniger anfällig für meine Enttäuschungen darüber, wie es gerade ist. (Meine Ent-Täuschungen, die in der Tiefe nichts anderes ausdrücken, als dies, dass ich mich getäuscht habe!) Und meine Kraft, die Wirklichkeit in ihrer Nüchternheit anzunehmen: dass „es nämlich so und nicht anders ist“, wächst. Hier gehört nun der dritte Satz unseres Predigttextes hin:

12,3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Dass er maßvoll von sich halte.“ Im „Maß“ sind die Grenzen enthalten. Die Wirklichkeit, in der ich gerade bin, ist immer eine begrenzte. Dies anzuerkennen erhöht die Möglichkeit für Bescheidenheit. Das Maßlose – das ist auch das Grenzenlose. Und das Grenzenlose vertreibt das ihm Fremde; es will nur eines: sich selbst grenzenlos ausdehnen. Krebszellen sind ein guter Ausdruck für Maßlosigkeit. Oder sexuelle Übergriffe. Beides ist auch ein Ausdruck für die Verbindung von Maßlosigkeit und Zerstörung (Destruktivität). Alle totalitären Staaten oder Systeme sind maßlos und zerstörerisch. Sie kennen kein Halten. Sie können sich selbst nicht halten. (Krebs!)

Die Anerkennung meines Lebens-Maßes bedeutet anzuerkennen, dass mein Leben aufgespannt ist: zwischen einem „Anfang“ und einem „Ende“. Und dass nicht alles in so ein kurzes Leben hinein passt. Und dass ich auch selber Grenzen habe – dass ich nicht alles kann, nicht alles weiß. Die Anerkennung eines Maßes, meines Maßes, macht depressive Gefühle. Wer diese nicht aushält, der muss bei der verbreiteten „alles ist möglich“ Haltung bleiben und verbittert im Angesicht der vielen „Un-Möglichkeiten“. Oder holt sich das, von dem er meint, es stünde ihm zu, mit Gewalt!

Entscheidend ist der Satz: „wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“ Für denjenigen, der sich selbst das Maß aller Dinge ist, ist dieser Satz unerträglich. „Es gibt niemand, der mir etwas ausgeteilt hat“, wird er sagen. „Ich teile aus. Ich hole mir, was ich brauche. Ich bestimme …“ Je verliebter jemand in sich selbst ist, in seine Intelligenz, in seine Schönheit, in seinen Reichtum, in sein Können, desto unerreichbarer ist er für Gott. Desto unerreichbarer ist er für den Gedanken: dies alles, was du hast und kannst – es ist nicht dein Verdienst. Es ist dir geschenkt. Theologisch ausgedrückt: du verdankst es der Gnade Gottes.

Erst wer sich darauf einlassen kann, kann akzeptieren, dass er Teil einer größeren Gemeinschaft, eines größeren Ganzen, gemeint Leben, ist. Davon handeln die folgenden Verse des Paulusbriefes, auf die ich aus Zeitgründen nicht mehr eingehe. Es ist das wunderschöne Bild von der Gemeinde als ein Leib mit vielen Gliedern. Wenn jedes Glied da sein darf, wo es hingehört und in seiner Arbeit da geschätzt wird, wo es ist und wirkt, und sich weder über die Anderen stellt, noch sich kleiner macht, als es ist … dann ist der Leib, dann ist der gesamte Organismus gesund. Die Probleme entstehen erst, wenn sich einzelne Glieder anmaßen, das Ganze zu sein.

Dann fällt der lebendige Organismus aus seinem natürlichen Gleichgewicht heraus.

Gebe Gott, dass wir in diesem noch jungen Jahr unsere eigene Lebendigkeit spüren. Die niemals mehr sein kann, als ein Teil eines größeren, unbekannten Ganzen.

Gebe Gott, dass wir uns mit dieser Lebendigkeit verbinden, in der wir den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit in uns aufnehmen und aus uns herausgeben.

Gebe Gott, dass wir in unserer Lebendigkeit seinen Heiligen Geist ein- und ausatmen, was auch immer das Neue Jahr uns bringen wird, AMEN.

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias in der Auferstehungskirche in München (10.1.2016) – Römer 12, 1-3 Weiterlesen »

Predigtgedanken zu Johannes 1, 1-5

Predigtgedanken am 2. Sonntag nach Weihnachten 2015

zu Joh. 1, 1-5

Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die liebende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN,

IM ANFANG WAR DAS WORT

UND DAS WORT WAR BEI GOTT

UND GOTT WAR DAS WORT

DASSELBE WAR IM ANFANG BEI GOTT

ALLE DINGE SIND DURCH DASSELBE GEMACHT UND OHNE DASSELBE IST NICHTS GEMACHT WAS GEMACHT IST

IN IHM WAR DAS LEBEN UND DAS LEBEN WAR DAS LICHT DER MENSCHEN

UND DAS LICHT SCHEINT IN DER FINSTERNIS UND DIE FINSTERNIS NAHM ES NICHT AN.

Die Tiefe des Prologs des Johannesevangeliums ist nicht auslotbar. Der Heilige Augustinus schlug vor, diese ersten fünf Verse in goldenen Buchstaben in allen Kirchen über dem Eingang für alle Menschen gut sichtbar zu schreiben.

Sie hören im folgenden einige Gedanken zu diesen Sätzen – mehr nicht.

Im Anfang war das Wort“ – nicht am Anfang. Das entspricht dem:

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Nicht am Anfang.

Das bedeutet, dass der Anfang kein Zustand ist, der einen Anfang und ein Ende hat. Im Anfang, das gleicht der Welle, die sich erhebt, die doch nichts anderes ist wie das Meer selbst. Wie unser Leben, das auch nichts weiter ist wie eine kleine Welle im Ozean der Ewigkeit. Es entsteht, es hebt sich heraus, es wird wirklich, konkret, es gestaltet sich … es entsteht ein „Ich“, ein „mein Leben“ … und es lässt los, fällt wieder zurück, verschwindet wieder in der Unendlichkeit.

Auch einen Tag unseres Lebens können wir so betrachten – oder den Verlauf dieses Gottesdienstes: es verdichtet sich etwas, nimmt Gestalt an und verschwindet, verklingt wieder.

Im Anfang – war das Wort. Wort meint hier nicht die Bezeichnung eines Dinges: wie Ball oder Kerze. Es geht um eine vage Ahnung, um den Vorläufer einer Idee …

Und das Wort war bei Gott“ – so, wie die Ahnung, das Aufkommen einer Idee bei ihrem Schöpfer ist. Der Maler, der ein Bild malt, der Komponist, der eine Melodie komponiert, der Architekt, der ein Haus entwirft, der Naturwissenchaftler, der über ein Phänomen nachdenkt: er erlebt „im Anfang“ seine Idee zunächst einmal in seinem Inneren. In diesem Sinne ist das Wort bei Gott. Es ist ein erstes Dazwischen – zwischen der Idee des Künstlers und dem Künstler selbst. Es ist eine erste „Ent-äußerung“ im Inneren des Künstlers. Doch – solange es im Außen noch nicht gestaltet ist, bleibt es unerkennbar eins mit dem Künstler – und so heißt es:

Und Gott war das Wort!“

Dasselbe war im Anfang bei Gott.“

Die erste Sellbst-Unterscheidung Gottes geschieht in der Dunkelheit Gottes selbst. Unerkennbar von außen. Nur im Inneren Gottes ist etwas geschehen: aus dem All-Einen, ewig Gleich-Gestalten ist eine erste Verschiedenheit geworden: die Ahnung einer Zweiheit. Diese Ahnung aber geschieht im Dunkel der Nacht, wie Johannes vom Kreuz nicht müde wird, uns zu sagen.

Dieses dunkle Geschehen führt zu (An-)Spannung. Auch wenn das „Wort“ Gott selbst war, so ist es auch etwas Anderes. Wenigstens soviel Anderes, dass es als „Wort“ benannt und von Gott unterschieden wird. (Für die Intellektuellen unter uns: Es ist seit alters Blasphemie zu behaupten, neben Gott gibt es etwas Nicht-Göttliches. Das ist die Blasphemie des Atheismus. Ebenfalls ist es Blasphemie zu behaupten, Gott sei alles in allem. Das ist die Blasphemie des Pantheismus.)

Der Prolog des Johannesevangelium ist der schmale Grad zwischen diesen Abgründen von Atheismus und Pantheismus.

Durch „unterscheiden“ formt sich etwas. Im Hebräischen steht für „formen“ und „leiden“ dasselbe Wort. Im Wort beginnt sich Gott zu formen. Und in diesem Formen entsteht Leiden. Die prägnanteste Formung Gottes geschieht in seinem Sohne. In ihm geschieht auch größtes Leiden.

Es geht nicht anders.

In der Formung findet Rückzug statt. Nur das Ungeformte ist Alles in Allem. Überall gleich. Das Geformte ist differenziert. Die Formung geschieht und entsteht durch das Nicht: indem der Steinmetz von dem Klotz – der „Materie“ – etwas entfernt, entsteht Form, entsteht ein Moses (des Michelangelo). Indem sich die Ahnung, die Idee des Künstlers in den Stein einprägt, wird der Stein ge-nichtet und so ge-richtet.

Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“

Alle Dinge, alles, was gemacht ist, ist irgendwie geformt. Es hat einen Prozess des Leidens durchlebt. Dass wir hier miteinander reden können, hat damit zu tun, dass wir gelernt haben, die Luft in unserer Kehle beim Ausatmen zu formen. Besser: wir formen unseren Mund und unsere Kehle so, dass aus unserer Atemlouft verständliche – geformte – Laute entstehen. In Hebräischen heißt „Kehle“ übrigens auch „Seele“.

Ohne Form ist alles gleich: formlos. Formung entsteht und geschieht im Ertragen des Nicht. Das Nicht in der Musik ist das Verklingen des Tones. Sein Vergehen. Ohne sein Verklingen, ohne seine Vergänglichkeit entstünde keine Melodie. (Es gibt in der Musik keine „Pausen“: „Pause“ bedeutet: Innehalten – Zeit für Verklingen -…)

Die Zerstörung der Form ist die Zerstörung der Vergänglichkeit. Ist die Zerstörung der Zeit. Zerstörte Zeit hört sich so an:

Töne der Melodie „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ gleichzeitig anspielen

Die Form der Melodie entsteht: jeder Ton erklingt und zieht sich wieder zurück –

und macht in seinem Rückzug einem neuen Ton Platz – nun aber so, dass sich der neue Ton auf den vorhergehenden, der alte Ton auf den neuen bezieht.

Die Stärke der Form ist die Stärke der guten Verbindungen der einzelnen Töne zueinander.

In diesen guten Verbindungen entsteht das, was wir dann „Schönheit“ nennen. In „Unförmigkeit“ ist auch „Schönheit“ zerstört.

So bildet die Musik ganz besonders dieses „Im Anfang“-Geschehen ab –

wie eine Melodie entsteht,

wir hören Verbindungen, beziehen Töne aufeinander …

Und indem wir hören verklingt die Melodie auch schon wieder.

Musik ist Sinnbild der Flüchtigkeit unseres Lebens. Gerade aus ihrer Flüchtigkeit und Vergänglichkeit herausentspringt ihre Schönheit.

Die Melodie „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ spielen

Die Stärke der Form hat also mit Ordnung zu tun. Und mit Bescheidenheit. Indem jeder Ton seinen ihm zugewiesenen Platz einnimmt, fügt er sich in das Ganze ein. Den zugewiesenen Platz einnehmen bedeutet, für das Erklingen genauso bereit sein wie für das Verklingen.

Dies gilt auch für unser Leben.

Durch den Rückzug Gottes entsteht Raum für seine Gestalt: das ist sein Wort.

In seinem Sohn ist Gott erklungen und verklungen.

In seinem Sohn erklingt Gott alltäglich. Und verklingt.

In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen

und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis nahm es nicht an.“

Das ist das Beruhigende. Die Finsternis kann das Licht nicht annehmen. Sie kann es nicht verstehen. Sie kann es freilich auch nicht zerstören.

Das Licht der Menschen“ – das ist die Wahrheit. Sie allein leuchtet aus sich heraus. Sie allein bedarf keines Denkers, sie muss nicht erkannt werden.

Ihre einzige Qualität ist es – zu sein!

Wir Menschen haben die Freiheit, uns der Wahrheit zuzuwenden oder uns von ihr abzuwenden. Indem wir uns ihr zuwenden, geht uns ein Licht auf. Etwas wird „evident“ – leuchtet aus sich heraus.

Indem wir uns von ihr abwenden, wird es finster in uns.

Und um uns herum. Um die Finsternis nicht spüren zu müssen, sind wir verführbar für Blendungen. Die unsere selbstgemachten Scheinwerfer bringen kein Licht ins Dunkle. Das Dunkle zieht sich vor ihnen zurück.

Das Problem ist, dass bei vielen Menschen die Wahrheit mit falscher Moral vergiftet ist. Dass sie wahre Sätze nicht in ihrer Wahrheit hören können, sondern als Vorwurf und Anklage gegen sie. Wenn mich das Hören der Wahrheit über mich und mein leben beschämt, kann ich die Wahrheit nicht in mich hinein lassen. Dann verschließe ich, um mich zu schützen.

Die Wahrheit beginnt zu leuchten, indem sich die beiden Pole Gottes, seines Wortes, miteinander verbinden: der eine Pol ist seine Klarheit und seine Strenge, der andere ist seine Barmherzigkeit und seine Milde.

Das Wort als Form bringt die Strenge, das Gerichtet-Sein, das Gericht in Gott. Verbindet sich das Gerichtete liebevoll mit dem zu Richtenden, so entsteht Leben.

Es wird hell. So wird aus dem Gerichtet-Sein ein Aufgerichtet-Sein. So heißt es bei Paulus: „Gott war in Christus … und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Kor. 5,19)

Das ist das Licht, das wir Christen in die Finsternis dieser Welt tragen dürfen: „Das Wort von der Versöhnung in Jesus Christus“!

Dieses Wort wohnte von Anfang an bei Gott, dieses Wort „ward Fleisch und wohnte unter uns“, dieses Wort kann von der Finsternis nicht auslöscht werden!

Dieses Wort muss sich nicht in der Weise ausdrücken, wie wir es gewohnt sind: als Sprache.

Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“, hat L. v. Beethoven gesagt. Es gibt Menschen – und vielleicht gehörte Beethoven dazu – in deren Innerem Sprache verkümmert ist. Solche Menschen konnten nicht lernen, ihr Erleben, ihre Gefühle in Sprache zu fassen. Sie haben Sprache kennengelernt als Handlungsanweisung „Mach‘ …“. Oder als Ausdruck von Aggression: sei es als chronisches Sich-lustig-machen, sei es als be- und verurteilen: den Anderen oder sich selbst Nieder-machen. Oder als neutral-sachliche, sogenannte „wissenschaftliche“ Beschreibung von Sachverhalten.

Was fehlt ist die Möglichkeit, in und mit Sprache Erlebtes und Gefühltes auszudrücken. Gute Sprache trägt und erträgt die Emotionen des Sprechers. (Im „Stottern“ ist Sprache gefährdet, unter der Last der Emotionen zusammenzubrechen.)

Als Rückzugsraum und Schutzraum für den Ausdruck von Gefühlen bleibt dann etwas Nicht-Sprachliches: z.B. die Musik.

„Die Musik ist die beste Gottesgabe. Durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt. Musik ist der beste Trost für einen verstörten Menschen, auch wenn er nur ein wenig zu singen vermag. Sie ist eine Lehrmeisterin, die die Leute gelinder, sanftmütiger und vernünftiger macht.“ (Martin Luther)

Martin Luther litt unter einem harten, sadistischen Vater und einer wenig spürbaren, offenbar sehr zurückgezogenen Mutter. Und derselbe M. Luther, der die Bibel in ein so klingendes und berührendes Deutsch übersetzt hat, sagt: „Die Musik ist die beste Gottesgabe … der beste Trost für einen verstörten Menschen …“ nicht: das Sprechen von Bibelzitaten o.ä. …

Und der Ursprung der Musik verweist auf die Dunkelheit unseres Herkommens. Bereits im Mutterleib, wo noch alles dunkel ist, haben wir mit ungefähr fünf bis sechs Monaten zu hören begonnen. Das Gehör ist das früheste vollständig entwickelte Sinnesorgan. Und was haben wir da wohl gehört? Den sicheren, gleichmäßigen Rhythmus des Herzschlag des Mutter. Das Gurgeln und Plätschern der Darmgeräusche der Mutter. Und – wie von ferne – andere Geräusche, die „draußen“ waren. Natürlich hatten wir zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von „drinnen“ und „draußen“!

Unser Hören jedenfalls begann im Dunkeln – und so passt es gut zu der dunklen Weih-Nacht, AMEN.

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Predigt unter dem Eindruck von Paris stehend

Predigt über Matthäus 25, 31 -46 am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Güte des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde!

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“ Sie kennen dieses geflügelte Wort aus Aschenputtel: mit Hilfe der Tauben gelingt es Aschenputtel, die quälende Aufgabe der Mutter, Linsen aus der Asche auszulesen, schnell zu erfüllen.

Um etwas auszulesen, muss es vorher unterschieden sein: die schlechten Linsen werden von den guten Linsen unterschieden.

Wir könnten hier auch „Auslesen“ vornehmen: alle, die an einem Tag, mit einer ungeraden Zahl Geburtstag haben.

Es gibt also eine „Ordnung“, nach der die Auslese vorgenommen wird. Eine Unterscheidungs-Ordnung. Eine Diskriminierung. Diskriminierung heißt – neutral, ohne emotionalem Beigeschmack – nur „Unterscheidung“. Unterscheidungen sind nötig, um irgend etwas erkennen zu können. Ohne Diskriminierung sind wir im Nebel des Gleich-Gültigen: und wenn alles gleich-gültig ist, dann ist es beliebig. „Das ist mir gleichgültig“ heißt: ich habe keine eigene Meinung, keine Position dazu. Erst wenn mir etwas nicht gleich gültig ist, entsteht meine eigene Haltung, die sich von der Anderer unterscheidet.

Bis hierhin scheint noch alles recht klar. Spannend wird es dann, wenn wir uns fragen, nach welchen Kriterien wir Diskriminierungen vornehmen. Da sind wir dann mitten drin im Strudel der Emotionen:

Nach welchen Kriterien soll jemand Asyl erhalten? Oder Harz IV? Nach welchen Kriterien kommt deine Deutschnote zustande?

Nach welchen Kriterien leben wir eigentlich? Was tun wir ins Kröpfchen – und was nicht. Was lassen wir in uns herein und wovon distanzieren wir uns?

Ehe man sich versieht entstehen die Befürworter und die Gegner! Und alle haben ihre Ordnungsprinzipien. Mit denen sie aufeinander los gehen und sich – worst case – einseitig oder gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Woher kommt denn auf einmal diese Gewalt? Was macht es so schwierig, sich gelassen und ruhig damit auseinanderzusetzen, nach welchen verschiedenen Kriterien wir unterscheiden?

Es sind offenbar heftige Gefühle, die dieses Geschehen erhitzen.

In diesen Gefühlen scheint es sehr schnell um Sein oder Nicht-Sein – um Existenzberechtigung oder Existenzvernichtung zu gehen.

Nun ist es so, dass die Religionen, und besonders die monotheistischen Religionen, Öl ins Feuer der ohnehin schon heftigen Emotionen gießen. Vielleicht ist es auch anders herum: dass sich im Entstehen der monotheistischen Religionen die Heftigkeit der Diskriminierungen abbildet.

Dazu eine kleine Geschichte:

Goldstein, 92 Jahre alt, hatte Progrome in Russland erlebt, die Konzentrationslager in Deutschland und viele andere Judenverfolgungen.

Oh Herr“, sagte er, „es stimmt doch wohl: wir sind dein auserwähltes Volk?“

Eine himmlische Stimme antwortete: „Ja, Goldstein, die Juden sind mein auserwähltes Volk.“

Meinst du nicht, es ist an der Zeit, jemand anderen auszuwählen?“

Ich vermute, der Auswahlgedanke selbst ist ein unheilvoller. Denken wir an den ersten Mord der Menschheit: Kain erschlägt Abel. Warum? Weil Gott das Opfer von Abel auserwählte, das von Kain aber nicht beachtete. Denken wir an Josef: er wurde von seinen Brüdern verkauft. Warum? Weil ihn sein Vater Jakob als seinen besonderen Sohn im Gegenüber zu seinen Geschwistern bevorzugte. Die Gefühle des Nicht-Auserwählt-Seins sind Hass, Neid und Gier. Diese Gefühle sind der emotionale Sprengstoff für nach außen gewandte Gewalt.

Diskriminierung hat also mit Bevorzugung und Benachteiligung zu tun. Leider ist in den monotheistischen Religionen Gott selbst zu einem Prinzip geworden, das auswählt, indem es bevorzugt und benachteiligt. Das heutige Evangelium, das Gleichnis vom Weltgericht, handelt von der kosmischen Diskriminierung Gottes: die „Guten“ „erben“ das Reich, die „Bösen“ kommen in das „ewige Feuer“. Die „Guten“ dürfen bei Gott sein, die „Bösen“ werden von Gott verstoßen. Die „Guten“ sind die „Rechten“ – die „Bösen“ die „Linken“!

Liebe Gemeinde,

auch wenn dieses Gleichnis im Matthäusevangelium steht – es ist so überhaupt nicht im Sinne der Botschaft des Jesus aus Nazareth, der mir etwas bedeutet.

Wer auch immer sich dieses Gleichnis ausgedacht hat – es ist ein Abbild von innerer, von seelischer Zerrissenheit.

Anders ausgedrückt: die an sich schönen und wertvollen Gedanken, sich den Bedürftigen zuzuwenden, den Hungernden, den Kranken, den Fremden, den „Geringsten“ – werden dadurch vergiftet, dass sie für Überheblichkeit auf der einen Seite und Beschämung auf der anderen Seite verwendet werden.

Es ist eben dieses Denken, in dem sogenanntes Gutes und Böses mit aller Gewalt getrennt voneinander gehalten wird, das die sogenannten „Geringsten“ erst entstehen lässt.

Oder, anders: Die „Geringsten“ sind die Abfallprodukte eines Denkens, dem es darum geht, sich selbst auf die Seite der Guten, der Anständigen, der Recht-Habenden, der „Richtigen“ zu retten. Diese Rettung ist dann umso dringender, wenn fest steht, dass auf der anderen Seite die ewige Verdammnis, das ewige Höllen-Feuer wartet.

Sie erkennen diese Rettungsversuche stets an der damit einhergehenden Starre (Rigidität) und Überheblichkeit (Arroganz). (Arroganz stammt übrigens ab von dem lateinischen Verb „adrogare“: „sich einer Sache anmaßen“, „etwas Fremdes für sich beanspruchen“)

Das „Fremde“, das der Arrogante für sich beansprucht, ist die Beurteilung des Anderen in Verbindung mit Selbst-Gerechtigkeit auf der eigenen Seite. Die grundlegenden Schriften der monotheistischen Religionen: das Alte Testament, das Neue Testament und der Koran eignen sich vorzüglich für die Einnahme eines arroganten Standpunktes.

(Nebenbei: An einer Stelle im Koran sagt Jesus, zu Maria gewandt: „Ehrerbietung meiner Mutter! Gott machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“ (Sue 19, Vers 32). Und an einer Stelle im Neuen Testament sagt Jesus: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ (Matthäus 10,34) Also: Vorsicht vor Vor-Urteilen!)

Als der Sufi Jalaluddin Rumi gefragt wurde, ob der Koran ein gutes Buch sei, dessen Lektüre sich lohne, antwortete er: „Du solltest dich eher fragen, ob dein Zustand es dir erlaubt, davon zu profitieren.“

Es ist eine Frage der inneren Haltung, wie wir Texte verstehen. Und nicht nur Texte – es ist eine Frage der inneren Haltung, mit der und in der wir all das wahrnehmen, was um uns herum und in uns geschieht.

Den meisten Menschen ist ihre innere Haltung so selbstverständlich, dass sie ihnen völlig unbewusst ist. So unbewusst, wie sie essen, trinken, atmen, sitzen, stehen, gehen.

Und die große Hürde, sich etwas bewusst zu machen, hat damit zu tun, dass viele von uns (vermute ich) Sätze, in denen sie wahrgenommen worden sind, als Vorwurf erlebt haben. Dass also Wahrnehmen dasselbe ist wie: „du bist falsch – sei anders!“

Wie in unserem Text: Die rechte Seite ist die richtige Seite. Bleibt für die linke Seite nur das Andere: die falsche Seite.

Gib deine „schöne Hand“ – und das war die rechte Hand: so bin ich von meiner Mutter erzogen worden, die selbst (tragische Ironie) Linkshänderin war!

In der chinesischen Medizin ist im übrigen die linke Seite die weibliche Seite.

In unserem Text stehen auf der linken Seite die Böcke: also die männlichen Tiere. Ihr großer Nachteil ist: durch sie bekommt man keinen Nachwuchs! Außerdem schmeckt ihr Fleisch nicht besonders. Man kann sie also zu nichts zu gebrauchen. Nur – sie können auch nichts dafür, dass sie als Böcke, als männliche Tiere auf die Welt kamen. Diese armen „Sündenböcke“ sind – weiß Gott – unschuldig!

Ob dies dem Verfasser unseres Textes bewusst war? Dass er in derselben Geistes-Haltung denkt, wie jene, die schrien: „Kreuzige ihn!“ ? „Das Opferlamm. Das zur Schlachtbank geführt wird…“

Dass genau dieses Denken seine Verwirklichung findet im religiösen Terror aller Zeiten. Der aus der Idee entspringt, selbst sich das Amt des Richters anzumaßen.

Und ob dem Verfasser unseres Textes bewusst war, wie radikal anders sich hiervon das Denken Jesus absetzt. Hat er sich überhaupt die Mühe gemacht, sich mit den Gedanken Jesu zu beschäftigen? Bei Jesus geht es um Integration, nicht um Ausscheidung. Wie z.B. in seinem Gleichnis vom verlorenen Schaf, das sich übrigens auch im Matthäusevangelium findet. Hier geht es um die Rettung des einen – und nicht um die Bestrafung der Falschen. Oder seine Antwort auf die Frage, wann das Reich Gottes kommt: „es ist inwendig in euch“, oder „es ist zwischen euch“ … und nicht: das Reich Gottes kommt, wenn die Bösen in der Hölle schmoren und die Guten im Paradies spazieren gehen …

Oder das Gleichnis vom scheinbar „verlorenen“ Sohn: der heimkehrende Sohn wird weder beurteilt noch verurteilt. Vielmehr wird ein Freudenfest über seine Rückkehr gefeiert.

Es ist der neidische ältere Bruder, der urteilt, der sagt: „ich bin bei dir geblieben, habe für dich gearbeitet – und jetzt wird der belohnt, der dein Erbe durchgebracht hat … Das ist ungerecht!“

Du solltest dich fragen, ob dein Zustand es dir erlaubt, von den Texten zu profitieren.“

Die Verführung ist groß, sich selbst auf den Richterstuhl zu setzen, der allein Gott oder Christus oder Allah oder Jahwe vorbehalten ist. Das ist das zentrale Missverständnis, der fundamentale Missbrauch aller Sekten und fundamentalistisch denkenden religiösen Gruppierungen: zu meinen, sie müssten an der Stelle Gottes Gericht halten.

In Wirklichkeit wird nur der eigene Neid, der eigene Hass und die eigene Gier in diesem vermeintlichen Gericht-Halten untergebracht. Gott braucht keine Richter; Gott braucht keine Inquisition. Was er aber braucht, das ist unsere Kraft und unseren Mut, uns unserer eigenen Abgründen bewusst zu werden. Unserer eigenen Gier, unserem eigenen Neid, unserem eigenen Hass ins Auge zu schauen – um ihm Einhalt zu gebieten.

Sie können das alles im übrigen auf sich selber anwenden. Indem Sie zum Beispiel aufmerksam dafür werden, wie oft Sie am Tag in Urteilen denken und Urteile äußern. Diese Sätze/Gedanken gehen meistens so los: „also ich finde es unmöglich, dass …“ Das Gefühl dazu ist eine selbstgerechte Empörung. Und ein selbstgerechtes Sich-Lustig-Machen über Andere. Und richtig Spaß macht das, wenn man dann auch noch GesinnungsgenossInnen bekommt. Dann kann man so richtig über Andere herziehen. Das Andere- das ist das Nicht-Eigene: das Fremde. Die Inhalte für Überheblichkeit sind übrigens austauschbar. Es gibt auch überhebliche Vegetarier, Friedensaktivisten, Krichgänger. Der Punkt ist nicht der Inhalt, sondern wofür ich ihn verwende. Ob ich meine Geisteshaltung und mein Tun dafür verwende, auf die Anderen herabzuschauen.

Und wie du wieder ausschaust…“ Und das ist so lange relativ harmlos, wie es bei dem „sich lustig machen“ bleibt. Und ganz wichtig: in der Phase der Pubertät gehört das Ganze unabdingbar dazu! Euch steht es zu, sich über die Erwachsenen, über uns

Alte auch lustig zu machen! (Wir machen das im übrigen umgekehrt auch ganz gern!)

Entscheidend ist, dass es im „gutmütigen“ Rahmen bleibt. Und schön wäre es, wenn man allmählich sich entscheiden könnte, auch erwachsen zu werden. Ich habe das Gefühl, bei uns gibt es viele „Berufsjugendliche“, die allmählich auf die Rente zugehen. Aber das nur nebenbei.

Etwas lustig finden hat mit der Fähigkeit zu tun, sich selbst in Frage stellen zu können. Es gibt Menschen, die können das nicht. Sie haben das Gefühl, sich selbst in Frage zu stellen vernichtet sie. Diese Menschen fühlen sich in ihrer eigenen Würde, ja in ihrer Identität angegriffen und abgelehnt, wenn etwas nicht so ist, wie sie es haben wollen. So muss alles Fremde zerstört werden. Sie geben die Zerstörung, die sie erlebt haben weiter – und zerstören: die Identität, die Würde, die Freude, den Spaß der Anderen. Genau hier ist die psychische Stelle, wo es kippt: und zwar in zerstörerische Gewalt. Das Problem ist, dass bei diesen Menschen der Satz: die Würde, tiefer noch, die Existenz des Lebendigen ist unantastbar, nicht greift, weil sie ihn nicht verstehen.

Das Problem ist, dass bei diesen Menschen die innere mentale Welt zerstört ist. An ihrer Stelle sind einfache gut-böse-Diskriminierungen getreten. Es gibt die Guten – dazu gehört man selbst – und die Bösen: die sind zu zerstören. Der menschliches Zusammenleben schützende mentale Rahmen, die uns schützenden mentalen Grenzen sind im Inneren dieser Menschen zerstört. Und das Innere drängt nach außen. Und wenn es keine Instanz mehr gibt, die hier Einhalt geben kann, dann entstehen Amokläufe, Amokflüge, Selbstmordattentate usw.

Ich weiß, dass meine Worte und die Worte der Politiker im Vergleich zu der geschehenen und immer weiter geschehenden Gewalt sich ausnehmen wie eine Wasserpistole im Vergleich zu einem Maschinengewehr. Aber genau das ist die Verführung: jetzt selbst und selbst-gerecht zum Maschinengewehr des eigenen Hasses zu greifen. Es gilt auch: die Kraft zu finden, die eigene Ohnmacht auszuhalten. Und die damit verbundenen Ängste. Und bei alle dem: nicht aus der Liebe zu fallen. Dies scheint mir die Aufgabe von allen ernsthaft religiös orientieren Menschen zu sein. Was wir brauchen ist eine ökumenische Friedensbewegung der Weltreligionen.

Der Rapper KC Rebell (selbst türkischer Abstammung) besingt in seinem schönen Song „Fata morgana“ das, was ich hier in dürren Worten versuche zu sagen, so:

Auch, wenn du dich umguckst,

und du Menschen siehst, die rumspinnen,

solltest du besser in deinen eigenen Problemen schwimmen

egal, was du siehst, was du lebst, was du bist, was du denkst,

lass es einfach in deinem Kopf drin.

Und dann kommt der wunderschöne Refrain:

Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders

doch den Balken in deinem Auge siehst du nicht

erlaub dir niemals ein Urteil über andere

denn ein anderer urteilt dann über dich …

Liebe Gemeinde,

wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ – das war die Einleitung in den heutigen Gottesdienst.

Ich weiß nicht, ob wir das müssen. Aber soviel weiß ich: keinem von uns steht es zu, sich auf diesen Richterstuhl setzen.

Und mit „von uns“ meine ich „uns Menschen“: egal welcher Hautfarbe, welcher Religionszugehörigkeit, welchen Nettoeinkommens, welchen Alters, welchen Geschlechtes. Und auch egal, welchen gesellschaftlichen oder politischen Status jemand innehat. … unsere Aufgabe ist es, diesen Stuhl leer zu lassen … und uns abzufinden mit der Begrenztheit und Vorläufigkeit und Fehlerhaftigkeit unserer Erkenntnismöglichkeiten. Und in diesem Abfinden den Mut und die Stärke zu finden, dem eigenen Hass und dem Hass derer, die auf Zerstörung aus sind, Einhalt zu gebieten – in Klarheit und in Bescheidenheit.

Ich hoffe, dass dies auch für das hier Gesagte gilt: möge es Ihre Herzen so erreichen, wie es mir nicht möglich ist. Möge es Ihre Herzen so erweichen, wie es allein dem Wirken des Heiligen Geistes möglich ist: seine Kraft und seine Güte, seine Weisheit und seine Liebe, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre uns in Christus Jesus, AMEN.

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Predigt über Matthäus 6, 25 – 34 am 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Gemeinde,

wollte man dem heutigen Sonntag einen Namen geben, könnte man ihn – oberflächlich betrachtet – den „Sorglosigkeits-Sonntag“ nennen.

Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“ (1. Petrus 5,7: der Wochenspruch)

Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen“ – so hörten wir es im Evangelium.

Nehmen wir noch den Psalm hinzu, der zum heutigen Sonntag gehört: „Es ist umsonst, dass ihr frühe aufsteht, und hernach lange sitzet, und esset eurer Brot mit Sorgen: denn seinen Freunden gibt’s der Herr im Schlaf!“ (Ps. 127, 2)

Gut, hab‘ ich mir gedacht. Wenn das so ist – wozu mir dann Sorgen machen, welche Predigt ich halte, was ich sinnvollerweise sage, wie ich die Gemeinde erreiche. Dann wende ich dieses „Lob der Faulheit“ gleich an – und mache: nichts!

Leider hat das nicht geklappt. Je näher dieser Sonntag kam, desto unruhiger wurde ich. Das mit den Vögeln und den Lilien mag ja stimmen – aber ich bin weder ein Vogel noch eine Lilie. Und niemand hat mir meine Predigt geschrieben.

Hinzu kommt, dass die Botschaft Jesu einmal mehr widersprüchlich ist: hatte nicht derselbe Jesus seine schlafenden Jünger in Gethsemane ermahnt: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet!“ Und vorhin – im 1. Petrusbrief heißt es: „Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“

Also: „keine Sorgen machen“ heißt wohl nicht, die Hände in den Schoß legen und gar nichts tun. Es heißt: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“

Also die Modemacher und die Feinschmecker haben an diesen Aussagen keine Freude. Jesus war bestimmt kein Franzose! Was hätte er wohl zur „Haute Cuisine“ gesagt? Oder zu „Germanys next Topmodel“?

Aber das sind nur Oberflächlichkeiten. Jesus ging es um etwas anderes. Eigentlich ist seine Botschaft eine sehr einfache: nehmt eure Sorgen nicht so ernst! Vergesst vor lauter Sich-Sorgen und Sich-Plagen nicht zu leben! Denn im Letzten könnt Ihr Euer Leben eh nicht kontrollieren. „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge auch nur eine Spanne hinzufügen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“

Die moderne Medizin wird an dieser Stelle aufschreien. „Da sieht man, wie sehr die Bibel veraltet ist. Wir können durchaus Leben verlängern. Und es ist gut, sich Sorgen zu machen. Sorgen führen zu Vorsorge. Vorsorge-Untersuchungen sind lebenswichtig. Je früher eine Krankheit erkannt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit für ihre Heilung.“

Stimmt alles. Aber auch das ist nicht der Punkt. Es geht Jesus – jedenfalls so wie ich ihn verstehe – darum, die Leichtigkeit des Lebens zu entdecken. „Die Dinge“ – „das Leben“ – nicht so schwer zu nehmen.

Das deutsche Wort „Sorge“ bedeutet zum, einen: „Kummer, Gram“. (Im Russischen ist ein „soroga“ ein „mürrischer Mensch“.) Die Sorge kann selber zum brüllenden Löwen werden, der die Freude am Leben, am auf der Welt sein, auffrisst. So verstehe ich auch den Satz Jesu, dass niemand sein Leben verlängern kann: es geht um die Ungeheuerlichkeit, dass es uns überhaupt gibt, um das Unglaubliche, was alles hat passieren müssen und hat nicht passieren dürfen, dass jeder Einzelne von uns auf der Welt ist. Haben Sie sich das klar gemacht: Ihre Vorfahren mussten irgendwie durch die vielen Kriege durchkommen, die vielen Seuchen und Widrigkeiten überleben, bis es schließlich zu Ihrer Geburt gekommen ist. Und vorher noch: wenn sich das Leben wirklich aus den Einzellern entwickelt hat – welch‘ eine Kette musste da „funktionieren“, durfte nicht abreißen, an deren vorläufigen Ende Sie und ich stehen. Und natürlich wird diese Kette nach uns weitergehen – wie auch immer – und wir verschwinden wieder, sind eben auch nur ein winziges Glied der unendlichen Kette – genannt Leben.

Und so ist es ganz richtig, wenn der 1. Petrusbrief betont: „Haltet fest an der Demut!“ – im Grunde genommen fließen nämlich unsere Sorgen, die uns mürrisch machen und unser Leben vermiesen, aus dem quälenden Anspruch, ein anderes, ein besseres Leben haben zu wollen. Damit verbindet sich die Weigerung, sich ganz auf dieses mein einmaliges Leben einzulassen, mich ihm ganz und gar hinzugeben! Und die Konsequenzen all‘ meiner Entscheidungen und meiner Nicht-Entscheidungen zu tragen, die mich dahin geführt haben, wo ich heute stehe. Der Preis dieser Weigerung ist ein chronisches Gefühl der Unzufriedenheit.

Auch dies ist ein ziemlich nüchterner Gedanke: dass ich es vorziehe, unzufrieden zu sein, zu klagen und zu jammern. Der „Gewinn“ ist, die Sehnsucht nach etwas „Besserem“ aufrecht zu erhalten – der Preis ist die Abwertung der Gegenwart – dessen, was gerade ist.

Mich hat diese Botschaft Jesu zu einem Experiment inspiriert, zu dem ich Sie gerne einladen möchte. Es ist ganz einfach: ich will versuchen, in allem, was ich tue, mitzudenken: „es ist gut genug!“ Und: „Falls jemand anders oder ich selbst (!) enttäuscht ist/bin über mich/ über das was mir gerade möglich ist, ja – dann kann ich das auch nicht ändern.“

Was heißt das konkret? D.h, wenn ich eine Predigt vorbereite, gebe ich mir Mühe, dass mir etwas einfällt, von dem ich hoffe, dass es den Texten gerecht wird und dass die Menschen, denen ich die Predigt halte, etwas damit anfangen können. Aber ich bin nicht allwissend und nicht allmächtig – und es kann gut sein, dass sich etliche enttäuscht abwenden. Das kann ich dann auch nicht ändern. Es sei denn, es ist möglich, mit der Enttäuschung selbst in Kontakt zu kommen.

Wenn Sie mögen, können Sie dies auf Ihren Alltag übertragen: sei es dass Sie kochen, dass Sie putzen, dass Sie ein Gespräch führen … es geht um die Verbindung, dass ich mir Mühe gebe und dass es auch gut genug ist. Mehr noch: dass ich gut genug bin. Und dass ich Enttäuschungen nicht vorbeugend verhindern kann. Es macht mich und den Anderen im übrigen viel freier, wenn auch die Enttäuschung „sein“ darf – Platz bekommt im Miteinander.

Wir können dieses Experiment auch im Umgang mit uns selbst ausprobieren. Im Umgang mit uns selbst geht es um die Enttäuschungen über uns selbst: das zur Kenntnis-Nehmen meines älter werdenden Körpers, meines langsamer arbeitenden Verstandes, meiner fortschreitenden Vergesslichkeit, meiner sich ausbreitenden Müdigkeit. „Es ist gut genug!“ Dies darf alles so sein. Es ist kein Grund, sich darüber zu grämen. Es ist einfach nur der natürliche Lauf der Dinge.

Der „brüllende Löwe“ in uns empört sich darüber: er möchte ewige Jugend, ewige Fitness. Er hasst die Anzeichen des Alters ebenso, wie er Schwäche ablehnt. Ihm gegenüber ist unsere Wachsamkeit gefragt. Nicht mit dem Ziel, den Löwen zu verjagen – das ist ohnehin sinnlos! Wohl aber mit dem Ziel, ihn zu „zähmen“. Zähmen – das haben wir vom kleinen Prinzen gelernt – heißt: „sich vertraut machen“.

Der brüllende Löwe ist zunächst einmal ein hungriger Löwe. Und die Frage ist, ob und wie ihn satt bekommen. Unzufriedenheit könnte man auch als chronischen Hunger nach mehr bezeichnen. Oder eben als die Unfähigkeit, satt zu werden.

Und was sättigt? Die Wahrheit. W. Bion spricht von der „Milch der Wahrheit“, die das Baby benötigt, damit seine Seele wachsen kann. Aber dies gilt nicht nur für das Baby: dies gilt ein Leben lang. Diese Sättigung verbindet sich mit einem Gefühl, zufrieden zu werden. Zufrieden im Sinne von: „es reicht mir – mehr brauche ich nicht.“ Das ist etwas Anderes als eine Befriedigung: die Befriedigung ist ein kurzer Kick und schon fängt das „Sehnen“ wieder an. Befriedigung gehört zu Sucht – Zufriedenheit gehört zu Sättigung. In der Sucht gibt es kein „genug“. Es ist sogar andersherum: je mehr ich versuche, meine Wünsche und/oder die Erwartungen anderer zu befriedigen, desto unzufriedener werde ich. Und desto mürrischer werde ich, weil ich spüre, dass es kein Ende gibt. Es ist so sinnlos wie der Versuch, auf der Autobahn erster zu sein. Auch wenn ich noch so schnell fahre – bei jeder Einfahrt kommen neue Autos dazu.

Nein – es geht nicht darum den brüllenden Löwen zu verjagen: es geht darum, ihn zu befrieden! Und dies lässt sich genauso wenig „machen“, wie sich Wahrheit oder Freiheit, oder Sinn oder gar Liebe „machen“ lässt.

Wir Menschen sind aber „Macher“. Wir wollen wo hin kommen. Immer ein Ziel vor Augen. Wir müssen vorwärts schauen. Vor lauter Vorwärts schauen vergessen wir, Rück-Sicht zu nehmen.

Der große Vorteil von den Sorgen ist, dass mein „Ich“ sie sich machen kann. Und ein Ziel haben wir auch gleich: nämlich, wie kriege ich die Sorgen wieder los.

Der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Und seine eigene Schönheit möchte ich hinzufügen. Die sich mir genau dann eröffnet, wenn ich aufhöre, mir Sorgen zu machen.

Der sorglose Blick sieht die Schönheit des Augen-Blickes. In und mit ihm beginnt das Alltägliche zu leuchten: die Schönheit eines Regentropfens, die Schönheit eines Sonnenstrahls, die Schönheit eines faltig gewordenen Gesichtes, die Schönheit eines Kindes … schauen Sie sich um und lassen Sie zu, dass Ihre Augen weich werden – und Sie werden die Schönheit entdecken, die Sie umgibt. Die immer schon da ist und nur darauf wartet, entdeckt zu werden …. Und in dieser Entdeckung geschieht das, was Jesus „Reich Gottes“ nennt, was immer schon da ist und immer aufs Neue entdeckt werden will, AMEN

Predigt über Matthäus 6, 25 – 34 am 14. Sonntag nach Trinitatis Weiterlesen »

Predigt an Pfingsten 2015 über Johannes 14, 23-27

Predigt an Pfingsten 2015 über Johannes 14, 23 – 27

(gehalten in der Jakobuskirche von Pfr. Dr. Lothar Malkwitz)

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

Pfingsten gilt als Geburtstag des Kirche. Kirche heißt: Christsein in der Welt. So ist Pfingsten für mich inhaltlich die Nagelprobe der Alltagstauglichkeit unseres christlichen Glaubens. Es geht um die Frage, ob und inwieweit unser Glaube alltäglich hilfreich ist. Das Zentrum unseres Glaubens – soweit ich das verstanden habe – ist der Sieg der Liebe über die Mächte des Hasses und der Destruktivität.

So beginnt unser heutiges Pfingstevangelium (der Predigttext) mit dem Satz:

„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten…“

Aber was heißt das: „wer mich liebt, der wird mein Wort halten“?

Und vor allem: was heißt das alltäglich?

Vielleicht sollte ich kurz verdeutlichen, was ich mit „für den Alltag tauglich“ meine: Eine Scheibe Brot und ein Glas frisches Wasser ist alltagstauglich. Eine Sahnetorte ist etwas für den Sonntag. Für den Festtag. Lecker – aber man sollte nicht zu viel davon nehmen. Oder ein Kleidungsstück: es gibt die empfindlicheren Sonntagskleider und die robusten Alltagskleider.

Ich benötige einen Glauben, der alltäglich robust ist. Wenn er sich dann für den Sonntag schön macht – keine Einwände. Ein Glaube hingegen, der einmal in der Woche für eine Stunde Frieden und Liebe singt und predigt und sich predigen lässt – und im Alltag im Schrank abhängt, – dieser Glaube ist – jedenfalls für mich – nicht glaub-würdig. Nicht wert, geglaubt zu werden.

Glaube, Liebe, Hoffnung: das klingt nach Pathos, nach Größe. Wenn es Bestand haben, sich alltäglich bewähren soll, muss es nüchtern sein und werden.

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten…“ die „Worte“ Jesu, seine Botschaft, ist etwas sehr, sehr Nüchternes. Und gerade darin provozierend. Ein paar Zitate: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ „Den Splitter im Auge deines Nächsten siehst du, den Balken im eigenen nicht.“ „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele?“ „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren, wer sein Leben aufgibt, wird es erhalten.“

Das ist nur eine kleine Auswahl von Gedanken, die der- oder diejenige erhalten, die Jesus lieben. Das ist übrigens auch so etwas Nüchternes: Jesus sagt nicht: wer mich liebt, der soll mein Wort halten. Er sagt – als gäbe es nichts Selbstverständlicheres: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten.

Und was ist gemeint mit: „mein Wort halten“?

Ich verstehe darunter zweierlei. Zum einen: das Wort Jesu ist das Wort, die Predigt von der bedingungslosen Zuneigung, Hingabe zur Schöpfung, zum Leben. Und zum anderen: es geht nicht nur darum, dieses Wort von der Liebe zum Leben zu hören, sondern es auch zu halten, es einzuhalten, sich daran zu halten. Danach zu handeln. Und zwar alltäglich.

Und indem ich mich darauf einlasse geschieht etwas Ver-Rücktes: „… und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Je tiefer und selbstverständlicher ich nach dem Wort Jesu lebe, desto tiefer und selbstverständlicher komme ich bei mir selbst an, desto sicherer weiß ich, wer ich bin und was ich zu tun und zu lassen habe auf dieser weiten Welt. Und indem diese Sicherheit in mir wächst, komme ich dem Vater immer näher, kehre ich zu ihm zurück, werde sein Hausgenosse.

Nun könnte man f ragen: was hat der „Vater“ damit zu tun? Wozu brauche ich einen Vater – wenn es darum geht, mir selbst, meinem eigenen, wahrhaftigen Selbst immer näher zu kommen? Ist nicht im Gegenteil der Gedanke an einen Vater hinderlich, da er einen Sohn oder eine Tochter braucht? Und geht es im Leben nicht darum, selber erwachsen zu werden, den eigenen Weg zu gehen und eben nicht den, den (m)ein Vater mit vorschreibt?

Jesus sieht das anders. Im nächsten Vers heißt es: „Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.“

Jesus bezeichnet sich selbst „nur“ als das Sprachrohr des Vaters.

Aber das ist doch Abhängigkeit hoch zwei. Jesus hat also überhaupt keine eigene Sprache, keine eigene Botschaft? Er plappert nur seinem Vater nach?

Nein – er plappert nicht nach: „mein Wort ist das Wort des Vaters.“ Es geht nicht um nachahmen oder nachplappern: es geht um Einheit. Um Eins-Sein. Um eine unglaubliche Über-Ein-Stimmung.

Ich denke, Sie merken: das Alles ergibt überhaupt keinen Sinn, solange als man versucht, es konkret zu verstehen. Im Rahmen der uns bekannten, konkreten Vater-Sohn-Beziehungen. Aber ergibt es überhaupt Sinn?

Vielleicht erinnern Sie sich: ich habe Sie vorhin begrüßt mit dem Wort: die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Dies ist mein ganz eigener Kanzelgruß geworden – beeinflusst durch die Auseinandersetzung mit der jüdisch-christlichen Mystik. Für mich bedeutet „Vater“ die Unerkennbarkeit dessen, was ist. Dessen, was gerade geschieht. Was gerade hier, in diesem Raum geschieht. Die Atmosphäre, die hier entsteht. Die Schwingungen, die hier sind. Die sich mit jedem Atemzug verändern. Weil und indem dies unerkennbar ist, ist der Vater dunkel.

Nun ist es aber auch so, dass wir Menschen die Fähigkeit haben, etwas zu erkennen. Es ist nicht alles dunkel. Und wir Menschen haben – seit es uns gibt – viel erkannt. Allerdings gleicht unser Erkennen, mit dem wir so erfolgreich geworden sind, dem eines Scheinwerfers, der das Dunkle vertreibt. Etwas ganz Anderes ist der Versuch, Licht in das Dunkle zu bringen. Das kann ich nur, indem ich die Gesetze des Dunklen anerkenne und die Suchscheinwerfer meines Verstandes ausschalte. Das Licht im Dunkeln muss sich der Dunkelheit anpassen, es muss selbst dunkel werden. Es muss zu einem „dunklen Strahl werden“, wie der Heilige Joh. Vom Kreuz so schön sagt. Der Christus des Johannesevangeliums ist dieser dunkle Strahl. Und so lässt er diesen Jesus Christus sagen: das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das Wort von dem, der mich gesandt hat. Das Wort Jesu bildet die Dunkelheit des Vaters ab.

Man könnte sagen: aber es heißt doch: das Licht scheint in die Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. Die Finsternis, die hier gemeint ist, ist die Finsternis unseres Verstandes. Ihr ist es nicht möglich, dieses Licht des Sohnes, von dem im Johannesevangelium die Rede ist, zu ergreifen. Hierfür ist unser Verstand nicht geschaffen. Alles was unser Verstand kann, – und ich meine das nicht abwertend, sondern nur eingrenzend – ist, mit seinen blendenden Scheinwerfern, die Dunkelheit zu vertreiben. Was er nicht kann, ist, das Leben im Dunkeln zu sehen! Wir haben vorhin gesungen: „Zünd uns ein Licht an im Verstand…“ Dieses Licht ist der dunkle Schein des Vaters, ist die dunkle Ahnung davon, dass es noch eine ganz andere Welt gibt als die, die wir mit unseren Sinnesorganen begreifen können. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

Wer sich auf dieses Geschehen einlässt, der erleidet elende Gefühle. Johannes vom Kreuz hat sie als das Grauen der drei dunklen Nächte bezeichnet: die dunkle Nacht der Sinne, des Verstandes und der Seele. Die Worte Jesu halten bedeutet also, sich in diese dunklen Nächte zu begeben. Wer das nicht will oder kann, von dem heißt es:

Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte auch nicht.“ Auch das ist eine nüchterne Feststellung – ohne drohend-erhobenen Zeigefinger.

Für die Menschen aber, die die Worte Jesu versuchen zu halten – und mehr als ein Versuch ist in diesem Leben nicht möglich – für die Menschen, die eine Ahnung von der Dunkelheit des Weges zu Gott haben – für sie gibt es einen Trost, mit dem das Entsetzen der Dunkelheit erträglich(er) wird: und das ist der Heilige Geist.

Im Johannesevangelium heißt er der Tröster.

Das habe ich geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“

Der Trost des Trösters besteht darin, dass in ihm der Vater und der Sohn gegenwärtig sind. Jesus ist gar nicht verschwunden, er hat sich nur der Welt des Sichtbaren entzogen. Und hatte er nicht gesagt: „mein Reich ist nicht von dieser Welt“? Das Reich Jesu Christi, das Reich Gottes – es liegt im Dunklen. Das heißt aber nicht, dass es eine Illusion ist, dass es das gar nicht gibt. Es gibt es nur nicht so, wie wir uns das vorstellen. Wie unser Verstand es gerne hätte. Hierhin gründet, dass jeder Versuch, eine Gottesherrschaft in dieser Welt zu etablieren, Ausdruck der Abwendung von Gott ist. Mit Gottesherrschaft meine ich nicht nur die religiösen Fundamentalismen, ich meine auch all jene, die an der Stelle der Dunkelheit Gottes sich einen Ersatzgott/ -götzen gemacht haben: sei es ewige Jugend, sei es Geld, sei es Auto sei es Reisen, sei es Arbeiten, sei es Psychoanalyse, sei es Theologie und so weiter …

Der letzte Satz unseres Predigttextes veranschaulicht den Trost des Trösters, gibt ihm seinen Inhalt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“

Wer auf dem dunklen Weg zum Vater ist, wer ihn liebt und bei ihm wohnt, in dem zieht Frieden ein. Ein Friede, der dieser Welt nicht bekannt ist: ein Friede in der Tiefe, ein Friede im Inneren. Der Friede, den diese Welt schenken kann, ist der Friede einer Befriedigung: ein Ziel erreicht zu haben, wieder gesund worden zu sein, eine Prüfung bestanden zu haben, etwas Schönes, Neues bekommen zu haben.

Der Friede, den diese Welt nicht geben kann, der entsteht im Erleben des eigenen Ganz-Seins. Oder Heil-Seins. Es ist ein Friede, den ich nicht machen kann, dem ich mich nur zur Verfügung stellen kann: in dem ich mich ganz und gar dem, was ist, überlasse. In dem ich nicht mehr gegen die dunklen Seiten der Wirklichkeit ankämpfen muss. In diesem Frieden dürfen meine Mitmenschen so sein wie sie sind, darf mein Leben so von mir gelebt worden sein, wie es eben gelebt worden ist … Auf einmal entsteht Raum für mich und die Anderen und in diesem Raum entsteht Ruhe und Gelassenheit und Heiterkeit. Der Weg zu diesem Frieden geht freilich nicht ohne Erschrecken und ohne Ängste. Deshalb ist es gut, sich auf diesem Weg begleiten zu lassen. (Und oder den Heiligen Johannes vom Kreuz lesen!)

Mit diesem Frieden endet (nicht nur) diese Predigt. Sie kommt von der Dunkelheit des Vaters her, versucht ein wenig Licht in dieses Dunkle zu bringen (das Licht des Sohnes) und mündet in die Liebe und den Frieden des Heiligen Geistes. Und jetzt, am Ende, ist es nur recht und gut, auch diese Predigt-Gedanken der Dunkelheit anzuvertrauen mit der vertrauten Bitte: Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Denken und Sprechen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

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Predigt über Lukas 2, 41 – 52

Liebe Gemeinde,

gerade noch haben wir Weihnachten gefeiert, die Geburt des Messias in uns, in unserem Leben. Und schon ist dieser Messias herangewachsen, ist volljährig. Volljährig wurde man als Israelit mit 12 Jahren, also mit Eintritt der Geschlechtsreife. Ab da wurde man auf das Gesetz Mose verpflichtet und galt – auch was die Verfehlungen anging – als Erwachsener!

Sie wissen, liebe Gemeinde, dass mein Anliegen es ist, Tiefendimensionen der biblischen Schriften aufzuzeigen. Ich versuche, die biblischen Texte so zu lesen und auszulegen, dass sie seelische Entwicklungsprozesse abbilden. Ich bin der sicheren Überzeugung, dass dieser Zugang zur Bibel zur Gesundung, zum Heil-Werden unserer Seele beiträgt. (Dies ist übrigens ebenfalls eine alte jüdische Tradition: es ist alter jüdischer Brauch, in Zeiten ernster Gefahr, bei tödlichen Epidemien die Thora – also die ersten fünf Bücher Mose – die sonst im Lehrhaus bleiben muss, durch die Straßen der vom Untergang bedrohten Stadt zu tragen, damit die Plage endet. (Vgl. Weinreb: Schöpfung im Wort)

Also – was bedeutet auf einer tieferen, unbewussten seelischen Ebene das vorhin gehörte Evangelium?

Nehmen wir noch den Wochenspruch dazu: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und voller Wahrheit.“ (Joh. 1,14b). Hierher gehört auch die Epistel aus dem 1. Johannesbrief:

„Gott gab uns das ewige Leben, und eben dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn in sich hält, der hält das Leben in sich. Wer das Leben nicht in sich hält, der hält auch nicht den Sohn Gottes in sich.“

Es ist also das Sohn-Sein, die „Sohnschaft“, um die es heute geht.

(Das Rechtschreibprogramm von Microsoft Word kennt übrigens den Begriff „Sohnschaft“ nicht; es schlägt stattdessen „Sohnschuft“, oder „Sohnchaot“ oder „Sohnschaf“ vor! Welche Vater-Sohn-Beziehung hat wohl der Programmierer dieses Programms erlebt?)

Sehen Sie: das passiert, wenn man Texte zu wörtlich nimmt. Es entstehen Missverständnisse. Ein weiteres Missverständnis wäre es, den Text als frauenfeindlich abzuwerten: so als ginge es nicht auch um Töchter und Mütter! Dies führt in die Irre: es geht um das Nachdenken darüber, wie der Messias in uns wachsen und sich entwickeln kann – unabhängig von unserem Geschlecht.

Der Messias – das ist unsere innere Weisheit, unsere inne Gelassenheit, unsere innere Sicherheit, unsere innere Ruhe. Es ist auch unsere innere Liebesfähigkeit, unsere Kraft der Einfühlung in Fremdes. Es ist auch unser Mut und unsere Besonnenheit, es ist unsere Liebe und unsere Großzügigkeit.

Wie kann dies alles wachsen und sich in uns entfalten? Das ist die große Frage.

Nun braucht der Messias in uns Eltern. Gute Eltern. Was sind gute Eltern? Gute Eltern sind Eltern, die das Anders-Sein und Anders-Werden ihrer Kinder nicht nur ertragen, sondern liebevoll begleiten. Mit „anders“ meine ich: anders als die (wir) Eltern selbst sind. Die Verzweiflung über unsere „Sprösslinge“ hat stets damit zu tun, dass sie nicht so „geraten“, wie wir uns das wünschen. Die Betonung liegt auf „wir“. Dies gilt nun wiederum nicht nur im außen, in der Welt des Konkreten, sondern ebenso und ganz besonders für unsere innere, für unsere seelische Welt. Unsere Seele ist unser „Sprössling im Inneren“ – sie möchte ebenfalls „sprießen“, sich entwickeln und so gesunden, ganz werden, heil werden.

Als gute Eltern haben wir zu ertragen, dass diese Entwicklung des Messias in uns mit „Schmerzen“ und Gefühlen tiefer Verunsicherung und Verzweiflung einhergeht. Weshalb?

Weil wir ihn nicht besitzen können. Er ist lebendig – und als Lebendiger nicht verfügbar. Dies erleiden Maria und Josef, als sie plötzlich merken, dass ihr Sohn Jesus nicht da ist, wo sie ihn vermuten. Nämlich irgendwie bei ihnen oder in ihrer Nähe. Die Vermutung ist naheliegend: er muss noch in Jerusalem sein. Aber Maria und Josef sind bereits eine Tagesreise von Jerusalem entfernt! Und es gab kein Handy, kein What’s App … (Aber das wäre schon wieder ins Konkrete gegangen.) Der Messias in uns hat sich verselbständigt.

Vielleicht kennen sie so etwas aus Träumen: dass ihnen etwas oder jemand verloren geht. Und zwar etwas oder jemand, den sie brauchen und lieben, an dem Ihr Herz hängt. Und dass sie verzweifelt suchen und es/ihn nicht mehr finden. Bzw. die Erleichterung, wenn er/es dann doch wieder auftaucht!

Dieses seelische Geschehen bildet sich in unserer Geschichte ab. Nachdem die Suche bei Bekannten und Verwandten erfolglos blieb, kehren Maria und Josef um. Sie gehen zurück nach Jerusalem. Auch dies ist ein wesentliches seelisches Geschehen: die Bewegung zurück. Oftmals muss man in Träumen alte, im konkreten Leben längst vergangene Orte aufsuchen, um noch etwas zu erledigen: eine Prüfung nochmal schreiben, noch mal jemanden, der früher einmal wichtig gewesen ist, begegnen usw. Diese Rückwärtsbewegungen sind oft nötig für weiteres Wachstum. Seelisches Wachstum geschieht nämlich nicht linear fortschreitend, sondern in spiralförmiger Bewegung. Und so entwickelt sich auch unsere Geschichte. Der Messias ist an einem völlig unvermuteten Ort. Er ist der Fremde, der Andere – so kann er nicht bei den Bekannten und Verwandten gefunden werden. Er findet sich im Tempel! Jesus bezeichnet den Tempel als „das, was meines Vaters ist.“ Und vorher heißt es : „Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen.“ (V. 46b)

Das kann man natürlich als Anspielung auf Tod und Auferstehung Jesu lesen. In der inneren Welt bedeutet es den unweigerlichen Zusammenhang von Opfer und neuer Lebendigkeit. Der Tempel ist der Ort des Opferns. Der Tempel ist der innere Ort, an dem ich all‘ das aufgebe – in diesem Sinne opfere – was mich von meiner Beziehung zum Vater, zu Gott abhält. Was zwischen mir und ihm steht.

Im Tempel bringe ich mich Gott näher. Dafür muss ich das opfern, was mich von Gott entfernt.

Und was ist das?

Es ist die Verführung der Schlange, der ich erlegen bin. Das „Ihr werdet sein wie Gott!“ Es ist das Sich-selbst-Absolut, sich selbst an die Stelle Gottes Setzen. Diese Verführung, der ich als Mensch erlegen bin, weil ich ein Mensch bin – diese Verführung ist rückgängig zu machen. Sie ist zurück zu binden zu Gott. Für diese Rückbindung brauche ich den Messias.

Das hebräische Wort Messias (der „Gesalbte“) hat übrigens denselben Zahlen Wert wie das Wort für „Schlange“. Die Schlange ist gleichsam der Minus-Messias, das Prinzip, das von Gott wegführt. Der Messias führt zu Gott zurück: er ist selbst Gott – er ist die Selbst-Offenbarung Gottes, des Vaters. So ist sein Platz, seine Heimat im Tempel.

Liebe Gemeinde,

sie haben mein volles Verständnis, wenn sie das alles nicht so recht verstehen. Mir geht es genauso. Und Josef und Maria ging es ebenso: „Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.“

Es ist auch nicht nötig, dass wir das alles verstehen. Viel wichtiger ist unsere Haltung, die wir dazu einnehmen. Hier ist Maria für mich vorbildlich: sie „behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“ (Dasselbe hieß es übrigens schon einmal: als die Hirten den erstaunten Eltern die Botschaft der Engel kundtaten.) Wir Menschen neigen dazu, das, was wir nicht verstehen, auszuscheiden, von uns zu weisen, damit nichts zu tun haben zu wollen. Das ist völlig in Ordnung – es hat nur den Preis, dass wir wenig Neues an uns heran lassen. Wenig Neues erleben werden.

Die Worte des Anderen „im Herzen behalten“ – auch und gerade wenn ich sie nicht verstehe: ohne gleich etwas zu erwidern. Ohne gleich ein „Ja, aber…“ hinterher zu setzen. Das eh meist nur zu Verhärtungen führt: das ist eine Haltung, die ich mir für 2015 vornehmen möchte. Es ist die Haltung der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit – gerade für das Fremde, Neue, Ungewohnte.

Das sich oft im ganz gewöhnlichen Alltag abspielt. Hierzu gibt es eine schöne Geschichte von Anthony de Mello:

Es ist Morgen. Ein Vater klopft an der Tür seines Sohnes und ruft: ‚Wach auf.‘ Der Sohn antwortet: ‚Ich möchte nicht aufstehen, Papa.‘ Der Vater ruft daraufhin laut: ‚Steh auf, du musst zur Schule.‘ Der Sohn antwortet: ‚Ich möchte aber nicht zur Schule.‘ ‚Warum denn nicht?‘, fragt der Vater. ‚Aus drei Gründen‘, sagt sein Sohn. ‚Einmal, weil es doof ist, dann, dann weil die Kinder mich aufziehen, und schließlich, weil ich die Schule hasse.‘ Darauf der Vater: ‚Ich nenne dir drei Gründe, warum du zur Schule gehen musst. Zum einen, weil es deine Pflicht ist. Dann: du bist 45 Jahre alt; und schließlich: du bist der Klassenlehrer.‘

Auch eine Vater-Sohn-Geschichte. Und eine Geschichte für ins Leben kommen. Und dieses ins Leben kommen ist gar nichts Großes. Es geht nicht um die ultimative Reise, das ganz tolle Hotel, das wahnsinnige Auto oder was sonst noch. Ins Leben kommen heißt: „tue, was deine Pflicht ist.“ Oder anders ausgedrückt: „Du bist frei für, was du tun musst.“ Würde jeder Mensch an der Stelle, an der er steht, das tun, was zu tun ist, was seine Aufgabe ist – es würde genügen. Aber dazu müssten wir das eigene Leben akzeptieren, so wie es ist, mit allen Licht- und Schattenseiten. Dazu müssten wir unser So-geworden-Sein akzeptieren und unser Nicht-anders-Geworden-Sein. Dazu müssten wir die Ordnungen, Regeln und Gesetze akzeptieren und uns daran halten, die in unserer Gesellschaft gelten. Und dann wäre Schluss mit den Redewendungen: „das sehe ich gar nicht ein, weil … Sollen doch erst mal die Anderen! Oder: Das muss man doch ausnützen!“ Das sind Sätze, in denen die Verführung, die Schlange aus uns heraus spricht. Indem ich mich zu Gott zurückbinden lasse, verliert diese Verführung ihre Macht über mich. Ich will dann gar nicht mehr so sein wie Gott – sondern freue mich daran, in tiefer inniger Beziehung zu Gott leben zu dürfen. Und so geschieht, was im 1. Johannesbrief formuliert worden ist: „Wer den Sohn in sich hält, der hält das Leben in sich.“ Ich wünsche Ihnen und mir, dass dieser Sohn, dieser Messias in diesem Neuen Jahr in uns weiter wachsen darf und dass wir alltäglich in Beziehung mit ihm bleiben dürfen und er in uns zunimmt an „Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“, AMEN.

Predigt über Lukas 2, 41 – 52 Weiterlesen »

Silvesterpredigt 2014 über Lukas 12, 35-40

Liebe ökumenische Gemeinde,

ich weiß nicht, wie es mir jetzt erginge, wenn ich an Ihrem Platz, als ganz normaler Gottesdienstbesucher, heute mit dabei wäre. Ich vermute, der Text aus dem AT, Jesaja 42 – dass er das geknickte Rohr nicht brechen und den glimmenden Docht nicht erlöschen wird – würde bei mir Befremden auslösen. Was wäre das denn für ein Gott, der das ohnehin schon geknickte Rohr bricht, den ohnehin nur noch glimmenden Docht auslöscht? Ein Sadist?

Und das Evangelium: na ja, das ist die bekannte Ermahnung, „seid bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“ Und zur Ermahnung gehört die Androhung der Konsequenzen: gut verpackt in dem „selig sind die Knechte, die wach sind!“ Es bleibt uns überlassen, sich auszumalen, was mit den Knechten passiert, die eingeschlafen sind. Jedenfalls sind sie nicht selig! Heißt genauer: die haben Pech gehabt. Selber schuld, wenn sie schlafen! Und das Kommen des Messias verpennen. Kann man ihnen auch nicht helfen.

Ein freundlicher Messias ist das für mich auch nicht. Ein freundlicher, liebevoller Messias, der würde doch die schlafenden Knechte aufwecken – um dann mit allen gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu Abend essen? Oder etwas nicht?

Mir ist aufgefallen, dass in den von mir recherchierten Predigten zu diesem Text kein einziger Prediger diese naheliegende Frage stellt: warum weckt denn der Messias, der doch angeblich Ausdruck der unendlichen Geduld, Barmherzigkeit und Liebe Gottes ist, die schlafenden Knechte nicht auf?

Wahrscheinlich darf man als evangelischer Pfarrer oder als katholischer Priester so nicht denken.

Als jüdischer Rabbi schon eher: „Will der Messias in Ruhe kommen, dann mag er kommen; wir warten sehnsüchtig auf ihn. Will er aber im Sturm kommen und Leid und Not über die Welt bringen, dann soll er überhaupt nicht kommen, dann bedürfen wir seiner nicht und verzichten auf ihn!“ So hat sich Rabbi Meir einmal geäußert. Ganz schön mutig!

Wenn uns Christen nichts anderes einfällt, als die bekannte Botschaft: „wenn du nicht brav bist, dann mag dich der liebe Gott nicht“, dann ist es gut, wenn das Christentum allmählich ausstirbt. Diese Botschaft kann getrost entsorgt werden.

Ja und dann?

Haben wir dann noch etwas zu sagen?

Ich denke doch. Freilich etwas anderes. Etwas radikal anderes.

Der alte Karl Rahner hat einmal gesagt: „Das Christentum der Zukunft wird ein Mystisches sein, oder es wird nicht mehr sein!“

Was heißt das?

Ich werde Ihnen veranschaulichen, was ich darunter verstehe, indem ich mich dem vorhin gehörten Texten neu zuwende.

Die entscheidende Frage ist, wofür ich die Gedanken, die ich denke, die Texte, die ich lese, verwende. Eine verbreitete Verwendung von Religion ist es, den eigenen Hass, den eigenen Neid so in Predigtgedanken und Textauslegungen unterzubringen, dass die Welt zerfällt in die Falschen und die Richtigen, in die Bösen und die Guten. Und der, an den ich glaube, der Messias, oder Mohammed, oder wer auch immer, der ist natürlich auf meiner Seite: er gehört – wie ich, wie wir – zu den Richtigen, den Guten!

Nun geht es in unserem Evangelium – um damit zu beginnen – aber überhaupt nicht um richtig oder falsch: es geht um eine bestimmte Haltung zum Leben. „Seid auch ihr bereit!“ Das ist die Botschaft unseres Textes. Im Griechischen heißt das: „Ginesthe hetoimoi!“ „Hetoimoi“ heißt „bereit“. „Ginesthe“ kommt von „ginomai“ (altgriechisch „gignomai“) und das heißt in seiner Grundbedeutung: „zum Dasein gelangen, werden, entstehen!“

Das heißt, es wäre ungefähr so zu übersetzen: euer Bereit-Sein ist eines, das im Werden, im Entstehen ist. Ihr könnt es genau nicht machen! (Das gilt übrigens auch für den „Sinn“, von dem wir meinen, er wäre machbar: „das macht Sinn!“ Was wir machen können, ist höchstens Un-Sinn. Aber auch das stimmt nicht. Michel aus Lönneberga wusste es: „Unsinn“ oder „Unfug denkt man sich nicht aus. Unfug wird’s von ganz allein. Aber dass es Unfug war, weiß man erst hinterher.“ „Dann, wenn Papa Miichel schreit“, sagte Ida. )

Was können wir dann machen? Wir können versuchen, uns etwas bewusst zu machen. Um mir etwas bewusst machen zu können, muss ich aus der Selbstverständlichkeit und Routine meines Lebens ein bisschen aussteigen. Ich muss die Kraft haben, meine Gedanken, mein Tun in Frage zu stellen. Dies erfordert Kraft, weil damit eine Verunsicherung einhergeht. Gängigerweise quillt meine Sicherheit daraus, dass etwas so ist, wie ich es sage, sehe, meine.

Seid bereit!“ hieße dann: versucht in einer Haltung zu leben, in der ihr offen/bereit für das Unerwartete, für die Überraschung seid. Dies ist eine Haltung in der ich mich von meinem Vorher-Wissen: „wie es denn sein wird“ distanziere. Einfaches Beispiel: was Sie mit diesen Gedanken, die ich hier äußere, machen, darauf habe ich keinen Einfluss mehr. Indem ich dies anerkenne, entsteht zwischen Ihnen und mir Freiheit. Aber eben auch Ungewissheit.

Und eben diese Ungewissheit tut so gut.

Solange sie nicht zu viel Angst macht. Angst ist ein großer Gegner der Ungewissheit. Die Kraft, die Angst mildert, heißt Vertrauen. Hierher gehört unser Text aus dem AT: „Er wird das geknickte Rohr nicht brechen!“ Das geknickte Rohr – das bin ich in meinen Ängsten, in meiner Zaghaftigkeit, in meiner Unsicherheit. „Der glimmende Docht“ – das bin ich in meiner Dunkelheit, in meiner Müdigkeit, in meinem Abgebrannt-Sein.

Je mehr mich meine Ängste umfangen und einschließen, desto erschöpfter werde ich sein. Desto weniger Platz für Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Achtsamkeit finde ich in mir. Desto mehr ziehe ich mich in meine Welt hinein zurück und versuche so durchzukommen, dass ich nichts und niemand mehr an mich wirklich herankommen lasse. Da kann dann selbst der Messias an meiner seelischen Türe klopfen – ich werde ihn nicht hören. Ich will nämlich nur mehr eines: „meine Ruhe!“

Wer sich auf den Messias wirklich einlässt, dessen „Ruhe ist hin“. Zumindest an der Oberfläche. Wer den Messias in sich hinein lässt, der lässt das Leben in sich hinein. Das Leben aber ist nichts Perfektes, nichts Abgeschlossenes. Leben ist immer vor-läufig, voller Überraschungen. Und das sind durchaus nicht nur schöne Überraschungen.

Und weil Leben so ist, habe ich aufgegeben, mir gute Vorsätze zu machen. Selbst die besten Vorsätze sind hausgemacht. Ich will in 2015 eine Haltung finden, die sich in unseren Texten ausdrückt: die Haltung der Achtsamkeit für mich und all jene und jenes, womit ich zu tun habe. Ich weiß, dass diese Haltung eines starken Vertrauens bedarf. Auch dieses finde ich in den Texten der Bibel. Und ich hoffe, dass ich es täglich neu geschenkt bekomme. Und mit Michel aus Lönneberga bin ich der sicheren Überzeugung: was es war, was es bedeutete, was ich da zu erleben habe – davon bekomme ich immer erst im Nachhinein eine Ahnung oder manchmal auch ein Wissen. Leider gibt es keinen Papa mehr, der „Miichel“ schreit – woran man sich dann orientieren könnte.

Zur Veranschaulichung meiner Gedanken und zum Abschluss meiner Silvesterpredigt noch eine Geschichte – von Anthony de Mello mit leichten eigenen Abwandlungen:

Der Priester gab bekannt, dass Jesus Christus selbst am nächsten Sonntag in die Kirche kommen würde. Die Gemeinde kam in großer Zahl um ihn zu sehen. Jedermann erwartete, dass er predigen würde. Jeder bot ihm Gastfreundschaft für die Nacht an, besonders der Priester, aber er lehnte höflich ab. Er sagte, er wolle die Nacht in der Kirche verbringen.

Am nächsten Morgen schlich er sich früh davon, noch ehe die Kirchentore geöffnet wurden. Und zu ihrem Entsetzen entdeckten der Priester und die Gläubigen, dass ihre Kirche mutwillig beschädigt worden war. Überall an den Wänden stand geschrieben: „Gebt Acht!“ Kein Teil der Kirche war verschont geblieben, Türen und Fenster, die Säulen, die Kanzel, der Altar, nicht einmal die Bibel auf dem Pult. „Gebt Acht!“ In großen oder kleinen Buchstaben war es eingekratzt mit Bleistift, Feder, in jeder nur denkbaren Farbe hingemalt. Wohin das Auge blickte, sah man die Worte: „Gebt Acht, gebt Acht, gebt Acht, gebt Acht!“

Erschreckend, aufreizend, verwirrend, faszinierend, furchterregend. Worauf sollten sie Acht geben? Das stand nicht da. Es hieß nur „Gebt Acht!“ In einer ersten Regung wollten die Leute jede Spur dieser Schmiererei, dieses Sakrilegs wegwischen. Nur der Gedanke, dass Jesus selbst es getan hatte, hielt sie davon ab.

Nun begann dieses geheimnisvolle „Gebt Acht!“ in das Innere der Menschen einzusinken, wenn sie die Kirche betraten. Sie begannen auf die Heilige Schrift achtzugeben und lernten daraus für ihren Alltag. Sie begannen auf die Sakramente zu achten und lernten daraus für ein ganzheitliches Leben. Der Priester begann darauf acht zu geben, was die Bedürfnisse seiner Gemeinde sind und wie er mit ihnen in Kontakt kommen könnte. Und jedermann begann auf die eigene Religion zu achten in liebevoller Toeleranz für die anderen Religionen: denn wer nicht Acht gibt wird leicht selbstgerecht. Sie begannen die Gebote zu achten, sodass sie gesetzestreu wurden und barmherzig blieben gegenüber denen, die sich damit schwer taten. Sie begannen auf das Gebet achtzugeben; sie leierten es nicht mehr herunter und entdeckten so die alten Gebte ganz neu. Allmählich verwandelte sich sogar ihre Vorstellung von Gott: indem sie sich bewusst wurden, was sie mit „Gott“ verbanden, erkannten sie Gott immer häufiger außerhalb der Kirche – im Alltag ihres Lebens.

Schließlich schrieben sie das aufrüttelnde Wort über den Eingang ihrer Kirche, und wenn man in der Nacht vorbeifährt, kann man es in mehrfarbigem Neonlicht über der Kirche leuchten sehen: „GEBT ACHT!“

Gebe Gott, dass diese Neue Jahr unsere Achtsamkeit schärft. Gebe Gott, dass unsere Bereitschaft, uns auf Unerwartetes und nicht Vorhergesehenes einzulassen, wächst. Gebe Gott, dass unser Vertrauen alltäglich unsere Ängste besiegt, so dass wir die eigentümliche Färbung der vielen Lebensaugenblicke, die uns noch geschenkt werden, dankbar und innig empfangen dürfen. Gebe Gott, dass aus unseren Augen seine Liebe ausstrahle und unsere Handlungen vom Geist seiner Barmherzigkeit durchweht werden, AMEN.

Silvesterpredigt 2014 über Lukas 12, 35-40 Weiterlesen »

Predigt über Lukas 2, 15-20 am 1. Weihnachtsfeiertag 2014

Liebe Gemeinde,

„Weihnachten ist wie frisch gefallener Schnee – er deckt alles zu, aber darunter bleibt alles beim Alten!“

Mit diesem Satz begann vor genau 31 Jahren meine erste Weihnachtspredigt. Ich habe sie hier, an diesem Ort gehalten, natürlich nicht am ersten, sondern am zweiten Weihnachtsfeiertag, wie es sich für einen Vikar geziemt.

Und: natürlich war der Satz provozierend. „Wir lassen uns von Ihnen doch Weihnachten nicht versauen“, wurde mir empört gesagt.

Ja – und heute stehe ich wieder da, halte erneut eine Weihnachtspredigt, diesmal aber bereits am ersten Weihnachtsfeiertag. Eindeutig ein Aufstieg!

Nun ist es ja so, dass die Predigtgedanken zuallererst mit dem Prediger selbst zu tun haben. Im Nachhinein war die damalige nicht sehr besinnliche Einleitung meiner Weihnachtspredigt natürlich meinem eigenen Unmut geschuldet, meinem Gefühl, dass wirkliche Veränderung etwas anderes ist, als frisch gefallener Schnee, der nur zudeckt. Heute würde ich dieses Bild so nicht mehr verwenden: immerhin schützt die geschlossene Schneedecke auch, verhindert das Erfrieren frostempfindlicher Pflanzen, erspart das Anhäufeln von Rosen. So hat Schnee – neben seiner Schönheit – auch sein Gutes.

Das ist doch das Schöne am Älterwerden: es findet auch ein Milder-Werden statt!

Das vorhin gehörte Evangelium, das heute zu predigen ist, handelt von den Hirten. Sie sind es, die gemäß des Lukasevangeliums als erste von der Geburt des Messias erfahren. Von den Engeln erhalten sie die frohe Kunde, dass „heute der Heiland geboren ist“. Unser Predigttext setzt da ein, wo die Hirten beschließen, nach Bethlehem zu ziehen, um sich selbst davon zu überzeugen, was da geschehen ist:

„Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ (Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um und priesen Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.)

Üblicherweise heißt es, die Hirten repräsentieren die Armen: und gerade das sei der Fokus des Lukasevangeliums, dass der Messias den Armen und nicht den Reichen oder den Weisen, dem Establishment zuerst erscheint. Das ist sicher richtig.

Ich möchte aber noch auf etwas anderes hinweisen. Der Hirte ist jemand, der sich in der Natur auskennt. Er lebt in und mit der Natur. Und er ist in erster Linie ein Behüter, ein Bewahrer und Beschützer des Animalischen: seiner Herde.

Ich habe gestern gesagt, dass es die Aufgabe von Josef, der männlich-ernährenden Kraft, ist, die messianische Schwangerschaft von Maria zu beschützen. Er „berührte“ sie in der Zeit der Schwangerschaft nicht, will sagen, er drang nicht ein in die Wachstumsbeziehung in der und aus der heraus der Messias wächst. Ich habe auch gesagt, dass ich die Geschichte von der Geburt des Messias wie einen Traumbericht lese, der von dem seelischen Geschehen der Entwicklung des Messias in uns handelt.

Die Hirten stellen in diesem träumerischen Blick auf Weihnachten ebenfalls Kräfte des Behütens in uns dar. Bei vielen von uns sind diese Kräfte in der Regel schwach entwickelt, da wir verlernt haben, in und mit der Natur zu leben. Die Natur ist ein guter Lehrmeister für Fähigkeiten, von denen wir gefährlicherweise meinen, sie hätten sich erübrigt. Bewahren, behüten, wachsen-lassen – und das Aushalten von Vergänglichkeit! – dies ist viel anstrengender und herausfordernder als Lebensmittel im Supermarkt einzukaufen. Dazu gehört auch das Schlachten der Tiere. Wer von uns würde noch Fleisch essen, wenn er vorher das Tier, von dem das Fleisch stammt, eigenhändig töten müsste?

(Nebenbei: dem AT zufolge ist der erste Mörder der Menschheit, Kain, ein Ackerbauer, der seinen Bruder Abel, den Hirten, erschlägt. Hintergrund ist: dass Gott gnädig auf das Tieropfer blickt – das vegetarische Opfer des Ackerbauers aber ignoriert. Diese Kränkung führt zu dem Mord. Und zugleich wird Kain von Gott behütet und mit dem berühmten Kainsmal „geschützt“! Aber diese Gedanken gehören in eine andere Predigt.)

Wir haben gesagt: die herausragende Kraft der Hirten ist die des Behütens. Hierzu gehört eine weitere Fähigkeit, die ebenfalls recht anstrengend ist: Ab-Warten zu können. Diese Fähigkeit verbindet und entfaltet sich in dem Gefäß der Geduld. Geduld – das „Dulden“ steckt darin, heißt vor allem Anderen: aushalten, dass es so ist, wie es ist, dass ich so bin, wie ich bin, dass der Andere so ist, wie er ist. Dies ist umso schwieriger, je turbulenter es in mir oder im Außen zugeht. Je heftiger die Emotionen, desto herausfordernder ist es, geduldig zu bleiben.

Starke Emotionen verunsichern. Und ängstigen. Unsere Sinne und unser Verstand verleihen uns vermeintliche Sicherheit. Das Erleben von Neuem, das Erleben Gottes, ist nur möglich, indem wir diese Sicherheit im Stich lassen. Der Heilige Johannes vom Kreuz nennt dies die beiden dunklen Nächte: die der Sinne und die des Verstandes.

Von daher stimmt es genau, wenn es heißt: Die Hirten hüteten des Nachts ihre Herde. In der Nacht legen sich unsere Sinne und unser Verstand zur Ruhe. Dadurch sind wir freier für eine andere Art der Wahrnehmung. Die unweigerlich mit Angst einhergeht: „Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie und sie fürchteten sich sehr.“

Man könnte meinen, dass es eigentlich doch etwas sehr Schönes ist, wenn die „Klarheit des Herrn“ um mich leuchtet. „Er lasse sein Angesicht leuchten über uns…“ Ja, das ist der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Wir brauchen starke Hirten in uns, die unsere Ängste und unsere Unsicherheiten ertragen, um die „Frohe Botschaft“ überhaupt hören zu können. Solange unsere Sinne und unser Verstand uns dominieren, sind wir taub für die Botschaft, dass „uns der Heiland geboren ist“.

Die Hirten in uns sind die Führer und Bewahrer unserer inneren Herde. Sie sind noch wach, während „der Rest, die Herde unserer Gedanken und Empfindungen“ in uns bereits schläft. So stehen sie „zwischen“ unserem Verstand und unseren Sinnen auf der einen Seite und der Botschaft der Engel auf der anderen.

Und während die Herde weiter schläft, setzen sich die Hirten in Bewegung. Sie vertrauen der Botschaft, die da von oben kam, so sehr, dass sie kurzzeitig sogar ihre Herde alleine lassen. Sie beschließen nach Bethlehem zu gehen, „und die Geschichte zu sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat“.

Auch dies geschieht in der Stille der Nacht.

Und dann sehen sie diese Drei, die wir in unseren Krippen nachbilden und nachspielen. Die Keimzelle der Familie: Papa-Mama-Baby – Josef-Maria-und das Christkind.

Und nu? Eine ganz gewöhnliche Familie, könnte man sagen. Wo bitte ist das Besondere?

Oftmals ist das Besondere gerade das Alltägliche, das scheinbar Normale. Erlösung, Gesundung, Heilung geschieht nicht in Superlativen. Jesus Christus ist von Anfang an kein Superheld, kein Herkules, der im zarten Alter von acht Monaten zwei Schlangen erwürgt. Jesus Christus ist einer von uns – wie sollte es auch anders sein, wenn wir ernst nehmen, dass Gott Mensch geworden ist.

Und doch ist er auch der, der uns retten kann, der Messias. Er kann uns retten, indem wir diesen Messias in unser eigenes Leben hinein lassen. Indem wir mit ihm schwanger gehen.

Dazu muss viel Altes zur Ruhe gebracht werden. Die Geburt des Messias geschieht in der Stille, in der tiefen Dunkelheit der Nacht unseres seelischen Erlebens. Und damit geschieht echte Veränderung. Die dunkle Nacht ist der Zeit-Raum für Veränderung, ähnlich der weißem Schneedecke, in und unter deren Schutz neues Wachstum geschieht.

Und so ist es auch stimmig, dass die Hirten es sind, die als Erste die die Botschaft von der Menschwerdung Gottes ausbreiten. Nicht die Mächtigen, nicht das religiöse oder politische Establishment erfahren als erste, was da im Gang ist.

Es sind die Hirten.

Die Mächtigen – Repräsentant König Herodes – reagieren mit Angst und Schrecken. Sie fürchten um den Verlust ihrer Macht.

Auch das stimmt: je inniger und sicherer der Messias in uns geboren wird, desto weniger Einfluss haben die alten Machthaber auf unser Leben. Die alten Machthaber, die uns einreden wollen, wir könnten das Leben kontrollieren, in den Griff nehmen. Herodes veranlasst, alle männlichen Kinder, die nicht älter als zwei Jahre sind töten zu lassen. Macht, Gewalt, Kontrolle – dies sind Geschwister. Dahinter steht Angst, nackte Existenz-Angst.

Und alle, vor die das Wort (der Hirten) kam, wunderten sich über das, was die Hirten gesagt hatten“ heißt es weiter. Das ist sehr neutral formuliert. Sich wundern geht von „so ein Blödsinn!“ bis zu einem neugierigen Erstaunen und Weiterwirken- Lassen. Maria ist die Repräsentantin für Letzteres: „Sie behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

Und dann kehren die Hirten zurück zu ihrer Herde, zu ihrem Leben. Aber als Verwandelte. Sie preisen und loben Gott „für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“

Liebe weihnachtliche Gemeinde,

im Grunde genommen ist das eine sehr bescheidene Geschichte. Gerade so, wie es zu den Hirten passt. Eine Geschichte, die nicht groß etwas her macht. Am nächsten Morgen ist wieder Alltag. Auch der Alltag eines Hirten macht nicht viel her. Das ist alles wenig spektakulär. So wenig, wie die Geburt eines Kindes.

Und doch haben die Hirten in dieser Nacht etwas erlebt, was sie nie mehr vergessen werden.

Gebe Gott, dass auch wir so eine Nacht erleben dürfen. Eine Nacht, die uns einen Zugang gewährt zu einem Be-Reich, der nicht von dieser Welt ist. Eine Nacht, in der wir erleben dürfen, dass unsere Sinne und unser Verstand nicht das letzte Wort in unserem Leben haben. Dass es etwas gibt, dass etwas geschieht, was dies alles in Frage stellt. Gebe Gott, dass in dieser Nacht in uns der Messias geboren werde, AMEN.

Predigt über Lukas 2, 15-20 am 1. Weihnachtsfeiertag 2014 Weiterlesen »

Weihnachtspredigt 2015 über Matthäus 1, 18-25

Liebe Gemeinde,

das soeben gehörte Evangelium, die Geschichte von der Geburt Jesu, so wie sie im Lukasevangelium uns überliefert worden ist, gehört sicher zu einem der bekanntesten Texte der Weltliteratur. In seinem Schatten steht die Version der Geburt Jesu bei Matthäus; sie ist unser heutiger Predigttext.

Ich lese Ihnen diese Geschichte einmal vor:

Die Geburt Jesu geschah aber so: als Maria, seine Mutter, dem Josef verlobt war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.

Als er das noch bei sich bedachte (nämlich Maria zu verlassen) siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären und den sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk erretten von seinen Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Prophet gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):

Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein, einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben‘, das heißt übersetzt: Gott mit uns.

Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar, und er gab ihm den Namen Jesus.“

 

Ich möchte mit Ihnen zusammen in meditativer Weise dieser Geschichte nachdenken.

Anders als bei Lukas – wo Maria im Zentrum steht – geht es bei Matthäus um Josef. Dem Vater und zugleich Nicht-Vater von Jesus.

Josef – der „Nährende“ – repräsentiert am Beginn unserer Geschichte die uns vertraute Beziehung des Verstandes zur Wirklichkeit. Unser Alltagsverstand bearbeitet permanent die „Fakten“, die unsere Sinne uns „entgegenbringen“. Wir sehen z.B. etwas, und unser Alltagsverstand verleiht dem eine Bedeutung. Josef sieht, dass seine Verlobte schwanger ist. Da er weiß, dass dies mit ihm nichts zu tun haben kann, muss sie fremd gegangen sein. So die „logische“ Deutung. Unser Verstand ernährt uns, indem er unsere Sinneseindrücke interpretiert. Indem wir bzw. unser Verstand es ist, der „etwas“ (einem sinnlichen „Fakt“) eine Bedeutung verleiht, sind wir es auch, die sich täuschen können. Dies ist schwer erträglich. „Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann“, betet Theresa von Avila in einem ihrer schönsten Gebete. Das Verharren in Täuschungen ist so was wie „fast food“ für unsere Seele. Es geht schnell, verleiht einen kurzen Kick, ist aber nicht wirklich nahrhaft.

Das Verlassen dieser Täuschungen führt zu Ent-Täuschungen. Die dazu gehörigen Gefühle mögen wir Menschen nicht.-

Josef ist einer, der die Kraft hat, sein Konzept von Wirklichkeit radikal in Frage stellen zu lassen. Josefs Kraft hat damit zu tun, sich verunsichern zu lassen. Wirkliche kognitive wie emotionale Stärke hat damit zu tun, Nicht-Wissen zu ertragen. Nicht-Wissen ist ein frontaler Angriff auf unseren Verstand, auf den wir so stolz sind. Da unser Verstand schlau ist, hat er sich im Laufe unseres Lebens viele Tricks und Strategien ausgedacht, die verhindern sollen, dass er verunsichert wird. Eine der verbreitetsten Strategien ist, das, was mich verunsichert, einfach zu ignorieren.

So etwas wie unsere Träume zum Beispiel. Bevor ich mich verunsichern lasse, behaupte ich einfach, dass Träume keinerlei Bedeutung haben. Irgendwelche nächtliche synaptische Entladungen meines Gehirns darstellen. Und schon habe ich Ruhe vor dem Blödsinn, den ich träume.

Während Josefs Alltagsverstand schläft, erlebt er Neues. Dieses Neue spricht zu ihm wie in einem Traum. Als er erwacht, ist er ein Anderer. Er nimmt das Geträumte ernster als seine ursprüngliche Interpretation der Wirklichkeit. Dazu bedarf es eines tiefen Vertrauens. Von diesem Vertrauen rät uns unser Alltagsverstand dringend ab. Er sagt: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.

Erst in der Bewegung des Vertrauens kann Josef eine Stimme hören, die aus einer anderen Wirklichkeit zu ihm spricht. Dies ist die Stimme Gottes, bzw. seines Engels oder Boten. Und indem Josef sich von dieser Stimme berühren lässt, übernimmt er Verantwortung. „Ver-Antwortung“ heißt ja wörtlich: eine angemessene Antwort geben auf diese „andere“ „ungewohnte“ Stimme in meinem Innern. Die Antwort, die Josef gibt, die Verantwortung, die Josef nunmehr trägt, ist die, für Maria und Jesus zu sorgen. Aus seiner Verantwortung entspringt seine Für-Sorge. Fürsorge ist nichts Großes: es genügt, da zu sein und da zu bleiben: als Mann und Vater. Die Gegenbewegung, der erste Impuls von Josef war die Flucht, war der Beziehungsabbruch. „Mit mir nicht!“ Wir Menschen neigen dazu, Wirklichkeit so zu interpretieren, dass wir uns nicht auf sie einlassen, keine Verantwortung und keine Fürsorge übernehmen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Josef geht es um die „Schande“. „Schande“ ist mit „Scham“ konnotiert – und sich schämen ist ein so ekelhaftes Gefühl, dass es sehr verständlich ist, alles daran zu setzen, sich dem nicht aussetzen zu müssen. Unser Verstand hilft uns dabei.

Josef lässt sich auf das Neue und Unbekannte ein. –

Josef ist auch ein männliches Prinzip, die männliche Kraft in unserer Geschichte. (In Klammer: sie merken schon: ich lese die Geschichte viel eher wie einen Traum, denn wie eine historische Begebenheit.) Seine nährende Sorge (jasaf heißt im Hebräischen „ernähren“) ist gerichtet auf das weibliche Prinzip in unserer Geschichte: auf Maria. Maria ist das Wachstums-Gefäß: in ihr kann sich der Messias entwickeln und schließlich auf die Welt kommen.

So handelt unsere Geschichte in der Tiefe davon, wie ein Retter, ein Messias in unserem seelischen Erleben auf die Welt kommt. All dies geschieht in uns – all dies sind Traumgedanken eines seelischen Wachstumsprozesses. Hierzu gehört auch die Jungfrauenschaft Marias – natürlich nicht im biologisch-historischen Sinne, sondern im übertragenen: das Gefäß, in dem die Kraft unseres neuen Denkens und Empfindens wächst, muss frei sein von Kontaminierungen des Alten, muss wirklich „neu“ und „unberührt“ sein – und in diesem Sinne jungfräulich. Der männliche Verstand darf hier nicht eindringen; seine Aufgabe ist es vielmehr, diesen Prozess zu bewachen, zu behüten und so zu nähren. Und in diesem Geschehen wächst ein „Gott mit uns“, ein Immanuel, einer, der sein Volk retten wird von seinen Sünden.

Das Volk, das sind die vielen unsortierten und ungeordneten Gedanken in uns, die uns, unser Denken nötigen, gedacht zu werden. Es sind Gedanken, die aus der Todes-Angst des Alleine-Seins quellen. Wir Menschen sind Säugetiere: ohne den Anderen konnten wir in der frühen Zeit unseres Lebens nicht überleben. So entwickeln wir Gedanken, die uns von dieser Angst ablenken. Das Zentrum dieser Gedanken ist die Idee: ich muss unabhängig werden, autark sein. Ich darf niemanden brauchen. (So gesehen ist es kein Zufall, dass das Automobil in kürzester Zeit die Welt eroberte: ist es doch sinnfälliger Ausdruck eines „genialen“ Lebensgefühls: ich bin selbst mobil, kann selbst bestimmen, wohin ich fahre und wohin nicht. (Es sei denn ich stehe im Stau! Oder jemand nimmt mir die Vorfahrt… An den Gefühlen, die kann kommen, lässt sich ablesen, wie wichtig die Auto-Mobilität ist!)

Die „Sünde“ dieses Volkes, dieser Gedanken ist keine moralische Verfehlung. Auto-Fahren ist nicht unmoralisch. Selbst-bestimmt leben genauso wenig. Die Sünde ist genau genommen eine Täuschung: so zu tun, als könnte ich mich und mein Leben aus mir selbst heraus erschaffen. Die Sünde hat damit zu tun, dass ich den Ruf, der an mich geht, der einzig und allein mir gilt, nicht hören kann oder hören will.

Indem der Messias in uns wächst, wächst – bildlich ausgedrückt – ein neues Sinnesorgan in uns. Es ist das Organ der Achtsamkeit, der Verantwortung und der Liebe. Und indem sich dieses neue, messianische Organ in uns vernetzt, nimmt es Einfluss auf unsere Gedanken und in Folge davon auf unser Tun. Mit dem Messias in mir verändert sich mein Leben radikal, von der Wurzel her. Und zwar so, dass ich mich als Teil der großen Gemeinschaft der Lebewesen erlebe. Das Wachsen des Messias in uns macht uns zu sozialen Lebewesen, die die Kraft bekommen, sich, ihr Ego, zurück zu stellen, sich einzugliedern in die Gemeinschaft des Lebendigen.

Leider ist es nun so, dass dieses Wachstum nicht reibungslos und glatt von statten geht. Er geht notwendig einher mit Gefühlen der Verwirrung und des Ver-rückt-Werdens. Diese (unangenehmen) Gefühle sind ein sicheres Zeichen dafür, dass wir mit dem Messias schwanger gehen. Der Messias in uns „ver-rückt“ unsere vertrauten Gedanken, stellt sie in eine ganz neue Ordnung. Und viele uns lieb gewordene Gedanken, die von den Fehlern der Anderen handeln, landen dabei im Papierkorb.

Um dieses Verrückt-Werden und die damit verbundenen Ängste zu überleben bedarf es eines starken Vertrauens in etwas, wofür es keine empirische Beweise gibt. Es bedarf des Vertrauens, einen Weg zu gehen, den ich, den „mein Ich“ nicht sieht.

Dies ist die eigentliche Herausforderung.

Der Heilige Johannes vom Kreuz nennt dies die „dunkle Nacht des Verstandes“.

In dieser dunklen Nacht geschieht unsere Befreiung: in ihr wird unsere Gottferne allmählich verwandelt; zuerst folgen wir Ahnungen, vagen Sternen, die sich allmählich zu einem „Gott mit uns“ verdichten. „Jesus“ heißt wörtlich: „Gott rettet“. Gott rettet, indem er sich verwandelt in einen „Gott mit uns“ (Immanuel). Und je tiefer wir diesem „Gott mit uns“ vertrauen, umso leichter wird unser Weg. Denn wir werden immer tiefer hinein gestaltet, hinein gestaltet in ein „wir in Gott“, bis wir schließlich den Unterschied zwischen uns und Gott nicht mehr erkennen können. „Hier ist es, wie wenn Wasser vom Himmel in einem Fluss oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist, so dass man nicht weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist und was Wasser, das vom Himmel gefallen.“ (Theresa von Avila)

Und hier ist es dann auch, wo wir fröhlichen Herzens sagen können:

Gott ist Mensch geworden! Er will in mir auf die Welt kommen, in dir und in dir und in jedem von uns.

Und genau dies und nichts anderes bedeutet Weihnachten.

Und so ist es auch kein Zufall, dass wir Weihnachten genau da feiern, wo die Nacht am längsten ist.

Gebe Gott, dass wir diese dunkle Nacht von Weihnachten in unserem Leben erleben können, jene Nacht, in der unser Vertrauen und unsere Liebe wachsen und kräftig werden dürfen, in der wir nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen und an jedem Tag ein Leben führen dürfen, das in der Tiefe getragen ist von einem „Gott mit uns und wir in Gott“, AMEN.

Weihnachtspredigt 2015 über Matthäus 1, 18-25 Weiterlesen »

Predigt am 2. Advent 2014 über Lukas 21, 25-33

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die verbindende Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

wirkliche Veränderung hat mit dem Durchleben und Durchleiden von Gefühlen der Katastrophe, des Zusammenbruchs zu tun. Dies ist einer der Gründe dafür, dass wir Menschen uns ebenso sehr nach Veränderung sehnen, wie wir versuchen, sie mit aller Kraft zu vermeiden.

Diese nicht sehr erfreuliche Erkenntnis gilt für Gemeinschaften wie für Einzelpersonen. Ohne die „Katastrophe“ der französischen Revolution gäbe es in Europa wohl keine Demokratie. Ohne die „Katastrophe“ des 2. Weltkriegs hätte Deutschland nicht gelernt, demokratisches Denken zu verinnerlichen.

Auch im individuellen Leben sind oftmals die Katastrophen die Vorboten des Neuen.

Man sagt dann umgangssprachlich: „Das war jetzt ein Schuss vor den Bug!“

Unser heutiger Predigttext, das vorhin gehörte Evangelium, beginnt mit solchen Anzeichen einer (kosmischen) Katastrophe: „Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden Angst der Nationen in Ratlosigkeit bei dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen, denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“ (V. 25-26)

Liest man den Text in der heutigen Zeit, legt sich die Frage nahe: Gab es damals auch schon eine Klimakatastrophe? Verbunden mit ratlosen Völkern/Menschen?

Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, dass es sich um zeitlos-menschliche, kollektive Fantasien handelt.

Ich denke in unserer Seele liegt eine Fülle ungemalter Bilder/Fantasien bereit. Das Erleben im Außen stimuliert diese Bilder. In Träumen werden sie gezeichnet. Unsere Seele reagiert auf äußere Bilder, versucht sie im Inneren zu verarbeiten, zu verdauen.

Das gilt für Gutes und Schönes ebenso wie für Katastrophales.

Unseren heutigen Predigttext könnte man als Vision des Weltuntergangs bezeichnen. „Apokalypse“. Auch diese Bilder liegen in der Seele von uns Menschen seit Jahrtausenden bereit. Es geht um Zusammenbruch und Zerstörung. Das moderne Wort, das wir hierfür gefunden haben, lautet: „Traumatisierung“.

Dieses Wort will ausdrücken, dass es eine Zerstörung seelischen Lebens gibt, die oftmals irreversibel ist. Irreversibel heißt auch, dass Hilfe nur sehr begrenzt möglich ist. Es gibt menschliche Seelenlandschaften, die derart verbrannt und verödet sind, dass nichts mehr wachsen kann.

Die Hoffnung stirbt zuletzt“ heißt es. Das ist richtig. So gehört zu den Fantasien von Vernichtung und Zerstörung notwendig das Element der Rettung. Die Seele versucht, die im außen erlebte und nach innen gedrungene Zerstörung zu „heilen“. Zu dieser Heilung gehört die Sehnsucht nach einem Retter, einem Messias:

Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.“ (V. 27) Je vernichtender die Katastrophe, desto grandioser die Rettung. Und eine grandiose Rettung braucht einen grandiosen Retter. Von ihm hängt alles ab. Er darf nicht in Frage gestellt werden. Hier liegt übrigens der Grund für die Gewaltbereitschaft jener Religionen, die Rettung direkt mit einer Person verknüpfen. Eine Infragestellung dieser einen Person führt zu einer Infragestellung des ganzen Systems. Also muss die Infragestellung verhindert werden, notfalls durch Liquidierung des Fragestellers. Denn es geht ja weiter: „Wenn aber dies anfängt, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (V. 28) Der Retter aus den Wolken – er ist die Erlösung derer, die an ihn glauben. Dies darf nicht weiter hinterfragt werden.

Ein wenig überraschend erscheint in diesem ganzen Szenario dann dieses kleine Gleichnis vom Feigenbaum: „Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer nahe ist. So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, wisst ihr, dass das Reich Gottes nahe ist.“

Das ist wie ein kleiner, mildernder Einschub. Wenn die Bäume ausschlagen, wird es Frühling. Aber es ist noch etwas Anderes: der Feigenbaum verweist auf den Baum des Paradieses, auf dem Baum der Erkenntnis. Das Essen von ihm brachte den Tod in die Welt. Durch das Essen von ihm „erkannte Adam sein Weib“: es geschah Sexualität und damit begann die Geschichte vom Werden und Vergehen.

In der jüdischen Tradition ist Erlösung nichts anderes als die Eins-Werdung, die Rückkehr oder Zurück-Bewegung aus der Vielheit. Aus der Zerstreuung. In diesem Zusammenhang ist der nächste Satz zu verstehen: „Wahrlich ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte nicht.“ (V. 32-33) Das Wort, die Sprache, die mentale Welt, die Welt des Geistes ist unzerstörbar. Indem der Baum der Erkenntnis sich nicht mehr vom Leben abwendet, – und der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis sind im Unterirdischen ein einziges Wurzelgeflecht, und Sünde bedeutet nicht mehr und nichts anderes, als dieses Wurzelgeflecht zu zerschneiden, zu spalten – wenn der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens aufeinander bezogen und ineinander verwoben sind – dann geschieht Erlösung!

Hier können wir die tiefe Verwandtschaft zwischen dem jüdischen Denken und dem griechischen „Erkenne dich selbst“ entdecken.

Der Erlöser ist also aus den Wolken herunter zu holen. Herunter auf die Erde, auf unsere Erde. Rabbi Israel von Ruzhin hat das so gesagt: „Die gemeinen Leute glauben, dass der Messias in Gestalt eines Engels vom Himmel hernieder steigen werde. Die Wahrheit ist aber die, dass in jedem Geschlechte der Messias geboren wird. Es kommt nur darauf an, dass ihn die großen Männer (und Frauen) des Zeitalters erkennen und ihm zurufen: ‚Du bist unser Geist, unser Erlöser!‘ Dann wird Gottes Geist über ihn kommen und er wird der Erlöser Israels sein.“

In dieser Geschichte wird der Messias vermenschlicht. Er wird in jedem Geschlechte geboren. Es kommt nur darauf an, ihn zu erkennen, ihn anzuerkennen, und ihm zuzurufen: du bist unser Geist, unser Erlöser.

Ich glaube allerdings nicht, dass dies ein einzelner Mensch jemals sein kann. In jüngster Zeit hat sich Barak Obama für messianische Fantasien geeignet. Auch er musste erfahren und erleiden, wie schwer es ist, gesellschaftlich wirklich etwas zu verändern.

Der Messias ist ein „Geist“. Nicht im Sinne eines Gespenstes, sondern im Sinne einer Kraft. Ein „Geist der Erlösung“. Geist bedeutet auch: der Messias entzieht sich dem Festmachen im Materiellen. Er entzieht sich überhaupt dem Machen. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ – es ist auch nicht in dieser Welt machbar – und doch geschieht es. Wo? „Irgendwo dazwischen´- und jedenfalls anders als erwartet!“

Und weil das so ist, ist die beste Haltung für uns – die wir auf der Erde sind: Geduld. Reifen bedarf der Geduld. Entwicklung bedarf der Geduld. „Habt nun Geduld, Brüder!“ – ist die Botschaft des vorhin gehörten Briefes von Jakobus, und so gehört sie hierher.

Auch Lernen bedarf der Geduld.

Nur Zerstörung bedarf keiner Geduld. Ein Baum der in 200 Jahren gewachsen ist, kann in 20 Minuten gefällt werden. Zerstörung ist machbar! Wir können das! Zerstörung ist nachweisbar. Und sehr effizient. Zerstörung entspricht unserem Zeitgeist viel mehr als Warten, als Geduld-Haben, als Sich-Entwickeln-Lassen. Sie brauchen bloß in unsere Schulen zu gehen, und Sie wissen, wovon ich rede.

Geduld haben“ heißt im Griechischen: makro-thymein: ein großes Gemüt, eine große Seele haben: Eine große Seele kann mehr in sich „halten“ als eine kleine. Sie muss nicht so schnell „überlaufen“ oder „hochkochen“ oder „auslaufen“. Eine „große“ Seele muss auch nicht immer etwas machen – sie hat gelernt besonnen zu handeln. Handeln ist etwas wesentlich Anderes, als mal das Eine mal das andere zu machen.

Wodurch wird eine Seele groß? Indem sie wachsen darf. Und seelisches Wachstum bedeutet an aller erster Stelle: sich selbst liebevoll kennenlernen dürfen. Zweimal zu unterstreichen ist liebevoll: denn meistens beschränkt sich unsere Kenntnis über uns selbst auf Vorwürfe, und „warum hast du nicht“, und „was warst du blöd“ usw. Und in diesem Wachsen-Dürfen löst sich der Druck, der Erwartungs-Druck, der uns niederdrückt. Unsere Häupter erheben sich, erhobenen Hauptes gehen wir unserer Wege. Und in alledem geschieht Erlösung, in alledem kommt der Messias nicht nur auf die Welt, er kommt hinein, in unser Leben, in unseren Alltag.

Das ist die unglaubliche Botschaft des heutigen Sonntags.

Und was ist mit den eingangs genannten Gefühlen der Katastrophe? Haben sich die jetzt in Wohlgefallen aufgelöst?

Noch einmal: es gibt Verwundungen und Verletzungen, die endgültig und nicht heilbar sind. Jedenfalls nicht heilbar in diesem einen Menschenleben.

Aber ein Zweites: es ist merkwürdigerweise so, dass es in uns Menschen einen heftigen Widerstand dagegen gibt, sich selbst liebevoll zu erkennen. Ich vermute, das hat mit den Scham- und Schuldgefühlen zu tun, die zu jeder ehrlichen Selbsterkenntnis unweigerlich dazu gehören. Und meistens haben wir von den Großen, von unseren Eltern und Lehrern auch vorgelebt bekommen, dass zu funktionieren viel wichtiger ist, als einfach da zu sein. Du musst lernen, damit etwas aus dir wird. Du darf nicht nachsichtig zu deinen Fehlern sein, sonst wirst du von den anderen überholt. Fang gar nicht erst an, dich in die Anderen einzufühlen – sonst wirst du über den Tisch gezogen. Und – was wir auch alle kennen: Wachstum ist schmerzhaft: das drückt das schöne deutsche Wort „Wachstumsschmerzen“ aus.

Wenn Sie mögen, können Sie sich in einer stillen Adventsminute einmal fragen: Wer bin ich eigentlich? Kenne ich mich wirklich? Verstehe ich mein Geworden-Sein? Sie können diese Fragen auch zu einem „Du“ hin stellen: Wie viel Einfühlung in den Anderen kann ich mir eigentlich leisten? Wie viel Verständnis für den Anderen bringe ich auf? Wie schnell werde ich ungeduldig? Lasse ich den Anderen überhaupt ausreden? Höre ich ihm zu? Habe ich die Kraft, bei ihm zu bleiben, oder geht es in meiner Antwort gleich wieder um mich?

Wie leicht fühle ich mich ausgebeutet? Und stimmen diese Gefühle auch? Oder sind das meine Vorstellungen und Erwartungen?

Sich ehrlich mit diesen Fragen zu beschäftigen erfordert Mut, Kraft und Geduld. Vielleicht gelingt sogar ein adventliches Gespräch mit ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. Oder mit jemand Anderem, einem guten Freund. Wichtig ist die Atmosphäre solcher offenen Gespräche: dass ein Geist der Freundlichkeit und der Annahme weht – und nicht der schneidende Wind des Fehler-Aufzeigens, und was der Andere dringend ändern sollte. In der Anklage und im Vorwurf findet sich kein Messias. Darin findet sich nur mein Besser-Wissen – das den Messias ein weiteres Mal kreuzigt.

Gebe Gott, dass sich der Messias in unseren Alltag hinein ausbreite, dass wir ihm mit unserer Liebe und Geduld entgegen kommen können. Gebe Gott, dass so unsere Selbst- und Nächstenliebe wächst und wir in ihr uns immer sicherer und selbstverständlicher aufhalten dürfen, bis zu unserem seligen Ende AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

Predigt am 2. Advent 2014 über Lukas 21, 25-33 Weiterlesen »

Predigt über 2. Korinther 3, 3-9 (2014)

Predigt über 2. Kor. 3, 3-9 am 20. Sonntag nach Trinitatis 2014

gehalten in der Jakobuskirche in Pullach

Die Dunkelheit des Vaters und das Licht des Sohnes und die liebende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

ich beneide Tiere um die Selbstverständlichkeit ihres Da-Seins. Tiere sind. Sie müssen ihr Tun nicht hinterfragen. Es ist Ausdruck unserer menschlichen Überheblichkeit zu sagen: Tiere sind eben primitiv. Leben nur von ihrem Instinkt gesteuert. Wer sich die Mühe macht, das unglaublich soziale und faire Miteinander-Leben eines Wolfsrudels zu beobachten, wird schnell eines Besseren belehrt. Von wegen primitiv. Da gibt es eine gute Rangordnung, die das Überleben aller – gerade auch der Schwachen gewährleistet. Von so einer guten Ordnung können wir Menschen bestenfalls träumen. Verwirklicht ist sie nicht.

Die Texte des heutigen Gottesdienstes beschäftigen sich mit guter Ordnung. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist…“ so beginnt unser Wochenspruch aus dem Propheten Micha: Und was ist das? „Gottes Wort halten und Liebe üben und bescheiden gehen vor deinem Gott.“

Das klingt einfach und gut. Und es klingt nicht nur so, sondern es ist auch so. Würde sich die menschliche Gemeinschaft an die 10 Gebote halten, Liebe üben und bescheiden sein – wir könnten ein gutes Leben auf dieser unserer Mutter Erde führen.

Und warum tun wir es dann nicht? Offenbar ist es doch nicht so einfach.

Nun gibt es da die vielen Appelle, dass wir Menschen uns ändern müssen. Die sind so alt wie die Menschheit selbst.

Und dann gibt es die, die meinten sich opfern zu müssen für die Menschheit. Die Märtyrer. Vielleicht auch Jesus selbst.

Viel hat das alles nicht gebracht, wenn man sich die Geschichte von uns Menschen so anschaut.

Gewalt, Zerstörung, Vernichtung scheint einfach zu uns Menschen dazu zu gehören.

Platon nennt es „Todestrieb“.

Ist es also besser zu resignieren? Aufzugeben? Eine verbreitete Form der Resignation ist, so zu leben, dass wir uns von unserer eigenen Lust versklaven lassen: krasse Autos, geile Frauen, muskulöse Männer, Markenklamotten, Markenuhren, Luxushotels, Fernreisen etc. Zusammengefasst: „Hol dir, was Spaß macht!“

Dies ist eine – keineswegs neue – menschliche Haltung.

Wenn ich eben sagte, das ist eine Form der Resignation, so meine ich damit nicht euch Konfis, die Jugendlichen. Zur Pubertät gehört notwendig das Ausleben der eignen Lust. Hinter dem Erleben der eigenen Lust steht nämlich die riesige Entdeckung, auf der Welt zu sein! Es gibt mich! Ich spüre mich! Ich erlebe mich! Pubertät heißt Leidenschaft, an die Grenzen gehen, über die Grenzen gehen. Zur Pubertät gehört das Exzessive, auch das Fanatische. Und zur Pubertät gehört die Entdeckung einer ganz neuen Kraft, die dem Kind fehlte. Diese Kraft hat wiederum mit unserer Tiernatur zu tun: töten zu können und Sexualität leben zu können.

Nun ist es freilich so, dass für die große Mehrheit von uns die Pubertät – jedenfalls rein zeitlich gesehen – eine (kleine) Weile zurück liegt. Ich vermute, unsere Leidenschaften sind milder geworden, das prickelnde Gefühl des Auf-der-Welt-Seins hat sich ein wenig abgeflaut. Unsere Kräfte lassen nach. Stattdessen geht es eher um das Sich-Auseinander-Setzen mit Endlichkeit und Vergänglichkeit, auch damit, zu akzeptieren, wie das gelebte Leben sich entwickelt hat usw.

Ungefähr in der Mitte des Lebens (so zwischen Ende 30 und Ende 40) findet eine bemerkenswerte „Wende“ im Leben statt. Bzw. kann statt finden. Diese Wende hat damit zu tun, sich zurück zu wenden. Zurück zu besinnen. Und zwar darauf, wie wenig Leben sich „machen“ ließ. Unser heutiger Predigttext eignet sich dafür, diese „Wende“ ein wenig Gestalt werden zu lassen. Er steht bei Paulus im 2. Brief an die Korinther, Kapitel 3, Vers 3-9.

Paulus schreibt: „Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unseren Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist, des lebendigen Gottes, nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.“ Das erinnert an den schönen Satz des Propheten Ezechiel: „Ich will euch ein einträchtiges Herz geben und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus eurem Leibe und ein fleischernes Herz geben.“

Die christliche Gemeinde ist ein Brief Christi, sagt Paulus. Es geht nicht darum, irgendwelche Dogmen zu erfüllen, oder besonders schlau zu sein. Es geht auch nicht darum, sich „aufzuamseln“ und von einer (gut gemeinten) Aktivität in die nächste zu springen. Es geht um etwas recht Schlichtes: Gott herein zu lassen, herein zu lassen in das eigene Herz. Unser Herz ist nicht nur die Pumpe, die unseren Blutkreislauf in Bewegung hält; unser Herz ist das Organ der Liebe. Indem wir Gott in unser Herz lassen, lassen wir seine Liebe in unser Herz hinein. Dies lässt sich nicht machen. Es ist ein Geschehen, das sich unserem Machen entzieht. Kein Therapeut, kein Pfarrer, kein Arzt – niemand kann da etwas machen. Gott in das Herz hinein lassen geschieht in radikaler Freiheit. „Da ist nichts zu machen!“

So fährt Paulus auch fort: „Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.“ Es geht um Vertrauen, dass in mir bzw. im Anderen etwas wächst. Vertrauen heißt wieder: es gibt keine Gewissheit, keine Garantie. Vertrauen ist das Letztmögliche. Mehr geht nicht. Wir haben dieses Vertrauen „durch Christus“. Dies lässt sich auf Jesus beziehen: er hat uns vorgelebt, was es heißt, bis zuletzt, bis in die Stunde radikalen Allein-seins auf Gott zu vertrauen. Es lässt sich darüber hinaus auf „den Christus des Augenblicks“ beziehen. Damit meine ich das Offenbar-Werden dessen, was gerade noch in der unbewussten Tiefe war, das „Auftauchen“ eines „Geistes aus der Tiefe des Seins.“

Dieses Vertrauen ist ein direkter Angriff auf alle Ideen, dass wir selbst etwas in der Hand haben. Das pubertäre Denken ist geprägt davon, selbst etwas in der Hand zu haben, „sich selbst Lust verschaffen zu können“. Dahinter steht der Drang: sich selbst zu spüren. Dies ist unausweichlicher Bestandteil menschlichen Sich-Entwickelns.

Die Gedanken des Paulus wenden diese Ideen. Das Subjekt ist auf einmal nicht mehr mein Ich, sondern Gott: „Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen“ so fährt Paulus fort; „sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott.“ Das hört das pubertierende Ich natürlich gar nicht gerne. Mein Tüchtig-Sein kommt doch aus mir, sagt es und klopft sich selbst auf die Schulter.

(Nebenbemerkung: Das griechische Wort für „tüchtig“ bedeutet so etwas wie: „gut genug sein“. Das ist weit weg von „perfekt sein“ – und nahe bei: „es reicht“. (Winnicott hat dieses „gut genug“ in die Psychoanalyse eingeführt: es sei völlig ausreichend „a good enough mother“ zu sein – perfekte bzw. perfekt sein wollende Mütter hingegen sind gefährlich. 😉

Und weiter sagt Paulus: „Dieser Gott hat uns auch tüchtig (gut genug) gemacht zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“

Der Buchstabe tötet, wenn er rein mechanisch verwendet wird, muss man hinzufügen. Das Gesetz ist tödlich, wenn es lieblos, rein mechanisch-bürokratisch ausgelegt wird. Dies gilt auch für das vorhin gehörte Evangelium mit dem Spitzensatz: „Was Gott zusammen gefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Seine „tödliche“ Auslegung ist, dass Geschiedene exkommuniziert werden. Wer sich für diese Begründung auch noch auf Jesus beruft, der muss die Botschaft der Liebe und der Vergebung irgendwie missverstanden haben. Es ist doch schon traurig genug, wenn eine Ehe zu Bruch gegangen ist – dafür muss man doch nicht auch noch mit Exkommunikation bestraft werden.

Freilich gilt auch: wir Menschen brauchen Gesetze, weil es nur wenige gibt, denen der Geist Gottes in das Herz hinein geschrieben ist. Diese bedürfen tatsächlich keiner Gesetze. Sie brauchen das „Gott fordert“ nicht, weil sie spüren: „ich kann gar nicht anders als da sein in Beziehung zu meinem Gott, der mich errettet hat“. Sie sagen nicht: „Gott fordert das und das von mir“ – sie sagen: „alles, was ich habe und kann, gehört mir eh nicht, es ist nicht mein Verdienst; so ist es mir die größte Freude, es meinem Gott zu schenken.“

Diese Gedanken finden sich bei den Mystikern quer durch alle Konfessionen. Das ist sehr beruhigend. Keine Konfession, auch nicht wir als Christen, haben „die Wahrheit“ gepachtet! Und andersherum: Wahrheit geschieht da, wo man sie einlässt – egal, welche Hautfarbe, welche Weltanschauung, welche Konfession die Mehrheit hat.

In den folgenden letzten drei Versen unseres heutigen Predigttextes fällt Paulus seiner eigenen Weite und Offenheit in den Rücken. Er preist sein Amt als Apostel: es ist „das Amt, das den Geist gibt“, sagt er und deshalb sei es dem Amt des Mose, das nur die in Stein gehauenen Buchstaben brachte, an Herrlichkeit überlegen. Schade, dass Paulus hier mit einem Mal ins Vergleichen kommt. Auch dies ist eine verbreitete menschliche Eigenschaft, das Eigene herauszustellen, indem man Anderes, Fremdes abwertet. Hierzu gibt es eine schöne Fürbitte von Theresa von Avila: „Lehre mich Herr, an anderen Menschen unerwartete Talente zu sehen, sie zu fördern und verleihe mir die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.“

Hinzu kommt, dass auch Paulus in seinen Briefen nichts anderes macht, machen kann, als Buchstaben zu schreiben. Nicht die Buchstaben töten, sondern die unlebendige Verwendung dieser Buchstaben. So haben wir alle gelernt, dass die 10 Gebote uns sagen, was wir alles nicht „sollen“: „du sollst nicht …“ Die Bedeutung dieses „du sollst nicht“ ist aber eine ganz Andere. Es bedeutet: „Indem du mir, deinem Gott, vertraut hast, habe ich dich aus Ägypten, aus dem Land, in dem du versklavst worden bist, heraus geführt. Und in diesem Vertrauen, in dieser gewachsenen Vertrauensbeziehung zwischen dir und deinem Gott wirst du ein Leben führen, das den 10 Geboten entspricht. Es wird dir ein Bedürfnis sein, diesem erlebten Vertrauen entsprechend zu leben.“

Und so werden die steinernen Herzen in lebendige Herzen verwandelt.

Gebe Gott, dass wir in uns einen Führer finden, der die Kraft hat, uns alltäglich aus dem Land unserer Unfreiheit herauszuführen, der alltäglich unsere Ungeduld und unser Murren geduldig erträgt, der uns nicht beschämt, der uns aber Ernst nimmt in dem, was wir denken, tun und getan haben. Gebe Gott, dass wir so lernen dürfen, unser Herz für seine Liebe zu öffnen. Indem dies geschieht, wird es uns immer selbstverständlicher, alltäglich Gottes Gebote zu halten, Liebe zu üben und bescheiden unserer Wege zu gehen – voreinander und miteinander und vor und mit unserem Gott, AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher und tiefer ist als all unserer Denken und Predigen bewahre unsere Herzen und unser Sinnen in Christus Jesus, AMEN.

Predigt über 2. Korinther 3, 3-9 (2014) Weiterlesen »

Predigt über Hebräerbrief 13, 15- 16 an Erntedank 2014

Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die verbindende Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.

Liebe Gemeinde,

es ist eine Tatsache, dass es der menschlichen Gemeinschaft nicht gelingt, ihre Mitglieder satt zu machen. Anders ausgedrückt: es ist uns offensichtlich nicht möglich, eine weltweit gültige Wirtschaftsordnung zu etablieren, die insoweit „gerecht“ ist, dass eine Befriedigung basaler menschlicher Bedürfnisse gewährleistet ist: ein Dach über den Kopf und genügend zum Essen und zum Trinken.

In Anbetracht der Hungernden und an Hunger Sterbenden ist der Psalmvers: „Aller Augen warten auf dich, ihre Nahrung gibst du ihnen zu ihrer Frist“ offen für Spott und Hohn. In ihm scheint sich die Wirklichkeit unserer Welt nicht abzubilden. Es scheint niemanden zu geben, der die Gesamtheit der Menschenkinder gut ernährt. So, dass niemand verhungern muss.

Inmitten dieser Wirklichkeit feiern wir Entedank. Singen Lieder wie: „Herr die Erde ist gesegnet von dem Wohltun deiner Hand…“

Hören uns Texte an, die von der Schönheit der Lilien auf dem Felde handeln. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn wir als harmlose „Naivlinge“ belächelt werden.

Da ergeht es uns ganz ähnlich wie der Maus Frederik. „Warum sammelst du nicht mit uns?“ beschweren sich die Mäuse. „Du bist faul. Von deinen Sonnenstrahlen und deinen Liedern können wir uns nichts runter beißen.“

Stimmt. Nach diesem Gottesdienst haben wir ganz bestimmt keine gerechte Weltwirtschaftsordnung gefunden.

Wir haben „nur“ einen Gottesdienst gefeiert. Mehr nicht.

Ist das nicht ein bisschen wenig?

Wenn es alles ist, wenn es nur das ist, dann ist es wirklich wenig. Zu wenig. „Seid aber Täter des Wortes…“ steht unter den Orgelpfeifen.

Und: Hätten die Mäuse keine Nüsse etc. gesammelt, dann wären sie allesamt verhungert. Dann hätten auch die schönsten Geschichten nichts genützt.

Es kann also nicht um ein entweder – oder gehen. Wir sollten über das „und“ nachdenken. Martha und Maria. Tätig sein und kontemplativ sein. Sonnenstrahlen sammeln und Nüsse. Arbeiten und Inne-Halten, die Dinge tun und Warten-Können, eingreifen und loslassen. Einatmen und ausatmen.

Auch unser heutiger Predigttext, ein kurzer Abschnitt aus dem Hebräerbrief, stellt diese Verbindung her: In c. 13 heißt es: „So lasst uns nun durch ihn – gemeint ist Jesus Christus – Gott allezeit das Lobopfer bringen: das ist Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit Anderen zu teilen, vergesst nicht! Denn solche Opfer gefallen Gott.“

Es geht um beides, sagt der Autor des Briefes: Lobopfer bringen und Gutes tun. Und Gutes tun heißt: „mit Anderen teilen“ (Wörtlich heißt es koinonia: „Gemeinsinn“!)

Im „Lobopfer“ geschieht das Sich-Lösen. Das Loslassen. Das Loslassen von allem, was nicht so ist, wie ich es mir wünsche. Wie mein Ich es sich wünscht. Mein Ich hat nämlich genaue Vorstellungen davon, wie „es sein sollte“. Und wie der Andere sein sollte, dass er zu meinem Ich passt. Dass mein Ich zufrieden ist.

Das „Lobopfer bringen“ bedeutet, diese Vorstellungen meines Ichs aufzugeben. Zu opfern. Dies ist viel leichter gesagt als getan. Mein Ich ist nämlich ego-istisch. Was soll es auch sonst sein? Es kennt keine „koinonia“, keinen „Gemeinsinn“! Gemeinsinn heißt nämlich, dass das eigene Ich nicht der Mittelpunkt des Geschehens ist. Dass sich nicht alles „um mich“ dreht. Das mag mein Ich gar nicht. Es mag nicht Teil eines größeren Ganzen sein. Es mag sich nicht ein-ordnen – oder gar unter-ordnen.

So verstehe ich Rabbi Michals Auslegung des Wortes von Moses: „Ich stehe zwischen euch und Gott.“: „Nur das Ich, das Empfinden des eigenen Ich, ist die Scheidewand zwischen uns und Gott. Denn Gottes Herrlichkeit ruht nur auf demjenigen, der sich für nichts hält. Das Wort Ich darf Gott allein sagen.“

Und so ist es sehr verständlich, wenn unser Ich diesem ganzen Geschwätz von Gott den Krieg erklärt hat. Und da unser Ich über eine hohe Intelligenz verfügt, gießt es Spott und Hohn über die sogenannten „Gläubigen“.

Nur – was dieses Ich nicht durchschaut, ist, dass es Gott mit einem egoistischen Machthaber verwechselt. Mit einer Art Superman, der alles können muss. Der eine Welt schaffen muss, in der es kein Leid und kein Unrecht gibt. Und da es diese Welt nicht gibt, kann es auch keinen Gott geben. Das gehört auch zu diesem Ich-Denken: was meinem Ich nicht einleuchtet, das gibt es nicht. So einfach ist das. Gerechterweise muss man hinzufügen, dass auch in religiösen Kreisen selbst oftmals Gott mit einer allmächtigen Wunscherfüllungsmaschine verwechselt wird.

Hier ist Meister Eckhart heilsam: „Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben,“ sagt er. „Die liebst du wegen der Milch und des Käses und wegen deines eigenen Nutzens. So halten es alle Menschen, die Gott äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern lieben ihren Eigennutz.“

Man könne auch sagen: diese Menschen lieben in Gott ihr eigenes Ich.

Nun ist größte Vorsicht geboten, wenn ich „diese Menschen“ sagen. Eine große Gefahr des Predigens ist, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen und von sich selbst abzulenken. „Koinonia“, „Gemeinsinn“ bedeutet, dass sich auch das Ich des Predigers in die Gemeinschaft hinein begibt. Auch das Ich des Predigers trennt ihn von Gott.

Es geht um das Loslassen vom eigenen Ich.

Und es gibt sogar einige Gradmesser, die anzeigen, ob und wie jemand auf dem Weg des Loslassens unterwegs ist.

Einer dieses Gradmesser gibt dem heutigen Gottesdienst seinen Namen: er heißt „Dankbarkeit“.

Dankbar sein heißt nämlich anerkennen, dass ich mich nicht selbst erschaffen habe. Dass mir mein Leben geschenkt worden ist. Mein Ich sagt: „Ich wüsste nicht, warum ich für etwas dankbar sein sollte, was mir einfach gegeben worden ist. Was ich vielleicht gar nicht wollte! Oder, das ich so nicht wollte. Über Dankbarkeit können wir reden, wenn etwas so ist, wie ich das auch will.“ Mein Ich sagt: „Hätte ich die Pflanzen nicht gegossen, gedüngt usw., wären sie eingegangen.“

Das ist natürlich ein Trick. Denn wenn etwas so ist, wie mein Ich das will, dann ist es nicht dankbar, sondern sagt: „Tja – das habe ich mir auch verdient. Lange genug habe ich dafür gerackert. Oder: das ist ja das Wenigste, was man erwarten kann…“ Mein Ich sagt: „Das Wachsen und Gedeihen ist in meiner Hand. Ich bin der Gärtner.“ So hat sich mein Ich an die Stelle Gottes gesetzt.

Und was kann man da machen? Nichts.

Das Wunderbare am Dankbar sein ist, dass es sich jedem Machen-Können entzieht. Es ist radikal freiwillig. Wir können uns noch so sehr bemühen, dass unsere Kinder auch schön „danke“ sagen. Danke sagen ist leicht. Und ist weit weg davon, Dankbarkeit zu empfinden, zu fühlen, dankbar zu sein.

Dankbarkeit lässt sich nicht herbei reden und nicht herbei predigen. Und das ist gut so. Dankbarkeit entzieht sich auch unserem verbreiteten „Nützlichkeitsdenken“.

Die verbreitete Frage: „Was bringt mir das? Was habe ich davon?“ läuft hier einfach ins Leere.

Die heiter gelassene Antwort ist: „Nichts hast du davon!“ „Überhaupt nichts!“

Auch das ist eine Versuchung des Predigers, des Ich des Predigers: überzeugen zu wollen. Etwas erreichen zu wollen. „Seht doch ein, dass es besser ist, so und so … (dankbar) zu sein!“ Dahinter steht: „seht doch ein, dass es besser ist so zu leben, wie ich lebe…“

Bei genauerer Betrachtung gibt es kein „besser“ oder „schlechter“. Es gibt im Letzten nur eines: so ist es – und darin sind die Konsequenzen zu ertragen.

Sonnenstrahlen sammeln ist nicht besser als Nüsse sammeln. Beides hat seinen Platz, beides ist wichtig.

Schön ist es, wenn beides in die Koinonia, in die Gemeinschaft eingeht. Das bereichert dann die Gemeinschaft, macht sie stark. Dies geht aber erst, wenn das „Ich“ sich eingliedern kann in eine größere Ganzheit. Wenn es sich selbst nicht mehr absolut, an die Stelle Gottes setzen muss.

Dies alles gilt nicht nur im Außen, sondern auch im Innen. Wer über eine starke innere Gemeinschaft verfügt, der ist nicht gefährdet, sich von einem Diktator (im Innen wie im Außen) verführen zu lassen. Seine Lippen bekennen und preisen den Namen, der das Leben selbst ist. Wir Christen sagen dazu Jesus Christus. Und indem wir dies sagen und wirklich meinen, könnte es sein, dass wir danke sagen und nicht nur sagen, sondern auch spüren. AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

Predigt über Hebräerbrief 13, 15- 16 an Erntedank 2014 Weiterlesen »

Predigt über 2. Mose 16, 2-3.11-18 am 7. Sonntag nach Trinitatis in Pullach

Predigt über 2. Mose 16, 2-3. 11-18 im Rahmen eines Taufgottesdienstes

am 7. Sonntag nach Trinitatis in Pullach (2014)

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext aus dem 2. Buch Mose ist eine weitere Geschichte, die vom Hunger und vom Satt-Werden handelt. Und – wie in der Kirche nicht anders zu erwarten – dass Gott es ist, der sättigt.

Das ist nicht sehr befriedigend im Anbetracht des Hungers auf dieser Erde. Und im Anbetracht der extrem ungleichen Verteilung von Menschen, die (zumindest scheinbar) satt sind, und solchen, die Hunger leiden, ja an Hunger sterben.

Was uns Menschen als Gemeinschaft nicht möglich zu sein scheint, ist, eine Ordnung zu schaffen, in der jeder Mensch genug hat. Genug zum Leben.

Und so schön diese alten Geschichten aus der Bibel auch sind – offensichtlich gelingt es uns nicht, ist es der Menschheit auch in 2000 Jahren nicht gelungen, sie zu verwirklichen.

Die Speisung der 5000 und die Geschichte vom Manna (dies ist der heutige Predigttext) – das sind schöne Geschichten (geblieben). Ihre Umsetzung, ihre Verwirklichung ist noch nicht geschehen.

Nun gehört zum Satt-Sein dazu, dass es kein Zustand ist. Satt-sein lässt sich nicht halten. Es ist kein Besitz. Satt-sein ist ein Element innerhalb der Bewegung des Lebens. Und damit, dass sich Leben nicht besitzen lässt, dass Leben kommt und wieder vergeht – damit tun wir Menschen uns so schwer. So beginnt unser Predigttext mit der Unzufriedenheit der Gemeinschaft der Israeliten:

„Da murrte die ganze Gemeinde der Israeliten gegen Moses und gegen Aaron in der Wüste. Die Söhne Israels sprachen zu ihnen:

‚Wären wir doch durch die Hand Gottes gestorben im Land Ägypten, als wir saßen überm Fleischtopf, und uns satt aßen am Brot. Doch ihr habt uns da in diese Wüste geführt, um dieses Volk Hungers sterben zu lassen.’“

Die berühmten Fleischtöpfe Ägyptens stehen für eine bestimmte Lebenshaltung: „Die sichere Versorgung hat höchste Priorität. Dafür wird ein Leben in Sklaverei in Kauf genommen.“

Man könnte so sagen: je mehr Angst wir davor haben, verhungern zu müssen, desto bereitwilliger unterwerfen wir unser Leben und unsere Freiheit unseren Bedürfnissen nach Absicherung. Nach der Devise: „Der sicherste Ort ist ein Gefängnis.“

Es geht also um die Fähigkeit, Unsicherheit zu ertragen. Unsicherheit heißt: nicht wissen, wie „es ist“, was morgen sein wird, wie ich im Alter versorgt bin usw. Unsicherheit aushalten hat mit dem ertragen von Angst zu tun.

Hunger ist eine Empfindung, die mich mit einem Mangel konfrontiert. Hungrig sein heißt: „Mir fehlt was“. Ich spüre eine Leere, und die soll verschwinden. Die will ich nicht haben. Die „Kinder Israels“ spüren diese Leere auf ihrer Wüstenwanderung. Sie haben Ägypten verlassen: das Land, in dem sie versklavt waren, aber auch das Land, in dem sie satt waren.

Das Erleben von Leere, von Unzufriedenheit ist häufig begleitet mit einem Konjunktiv: hätte ich doch, wäre ich doch, wie konnte ich nur so doof sein. Das ist die Gegenbewegung zu dem Streben nach Freiheit, nach Ausbruch aus dem Gefängnis der Unselbständigkeit. Ich vermute, es gehört zum Mensch-sein dazu, beide Seiten in sich zu tragen: das Streben nach Neuem, nach Freiheit, nach Selbstständigkeit und die Angst davor, in dieser Freiheit unter zu gehen, zu verhungern. Wie viel Freiheit kann ich mir leisten? Diese Frage muss jeder für sich beantworten und diese Frage beantwortet jeder von uns in seinem alltäglichen Handeln mit seinen kleinen und großen Entscheidungen.

Das Erleben von Unzufriedenheit ist häufig verknüpft mit einem weiteren Element: dem des Abwälzens von Schuld: die Anderen sind schuld, dass es mir so geht. Die Anderen, das sind die, von denen ich mich abhängig gemacht, die ich mir zu Führern „gemacht“ habe. Wir vergessen gerne, dass wir uns selbst unsere Führer, unsere Chefs machen. Die Kehrseite davon ist, dass es einfacher ist, in der Position des Kindes zu bleiben. Murren, motzen, in der Opposition bleiben ist viel einfacher, als die Arbeit der Regierung zu übernehmen. „Ihr habt uns in diese Wüste geführt! Und jetzt geht es uns so schlecht!“ M. Luther hat schon recht, wenn er die Gemeinschaft der Israeliten als „Kinder Israels“ übersetzt.

Ich denke, sie wissen wie die Geschichte weiter geht: Gott nährt seine Kinder, nährt die Kinder Israels mit Wachteln am Abend und Manna am Morgen. (Für die Naturwissenschaftler unter uns: es gibt in der Tat in bestimmten Gegenden der Wüste Wachtelschwärme, die vom Mittelmeer heraufziehen und sehr schwerfällig sich bewegen – deshalb leicht zu fangen sind. Und das „Manna“, abgeleitet vom Hebräischen „man hu“ „was ist das?“ ist das Sekret von Schildläusen, das essbar und sehr eiweißhaltig ist.)

Die Botschaft ist einfach: Gott sättigt.

Mich befriedigt diese Botschaft nicht. Würde sie stimmen, müsste das Problem des Hungers längst gelöst sein. Ich finde, so wie sich die Geschichte entwickelt, schreibt sie kindliches Denken geradezu fest. Wir können eben nichts tun, um satt zu werden – wir müssen auf einen Gott warten, der – wenn wir Glück haben (oder genug glauben?) – uns was zum Essen gibt. Und was ist mit denen, die verhungern? Haben die dann Pech gehabt? Sie merken – diese Gedanken führen direkt: entweder zu einer Abwendung von Gott, dass es nämlich Gott gar nicht gibt – oder zu einer Vergiftung Gottes in dem Sinne, dass er offenbar ein grausamer Willkürherrscher ist, der die Einen satt macht und die Anderen verhungern lässt.

Für mich gibt es nur einen Weg, der hier weiter hilft und weiter führt, nämlich, sich von der kindlichen Vorstellung von einem Gott, der da irgendwo im Himmel sitzt und unsere Geschicke lenkt und leitet, zu verabschieden. Indem ich Abschied nehme von dieser meiner kindlichen Vorstellung von Gott, komme ich vielleicht in die Lage, Gott wirklich zu finden. Besser: wird es mir vielleicht möglich, mich von Gott auffinden zu lassen. Denn „Ich“, mein kleines Ich kann Gott nicht finden. Es kann sich nur bereit halten, sich finden zu lassen. Verstehen wird es dies nie. Dafür ist unser Ich nicht gemacht. Es muss auch nicht verstehen, dass Gott in mir, in jedem von uns wohnen möchte. Das äußere Zeichen dieses Wohnung-Nehmens ist in unserer Tradition die Taufe. Und der Weg der christlichen Existenz führt von der Taufe bis hin zu dem Gedanken: Gott wohnt in mir. Oder wohne ich in ihm? Denn: je tiefer Gott in mich hinein kommt, desto weniger weiß ich noch: wohnt jetzt Gott in mir oder wohne ich in ihm? Und so entstehen merkwürdige Sätze wie der, mit dem wir unseren Gottesdienst begonnen haben: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ (Eph. 2,19)

Wobei für mich die Heiligen nicht irgendwelche Supermenschen waren, sondern Menschen, die ihrem eigenen Ganz-Sein nahe gekommen sind. Und genau dies macht satt. Unser verbreiteter Irrtum ist zu meinen, satt-sein, Sättigung findet im Außen statt. Besitz anhäufen, Karriere machen, Status bekommen – das ist alles ganz nett, aber es ist ungeeignet, wirklich und in der Tiefe satt zu machen. Satt-werden hat in der Tiefe damit zu tun, bei sich selbst „angekommen“ zu sein. Eine immer deutlichere Ahnung davon zu bekommen, wer ich bin, und was mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Das ist ein langer und mühsamer Weg, durchaus vergleichbar mit einem langen Zug durch die Wüste. Besonders schwer und schmerzhaft ist das Ertragen der eigenen Enttäuschungen und Verführungen, das Entdecken der eigenen Fleischtöpfe, die mich dazu verleitet haben, den Weg zu mir nicht zu gehen. In der griechischen Mythologie ist es übrigens die Geschichte von Odysseus, der es ebenfalls so schwer hat, zu sich nach Hause zu kommen. Immer wieder lässt er sich „bezirzen“, „vergisst“, wozu er eigentlich da ist, was er eigentlich, sein Eigenes betreffend, will.

Das Nach-Hause-Kommen, das wahrhaftige Zu-sich-selbst-Finden ist es, was Menschen heiligt. In unserer Tradition ist es die Eucharistie oder das Abendmahl, wo wir Gott „sinnenfällig“ in uns hinein nehmen und so zu Mitbürgern in seinem Hause werden. Indem wir dies jetzt gemeinsam erleben, sind wir gemeinsam bezogen auf eine unsichtbare Mitte, die keiner von uns besitzen kann. Die keinem von uns zur Verfügung steht. Auch mir als Pfarrer nicht. Und das ist gut so. Und in dieser Bezogenheit respektieren wir einander in unserer gewachsenen Verschiedenheit und Andersartigkeit. Und erleben uns als Mitbürger in jenem Haus der Gemeinschaft, das auf IHN verweist, jenem unsichtbaren und unerkennbaren Gott, der sich doch in Jesus Christus als Grenzen überwindende Liebe gezeigt hat.

Indem wir seine Liebe in uns hineinlassen, nähren wir unsere Seele. Es kann gut sein, das dieses Nähren sich mit Tränen vermischt. Tränen sind Ausdruck dessen, dass unsere Seele verdaut. Und verdauen ist ein Zeichen dafür, dass Sättigung geschieht. Und so ist alles gut, so wie es ist. AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, AMEN.

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Familiengottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis zum Thema: „Abschied-Nehmen“ (2014)

Predigt am Familiengottesdienst, 6. Sonntag nach Trinitatis

Thema: „Abschied-Nehmen“

Liebe Kinder, liebe Gemeinde,

kennt ihr das, dass einem so richtig langweilig ist?

Dass man nicht weiß, was man tun soll?

Auf nichts Lust hat?

Die Zeit scheint still zu stehen.

Man kann mit sich, mit dem, was da ist, nichts anfangen.

Man fühlt sich eingehüllt in einen dicken Schleier.

Als wäre man in ein Fass mit dickflüssigem Honig gefallen.

Alles zieht sich, klebt an einem …

Wie kommt man da wieder raus?

Man lenkt sich ab!

Wir Männer stürzen uns in Arbeit. Karriere ist angesagt.

Und in Hobbys.

Jedenfalls machen, tun. Heim-werken.

Frauen stürzen sich auch in Arbeit. Und auf die Kinder.

Die müssen gut sein in der Schule. Und der Haushalt muss gepflegt werden.

Und schön muss man auch sein.

Ab ins Fitness-Studio!

Nur nicht stehen bleiben.

Nicht nach-denken.

Keine Leere erleben.

Immer auf Achse.

Immer weiter.

Sich-Gehetzt-Fühlen ist nichts anderes als die Kehrseite unerträglicher Langeweile.

Unsere Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen verwenden ein kleines Ablenkungsgerät. Es ist charmant, ja smart. Daher hat es seinen Namen: „Smartphone“. Das steht für: stets erreichbar sein, stets im Kontakt (mit anderen) sein. Schnell mal schauen, wie der Wetterbericht ist. Oder wie die Aktienkurse stehen. Schnell mal ein Foto schicken, wo ich gerade bin. Was ich gerade esse. Oder eine Nachricht bekommen.

Da gibt es keine Langeweile mehr. Kein Allein-Sein.

Von daher sind die Texte, die wir in diesem Gottesdienst gehört haben ziemlich out!

Sie sind so sehr out, dass sie wahrscheinlich auch unverständlich sind.

Was bedeutet das: „Ich habe dich erkannt, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein?“

Oder: „Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt“?

Was sind das für komische Ideen: man müsse einander zähmen, sich vertraut machen? Und dann tut es auch noch weh! Dann erleidet man auch noch Abschiedsschmerz.

Und genau darum geht es: wir Menschen unterscheiden uns in der Tiefe viel weniger von anderen Lebewesen, als wir uns das gerne einreden. In der Tiefe lieben wir alles, was Lust macht – und vermeiden das, was Unlust macht. Und Schmerz – ist nun mal nicht lustig.

Unsere Texte beschreiben im Grunde ein sehr einfaches Geschehen:

die Schönheit, das Bewegende und Berührende des Sich-Einlassens kostet. Es hat seinen Preis. Den Preis bezahlen wir mit den Gefühlen, die wir beim Abschied-Nehmen erleben.

Aber – warum ist das so? Warum tut scheiden weh? Was ist das für ein Schmerz?

Es ist das Erleben von Vergehen. Von Nicht-Halten-Können. Es ist das Erleben von Ohnmacht. Wir waren alle einmal Kinder. Haben als Kinder gefühlt und gehandelt. Und diese Gefühle sind nicht verschwunden, sind in uns lebendig geblieben, leben in uns – mal bewusster, mal unbewusster. Wir haben als Kinder intensiv erlebt, wie es unseren Eltern geht. Und ich vermute, gar nicht so wenige von uns haben die Verzweiflung ihrer Eltern (oder ihrer Mutter) gespürt, ihre Ohnmacht. Und wir wollten ihnen helfen. Jedes Kind will, dass seine Eltern glücklich sind. Und wir haben nicht verstanden, dass wir unsere Eltern nicht glücklich machen können. Dass wir ihnen das, was ihnen in der Tiefe fehlt, nicht geben können. Und so haben wir uns selbst als ungenügend gefühlt, als diffus schuldig, als welche, die zu wenig geben.

Und so haben wir gelernt, unsere Ohnmacht mit Schuld zu verknüpfen. Als wären wir daran schuld, dass wir unsere Mutter/Eltern nicht „retten“ konnten. (Und später unseren Paterner etc.) Und so plagen wir uns, und überfordern uns. Und so wird es eng, und immer enger, und wir haben das Gefühl, wir kriegen keine Luft mehr.

Und genau hier kommen unsere Texte, kommt Gott ins Spiel. Aber erst, wenn wir ausatmen. Keine Luft kriegen heißt ja, den Atem anhalten. Sich von der verbrauchten Luft in der Lunge nicht trennen zu können. Und dies blockiert, sich auf Neues einzulassen.

Unsere Texte sagen: wer ausatmet, bekommt frische Luft. Wer sich einlässt, bekommt Neues dazu. Einlassen bereichert. Über das Einlassen entstehen neue Verbindungen, neue Synapsen werden verschaltet: auf einmal verbindet sich das Weizenfeld mit der Haarfarbe des kleinen Prinzen. Aus einer Rose unter vielen wird „meine“ Rose. Aus vielen Hunden aus dem Tierheim wird „unser“ Hund. Aus einer Frau unter vielen wird „meine Frau“.

Aus einer Religionspädagogin wurdest du unsere Melitta. Und wir wurden „deine“ Jakobusgemeinde. Und jetzt nehmen wir wieder Abschied von einander. Das tut weh. Aber es tut auch gut, dass es weh tut. Heißt es doch: da ist etwas passiert zwischen uns. Wir sind uns nicht gleichgültig geblieben. Wir haben uns einander vertraut gemacht. Und dieses Geschehen verändert alles! Es gibt kein „zurück“ mehr. Es gibt keine Jakobuskirche mehr ohne Melitta Bordon. Völlig egal, ob du leibhaftig noch da bist oder nicht.

Das ist das Unglaubliche an dem Sich-Einlassen: es ist wie Vater oder Mutter werden: ist man es einmal geworden, kann man es nie mehr nicht sein!

So verstehe ich den Satz: „Ich bin bei euch, alle Tage bis an der Welt Ende!“ in der Tiefe. Gott hat sich eingelassen: auf unser Menschsein, unser Lebendig-Sein, auf unser Lebewesen-Sein. Dahinter gibt es kein zurück mehr! Und die Botschaft, das Geschenk dabei ist: es ist gut so – du bist (gut) genug. Du musst nicht etwas können, was dich überfordert! An unserer Vergänglichkeit, daran dass Leben kommt und vergeht, können wir alle nichts ändern.

Aber genau das macht natürlich auch Angst. Indem ich spüre, dass es kein Zurück mehr gibt, spüre ich auch, dass meine große Freiheit des „Alles ist möglich“ vorbei ist. Indem diese „eine“ Rose zu „meiner“ Rose wird, verzichte ich auf alle anderen Rosen. Der Weg des Einlassens ist ein Weg des Verzichtes. „Ich hätte schon gerne einen Hund, aber dann bin ich ja so angehängt!“ Genau so ist es. Sich-einlassen heißt sich kümmern, Verantwortung tragen. Sich freiwillig „anzuhängen“. Und das ist weit weg von der Lust des „alles ist möglich – ich mache was ich will!“ Sich-Einlassen bildet unser Leben ab: vom Anfang bis zum Ende. Im „Möglichkeitsraum“ gibt es kein Sterben!

Und so ist Sich-einlassen notwendig verbunden mit heftigen Gefühlen von Un-Lust, ja von Hass auf das „Angebunden-sein!“ Indem ich mich einlasse, muss ich ertragen, dass ich den Anderen nicht besitzen kann. Sich-Einlassen ist etwas völlig Freiwilliges. Und dann ist auszuhalten, dass er/sie ein Eigenleben führt – und letztlich seinen eigenen Tod stirbt.

So erinnert uns jeder wirkliche Abschied auch daran, dass lebendige Beziehungen sich nicht besitzen lassen. Nur Totes lässt sich besitzen!

Alles Lebendige ist ein Geschehen, ist ein Geschenk!

Und alles Lebendige ist vergänglich.

Unvergänglich ist das Leben selbst. Ist das, aus dem heraus alles Lebendige war und wird und sein wird. In unserer Tradition nennen wir dies Gott.

Und so gilt beides: wir haben dich, liebe Melitta, als Geschenk zu deinem Mann dazubekommen. Quasi als „donum superadditum“. Und jetzt nehmen wir wieder Abschied. Und sagen danke für all das, was wir von dir bekommen haben. Und wie der Fuchs das Weizenfeld mit dem kleinen Prinzen verbindet, so verbinde ich selbstgemachte Leberpastete mit dir. Und Apfel-Zwiebel-Chutney. Und deine unnachahmliche Art, Geschichten zu erzählen. Und deinen Humor. Und jeder von uns, der sich auf dich eingelassen hat, wird etwas mit dir verbinden. Und so bleibst du da, auch wenn du gehst. Und umgekehrt hoffe ich, dass wir auch bei dir bleiben – auch wenn du hier nicht mehr bist.

Und das ist alles so und das ist alles gut so.

Und so bleiben wir gemeinsam in dem, der da war und der da ist und der da sein wird. Der, von dem wir erkannt sind, der, dem wir gehören, der, von dem gilt:

Denn siehe: ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. AMEN.

Familiengottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis zum Thema: „Abschied-Nehmen“ (2014) Weiterlesen »

Predigt über 1. Thess. 3, 1-5 am 5. Sonntag nach Tr. in Pullach

Predigt über 1. Thess. 3,1-5 am 5. Sonntag nach Trinitatis (Jakobuskirche)

Die Dunkelheit des Vaters, das Licht des Sohnes und die Liebe des Heiligen Geistes sei mit uns allen, AMEN.“

Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden!“

Dies, liebe Gemeinde, ist das Motto – nicht nur dieses Gottesdienstes. Es scheint auch mein ganz persönliches Motto zu sein. Es ist nämlich so, dass ich keineswegs diesen Gottesdienst gesucht hätte. Viel mehr anders herum: der Gottesdienst scheint mich gesucht und gefunden zu haben.

Bis Freitag um 11 Uhr wusste ich, was ich an diesem Wochenende machen werde. Das schöne Wetter genießen, faulenzen, mich ein bisschen auf den Familiengottesdienst am kommenden Sonntag vorbereiten. Und dann kam der Anruf von Frau Schmidt, dass Pfarrer Hofmann im Krankenhaus sei, Herr Höhne nicht erreichbar – und ob nicht ich… Ich sagte zu – in dem Wissen: ich werde eine alte Predigt verwenden. Dann hält sich die Vorbereitungszeit in Grenzen.

Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Es ist ja so, dass jeder Sonntag seinen eigenen Schwerpunkt, seinen eigenen Fokus besitzt. Wochenspruch, Evangelium, Lesung aus einem Brief oder dem AT und Predigttext bilden eine organische Einheit. Bilden etwas ab. Ich merkte schnell, dass ich diese Einheit störe, dass ein Fremdkörper in den heutigen Gottesdienst kommt, wenn ich eine Predigt zu einem Text halte, der nicht hierher gehört. Außerdem – schlimmer noch – alte Predigten sind für mich wie Wein, der bereits ein paar Tage in einer geöffneten Flasche gestanden ist: man kann sich noch daran erinnern, dass er einmal gut geschmeckt hat – aber es ist sinnvoller, ihn zum Kochen zu verwenden.

So wurde es Samstag morgen und ich erzählte meiner Frau mein Dilemma. Ich hoffte, sie würde mir dabei helfen, wie ich eine ältere, in der Thomaskirche gehaltene Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis gut heute zum 5. Sonntag nach Trinitatis unterbringen könnte. Das sehr kreative Gespräch endete damit, dass ich an meinem Schreibtisch landete, um Ihnen das sagen zu können, was ich Ihnen gerade sage.

Und um eine neue Predigt zu schreiben – die für heute, die zu diesem Gottesdienst gehört. Und so kam es, dass mich mit dem Gottesdienst diese Texte gefunden haben.

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“ (Eph. 2,8)

Das ist der Wochenspruch. Ins Weltliche übersetzt: du kannst Gott nicht finden: alles was du kannst, ist, dich von ihm finden zu lassen. „Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden …“

Und so kann ich den Petrus und die anderen Fischer verstehen: sie waren des Suchens, des Fischens müde geworden, mit leeren Netzen waren sie zurück gekehrt. Sie wussten aus Erfahrung: am Tag zu Fischen ergibt keinen Sinn, da würde man sicher nichts fangen. Gegen diese Erfahrung rät Jesus, noch einmal hinaus zu fahren. Und siehe da – sie machen einen großen Fang.

So weit – so gut. Aber: lässt sich, – und wenn ja wie? – diese Geschichte in unseren Alltag hinein verstehen? Soll das jetzt mein großer Fang sein, dass ich, anstatt das schöne Wetter zu genießen, eine Predigt schreibe? Um mit ihr Menschen zu fischen, die sich wahrscheinlich gar nicht fischen lassen wollen!

Schon wieder gerate ich in das Suchen. Jetzt heißt das Suchen: wenn ich mir schon die Mühe mache, eine neue Predigt zu schreiben, dann muss ich aber auch etwas davon haben. Dann sollte die Kirche wenigstens einigermaßen gefüllt sein.

Ich vermute sie kennen das: jetzt habe ich mir solche Mühe gegeben, dann musst du aber auch… (gut gekocht – schmecken; Geschenk – gefallen;

Die Kehrseite davon ist: das darf unter keinen Umständen passieren!

Was passiert denn da, wenn jemand sagt: „Mama, es schmeckt mir nicht…!“

Oder: mit dem Geschenk – kann ich jetzt ehrlich gesagt nicht so viel anfangen.

Es passiert – das Erleben von Trennung.

Es passiert die Erkenntnis: der Andere ist ein Lebewesen, genauso wie ich: und er führt ein Eigenleben, ein eigenes Leben, ein von mir getrenntes Leben.

So ist das von Beginn unseres Lebens an: schon als Embryos führten wir im Mutterleib ein von der Mutter getrenntes Leben: hatten unser eigenes Herz, unsere eigenen Organe, unseren eigenen Blutkreislauf…

Und das kleine Baby hat eine eigene Verdauung, erleidet eigene Schmerzen, hat seine eigene Freude.

Aber nicht allein. Das Baby kann nur in Beziehung überleben.

Als Säugetiere sind wir auf Beziehung angewiesen. Tun wir alles dafür, dass uns Beziehung nicht verloren geht. Dahinter steht die Angst. Die Angst davor, alleine nicht zu überleben. Es ist diese Todesangst, die uns dazu verführt, uns unseres Lebens bemächtigen zu lassen. Es ist dieselbe Todesangst, die uns dazu verführt, uns des Anderen zu bemächtigen. Zu glauben, wir könnten das Leben, den Anderen kontrollieren. Zu glauben, wir hätten alles im Griff. In den Griff gebrachtes Leben ist gewürgtes Leben.

Es ist die Angst, die uns übersehen lässt, dass sich Leben nicht besitzen lässt. Oder anders: dass besessenes Leben Leben im Gefängnis, Leben in der Sklaverei, Leben im Würgegriff der Angst ist.

Es ist die Angst vor dem Erleben unseres Alleinseins, die uns davon abhält, das Land unserer Freiheit zu betreten.

Ich meine mit Freiheit die Fähigkeit des Sich-Einlassens auf. Die Fähigkeit sich finden zu lassen. Es ist der freie Mensch, der in Freude betet: „Dennoch bleibe ich stets an dir , denn du hältst mich an deiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat …“ (Psalm 73)

Dennoch – heißt: trotz aller täglichen Anfechtungen, Verführungen, Illusionen, trotz meines vermeintlichen Besser-Wissens etwas im Griff zu haben – lasse ich los, ergebe ich mich in „Deinen Willen“…

Dein Wille geschehe…“ so betet der freie, der befreite (erlöste) Mensch.

In Beziehung frei zu sein – das ist das Geschenk, die Gnadengabe Gottes! Die wir uns nur schenken lassen können. Und wie soll das gehen? In radikalem Vertrauen. Vertrauen worauf? Auf die Kraft des Augenblickes. Die Kraft des Augenblickes ist neutral. Ich habe keinerlei Anspruch darauf, dass irgendetwas „gut“ geht. Es ist ein Missbrauch unserer Geschichte zu meinen, ich muss es also so machen wie Petrus, dann werde ich reich belohnt. Das ist ein Trick – kein wirkliches Loslassen.

Der heutige Predigttext aus dem 2. Brief an die Thessalonicher (3,1-5) fügt sich hier ein: Paulus bittet um das Gebet der Gemeinde nicht für sich selbst, wohl aber dafür, dass sein eigenes Tun der Wahrheit dient:

Er schreibt: „“…betet für uns, liebe Brüder, dass das Wort des Herrn sich ausbreite und gepriesen werde wie bei euch und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.“

Kleine Kinder beten: Lieber Gott, bitte mach‘ dass …

Karikatur im Heute Journal: der deutsche Papst – der argentinische Papst:

Der in Gott erwachsen Gewordene betet um die Verbreitung des Wortes Gottes. Was ist das?

Das Wort Gottes ist das Erleben eines ganz tiefen Ja zu meinem So-geworden-Sein. In diesem Ja, so bin ich, ja „das ist mein ganz Eigenes … Fühlen, Denken, Empfinden…“ in diesem Ja geschieht die Erlösung von den falschen und bösen Menschen in mir. Das ist so wichtig, das Falsche und Böse in mir anzuerkennen – ansonsten bin ich einer, der den Splitter stets im Auge des Anderen sucht.

Das Falsche und Böse in mir schaut freilich so aus wie das Unmoralische, das, „was man nicht tut“. In Wirklichkeit, und auf dem Grunde – ist es all das, was mich versklavt, mich von meinem eigentlichen Geworden-Sein abhält, was mich stört als der zu leben, als der ich von Gott her wahrhaftig gemeint bin.

Böse heißt im Griechischen „poneros“: wörtlich ist es das „Schwere“, das, was mich „runter zieht“. Und falsch heißt im Griechischen „atopos“, wörtlich das, was am falschen Ort sich befindet. Wenn ich mich schwer („depressiv“) fühle, und daran etwas ändern möchte, ist es notwendig zu schauen, was in meinem Inneren an einem falschen Ort steht. Dies fühlt sich so an, wie es den Fischern am See Genezareth gegangen ist: absolut strange! Verrückt! Wenn ich mich schwer fühle, heißt das doch, dass der Andere, das Leben, mein Schicksal daran schuld ist. Heißt das doch: im außen muss sich etwas ändern. Und genau das ist der Irrtum!

Das Einzige, was (s)ich ändern kann, das bin ich selbst. Und genau das lässt sich nicht machen. „Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden.“ Noch genauer: ließ ich mich finden. Ließ ich mich von einer Kraft, die ich Gott nenne, finden. Diese Kraft fühlt sich nach Liebe an und nach Strenge, nach Freiheit und nach Verantwortung. Und in dieser Kraft fühle ich mich gemeint: gemeint als den von Gott und vor Gott Befreiten: befreit zur liebevollen Verantwortung für das eigene Leben und das Leben meiner Mitgeschöpfe.

In der Freiheit dieser Verantwortung habe ich diese Predigt geschrieben!

In dieser Freiheit gibt es kein Jammern und Murren – das Wetter ist so schön, warum tust du dir das an. In dieser Freiheit gibt es kein: warum tust du mir das an, warum tut das Leben mir das an, warum muss ich so etwas überhaupt erleben.

In dieser Freiheit bleiben auch Sie frei: sie können mit dem Gehörten umgehen, wie es Ihnen beliebt: es aufnehmen, es liegen lassen, es für Blödsinn halten.

In dieser Freiheit gebiete ich meinen eigenen schweren und ungeordneten Strebungen Einhalt.

Und in dieser Freiheit ertrage ich in Geduld und Liebe, was das Leben mit mir vorhat – heute und an jedem neuen Tag bis zum Ende meines Lebens. AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und unsere Sinne in Christus Jesus, AMEN.

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Predigt zu Pfingsten 2014: „Das Gesetz des Geistes …“

Predigt am Pfingstsonntag 2014 in der Petruskirche Forstenried über Römer 8, 1-2 und 10-11

Liebe Gemeinde,

das Nachdenken über den Heiligen Geist lehrt, dass Gott in sich selbst bezogen ist. Wir glauben nicht an einen ein-fältigen- wir glauben an einen dreifaltigen Gott. Zu der aufopfernden Vater-Sohn-Beziehung kommt als dritte „Person“ in Gott der Heilige Geist hinzu. Der Hl. Augustinus nennt ihn „vinculum caritatis“, „Band der Liebe“. Die Art und Weise, in der Gott mit sich selbst in Beziehung steht, in der der Vater mit dem Sohn in Beziehung steht, ist die der Liebe.

Es ist gesagt worden, dass es letztlich nur zwei Arten von In-Beziehung-Sein gibt: die des Hasses und die der Liebe. Beide Arten des In-Beziehung-Seins finden sich mannigfaltig in der Bibel – und in allen Religionen. Und es ist eine Illusion zu glauben, eine der beiden Arten ließe sich auslöschen: der naheliegende Gedanke, es gehe darum, den Hass zu eliminieren, ihn „auszulöschen“ – ist noch einmal voller Hass. Vernichten, Eliminieren, Liquidieren, Exkommunizieren – dies sind allesamt Bestrebungen, die nicht von Liebe, sondern von Hass gespeist werden.

Der Beginn der Liebe ist die Anerkennung der Wirklichkeit – ohne wenn und aber. „Es ist, was es ist.“

Es ist das, was ich gerade zu erleben habe. Was mir widerfährt.

Der Beginn der Liebe verbindet sich mit der Fähigkeit zu ertragen und zu erdulden. Liebe beginn da, wo mein Ich des „Kämpfens gegen“ müde wird.

Es soll nicht geschehen durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist….“

Liebe beginnt da, wo vernünftige Einsicht wirksamer wird, als die Macht des Tuns. Die Macht des Machens.

Liebe beginnt mit dem Aushalten von Ohnmacht.

Liebe beginnt mit dem Tragen und Ertragen des eigenen Kreuzes. Dazu bleibt mir freilich nichts anderes übrig, als das, was ich zu tragen habe, kennen zu lernen. Ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich verhaftet bleibe in Vorwürfen gegenüber den Anderen.

Ein großer Vorteil, über die „Anderen“ zu reden, über sie mir Gedanken zu machen, an ihrer Stelle zu fühlen ist: sich die Mühsal der Selbst-Erkenntnis zu ersparen. Selbsterkenntnis ist mühsam, weiß ich doch nie so genau, was dabei heraus kommt…

Und eines ist klar: beschäftige ich mich mit mir selbst, komme ich sehr bald an die Stelle, an der ich anerkennen muss: mein Leben ist mir geschenkt; es vergeht. Ich kann mein Leben nicht festhalten, nicht besitzen. Ich kann es nicht „im Griff haben!“

Gerade wir Männer haben doch so gerne „alles im Griff“!

Die Jünger Jesu hatten ebenfalls mit Vergänglichkeit zu kämpfen. Der überraschende Tod ihres Meisters war ein Schock für sie gewesen. Es gab zwar einige wenige sog. „Erscheinungen“ des Auferstandenen – aber: es war doch nicht mehr so, wie früher.

ER fehlte.

Pfingsten ist das Fest, das verdeutlicht: Gottes Wirken ist da am Mächtigsten, wo wir unsere vertraute Welt des Sichtbaren und Erkennbaren verlassen. Verlassen heißt, indem wir uns „leer machen“, indem wir unsere Urteile und Vor-Urteile zurück stellen, unser „so-wird-es-sein-wissen“ zurückhalten.

Paulus unterscheidet im 8. Kapitel seines Briefes an die Römer (daraus ist unser heutiger Predigttext) zwischen „dem Gesetz des Geistes, der lebendig macht“ und „dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Ich verbinde das Gesetz des Geistes mit der Fähigkeit, in Abwesenheit von „sinnlichen Dingen“ zu denken. Das ist eine Fähigkeit, die auch ein Mathematiker benötigt. Es ist die Fähigkeit zu abstrahieren.

Das „Gesetz des Geistes, der lebendig macht“ beinhaltet aber noch etwas anderes: die Fähigkeit, dass Denken der Lebendigkeit, dem Leben gerecht wird. Und Leben ist ein Geschehen, das sich nicht machen lässt: es eignet sich eher zum Bestaunen.

Das Gesetz des Geistes führt zur Kapitulation meines mir selbst gemachten Denkens: in dieser Kapitulation ergibt es sich in das Denken Gottes.

Niemand will sich dem Heiligen Geist lassen“ sagt Johannes Tauler in seiner auch heute noch höchst lesenswerten Pfingstpredigt vor gut 600 Jahren. Das hatte und hat damit zu tun, dass wir unseren Wert, unsere Daseinsberechtigung, unseren Stolz daraus beziehen, was wir alles selber können. „Selber machen“: das ist nicht nur das Leitmotiv von Kindergartenkindern.

Und inzwischen können wir ganz viel selber machen – nur das Leben – das müssen wir uns nach wie vor schenken lassen.

Und nicht einmal ein guter Gedanke lässt sich produzieren: er fällt uns ein, er fällt in uns hinein. Das gilt auch für unsere nächtlichen Träume: echte aus dem Unbewussten quellende Träume sind überraschend, unvorhersehbar, nicht gemacht. Wie wenig wir Menschen in Wahrheit machen können, wie ausgeliefert wir in Wahrheit sind: dies ist schwer auszuhalten. Darin liegt begründet, dass wir vielleicht gar nicht von dem Gesetz der Sünde und des Todes freigemacht werden wollen. Denn ein großer Vorteil dieses Gesetzes ist seine Vorhersehbarkeit.

Das Gesetz der Sünde und des Todes ist ein geschlossenes System. Das beruhigt und gibt Sicherheit. In diesem Gesetz ist die Welt scheinbar in Ordnung. Weiß ist weiß und schwarz ist schwarz. Gut ist gut und böse ist böse. Ursache und Wirkung sind klar von einander geschieden. Täter und Opfer ebenfalls. Weil der Mensch von Gott abgefallen ist, deshalb musste er seinen eigenen Sohn opfern, um die Menschheit zu erlösen. Dies ist ein Denken aus dem Gesetz der Sünde heraus. Es beansprucht zu wissen, was in Gott vorgeht. Es geht davon aus, als wäre Gott ebenso kleinlich wie so mancher Mensch.

Das Gesetz des Geistes beginnt mit der Anerkenntnis eigenen Nicht-Wissens. Eigenes Nicht-Wissen anerkennen bedeutet im selben Atemzug auch das Nicht-Wissen über den Anderen anzuerkennen. Mehr noch: es bedeutet anzuerkennen, dass ich nicht weiß, was hier jetzt gerade zwischen uns geschieht. Ich habe keine Ahnung, auf welchen Boden meine Gedanken bei Ihnen fallen. Indem ich das anerkenne, weht durch unsere Beziehung ein Geist von Freiheit. Ich bin frei, meine Gedanken zu äußern, Sie sind frei, diese für sich zu verwenden. Einschließlich der Verwendung, sich von dem, was ich sage abzuwenden.

Auch das gehört zum Gesetz des Geistes hinzu: die Freiheit in Beziehung ist auch eine Freiheit dazu, den Anderen zu verlassen. Ich glaube, dass unterschätzt wird, wie sehr wir als Menschen auf Beziehung angewiesen sind. Und wie hoch die Verführung ist, sich mit toten Dingen zu „beschäftigen“ – ganz einfach deshalb, weil diese uns nicht verlassen können. Freiheit, Lebendigkeit ist nicht haltbar. Sogar unser Leben selbst, das wir so selbstverständlich meinen zu „haben“, wird uns eines Tages verlassen. Es wird ein letztes Ausatmen geben, dem kein Einatmen mehr folgt.

Paulus gehört zu denjenigen, die die Endlichkeit unseres Lebens verleugnen. Er wird nicht müde, in sehr konkretistischer Weise ein „ewiges Leben“ zu postulieren. So auch am Ende unseres Predigttextes: „Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ (V. 10-11)

Meines Erachtens schwächt es die Glaubwürdigkeit der christlichen Religion, wenn sie, gemeinsam mit vielen anderen Religionen, die Angst vor dem Tod so „beantwortet“, dass sie die Endgültigkeit des Todes einfach verleugnet. „Wenn du an Christus glaubst, wirst du ewiges Leben haben“.

Ich habe als junger Mann versucht, mich mit diesen Gedanken zu trösten – und bin so Pfarrer geworden. Mein Doktorvater wollte beweisen, dass J. Chr. Von den Toten auferstanden ist – im Sinne eines historischen Beweises.

Rückblickend muss ich sagen: mir hat diese Art zu denken keinen Trost gegeben – sie hat mich aber überheblich gemacht gegenüber Anders-Denkende. Im nach hinein stellt es sich mir so dar, dass mich andere Gedanken zu sehr verunsicherten. Ich vermute so etwas auch bei Paulus: er hat sein ganzes religiöses System, in dem er aufgewachsen ist, geopfert – für Christus. Und so muss er darum kämpfen, dass dies nicht umsonst gewesen ist. Es darf nicht umsonst gewesen sein! Die Enttäuschung wäre zu groß. Und so heißt es in seiner bekannten Stelle, die heuer an Ostern zu predigen war: „Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig; … so sind auch die in Christus Entschlafenen verloren …. hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter den Menschen…“ (1. Kor. 15)

Hier entsteht eine bemerkenswerte Militanz des Denkens. Der Verfasser des Hohen Liedes der Liebe, „die Liebe trägt alles, duldet alles …“ scheint hier keine Liebe zu kennen. Ein in Frage stellen der konkreten Auferstehung Christi von den Toten wird nicht geduldet….

Aber warum ist das so wichtig? Die Kraft der Predigt dieses Jesus aus Nazareth, die Kraft seiner Gedanken und Gleichnisse, die Wucht seiner Botschaft der Liebe – warum genügt dies nicht? Denken wir an das vorhin gehörte Evangelium:

Johannes 14, 23-27: „Wer mich liebt, wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern, was ich euch gesagt habe.“

Liebe Gemeinde,

wenn wir als Christen ernst genommen werden wollen, wäre es gut, wenn wir eine glaubwürdige Botschaft hätten. Und noch besser wäre es, wenn wir eine Botschaft hätten, die einen Beitrag zu den Problemen unserer Welt leistet.

Es geht um den Geist dieses Jesus aus Nazareth. Seinen Geist einatmen bedeutet, sich mit seinen Predigten und Gleichnissen zu beschäftigen. Sie auf sich wirken zu lassen, sie zu verinnerlichen, seine Predigt der Liebe nicht nur zu predigen, sondern glaubwürdig zu leben. Ohne darauf zu schielen, was ich „davon habe“, wenn ich das tue.

Aus dem Geist der Freiheit heraus zu leben bedeutet in Freiheit zu leben – ohne sich von Kosten- und Nutzenerwägungen abzulenken. Der kapitalistischen Frage: „Was habe ich davon“ können wir heiter antworten: „Nichts!“ Der Geist, der frei macht, der Geist Jesu Christi ist kein Haben-Geist – er ist ein Geist des Seins. Da-sein – hier und jetzt, mit allen Fasern unseres Lebens, unseres Körpers, unserer Seele – das ist es, was du davon hast. Und je stärker du dich auf dein Dasein einlässt, desto stärker darf der Andere da sein. Desto weniger belastet oder bedroht dich das Dasein des Anderen.

Indem du bist, lässt du den Anderen sein. Es geht gar nicht anders.

Nur wenn du wackelst, wenn du selbst unsicher bist, wirst du anfangen, am Anderen herum zu ziehen. So als müsse er dir Stabilität geben. Als wäre es beruhigend, einen Gleichgesinnten zu haben. Aber was nützt es, gemeinsam einen „falschen“ Weg zu gehen? Der Weg wird davon nicht „richtiger“.

Suche nicht nach Gleichgesinnten – suche nach Wahrheitsgesinnten! Auch eine Botschaft des Rabbi aus Nazareth: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32) Und der Träger der Wahrheit ist der Heilige Geist. Er ist es, der die Wahrheit der Predigt Jesu bestätigt hat. Dafür ist es nicht wichtig, ob er leibhaftig von den Toten auferstanden ist. Viel wichtiger ist, dass er in seiner Botschaft weiter lebt, dass seine Botschaft weiter wirkt. Und das tut sie bis heute.

Es ist die Botschaft der Kraft der Liebe.

Hildegard von Bingen hat diese Kraft in einem ihrer wunderschönen Gebete mit dem Heiligen Geist verbunden:

Belehre mich

mit dem Hauch des Heiligen Geistes,

dass reines Wasser aus mir sich ergieße,

Tränen entströmen

dem Seufzen nach guten Taten,

und Wohlgeruch dufte

aus heiligen Werken.

Am Tag will ich wirken

die Tugend des Gleichmuts

und salben des Nachts

alle Schmerzen.“ AMEN.

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Predigt am Gründonnerstag 2014 in der Jakobuskirche in Pullach über Hebräer 2, 10 – 18

Predigt am Gründonnerstag 2014 über Hebräer 2, 10-18

in der Jakobuskirche in Pullach

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und Jesus Christus unserem Herrn, AMEN.“

Liebe Gemeinde,

„Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führt, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollendete.“

So lautet der erste nicht ganz leicht zu verstehende Satz unseres ebenfalls nicht ganz leicht zu verstehenden Predigttextes für heute Abend. Der erste Satz aus dem zweiten Kapitel des Hebräerbriefes, Vers 10: „Es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führt, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollendete.“

Rettung und Leiden scheinen zusammen zu gehören. Es war angemessen, dass der Urheber der Rettung leiden muss – mehr noch: „durch Leiden vollendet wurde“.

Wir verbinden „Leiden“ mit Unangenehmen, mit Schmerzen. Wir wollen nicht leiden. Es gibt aber ein altes deutsches Wort, das drückt Leiden ganz anders aus: „ich kann dich gut leiden“. „Ich kann dich gut ertragen“ – „Ich mag dich gerne.“ Und die „Vollendung“ einer Beziehung hat mit dem Ertragen gerade auch von Leiden zu tun: dies erst macht eine Beziehung wirklich stark. Dahinter steckt die nüchterne Einsicht, dass der Andere nicht dazu da ist, mir meine Wünsche an ihn zu erfüllen. Oder mir meine Ängste zu nehmen.

Ein glaubwürdiger Retter ist selber seinen Leidensweg gegangen.

Ein glaubwürdiger Retter ist einer von uns Menschen – er hat sein Leben gelebt, er steht im Leben. Ein glaubwürdiger Retter ist kein unverwundbarer Held, der im Grunde über den Dingen schwebt. Der Retter und der zu Reteende – sie stehen auf einer Stufe.

So fährt der nächste Vers fort:

Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, sie stammen alle von einem ab; deshalb schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“

Schämen verweist auf Überheblichkeit und Demütigung, verweist auf ein zwischenmenschliches Gefälle.

Schämen geschieht in einer Herrschaftsbeziehung, in einem „von oben herab“.

Wahrscheinlich kennen die meisten von uns nicht nur Gefühle von Scham, sondern auch von Beschämt-worden-sein. Es geht so schnell – und ist oftmals gar nicht böse gemeint, sondern nur fehlende Einfühlung in den Anderen – zu beschämen. Am schnellsten geht es mit Kindern: sie in ihrer Schwäche oder in ihrer Fehlerhaftigkeit bloß zu stellen.

Sich Schämen und beschämt werden ist ein Geschehen, in welchem der gute Zwischen-Raum, der gute Beziehungsraum zwischen zwei Menschen zerstört wird. Das viel zu tiefe Eindringen des Einen in den Anderen führt zu Scham und Beschämung.

Der Weg heraus führt über den Dritten. (So wie Raum erst über die dritte Dimension entsteht.)

Die jetzt folgenden Zitate aus dem AT erden die Bedeutung des „Retters“ in zweierlei Hinsicht – durch eine Erinnerung an die Prophetie des AT und durch die Rückbeziehung des Retters auf Gott. Der Retter steht in der Gemeinschaft – er ist nicht der „große Einsame“, der für und an der Stelle der Gemeinschaft leidet. Das Psalmwort:

„Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde dir lobsingen“ (Ps 22,23) verweist auf eine geschwisterliche Gemeinschaft, deren Zentrum nicht die Retterbeziehung sondern die Gottesbeziehung ist. Der „Retter“ verkündigt und erneuert diese fröhliche Gottesbeziehung. Die beiden daran sich anschließenden Jesajazitate sind ebenfalls auf den Dritten bezogen:

„Ich will auf IHN mein Vertrauen setzen“ und „Seht, ich und die Kinder, die Gott mir geschenkt hat.“

Der Autor des Hebräerbriefes ist offenbar darum bemüht, die Energie des Retters in die Gemeinschaft hinein zu stellen, sie für die Gemeinschaft fruchtbar werden zu lassen.

Daraus ergeben sich Erkenntnisse dafür, was einen „guten“ Retter auszeichnet. Ein guter Retter hat seine eigenen Bedürfnisse nach Macht, Bewunderung, Geltungsstreben durchgearbeitet. Mit durcharbeiten meine ich, dass er den schmerzvollen Weg der Selbsterkenntnis gegangen ist. Er hat erkannt, dass es gute Beziehung, dass es Gemeinschaft zerstört, wenn er versucht, „sich selbst einen Namen zu machen“. Er stellt seine Fähigkeiten in den Dienst – und zwar in den Dienst der Gemeinschaft. Das „Glück“ des Retters ist nicht seine Verherrlichung, sondern das Wachstum der ihm anvertrauten Menschen, „der Gruppe“. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe“, sagt Jesus nach der Fußwaschung seiner Jünger im Johannesevangelium. Das ist für einen Retter ein recht bescheidener Satz. Und was ist dieses „Tun“? Das steht wenige Verse später: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Und genau in diesem Tun weiß sich Jesus eins mit seinem Vater. Aus diesem Tun heraus kann er sagen: „Ich und der Vater sind eins, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Will sagen: niemand kommt zum Vater ohne den Weg der Liebe zu gehen.

Mit anderen Worten: der „Retter“ wird an seinem Tun gemessen, er sollte vorleben (und nicht nur vorpredigen). Das heißt, der Retter weiß, wovon er spricht, er hat am eigenen Leibe die „Versuchungen“ durchlitten. Auch so gehört Retter-Sein und Leiden zusammen. So heißt es weiter in unserem Predigttext:

Weil nun die Kinder (Menschen) von Fleisch und Blut sind, hat auch er (der Retter) dies gleichermaßen angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, das ist der Teufel und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selbst gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.“

Die große Versuchung des Retters ist es, dass er nicht für die Gemeinschaft denkt und handelt, sondern für die eigene Sehnsucht, von der Gemeinschaft als der wie immer „Tolle“, zu Bewundernde wahrgenommen zu werden. Dass er die Gemeinschaft für seine Selbstverliebtheit missbraucht.

Und auch diese Versuchung lässt sich verstehen. Viel schlimmer als Todesangst ist das Gefühl, bedeutungslos zu sein. Sich bedeutungslos fühlen, keine Bedeutung zu haben, ist vernichtend. Babys und Kinder verbinden Bedeutung haben mit wahrgenommen werden. Sie, wir tun alles dafür, Bedeutung zu erlangen. Sei es die berufliche Karriere, sei es das Kinder-Kriegen, sei es soziales Engagement, sei es die olympische Goldmedaille, sei es eine Predigt halten – immer geht es darum, dass „ich für meine Mitmenschen etwas bedeute“. Eben dass ich wahrgenommen werde. Ich kann mich nicht nicht verhalten zur menschlichen Gemeinschaft. Das gilt auch für die Aussteiger, die Obdachlosen, die Armen. Auch sie haben ihre „Bedeutung“, ihren „Stolz“, und sei es das Gefühl: „ich mache da nicht mit!“

Wir sind Knechte unseres Strebens nach Bedeutsamkeit. Hier scheint mir übrigens der Grund zu liegen, warum alt werden für viele so schwer ist, warum der Schritt in die Rente so mühsam ist: wir verlieren immer mehr an Bedeutung für die Anderen. Wir werden immer weniger gebraucht. Wir werden immer überflüssiger. Nun ist zugleich nüchtern anzuerkennen, dass unser Leben, und was wir erleben, und wie wir leben genau genommen nur für ein einziges Lebewesen von wirklicher Bedeutung ist: und das sind wir – selbst.

Dieser Wahrheit ins Auge zu blicken löst schwer erträgliche Gefühle aus. Um diese Gefühle nicht spüren zu müssen, sind wir den ganzen Tag über mit „machen“ beschäftigt. In der sicheren Überzeugung, das, was wir machen, bedeutet etwas, es „macht Sinn“. Und wahrscheinlich können wir nicht anders, als eben Sinn zu machen, so wie die Ameise nicht anders kann, als den ganzen Tag ihr Ameisenleben zu führen.

Liebe Gemeinde,

ich gebe zu, das ist alles sehr nüchtern. Weit weg von Osterjubel.

Und doch ist in dieser ganzen Nüchternheit Ostern versteckt. Keine Ostereier – sondern Ostern!

Der Retter – der unserem Glauben seine Mitte gibt – ist einer, der erträgt. Er ist einer, der sein „Nicht-machen-können“ aushält. Der nicht aus Steinen Brot macht, der nicht über Andere Macht ausüben will, der nicht durch tollkühne Sprünge Gott verführt.

Unser Retter ist ein Nicht-Macher. Er ist ein Erleider. Und in diesem Erleiden steckt jene Gabe, von der Paulus sagt: „sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

Es ist die Macht der Liebe (die nichts mit romantischer Verschmelzungssehnsucht zu tun hat) mit der sich unser Retter so sehr verbündet hat, dass er zu dieser Liebe selbst geworden ist. Es ist die Liebe, die uns die Kraft schenkt, uns selbst und unsere Mitmenschen sein zu lassen. Und Sein-lassen heißt zunächst einmal: aushalten.

Daran wird jedermann erkennen dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Das ist die tiefer Bedeutung des Abendmahles als eineS Gedächtnismahles. Es ist das Gedächtnis der Liebe. Und in dem Gedenken ist es das Wirksamwerden der Liebe. Der Liebe zum Leben in und mit seiner individuellen Vergänglichkeit.

Indem wir jetzt gemeinsam das heilige Abendmahl feiern, wächst in uns diese Kraft der Liebe: das ist die Kraft des Ertragens und des Erleidens. Zunächst einmal von uns selbst. Und je besser wir uns selbst ertragen können, desto leichter wird es auch, unsere Mitmenschen zu ertragen, sie in ihrem So-sein zu belassen, wie auch wir unser So-geworden-Sein aushalten lernen.

Und in diesem Geschehen könnte ein wenig Leichtigkeit in unser Leben hinein fließen und ein wenig Heiterkeit. Und wenn wir auch den Tod nicht österlich auslachen – vielleicht spielt öfters ein Oster-Lächeln um unsere Lippen – das selbst unseren Alters- und Sorgen-Falten Schönheit und die Würde gelebten Lebens verleiht.

Gebe Gott, dass wir in seiner Liebe so tief versinken, dass wir nicht mehr anders können, als seine Jünger zu sein, AMEN.

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Predigt über Apostelgeschichte 16, 9 – 15

Predigt über Apostelgeschichte 16, 9 – 15 am Sonntag Sexagesimae in der Jakobuskirche in Pullach (23. 2. 2014)

gehalten von Pfarrer Dr. Lothar Malkwitz

Liebe Gemeinde,

„heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“

Das ist ein Satz, der uns darum bittet, etwas zu unterlassen.

Es geht um eine Hemmung, um ein Nicht-Tun: „verstockt eure Herzen nicht!“

Offensichtlich haben wir die Macht und die Möglichkeit, unser Herz zu „verstocken“. „Stocken“ ist das alte Wort, heißt soviel wie „fest, dickflüssig werden, gerinnen.“ (Im bayrischen gibt es die „g’steckelte Mili“, hochdeutsch „Dickmilch“: eine fest gewordene Milch.)

Ein verstocktes Herz ist Herzinfarkt gefährdet. (Im griechischen heißt verstocken übrigens: skleryno – der med. Fachausdruck Sklerose kommt von daher!) Einem verstockten Herzen geht „nichts mehr zu Herzen“, es hat sich „unberührbar“ gemacht.

Als ich den heute zu predigenden Text las, nützten mir diese schlauen Gedanken gar nichts. Ich konnte nicht anders: ich begegnete dem Text mit Abneigung. Am liebsten wäre ich ausgewichen auf einen anderen Text. Verstocken hat also mit Abneigung zu tun: „Damit will ich nichts zu tun haben!“

Damit sie mitfühlen – oder sich wundern – können, breche ich hier ab und lese Ihnen den Predigttext vor. Er handelt davon, wie eine gottesfürchtige Griechin, Lydia mit Namen, zum christlichen Glauben findet. Lydia von Philippi gilt als die erste europäische Christin! Es ist also zugleich die Geschichte von der ersten christlichen Missionstätigkeit in Europa.

Ich lese Apostelgeschichte c. 16, 9-15:

„Und es erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein mazedonischer Mann stand da und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!

Als er aber das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen.

Wir fuhren nun von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake und des folgenden Tages nach Neapolis und von da nach Philippi, das die erste Stadt jenes Teils von Mazedonien ist, eine (römische) Kolonie. In dieser Stadt aber verweilten wir einige Tage.

Und am Tag des Sabbats gingen wir hinaus vor das Tor an einen Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte; und wir setzten uns nieder und redeten mit den Frauen, die zusammengekommen waren.

Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; ihr Herz öffnete der Herr, dass sie acht gab auf das, was von Paulus geredet wurde. Als sie und ihr Haus getauft worden war, bat sie und sagte: Wenn ihr urteilt, dass ich an den Herrn gläubig sei, so kehrt in mein Haus ein und bleibt. Und sie nötigte uns.“

Vielleicht wundern Sie sich: aber der Text ist doch nicht schlimm, im Gegenteil, das ist doch eine schöne Geschichte, wie Lydia von Gott – vermittelt durch Paulus – zum christlichen Gauben berufen wird. Wie das Christentum zu uns, nach Europa kommt.

Ja, aber! muss ich antworten.

Ja, aber: weist auf Härte hin, auf: „so einfach geht das nicht!“ Damit bin ich nicht einverstanden.

Aber womit denn?

Alles hängt davon ab, wie die Geschichte verstanden wird. Was sie für einen bedeutet.

Nun war keiner von uns dabei. Uns wird diese Geschichte erzählt. Und jeder von uns, der diese Geschichte hört, erlebt sie mit seinen eigenen Bildern und seinem eigenen Vor-Verständnis. Und ich bin mir sehr sicher: wenn wir uns jetzt darüber im einzelnen austauschen würden: wir wären überrascht, wie vielfältig und unterschiedlich die Eindrücke wären, die diese Geschichte bei uns hinterlässt.

Obwohl wir alle dieselbe Geschichte meinen.

Und das ist noch nicht alles. Indem, wie wir die Geschichte verstehen, ist ja noch völlig offen, wie Lukas, der Autor dieser Geschichte, sie verstanden hat.

Was wollte Lukas mit dieser Geschichte abbilden? Wozu erzählt er diese Geschichte?

Es scheint so zu sein, dass er erzählt, „wie es gewesen ist“. Das und das haben wir erlebt!

Und genau da beginnt sich mein Herz zu verstocken.

Mein verstocktes Herz sagt:

Ja und jetzt? Was willst du mir damit sagen?

Heute, in meinen Alltag an diesem grauen Februar-Sonntag hinein?

Predigen heißt, etwas rüber bringen. Eine frohe Botschaft verkündigen. Aber auch eine wahrhaftige Botschaft. Etwas Nahrhaftes. Die Geschichte „stimuliert“ meine Kreativität nicht.

Es sei denn, ich versuche „zwischen den Zeilen“ zu lesen. Ich mache mich auf die Suche nach etwas „hinter“ den Zeilen, „hinter“ dem konkreten: „so war es!“

Die Geschichte beginnt damit, dass Paulus eine Art Vision oder auch einen Traum hat: ein ihm, unbekannter Mann bittet ihn um Hilfe. „Komm‘ herüber!“ Paulus soll etwas „überbrücken“, eine Verbindung herstellen. Er soll die Verbindung zu einem anderen Erdteil, zu Europa herstellen. „Hilf uns!“ sagt der Mann.

Für Paulus ist völlig klar, worin die Hilfe besteht: er soll die Predigt von der Liebe Gottes auch für Europa zugänglich machen. Nun ist bekannt, dass Paulus Visionen hatte: seine berühmteste ist die vor Damaskus, die Saulus den Christenverfolger in Paulus den Missionar verwandelte.

Dann könnte man die Geschichte so lesen, dass sie uns erzählen will, was geschieht, wenn man seine Träume oder Visionen so ernst nimmt, dass man sie in die Tat umsetzt. Vorausgesetzt, man findet eine Sicherheit in sich selbst, die einem sagt, was man zu tun hat. Paulus war sich seiner „Sache“ so sicher, dass er bereit war, dafür sein Leben zu opfern.

Diese Sicherheit fehlt mir. Vielleicht ist ein Teil meines verstockten Herzens der Geschichte gegenüber Neid? Beneide ich den Paulus ob seiner Sicherheit?

Ich glaube nicht. Ich möchte mein Leben nicht gegen das seinige tauschen. Mir ist diese missionarische Sicherheit unheimlich. Und doch kann ich etwas lernen:

es ist gut, seine Träume ernst zu nehmen. „Träume sind wie ungeöffnete Briefe“, sagt S. Freud. Ernst nehmen hieße, versuchen die eignen Träume zu verstehen. Diesen Zwischenschritt übergeht Paulus. Er setzt seinen Traum sofort in Handlung um (Agieren sagen dazu die Psychoanalytiker.) D.h. Es gibt keinen Spielraum, des Verstehens – keine mentale Welt, in der der Mann, von dem Paulus träumt zu einer „Figur“, einer „Gestalt“ aus seiner inneren Welt wird – zu einem Teil von Paulus selbst, der Hilfe braucht.

Jetzt wird die Geschichte für mich interessant. Ich glaube, es ist der Saulus, von dem sich Paulus mit derselben Gewalt abgeschnitten hat, mit der er vorher Christus verfolgt hatte, der ihn um Hilfe bittet – der sich wünscht, Paulus möge „zu ihm herüber“ kommen. Saulus und Paulus trennen verschiedene Kontinente. So weit haben sie sich voneinander entfernt.

Und genau damit hat ja das Grausame von Mission zu tun: dass sie das Gewachsene, „vor“ der Mission entstandene, wegwischt und so tut, als wäre das alles „falsch“ gewesen. Dann zerfällt das Leben in zwei Hälften: eine gute und eine schlechte Hälfte, eine falsche und eine richtige. Zwischen diesen beiden Kontinenten ist das Meer. Dies macht in der Tiefe nicht zufrieden. Wenn die Hälfte meines Lebens von mir selbst auf einen anderen Kontinent verbannt ist, gibt es kein Leben in Freude und Leichtigkeit.

Ein nicht-verstocktes Herz ist ein ganzheitliches Herz. Ganzheitlich bedeutet, die Teile in sich hineinzunehmen, die ich ausgelagert, verbannt habe. Mit denen ich nichts (mehr) zu tun haben will. Diese ausgelagerten Teile meiner selbst schlagen sich in meiner Seele als Gefühle von Aversion nieder. „Ich möchte damit nicht in Berührung kommen.“

Unsere Geschichte teilt uns mit, dass Paulus und seine Freunde das „Traumgesicht“ sofort in die Tat umsetzen. Wahrscheinlich war das auch so.

Ich möchte bei dem Traumgesicht bleiben. Ich möchte die ganze Geschichte als eine Art Traum, als eine Geschichte aus der „inneren, seelischen Welt“ lesen. Indem ich dies tue, ist meine Langeweile verflogen. Ganzu im Gegenteil: die Geschichte bekommt für mich einen eigentümlichen Glanz.

Auch daran möchte ich Ihnen gerne Anteil geben.

Dann handelt die Geschichte davon, wie das geht:

Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht!“

Also: der Mann aus Mazedonien, der Mann von dem anderen Kontinent steht für jenen Teil von Paulus selbst, mit dem er seit seiner Bekehrung zum Christentum nichts mehr zu tun haben wollte. In dem er sich auf dessen Hilferuf einlässt, macht er sich wirklich auf den mühsamen Weg der Integration dessen, was er abgelehnt hatte.

Auf seinem Weg der „Ganz-“ oder „Heil-Werdung“ (und das verstehe ich unter Integration) entdeckt er in der Stadt Philippi seine eigene Gottlosigkeit. Keine Synagoge, kein Ort der Spiritualität findet sich. Es gibt auch keinen „Mann aus Mazedonien“. Natürlich gibt es ihn nicht: Paulus hatte ja seine ganze Spiritualität dem Saulus entzogen. Mit dem Juden Saulus wollte der Christ Paulus nichts mehr zu tun haben.

Doch Paulus lässt sich davon nicht beirren. Er beschließt mit seinen Freunden, seiner „inneren Gruppe“, an einen Fluss zu gehen. Der „Fluss“ ist ein uraltes Bild für Reinigung. Und hier trifft er auf die Frauen, auf seine weiblichen Anteile, mit denen er ins Gespräch kommt. Ein weiterer Akt der Integration, der Verbindung findet statt: es tut gut, wenn im Unbewussten eigene männliche und weibliche Seiten in gelichweritgen Kontakt miteinander treten. Diese Begegnung findet „im Freien“ statt: nicht eingeschlossen in einem Raum. Auch das ist gut: es ist eine frei-willige Verbindung, ein freies Miteinander, das da am „Fluss des Lebens“ sich ereignet.

Und dann hebt sich eine Frau heraus, Lydia, die mit Purpur handelt. Nun steckt in dem Namen „Lydia“ das greichische Verb „lüo“, und das heißt lösen, frei werden. Dies könnte ein weiterer Hinweis auf die befreiende, lösende Kraft sein, die damit zu tun hat, dass sich Paulus seiner weiblichen Seite zu wendet. Zugleich handelt sie mit Purpur: Purpur entsteht durch die Verbindung von rot und blau – also aus der guten Verbindung von Geistigem und Lebendigem. Purpur verkörpert auch etwas sehr Wertvolles, so dass die Farbe „Purpur“ für Würde schlechthin steht. Der Umgang zwischen Paulus und Lydia ist ein Würdevoller – weit entfernt von einer entwürdigenden Zwangstaufe.

Indem sich Lydia von Paulus taufen lässt, verbinden sich die beiden mit dem Fluss des Lebens. Vertrauen sich dem Fluss des Lebens an. Und dann „nötigt“ Sylvia ihren Täufer zum Essen. Das klingt kurz nach Zwang – lässt sich freilich in der inneren Welt auch als den letzten Schritt zu echter Gemeinschaft, wirklicher communio verstehen: dem autarken „Ich“ des Paulus muss mit „sanftem Nachdruck“ klar gemacht werden, dass es auch nur ein Teil eines größeren Ganzen ist und dass es keine „Schande“ ist, etwas zu nehmen, zu empfangen. Auch der freie und stimmige Austausch von Geben und Nehmen, wo es nichts Gönnerhaftes und nichts Bedürftiges mehr gibt, gehört zu einer einer guten, ganzheitlichen Beziehung in gegenseitiger Würde und Wertschätzung.

Liebe Gemeinde.

ich weiß nicht, welche Gefühle diese Deutung unseres Predigttextes in Ihnen auslöst. Ich kann mir vorstellen, dass die Bandbreite von Verständnislosigkeit über ärgerlich-empörte Ablehnung bis hin zu neugierigem Interesse geht. Ich bin mir auch darüber im Klaren, Ihnen damit etwas zuzumuten. Aber – ganz ehrlich – ich kann nicht anders predigen.

Dieser, mein Zugang zum christlichen Glauben und zu den Texten der Bibel, ist, wenn er denn ein Adjektiv bekommen soll, ein mystischer. Purpur ist übrigens auch die Farbe der Mystik – und die Farbe der Buße. Und in der Gegenwart als Violett die Farbe der Emanzipation der Frauen. (Spannend, oder?)

Die Mystiker (und die Frauen?) waren einerseits die kirchlichen Außenseiter. Manche wurden mit dem Tode bestraft, manche wurden heilig gesprochen. Karl Rahner hat am Ende seines Lebens gesagt: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein; oder er wird nicht mehr sein.“ Für mein persönliches Leben stimmt der Satz voll und ganz. Warten wir ab, ob er auch im Großen und Ganzen recht hatte. AMEN

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Sinnen und Trachten, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus, AMEN.

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